Leitsatz (amtlich)

Empfängt ein Versicherungsnehmer von einem Versicherer eine Zeltrente, sind die einzelnen Leistungen des Versicherers beim Versicherungsnehmer in voller Höhe Einnahmen i. S. von § 22 Nr. 1 Satz 1 EStG.

 

Normenkette

EStG § 22 Nr. 1 S. 1, Nr. 1 Buchst. a

 

Verfahrensgang

FG Düsseldorf

 

Tatbestand

Der frühere Ehemann der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) schloß im Jahre 1963 als Versicherter und Versicherungsnehmer mit der X- Versicherungs-AG einen Lebensversicherungsvertrag über die Laufzeit vom 1. August 1963 bis zum 1.August 1998 ab. Darin verpflichtete er sich zu monatlichen Beitragszahlungen von 105,30 DM. Die Versicherungsgesellschaft verpflichtete sich:

1. im Erlebensfall

zur Auszahlung eines Versorgungskapitals in Höhe von 30 000 DM zum 1. August 1998;

2. im Falle des vorzeitigen Todes des Versicherten

a) zur Zahlung eines Sterbegeldes in Höhe von 10 v. H. des Versorgungskapitals,

b) zur Zahlung einer jährlichen Rente in Höhe von 3 000 DM, fällig jeweils zu Beginn eines jeden Versicherungsjahres, zuerst zu Beginn des dem Tode nächstfolgenden, zuletzt zu Beginn des letzten Versicherungsjahres,

c) zur Auszahlung des vollen Versorgungskapitals bei Ablauf der Versicherungsdauer.

Anspruchsberechtigt waren der Versicherungsnehmer und bei dessen vorzeitigem Tode die Erben oder Erbeserben.

Am 26. Februar 1967 starb der Versicherungsnehmer. Die Versicherungsgesellschaft leistete daraufhin in den Streitjahren 1968 und 1969 an die Klägerin die ersten Rentenzahlungen über 3 000 DM.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA-) zog diese Rentenbeträge bei der Veranlagung der Jahre 1968 und 1969-unter Berücksichtigung eines Werbungskostenbetrages von 200 DM - in voller Höhe zur Einkommensteuer heran. Die Einsprüche blieben erfolglos.

Die Klage führte zur Herabsetzung der Steuer. Das Finanzgericht (FG) vertrat in seiner in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1976 S. 233 (EFG 1976, 233) veröffentlichten Entscheidung die Auffassung, die Zahlungen der Versicherungen seien bei der Klägerin wiederkehrende Bezüge, die auf einem einheitlichen Stammrecht beruhten und deren Laufzeit auf eine bestimmte Zeit begrenzt sei, unabhängig davon, ob der Empfänger bis zum Ende der festgelegten Laufzeit noch am Leben sei oder nicht. Die wiederkehrenden Bezüge seien für längere Zeit zugesagt, mindestens aber für zehn Jahre, und seien daher Zahlungen aufgrund einer Zeitrente. Die Zeitrente sei entgeltlich erworben. Denn für die Frage der Entgeltlichkeit komme es bei Versicherungsverträgen auf das Verhältnis zwischen Versicherungsgesellschaft und Versicherungsnehmer an. Ohne Belang sei es, ob der Begünstigte im Verhältnis zum Versicherungsnehmer die Zuwendungen entgeltlich oder unentgeltlich erworben habe. Auch nach der Neufassung des § 22 des Einkommensteuergesetzes (EStG) müsse eine Zeitrente bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise in einen Zinsanteil und einen Kapitalanteil zerlegt werden. Bei Vereinbarung einer Zeitrente ergebe sich der Kapitalwert der Forderung durch Abzinsung der Summe aller noch ausstehenden Teilbeträge. Jeder einzelne Teilbetrag bestehe aus einem Tilgungsanteil und einem Zinsanteil. Nach Ansicht des FG sei es "vertretbar, eine Zeitrente einer abgekürzten Leibrente gleichzustellen". Im vorliegenden Fall wäre dann aber , die Zeitrente bei einer Laufzeit von 31 Jahren zu Beginn des Rentenbezuges jährlich mit einem Ertragsanteil von 38 v. H. der Rente" (1 140 DM) zu versteuern. Die Klägerin habe die Berücksichtigung eines Zinsertrages von 1 415,57 DM begehrt; dieser Betrag sei in der Weise errechnet, daß von der Gesamtsumme der Rentenzahlungen (31 x 3 000 DM = 93 000 DM) der nach versicherungsmathematischen Grundsätzen berechnete Kapitalwert des Rentenrechts in Höhe von 49 117,50 DM abgezogen werde und die sich danach ergebende Differenz (43 882,50 DM) durch 31 dividiert werde. Das FG dürfe nicht über die Anträge der Beteiligten hinausgehen.

