Entscheidungsstichwort (Thema)

Geschäftsführerhaftung: Erlaß der Haftungsschuld während des Klageverfahrens; Liquidationsumsätze; Ermessen

 

Leitsatz (NV)

1. Ein während des Klageverfahrens ausgesprochener Teilerlaß der Haftungsschuld berührt nicht den Bestand des angefochtenen Haftungsbescheids. Der Erlaß hat aber zur Folge, daß insoweit das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage gegen den Haftungsbescheid entfällt.

2. Der Geschäftsführer einer KG hat auch für die zum Zwecke der Liquidation der KG getätigten Umsätze Umsatzsteuer-Voranmeldungen abzugeben und Umsatzsteuer-Vorauszahlungen zu entrichten. Das gilt auch für den Verkauf von Waren, die unter Eigentumsvorbehalt geliefert oder den Gläubigern der KG zur Sicherheit übereignet sind.

3. Zu den Anforderungen an die Begründung der Ermessensausübung im Haftungsbescheid.

 

Normenkette

AO §§ 103, 105 Abs. 1, § 109 Abs. 1, § 118 S. 1

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH sowie Kommanditist und Geschäftsführer einer KG, deren alleinige Komplementärin die GmbH war. Beide Gesellschaften sind inzwischen aufgelöst. Die KG betrieb bis Ende Juni 1970 auf einem eigenen Grundstück eine . . . fabrik. Anschließend wurde das Unternehmen durch den Kläger liquidiert. Zu diesem Zwecke wurden das Vorratsvermögen, die Maschinen, die maschinellen Anlagen und am 11. Januar 1971 zum Preise von 637 000 DM auch das Fabrikgrundstück veräußert. Für die Zeit ab Juli 1970 gab der Kläger keine Umsatzsteuervoranmeldungen mehr für die KG ab, und er leistete auch keine Umsatzsteuervorauszahlungen mehr an den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -). Am 11. Januar 1972 wurden der KG aufgrund einer Überzahlung aus der Umsatzsteuerveranlagung 1969 8 797,50 DM erstattet.

Nach einer Ende 1974 durchgeführten Betriebsprüfung nahm das FA den Kläger durch Haftungsbescheid nach den §§ 103, 109 der Reichsabgabenordnung (AO) für Umsatzsteuerschulden der KG für die Jahre 1968 bis 1970 in Höhe von insgesamt 45 571,18 DM in Anspruch. Während des nach erfolglosem Einspruch gegen den Haftungsbescheid durchgeführten Klageverfahrens wurden dem Kläger durch Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion (OFD) die geltend gemachten Haftungsschulden in Höhe von insgesamt 17 571,18 DM erlassen. Die noch verbleibende Haftungsschuld (28 000 DM) entfiel in Höhe von 500 DM auf einen Verspätungszuschlag und hinsichtlich des Restbetrages auf Umsatzsteuer 1970, die der Kläger weder vorangemeldet noch abgeführt hatte.

Der Kläger trug im Klageverfahren vor, er habe sich aufgrund akuter Liquiditätsschwierigkeiten im Jahre 1970 gezwungen gesehen, den Produktionsbetrieb der KG einzustellen, die Geschäfte abzuwickeln und im Rahmen eines außergerichtlichen Moratoriumsverfahrens die Verbindlichkeiten der Gesellschaft abzudecken. Da die aus dem Verkauf des Betriebsvermögens erzielten Erlöse zur Tilgung der Verbindlichkeiten verwendet worden seien, habe er geglaubt, nach dem Juni 1970 nicht mehr zur Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen für die KG sowie zur Zahlung von Umsatzsteuer verpflichtet zu sein. Denn die Maschinen und maschinellen Anlagen seien sicherungsübereignet gewesen bzw. hätten unter Zubehörhaftung gestanden und das Vorratsvermögen sei mit Eigentumsvorbehalten der Lieferanten belastet gewesen. Die Gläubiger hätten die Veräußerung nur unter der Voraussetzung gestattet, daß die Bruttoerlöse an sie abgeführt würden. Das sei durch eine Grundschuld auf dem Betriebsgrundstück abgesichert gewesen. Er habe deshalb gemeint, daß es sich bei den Veräußerungen um Umsätze der Kreditinstitute und Lieferanten gehandelt habe. Im übrigen hätte auch die Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen nichts daran geändert, daß er nicht in der Lage gewesen sei, die Umsatzsteuer zu bezahlen.

