Entscheidungsstichwort (Thema)

Aussetzung des FG-Verfahrens

 

Leitsatz (NV)

1. § 74 FGO rechtfertigt nicht die Aussetzung eines finanzgerichtlichen Verfahrens für die Dauer eines anderen Rechtsstreits mit dem Ziel, daß nach dessen Beendigung ein gegenwärtig bestehendes Aussageverweigerungsrecht eines Zeugen entfallen wird.

2. Zur Haftung der Gesellschafter einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts.

3. Zur Revisibilität der Beweiswürdigung.

4. Bei der Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners ist ein fehlerhaftes Verhalten der Behörde unter dem Gesichtspunkt des allenfalls im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigenden Mitverschuldens jedenfalls dann unerheblich, wenn es für den eingetretenen Schaden nicht ursächlich geworden ist.

 

Normenkette

AO 1977 § 191 Abs. 1; BGB §§ 421, 427; FGO §§ 74, 102, 118 Abs. 2

 

Tatbestand

Der Beklagte, Revisionsbeklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) nahm die Klägerin, Revisionsklägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) in ihrer Eigenschaft als Gesellschafterin einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) mit zwei Haftungsbescheiden . . . als Haftungsschuldnerin in Anspruch. Der eine Haftungsbescheid betraf die Umsatzsteuer . . . und die Umsatzsteuer . . ., der andere Haftungsbescheid bezog sich auf die Umsatzsteuer . . . Das FA ging davon aus, daß sich die Klägerin mit Sch. als dem Alleininhaber der Firma R. und der Firma E. zu einer Arbeitsgemeinschaft (Arge) zum Zwecke der Ausführung der . . .-Installation für das Bauvorhaben X. zusammengeschlossen hatte.

Nach erfolglosem Einspruch hob das Finanzgericht (FG) die Haftungsbescheide wegen der Umsatzsteuer . . . auf und wies die Klage hinsichtlich der Umsatzsteuer . . . ab.

Das FG nahm an, daß entgegen der Auffassung der Klägerin eine Arge bestanden habe und diese als umsatzsteuerrechtlich selbständiges Rechtssubjekt Unternehmerin und damit Steuerschuldnerin sei. Es liege zwar kein selbständiger schriftlicher Arge-Vertrag vor. Die Arge sei aber (spätestens) mit Abschluß des Vertrages mit der Firma R. . . . gegründet und unter Wahrung ihrer Identität aufgrund des Vertrages mit der Generalunternehmerin . . . fortgeführt worden. In dem erstgenannten Vertrag sei ausdrücklich die ,,Arge . . ." als Auftragnehmer genannt. Im letztgenannten Vertrag mit der Generalunternehmerin seien die drei Firmen als Vertragsübernehmer (des bisherigen Vertrages mit der Firma R.) mit dem Zusatz ,,hier vertraglich verbunden und gemeinsam auftretend als Arbeitsgemeinschaft . . ." bezeichnet.

Die angemeldeten Vorsteuerbeträge seien zu Unrecht an die Arge ausgezahlt worden, so daß dem FA gegenüber der Arge entsprechende Rückforderungsansprüche zustünden. Bei einer Steuerfahndungsprüfung im Jahre . . . bei der Arge habe nicht eine einzige Einkaufsrechnung vorgelegt werden können. Es sei deshalb nicht auszuschließen, daß es sich bei den Materialeinkäufen um sog. o. R.-Geschäfte gehandelt habe.

Gleichwohl habe die Klägerin wegen der Rückforderung für . . . nicht in Anspruch genommen werden dürfen. Denn für dieses Jahr habe Sch., der die Voranmeldungen für die Arge abgegeben habe, keine Vertretungsmacht zur Abgabe verbindlicher Erklärungen für die Arge gehabt. Erst aufgrund des Vertrages mit der Generalunternehmerin . . . habe der Fa. R. und damit Sch. als ihrem Alleininhaber die Befugnis zur Geschäftsführung für die Arge und deshalb gemäß § 714 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) auch die Vertretungsbefugnis zugestanden. In diesem Vertrag sei die Fa. R. als ,,kaufmännisch geschäftsführender Partner" der Arge genannt worden. Die kaufmännische Geschäftsführung umfasse auch die Erledigung der steuerlichen Angelegenheiten der Arge. Danach bestehe erst für das Jahr . . . ein Rückforderungsanspruch gegenüber der Arge.

Die Klägerin hafte auch für die in der Schlußrechnung vom . . . ausgewiesene Umsatzsteuer in Höhe von . . . DM. Die Schlußrechnung sei der Arge als ihre Rechnung zuzurechnen. Die ausgewiesene Umsatzsteuer werde deshalb von ihr entweder nach § 14 Abs. 2 oder Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) geschuldet. Das Einverständnis der Klägerin mit der Erteilung der Schlußrechnung oder jedenfalls eine Genehmigung ergebe sich aus dem Vertrag mit der Generalunternehmerin . . ., aus dem die Billigung hervorgehe, daß die Schlußrechnung durch die Arge erstellt werde. Die Zustimmung der Klägerin zu der Schlußrechnung folge auch daraus, daß die Schlußrechnung in einem Vertragsentwurf für den Übernahmevertrag enthalten gewesen sei, den die Fa. E. der Klägerin mit Schreiben . . . übersandt habe.

Die Inanspruchnahme der Klägerin für den Rückforderungsanspruch wegen zu Unrecht ausgezahlter Vorsteuerbeträge des Jahres . . . sei unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben ermessenswidrig und habe deshalb nicht erfolgen dürfen. Dem FA sei auf seine Bitte um Vorlage des Arge-Vertrages von der Fa. R. mit Schreiben . . . mitgeteilt worden, daß es sich ,,nur um eine offene Arge handelt, die untereinander keinen Vertrag haben, sondern es besteht nur ein Auftrag des Auftraggebers". Der Inhalt dieses Schreibens sei im Vergleich zu den üblichen Verhältnissen bei einer Arge derart ungewöhnlich und zudem auch unverständlich, daß für das FA aller Anlaß bestanden habe, nicht nur das Rechtsverhältnis, sondern auch die sachliche Berechtigung der geltend gemachten Vorsteuerbeträge zu überprüfen. Gleichwohl sei nichts unternommen worden. Vielmehr seien die erklärten Vorsteuerüberschüsse in Höhe von . . . DM erstattet worden. Darin liege ein solch leichtfertiges Verhalten des FA, daß es Treu und Glauben widerspreche, die Klägerin für diese Beträge haften zu lassen. Das schwerwiegende Versäumnis des FA, ohne das die Auszahlung der Vorsteuerbeträge . . . hätte verhindert werden können, dürfe nicht zu Lasten der Klägerin gehen.

Mit der sowohl vom FA als auch von der Klägerin jeweils selbständig eingelegten Revision werden verfahrensrechtliche und materiell-rechtliche Rügen erhoben.

Zur Begründung seiner nur den Haftungsbescheid über Umsatzsteuer . . . betreffenden Revision rügt das FA die Verletzung von § 191 der Abgabenordnung (AO 1977) i. V. m. §§ 421, 427 BGB. Es macht geltend, es liege keine Ermessenswidrigkeit unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben vor. Das Schreiben vom . . . sei bei verständiger Würdigung so zu verstehen, daß ein schriftlicher Vertrag der Arge-Partner zur Regelung ihrer Verhältnisse untereinander nicht abgefaßt worden sei und deshalb nicht eingereicht werden könne. Anzeichen dafür, daß Vorsteuerüberhänge unberechtigterweise geltend gemacht worden seien, hätten sich aus diesem Schreiben nicht ergeben. Das FG führe in seinem Urteil selbst aus, es sei nicht ungewöhnlich, daß für Arbeitsgemeinschaften bei größeren Objekten über Jahre hinaus ausschließlich Vorsteuerüberhänge deklariert würden.

Im übrigen könne sich nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) auf Treu und Glauben wegen einer unzureichenden Ermittlung des FA nur derjenige berufen, der selber seiner Erklärungspflicht in zumutbarer Weise nachgekommen sei. Das angefochtene Urteil gehe überhaupt nicht darauf ein, ob der Steuerpflichtige seinen Mitwirkungspflichten nachgekommen sei. Dies sei jedoch nicht der Fall gewesen. Vielmehr liege eine bewußte Verschleierung von Geschehensabläufen vor. Die mit krimineller Energie durch Sch. aufgebaute Sachverhaltsgestaltung und Sachverhaltsdarstellung könne nicht zuungunsten der Finanzbehörde umschlagen.