Das Finanzgericht (FG) setzte die Haftungsschuld um den darin enthaltenen Verspätungszuschlag von 500 DM auf 45 071,18 DM herab und wies die Klage im übrigen ab. Es führte aus:Der nach Ergehen der Einspruchsentscheidung ausgesprochene teilweise Erlaß der Haftungsschuld habe ebenso wie der Fall des Erlöschens einer Steuerschuld durch Zahlung keinen Einfluß auf den angefochtenen Haftungsbescheid, dessen Rechtmäßigkeit weiterhin Gegenstand des Rechtsstreits sei. Es bestehe kein Bedürfnis, insoweit die Haftungsschuld herabzusetzen, da der Kläger dem Haftungsbescheid die Erlaßentscheidung der OFD entgegenhalten könne. Für die Umsatzsteuer, die auf Umsätzen beruhe, die im zweiten Halbjahr 1970 im Rahmen der Liquidation der KG ausgeführt worden seien, sei der Kläger zu Recht nach den §§ 103, 109 Abs. 1 AO als Haftungsschuldner in Anspruch genommen worden.

Mit der Revision rügt der Kläger, daß sich die Vorentscheidung entweder gar nicht oder nicht ausreichend mit der in der Klagebegründung ausgeführten Argumentation auseinandergesetzt habe. Insbesondere wende er sich gegen die Unterstellung des FG, daß sein Einwand, er habe nicht gewußt, daß die Liquidationserlöse solche des Unternehmens gewesen seien und zum Entstehen der Umsatzsteuerschuld geführt hätten, eine Schutzbehauptung sei. Zwar ergebe sich aus dem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 12. Mai 1980 VIII ZR 167/79 (BGHZ 77, 139), daß der Konkursverwalter, der im Konkurs des Sicherungsgebers Sicherungsgut im Einvernehmen mit dem Sicherungsnehmer freihändig veräußere, unbeschadet der Frage, ob er bei entsprechender vertraglicher Vereinbarung den vollen Brutto-Verwertungserlös an den Sicherungsnehmer abführen müsse, den im Verwertungserlös enthaltenen Mehrwertsteueranteil an den Fiskus als Masseverbindlichkeit abzuführen habe. Da es aber zur Klärung dieser Rechtsfrage erst einer höchstrichterlichen Entscheidung bedurft habe, könne ihm kein Verschulden i. S. des § 109 AO angelastet werden. Im übrigen habe das FG nicht berücksichtigt, daß die Liquidation der KG im Rahmen eines außergerichtlichen Vergleichs und Moratoriumsverfahrens erfolgt sei. Die Verwertung der mit Rechten Dritter belasteten Wirtschaftsgüter sei ihm nur mit der Auflage gestattet worden, die Erlöse in voller Höhe an diese abzuführen. Er sei der Auffassung gewesen, in einem außergerichtlichen Insolvenzverfahren mit massiven Interventionen aller Sicherungsnehmer handele es sich - abweichend vom Normalfall des Verkaufs eigentumsvorbehaltsbelasteter Waren - um deren Umsätze.