Die Klägerin bestreitet ihre Haftung dem Grunde und der Höhe nach. Sie macht geltend, sie sei nicht Gesellschafterin einer GbR in Form einer Arge gewesen. Sch. als Inhaber der Fa. R. sei von ihr nicht ermächtigt gewesen, Vorsteuererstattungen für eine solche Arge zu beantragen oder eine Schlußrechnung zu erteilen. Sie rügt mit ihrer Revision als Verfahrensfehler, daß das FG den für die Arge beim FA als Geschäftsführer aufgetretenen Sch. nicht als Zeugen vernommen habe. Zwar habe Sch. in der mündlichen Verhandlung im Hinblick auf das gegen ihn eingeleitete Strafverfahren von seinem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch gemacht. Das FG hätte aber entweder das Verfahren bis zum rechtskräftigen Abschluß des Strafverfahrens aussetzen oder aber das Ruhen des Verfahrens anordnen müssen, um nach Wegfall des Aussageverweigerungsrechts den Sachverhalt gemäß dem aus der Ladung ersichtlichen Beweisthema aufzuklären (§ 76 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FG-Urteil verletze materielles Recht dadurch, daß es nicht geprüft habe, ob sich die Gesellschafter der Arge - wenn deren Existenz unterstellt werde - gemäß § 831 BGB hätten exkulpieren können. Das FG habe nicht einmal den Versuch unternommen zu prüfen, ob die Gesellschafter ein Auswahlverschulden treffe. Das Vorliegen eines Auswahlverschuldens werde bestritten und bei Anhörung des Sch. als Zeuge wäre auch der Exkulpationsbeweis gelungen. Im übrigen habe das FG auch nicht unaufgeklärt und unberücksichtigt lassen dürfen, daß zur Auftragsdurchführung in ganz erheblichem Umfang Material benötigt worden sei und daher auch eingekauft worden sein müsse. Auch insoweit hätte die Vernehmung des Sch. als Zeugen Aufschluß bringen müssen. Bei der Schlußrechnung vom . . . handele es sich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit um eine von Sch. wider besseres Wissen erstellte Gefälligkeitsrechnung. Die Rechnung sei vor der angeblichen Übertragung der Geschäftsführung durch den Vertrag . . . auf die Fa. R. erstellt worden und mithin der Arge nicht zuzurechnen. Die vom FG vorgenommene gegenteilige Würdigung sei unzutreffend und keineswegs zwingend. Selbst wenn Sch. zur Vertretung der Arge berechtigt gewesen wäre, hätte die erteilte Vollmacht nur ordnungsgemäße Geschäfte gedeckt. Sollte die Rechnung nicht auf einer Gefälligkeit, sondern auf einem Irrtum des Inhalts beruhen, daß die Rechnung gegenüber der Generalunternehmerin zu erteilen sei, so werde dies zu einer Berichtigung der Rechnung führen können und müssen.

Die Verfahren VII R 77/89 und VII R 78/89 sind zur gemeinsamen Entscheidung verbunden worden (§ 73 Abs. 1 FGO).

 

Entscheidungsgründe

1. Die Revision der Klägerin ist unbegründet.

a) Die Klägerin sieht zu Unrecht einen Verfahrensverstoß unter Verletzung der Bestimmungen der §§ 76 Abs. 1, 74 und 155 FGO i. V. m. § 251 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) darin, daß das FG eine Entscheidung ohne Vernehmung des Sch. als Zeugen getroffen und nicht das Verfahren ausgesetzt oder zum Ruhen gebracht hat. In Übereinstimmung mit dem FG geht die Klägerin zutreffend davon aus, daß dem als Zeugen geladenen Sch. ein Aussageverweigerungsrecht (§ 84 FGO i. V. m. § 103 AO 1977) zugestanden und dieser davon auch Gebrauch gemacht hat. Soweit das FG nicht für die Dauer der Gültigkeit dieses Aussageverweigerungsrechts das Ruhen des Verfahrens angeordnet hat, liegt darin schon deshalb kein Verfahrensverstoß, weil dies nach § 251 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 155 FGO einen Antrag beider Beteiligter vorausgesetzt hätte. Die Klägerin hat nicht dargelegt und es ist auch nicht ersichtlich, daß entsprechende Anträge gestellt worden sind.