Soweit die Vorentscheidung ausführe, er sei in der Lage gewesen, die auf die Liquidationserlöse entfallende Umsatzsteuer vollständig zu bezahlen, wenn er das gewollt hätte, setze sie sich nicht mit seiner Klagebegründung vom 8. Juni 1978 auseinander. Dort habe er ebenso wie in seinem Schriftsatz an die OFD vom 11. Januar 1978 nachgewiesen, daß es ihm unmöglich gewesen sei, aus den für die Sicherungsnehmer vereinnahmten Erlösen irgendwelche Mittel an das FA abzuführen, da er diese vollständig an die Gläubiger habe auskehren müssen.

Das FG habe gegen den klaren Inhalt der Akten verstoßen, indem es seine wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse unberücksichtigt gelassen habe und in der Urteilsbegründung ausführe, daß er in einer teuren Wohnung lebe und später zu Geld kommen könne. Da auch das FA den Sachverhalt nicht erschöpfend ermittelt und persönliche Billigkeitsgründe außer acht gelassen habe, liege bei seiner Haftungsinanspruchnahme ein Ermessensmißbrauch vor. Aus dem Haftungsbescheid und der Einspruchsentscheidung seien Ermessenserwägungen nicht ersichtlich. Auch deshalb seien die Verwaltungsakte fehlerhaft.

Der Kläger beantragt sinngemäß, unter Aufhebung der Vorentscheidung den gegen ihn ergangenen Haftungsbescheid aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

1. a) Die Vorentscheidung ist zutreffend davon ausgegangen, daß der während des Klageverfahrens durch die Beschwerdeentscheidung der OFD vom 31. März 1978 dem Kläger gegenüber ausgesprochene Teilerlaß der Haftungsschuld den Bestand des angefochtenen Haftungsbescheids nicht berührt. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), daß Zahlungen auf die Steuer- bzw. Haftungschuld, die nach Ergehen der Einspruchsentscheidung erfolgen, im Gegensatz zu den Zahlungen vor dem Zeitpunkt des Ergehens der letzten Verwaltungsentscheidung die Steuergerichte nicht dazu berechtigen, den Haftungsbetrag herabzusetzen (Urteile vom 6. Dezember 1979 V R 126/76, BFHE 129, 126, BStBl II 1980, 103, und vom 17. Oktober 1980 VI R 136/77, BFHE 131, 449, BStBl II 1981, 138; vgl. auch Urteil des erkennenden Senats vom 24. Oktober 1979 VII R 7/77, BFHE 129, 13, BStBl II 1980, 58). Da das FG die Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids in Gestalt der Einspruchsentscheidung zu überprüfen hat (§ 44 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), kann es die Haftungsschuld auch nicht deshalb herabsetzen, weil diese durch einen erst während des Klageverfahrens ausgesprochenen Billigkeitserlaß ganz oder teilweise erloschen ist (§§ 47, 227 der Abgabenordnung - AO 1977 -).

b) Der Erlaß der gegen den Kläger festgesetzten Haftungsschuld für Umsatzsteuer 1968, 1969 und teilweise 1970 der KG in Höhe von insgesamt 17 571,18 DM hatte aber zur Folge, daß insoweit das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers für die Klage gegen den Haftungsbescheid entfiel. Denn seit dem Ergehen der Beschwerdeentscheidung der OFD im Erlaßverfahren steht fest, daß der Kläger ungeachtet der Höhe des gegen ihn im Haftungsbescheid festgesetzten Haftungsbetrages für den erlassenen Betrag nicht mehr in Anspruch genommen wird. Da in Höhe des Erlaßbetrages das Rechtsschutzbedürfnis schon während des Klageverfahrens entfallen war, ist die Revision gegen das abweisende Urteil der Vorinstanz insoweit zulässig, aber unbegründet. Das FG hätte aber die Klage gegen den Haftungsbescheid in Höhe des erlassenen Betrages nicht als unbegründet, sondern als unzulässig abweisen müssen (vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 124 Anm. 4).

2. Hinsichtlich der nicht erlassenen Haftungsschuld, die sich nach der Aufhebung des Haftungsbescheids wegen Verspätungszuschlags durch das FG noch auf 27 500 DM für Umsatzsteuer der KG für das zweite Halbjahr 1970 beläuft, hat das FG die Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen.

a) Als gesetzlicher Vertreter der in der KG geschäftsführenden Komplementär-GmbH (§ 35 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung - GmbHG -) hatte der Kläger die der KG obliegenden steuerlichen Pflichten zu erfüllen (§ 105 Abs. 1, § 103 AO). Er hatte auch für den Zeitraum Juli bis Dezember 1970 monatliche Umsatzsteuervoranmeldungen abzugeben (§ 18 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes - UStG -), da die KG in dieser Zeit - wenn auch zum Zwecke der Liquidation - Lieferungen gegen Entgelt im Rahmen ihres Unternehmens ausführte (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG). Insbesondere hatte der Kläger dafür zu sorgen, daß aus den von ihm verwalteten Mitteln der KG die Umsatzsteuervorauszahlungen für die Monate Juli bis Dezember 1970 an das FA entrichtet wurden (§§ 103 AO, 18 Abs. 2 Satz 3 UStG). Zutreffend hat das FG ausgeführt, daß der Kläger diese Pflichten schuldhaft verletzt hat und er deshalb nach § 109 Abs. 1 AO für die dadurch eingetretenen Umsatzsteuerverkürzungen haftet (wegen der Haftungsgrundlage vgl. auch Art. 97 § 11 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung - EGAO 1977 -).

b) Das FG hat das Vorbringen des Klägers, er habe für das zweite Halbjahr 1970 deshalb keine Umsatzsteuervoranmeldungen mehr abgegeben, weil er nicht gewußt habe, daß die zum Zwecke der Liquidation der KG getätigten Umsätze solche des Unternehmens gewesen seien, als Schutzbehauptung gewürdigt. Der erkennende Senat ist an diese auf tatsächlichem Gebiet liegende Schlußfolgerung der Vorinstanz gebunden, da in bezug auf diese Tatsachenwürdigung zulässige und begründete Verfahrensrügen nicht vorgebracht worden sind (§ 118 Abs. 2 FGO; Gräber, a.a.O., § 118 Anm. 8). Die Würdigung des FG, daß dem Kläger als Geschäftsführer einer Schuhfabrik aufgrund der im Geschäftsleben nicht ungewöhnlichen Fälle des Verkaufs von Waren, die unter Eigentumsvorbehalt geliefert oder den Gläubigern zur Sicherheit übereignet sind, bekannt gewesen sein mußte, daß derartige Umsätze solche des Unternehmens bleiben, in dessen Rahmen sie getätigt werden, und sie nicht den dinglich gesicherten Gläubigern zugerechnet werden können, ist rechtlich möglich; sie verstößt nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze. Das gilt auch für den hier vorliegenden Fall der Veräußerung von Betriebsvermögen im Rahmen eines außergerichtlichen Vergleichsverfahrens zum Zwecke der Liquidation, bei dem die Erlöse abredegemäß an die gesicherten Gläubiger ausgekehrt werden mußten. Die Besonderheiten des Streitfalls, die das FG - wie sich aus seiner Sachverhaltsdarstellung ergibt - nicht verkannt hat, ändern nichts daran, daß die streitbefangenen Umsätze durch die KG im Rahmen ihres Unternehmens (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG) und nicht durch deren Gläubiger ausgeführt worden sind. Es ist deshalb nicht ersichtlich, aus welchen Gründen die Schlußfolgerung des FG, auch im Streitfall sei dem Kläger ebenso wie für den Normalfall des Verkaufs eigentumsvorbehaltsbelasteter und sicherungsübereigneter Waren die rechtliche Zuordnung der Umsätze bekannt gewesen, mit den Denkgesetzen oder mit Erfahrungssätzen unvereinbar sein sollte.