Auch die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 74 FGO für eine Aussetzung des Verfahrens lagen nicht vor. Das Strafverfahren gegen Sch. betraf nicht - wie § 74 FGO verlangt - ein Rechtsverhältnis, von dessen Bestehen oder Nichtbestehen die Entscheidung des Streitfalles durch das FG abhing. Für die Entscheidung des Streitfalles ist zum einen unerheblich, ob das Verhalten von Sch. strafrechtlich relevant war. Zum anderen ist auch nicht substantiiert dargelegt oder anderweitig erkennbar, welchen sonstigen rechtlichen Einfluß der Ausgang des Strafverfahrens gegen Sch. auf den Streitfall haben könnte. Weder der Wortlaut des § 74 FGO noch dessen Sinn und Zweck, aus Gründen der Prozeßökonomie vorgreifliche Feststellungen oder Rechtsfragen in einem bereits deswegen anhängigen Verfahren treffen oder klären zu lassen, erlauben die Aussetzung eines Verfahrens für die Dauer eines anderen Rechtsstreits zur Herbeiführung einer Lage, in der ein gegenwärtig bestehendes Aussageverweigerungsrecht eines Zeugen entfallen wird.

Im übrigen handelt es sich bei der Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO um eine Ermessensentscheidung des Gerichts. Im Hinblick auf die ungewisse Dauer eines Strafverfahrens und auf die Ungewißheit über den Inhalt einer späteren Aussage eines Zeugen, der zunächst von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hat, könnte ein Ermessensfehler des FG bei der Ablehnung einer Aussetzung des Verfahrens selbst dann nicht angenommen werden, wenn eine (analoge) Anwendung des § 74 FGO auf den in Frage stehenden Fall grundsätzlich in Erwägung zu ziehen wäre.

b) Gegen die Feststellung des FG, daß eine Arge bestanden habe, hat die Klägerin keine zulässigen und begründeten Verfahrensrügen erhoben. Die vom FG aus den Verträgen . . . gezogene Schlußfolgerung über das Bestehen einer Arge ist möglich und verstößt nicht gegen Denk- oder Erfahrungsgrundsätze. Sie ist daher revisionsrechtlich verbindlich (§ 118 FGO).

Gleiches gilt für die Feststellung des FG, aus dem Vertrag . . . ergebe sich die Übertragung der kaufmännischen Geschäftsführung der Arge auf die Fa. R. Auch die Auffassung des FG, die kaufmännische Geschäftsführung habe die Erledigung der steuerlichen Angelegenheiten umfaßt, ist nicht zu beanstanden. Weder der Inhalt des Vertrages mit der Generalunternehmerin noch sonstige Umstände sprechen dafür, daß im Streitfall die kaufmännische Geschäftsführung ausnahmsweise die steuerlichen Angelegenheiten nicht erfaßt habe und die Gesellschafter sich insoweit eine gemeinsame Geschäftsführung vorbehalten hätten. Insbesondere hat das FG nicht festgestellt und die Klägerin auch nicht behauptet, daß außer den in Streit stehenden Voranmeldungen auch solche abgegeben worden seien, die von allen Gesellschaftern unterzeichnet worden wären.

c) Im Streitfall kann die Richtigkeit der Auffassung der Klägerin, die Gesellschafter einer GbR könnten, wenn sie die Geschäftsführung auf einen Gesellschafter übertragen, im Rahmen der Inanspruchnahme der Gesellschaft einen Exkulpationsbeweis nach § 831 BGB führen, offenbleiben. Denn selbst wenn dies grundsätzlich möglich wäre, müßte sich die Klägerin entgegenhalten lassen, daß eine Exkulpation nur bei ausreichender Überwachung möglich ist. Die Klägerin hat weder dargelegt, noch ist ersichtlich, daß sie von ihren Kontroll- und Überwachungsrechten (§ 716 BGB) Gebrauch gemacht hat.

d) Die Annahme des FG, daß die Klägerin in ihrer Eigenschaft als Gesellschafterin einer GbR grundsätzlich für die Steuerschulden der Gesellschaft haftet, ist ebenfalls frei von Rechtsfehlern. Nach § 191 Abs. 1 AO 1977 kann seit dem 1. Januar 1977 durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für die Steuer haftet. Soweit Gesellschaften als solche der Besteuerung unterliegen (Umsatz- und Gewerbesteuer), gelten nach § 113 der Reichsabgabenordnung (AO) für die Zeit bis zum 31. Dezember 1976 für die persönliche Haftung der Gesellschafter sinngemäß die Vorschriften des bürgerlichen Rechts. Nach der Rechtsprechung des Senats ergibt sich die persönliche, gesamtschuldnerische Haftung der Gesellschafter einer GbR aus den Rechtsgedanken der §§ 421, 427 BGB (vgl. Urteil vom 27. März 1990 VII R 26/89, BFHE 161, 390, BStBl II 1990, 939, 940 m. w. N.). Danach sind die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Klägerin für das Streitjahr 1975 gemäß § 113 AO erfüllt.

e) Die Schlußrechnung vom . . . ist auch der Arge zuzurechnen. Die Einwendungen der Klägerin gegen die aus dem Vertrag . . . und dem Schreiben . . . abgeleitete Schlußfolgerung des FG, daß die Klägerin die Schlußrechnung vom . . . jedenfalls genehmigt habe, greifen nicht durch. Die Revisionsangriffe stellen (materiell-rechtliche) Rügen der Beweiswürdigung dar. Die Beweiswürdigung ist aber nur insoweit revisibel, als Verstöße gegen Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze vorliegen. Das Ergebnis der Beweiswürdigung muß, um das Revisionsgericht zu binden, nicht zwingend sein. Es genügt, daß es möglich erscheint (vgl. Tipke /Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 118 FGO Tz. 55). Im Streitfall ist das Ergebnis der Beweiswürdigung des FG möglich. Verstöße gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze sind dem FG nicht unterlaufen, so daß gemäß § 118 Abs. 2 FGO eine Bindung an die Feststellungen der Vorinstanz besteht.

f) Nicht stichhaltig ist auch das Argument der Klägerin, die Vorentscheidung habe bei der Höhe der Rückforderung zu Unrecht überhaupt keine Vorsteuerbeträge der Arge berücksichtigt. Gegen die Schlußfolgerung des FG, das Fehlen von Einkaufsrechnungen bei der Arge sei möglicherweise damit zu erklären, daß sog. o. R.-Geschäfte getätigt worden seien, hat die Klägerin keine durchgreifenden Einwände erhoben. Da das Vorhandensein von Rechnungen nicht feststand, waren Vorsteuern bereits dem Grunde nach nicht anzuerkennen (vgl. § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG). Die Frage, ob Vorsteuern der Höhe nach im Schätzungswege anzusetzen waren, stellte sich deshalb nicht mehr.

g) Die Vorentscheidung ist entgegen der von der Klägerin geäußerten Ansicht auch nicht unter dem Gesichtspunkt zu beanstanden, daß in ihr die Ermessensausübung durch das FA für fehlerfrei i. S. des § 102 FGO gehalten worden ist. Das FA hat - wie sich aus der Einspruchsentscheidung ableiten läßt - nicht nur die Klägerin, sondern auch die übrigen Gesellschafter als Haftungsschuldner in Anspruch genommen. Da nach der von der Klägerin nicht bestrittenen Darstellung in der Einspruchsentscheidung bis zu diesem Zeitpunkt weder von der Arge noch von den Gesellschaftern Zahlungen erfolgt waren, war auch nicht zu bemängeln, daß das FA die Klägerin nicht nur für den sich aus der Schlußrechnung ergebenden Betrag, sondern auch wegen der Rückforderung der zu Unrecht ausgezahlten Vorsteuern in Anspruch genommen hat. Denn wenn der möglicherweise vorrangig in Anspruch zu nehmende Sch. aufgrund des gegen ihn erlassenen Haftungsbescheides keine Zahlung geleistet hatte, war die Entscheidung, zusätzlich die Klägerin selbst für solche Rückforderungen heranzuziehen, die auf einem möglicherweise strafrechtlich relevanten Verhalten des Sch. beruhen, jedenfalls im Zeitpunkt des Ergehens der Einspruchsentscheidung nicht ermessensfehlerhaft.

Das FG hat einen Ermessensfehlgebrauch zu Recht auch nicht darin gesehen, daß für den Fall, daß die Arge eine berichtigte Rechnung einreicht, eine Steuer nur noch in Höhe des sich aus der berichtigten Rechnung ergebenden Betrages zu begleichen wäre. Zwar muß das FA bei seiner Ermessensausübung auch Treu und Glauben beachten mit der Folge, daß es nicht vom Haftungsschuldner verlangen darf, was es sogleich zurückgeben müßte (dolo facit, qui petit, quod statim redditurus est). Im Streitfall hat das FA aber nicht gegen diesen Grundsatz verstoßen. Es war im Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Klägerin nicht absehbar, ob eine berichtigte Rechnung der Arge eingereicht werden würde.

2. Die Revision des FA, die sich lediglich gegen die Abweisung der Klage wegen des Haftungsbescheides über Umsatzsteuer . . . wendet, ist begründet.