Das vom Kläger benannte Urteil in BGHZ 77, 139 steht der Beurteilung des FG nicht entgegen. Aus ihm ergibt sich nicht, daß die Frage, wem bei der Veräußerung von Sicherungsgut im Einvernehmen mit dem Sicherungsnehmer der Umsatz steuerlich zuzurechnen ist, rechtlich zweifelhaft gewesen wäre und folglich ein etwaiger Irrtum des Klägers hierüber entschuldigt werden könnte. Das Urteil, das gegenüber dem Streitfall die Besonderheit aufweist, daß die Veräußerung durch den Konkursverwalter vorgenommen worden war, geht vielmehr als selbstverständlich davon aus, daß dieser die Umsatzsteuer an das FA abzuführen hatte. Es befaßt sich im wesentlichen mit der zivilrechtlichen Frage, ob der Konkursverwalter auch den im Verkaufserlös enthaltenen Umsatzsteueranteil entsprechend der Sicherungsabrede an den Sicherungsnehmer (Bank) herauszugeben hatte.

Das FG hat im Tatbestand seines Urteils das Vorbringen des Klägers erwähnt, wonach die Gläubiger der KG eine Veräußerung des Betriebsvermögens nur unter der Auflage gestattet hätten, daß die Bruttoerlöse an sie abgeführt würden, und er deshalb gemeint habe, daß es sich um Umsätze der Gläubiger gehandelt habe. Es hat diese Umstände als für das Verschulden des Klägers unerheblich gewürdigt. Die Rüge des Klägers, die Vorentscheidung habe sich nicht ausreichend mit seiner Klagebegründung auseinandergesetzt, worin die Verfahrensrüge der Verletzung des § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO gesehen werden könnte, greift deshalb nicht durch.

Die für den erkennenden Senat bindende Schlußfolgerung des FG, daß dem Kläger die Verpflichtung zur Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen für die KG auch für das zweite Halbjahr 1970 nicht unbekannt war, führt zu dem Ergebnis, daß dieser die ihm als Geschäftsführer obliegenden steuerlichen Pflichten vorsätzlich verletzt hat. Selbst wenn aber eine positive Kenntnis des Klägers nicht angenommen werden könnte, läge eine grob fahrlässige Pflichtverletzung darin, daß er sich nicht ausreichend über die Verpflichtung zur Abgabe der Voranmeldungen für den streitbefangenen Zeitraum unterrichtet hat, wenn er hierüber in Zweifel gewesen sein sollte.

c) Es trifft nicht zu, daß der Kläger auch bei Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen nicht in der Lage gewesen wäre, die rückständige Umsatzsteuer an das FA zu entrichten. Hinsichtlich eines Teilbetrags von 8 797,50 DM, der der am 11. Januar 1972 vorgenommenen Umsatzsteuererstattung aus der Veranlagung 1969 entspricht, ist bereits deshalb davon auszugehen, daß eine ordnungsgemäße Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen die eingetretene Steuerverkürzung wieder rückgängig gemacht hätte, weil das FA bei Kenntnis von Umsatzsteuerschulden für das zweite Halbjahr 1970 das Guthaben aus der Veranlagung 1969 nicht ausgezahlt, sondern mit diesen Rückständen verrechnet hätte. Nach den Feststellungen des FG hätte der Kläger auch die übrigen auf den Liquidationszeitraum entfallenden Umsatzsteuern entrichten können, wenn er das gewollt hätte, da ihm aus den Liquidationserlösen Beträge zur Verfügung gestanden haben, die über die dinglich gesicherten Forderungen der Gläubiger der KG hinausgingen. Auch diese Würdigung der Vorinstanz ist, da sie rechtlich möglich, verfahrensrechtlich einwandfrei zustande gekommen und nicht durch Denkfehler oder Verletzung von Erfahrungssätzen beeinflußt ist, für das Revisionsgericht bindend (vgl. Gräber, a.a.O., § 118 Anm. 10 A m. w. N.).