Der Vorinstanz ist nicht darin zu folgen, die Inanspruchnahme der Klägerin als Haftungsschuldnerin für den Umsatzsteuerrückforderungsanspruch . . . sei ermessensfehlerhaft i. S. des § 102 FGO.

Nach der Rechtsprechung des Senats ist § 254 BGB, der für das Zivilrecht die Bedeutung des Mitverschuldens bei einer Verpflichtung zur Leistung von Ersatz regelt, auf öffentlich-rechtliche Steuerhaftungsansprüche nicht anwendbar. Etwaiges Mitverschulden der Behörde spielt danach allenfalls im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung eine Rolle (vgl. Senatsurteile vom 20. April 1982 VII R 96/79, BFHE 135, 416, 421, BStBl II 1982, 521, 524; vom 12. Oktober 1982 VII R 66/80, nicht veröffentlicht; vom 26. Februar 1985 VII R 137/81, BFH / NV 1986, 136).

Voraussetzung für die Erheblichkeit eines Mitverschuldens auch bei seiner Ansiedlung im Ermessensbereich ist seine Ursächlichkeit. Selbst wenn im Streitfall ein fehlerhaftes Verhalten der Behörde durch Unterlassen von gebotenen Ermittlungen angenommen wird, ist dieses Unterlassen nicht ursächlich für den eingetretenen Schaden geworden. Denn diejenigen Aufklärungsmaßnahmen, die nach der Sachlage geboten waren und die das FA unterlassen hat, hätten den eingetretenen Schaden nicht verhindert. Pflichtet man dem FG darin bei, daß das Schreiben vom . . ., in dem Sch. das Fehlen eines Arge-Vertrages behauptet hat, dem FA Anlaß hätte geben sollen, das Vorhandensein einer Arge zu überprüfen, so war jedenfalls das Unterlassen dieser Ermittlungen nach der bei Unterlassungstatbeständen für die Feststellung der Ursächlichkeit erforderlichen (hypothetischen) Wahrscheinlichkeitsprognose nicht ursächlich für den eingetretenen Schaden. Denn Sch. hätte durch Vorlage der Verträge . . . die auch vom FG angenommene Existenz der Arge belegen können. Soweit das FG demgegenüber meint, daß die aus dem Schreiben . . . ersichtlichen Unklarheiten über die rechtlichen Grundlagen der Arge das FA darüber hinaus dazu hätten veranlassen müssen, die Voraussetzungen für die sachliche Berechtigung der geltend gemachten Vorsteuern zu ermitteln, hat es für diese Auffassung keine nachvollziehbaren Gründe angeführt. Der Senat vermag ihr daher nicht zu folgen. Bestand danach aber bereits keine Verpflichtung des FA zu entsprechenden Ermittlungen, so kann deren Unterlassung auch nicht ein möglicherweise im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigendes Mitverschulden begründen.

Ein anderes Ergebnis würde auch nicht erreicht, wenn die Ermessensentscheidung bezüglich der unterlassenen Ermittlungen über die sachliche Berechtigung der geltend gemachten Vorsteuerbeträge nicht unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des Mitverschuldens, sondern - wie es das FG getan hat - nach dem Grundsatz von Treu und Glauben überprüft würde. Denn selbst wenn im Rahmen der Ermessensentscheidung das Mitverschulden nicht als ein spezieller Unterfall des Grundsatzes von Treu und Glauben anzusehen wäre, kann sich in der Regel auf Treu und Glauben nur derjenige berufen, der sich selbst bzw. dessen Vertreter sich korrekt verhalten hat (vgl. Senatsurteil vom 12. Mai 1987 VII R 115/84, BFH / NV 1988, 137, 139). Im Streitfall müßte sich die Klägerin nicht nur das rechtswidrige Verhalten des Sch., sondern auch entgegenhalten lassen, daß sie selbst von ihren gesetzlichen Kontrollrechten nach § 716 BGB keinen Gebrauch gemacht hat. Wer - wie die Klägerin - die Geschäftsführung einem Mitgesellschafter überträgt und von seinen Überwachungsrechten jahrelang keinen Gebrauch macht, kann sich jedenfalls ohne Vorliegen besonderer Gründe nicht mit Erfolg darauf berufen, daß das FA gegen seine Pflicht zur Ermittlung des Sachverhalts verstoßen habe.

 

Fundstellen

Haufe-Index 417648

BFH/NV 1992, 87

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