Soweit der Kläger demgegenüber rügt, daß das FG einer Entscheidung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde gelegt habe (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO), ist die Rüge nicht begründet. Das Revisionsvorbringen, die Vorentscheidung setze sich nicht ausreichend mit der Klagebegründung vom 8. Juni 1978 auseinander, kann abgesehen von der mangelnden Substantiierung in der Sache keinen Erfolg haben. In der Klagebegründung (Seite 6) führt der Kläger lediglich eine auf dem Grundstück der KG eingetragene Grundschuld in Höhe von 300 000 DM zugunsten der Gläubiger an, die zu deren Absicherung hinsichtlich des vereinbarungsgemäß an sie auszukehrenden Liquidationserlöses von einem Treuhänder für diese gehalten worden sei. Da aber allein der unstreitige Verkaufserlös für das Grundstück (637 000 DM) die dort angeführten, durch die Grundschuld gesicherten Forderungen bei weitem überstieg, ist die Feststellung des FG, daß der Kläger daraus auch die auf die Liquidationserlöse entfallende Umsatzsteuer an das FA hätte entrichten können, nicht zu beanstanden.

Auch soweit sich der Kläger mit der Revision auf sein Vorbringen im Erlaßverfahren beruft (Schriftsatz an die OFD vom 11. Januar 1978), in dem er weitergehende dingliche Sicherungsrechte der Gläubiger der KG vorgetragen hatte, ist dieses Vorbringen vom FG bei seiner Entscheidung berücksichtigt worden. Das FG nimmt in seinem Urteil auf den Inhalt der im Erlaßverfahren ergangenen Beschwerdeentscheidung der OFD vom 31. März 1978 Bezug. Aus dieser Entscheidung ergibt sich, daß die KG im Rahmen ihrer Liquidation aus dem Verkauf des Anlagevermögens einschließlich des Grundstücks Bruttoerlöse in Höhe von insgesamt 839 353 DM erzielt hat. Grundschulden am Betriebsgrundstück waren danach in Höhe von 300 000 DM für die C AG eingetragen und in Höhe von 30 000 DM für die Y-Versicherung beantragt. Selbst wenn man zu diesen Grundschulden noch die zugunsten eines Treuhänders eingetragene weitere Grundschuld von 300 000 DM hinzuzählt, die der dinglichen Sicherung der übrigen Gläubiger wegen der abredegemäß an sie auszukehrenden Liquidationserlöse dienen sollte, so übersteigt der insgesamt aus dem Anlagevermögen erzielte Liquidationserlös von 839 353 DM die dinglich gesicherten Forderungen der Gläubiger der KG erheblich. Bei dieser Gegenüberstellung ist der aus der Verwertung des Vorratsvermögens erzielte Erlös sogar noch außer Betracht geblieben. Die Schlußfolgerung des FG, daß der Kläger in der Lage gewesen sei, aus den Gesamterlösen auch die auf die Veräußerung des Vorratsvermögens und des Anlagevermögens (außer Grundstück) entfallende Umsatzsteuer (ca. 32 000 DM) vollständig zu entrichten, war demnach naheliegend. Im übrigen ergibt sich aus dem vom Kläger angeführten Schriftsatz an die OFD vom 11. Januar 1978, daß dieser aus dem Grundstückserlös auch eine Maklerprovision in Höhe von 19 110 DM bezahlt hat. Es ist aber nicht ersichtlich, aus welchen Gründen die Forderung des Maklers gegenüber den streitbefangenen Umsatzsteueransprüchen des FA vorrangig gewesen sein sollte.

d) Wie der Kläger zutreffend ausführt, handelt es sich bei der Inanspruchnahme eines nach den §§ 103, 109 AO Haftenden um eine nach § 118 AO zu treffende und der richterlichen Nachprüfung unterliegende (§ 102 FGO) Ermessensentscheidung. Ermessungsentscheidungen der Verwaltung sind zu begründen; andernfalls sind sie im Regelfall fehlerhaft (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 3. Februar 1981 VII R 86/78, BFHE 133, 1, BStBl II 1981, 493). Das gilt jedoch nicht für Ermessungsentscheidungen, deren Begründung auf der Hand liegt (vgl. auch § 121 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977). Durch die im Rahmen des § 109 AO bei der Haftung zu treffende Rechtsentscheidung wird die Ermessungsentscheidung (§ 118 AO) in gewisser Weise vorgeprägt. Bei schwereren Verschuldensformen als leichte Fahrlässigkeit kann in der Regel davon ausgegangen werden, daß das FA stillschweigend von seinem Ermessen sachgerecht Gebrauch gemacht hat. Die Verwaltung braucht dann die die Ermessungsentscheidung bestimmenden Erwägungen nicht ausdrücklich in den Bescheid oder die Einspruchsentscheidung aufzunehmen. Der erkennende Senat folgt insoweit in ständiger Rechtsprechung den Ausführungen des V. Senats des BFH im Urteil vom 13. April 1978 V R 109/75 (BFHE 125, 126, BStBl II 1978, 508). Die dort dargestellte Rechtsauffassung ist entgegen der Ansicht des Klägers durch spätere Entscheidungen des BFH nicht aufgegeben worden.

Nach dem mit den Feststellungen des FG nicht in Widerspruch stehenden Vorbringen des Klägers lassen der angefochtene Haftungsbescheid und die Einspruchsentscheidung Ermessenserwägungen des FA bei seiner Inanspruchnahme nicht erkennen. Der Kläger ist nach den vorstehenden Ausführungen seiner Verpflichtung zur Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen für das zweite Halbjahr 1970 vorsätzlich nicht nachgekommen. Da er in der Lage war, die auf den Haftungszeitraum entfallende Umsatzsteuer aus den Liquidationserlösen an das FA zu entrichten, trifft ihn derselbe Schuldvorwurf auch hinsichtlich der unterlassenen Steuerzahlung. Das FA konnte demnach davon absehen, die Abwägung des Für und Wider einer Inanspruchnahme im Bescheid zum Ausdruck zu bringen, weil bei vorsätzlich oder grob fahrlässig begangener Steuerverkürzung die Inanspruchnahme des Haftenden regelmäßig gerechtfertigt ist.

Soweit der Kläger vorträgt, das FG habe bei seiner Überprüfung der Ermessensentscheidung gegen den klaren Inhalt der Akten verstoßen, indem es seine wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse unberücksichtigt gelassen habe, liegt darin wiederum eine Rüge der Verletzung des § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO (vgl. BFH-Urteil vom 17. Februar 1966 V 220/63, BFHE 85, 60, BStBl III 1966, 233; Gräber, a.a.O., § 96 Anm. 2). Die Rüge ist aber nicht begründet. Das FG hat bei seiner Meinungsbildung nicht wesentliche Teile des Gesamtergebnisses des Verfahrens außer acht gelassen. Wie oben ausgeführt, hat es die im Erlaßverfahren ergangene Beschwerdeentscheidung der OFD in Bezug genommen. Aus dieser geht das Vorbringen des Klägers zu seinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnissen und auch zur Höhe seiner Wohnungsmiete und der Zumutbarkeit eines Umzugs hervor. Das FG konnte ohne Rechtsverstoß die von der Verwaltung getroffene Ermessensentscheidung, den Kläger in Anspruch zu nehmen, u. a. mit der Erwägung billigen, daß der Kläger später wieder zu Geld kommen könne und er auch gegenwärtig - was vom Kläger nicht bestritten worden war - in einer relativ teuren Wohnung lebe. Im Hinblick auf die Schwere des Verschuldens des Klägers bei den ihm vorzuwerfenden Pflichtverletzungen vermag der Senat seine Inanspruchnahme als Haftungsschuldner nicht als ermessenswidrig anzusehen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 413814

BFH/NV 1987, 205

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