Deshalb sei dieser Betrag - unter Berücksichtigung eines Werbungskostenpauschbetrages von 200 DM der Neuberechnung der Steuer zugrunde zu legen.

Hiergegen richtet sich die vom FG zugelassene Revision des FA, mit der unrichtige Anwendung von § 22 Nr. 1 Satz 1 EStG gerügt wird. Nach § 22 Nr. 1Satz 1EStG seien wiederkehrende Bezüge, zu denen auch die Zeitrenten gehörten, nach Abzug der Werbungskosten in voller Höhe einkommensteuerpflichtig. Die Beschränkung der Steuerpflicht auf den Ertragsanteil beziehe sich nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut ausschließlich auf die Leibrenten (§ 22 Nr. 1Buchst. a EStG). Es sei nicht zulässig, eine gegenüber der Wertung des Gesetzgebers - die Ertragsanteilsbesteuerung nur für Leibrenten vorzusehen - für zweckmäßiger gehaltene Regelung eines Sachverhalts an die Stelle der gesetzlichen Regelung zu setzen.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin hat sich zur Revision nicht geäußert.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage.

Zutreffend ist das FG - ebenso wie die Beteiligten - davon ausgegangen, daß die Zahlungen der Versicherungsgesellschaft alle Merkmale wiederkehrender Bezüge aufweisen. Denn die Klägerin empfängt die Zahlungen der Versicherungsgesellschaft wiederkehrend - im vorliegenden Fall regelmäßig in bestimmten Zeitabständen -, und die Zahlungen beruhen auf einer einheitlichen Rechtsgrundlage.

Entgegen der Auffassung der Klägerin handelt es sich bei den Zahlungen der Versicherungsgesellschaft nicht um Einnahmen, die als Umschichtungen in der Vermögenssphäre nicht vom Begriff der sonstigen Einkünfte erfaßt werden. Die Zahlungen der Versicherungsgesellschaft sind keine Ratenzahlungen auf einen Anspruch aus der Veräußerung eines Wirtschaftsgutes oder aus einem veräußerungsähnlichen Vorgang und auch keine Beträge, die Kapitalrückzahlung - wie bei der Rückzahlung eines Darlehens - sind.

Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, daß die Einnahmen der Klägerin nicht Einnahmen aus einer Leibrente sind. Der Begriff der Leibrente ist der des bürgerlichen Rechts (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 18. März 1980 VIII R 69/78, BFHE 130, 446, BStBl II 1980, 501, und vom 20. Mai 1980 VI R 108/77, BFHE 130, 520, BStBl II 1980, 573).

Zu den begrifflichen Voraussetzungen einer Leibrente gehört u. a. die Abhängigkeit der Leistungen von der Lebenszeit eines Menschen (vgl. BFH-Urteil vom 29. Oktober 1974 VIII R 131/70, BFHE 114, 79, BStBl II 1975, 173). Die Rentenzahlungen sind hier nicht von der Lebenszeit eines Menschen abhängig. Sie wurden durch den Tod des Versicherungsnehmers ausgelöst und waren auf eine von vornherein bestimmte Zeit befristet. Die Rente war an die Erben des Versicherungsnehmers oder seine Erbeserben unabhängig von der Lebenszeit des Berechtigten oder eines anderen Menschen zu zahlen. Der Anspruch aus dem Versicherungsvertrag, um den es hier geht, war also nicht etwa eine Rente, die außer von der Lebenszeit eines Menschen von weiteren für den Leibrentenbegriff unschädlichen Umständen abhing, wie das bei Vereinbarungen einer Mindest- oder Höchstlaufzeitrente der Fall sein kann. Mangels Abhängigkeit der Zahlungsverpflichtung von der Lebenszeit eines Menschen lag demgemäß begrifflich keine Leibrente vor, also auch keine abgekürzte Leibrente (vgl. ebenso Jansen/Wrede, Renten, Raten, Dauernde Lasten, 7. Aufl., 1980 S. 40). Eine Besteuerung gemäß § 22 Nr. 1 Buchst. a EStG entfiel damit.

Das FG meint, die Leistungen der Versicherungsgesellschaft müßten entsprechend der Leibrentenregelung wie eine Leibrente behandelt werden, weil "die Leibrente bei der gesetzlichen Regelung des § 22 EStG als Zeitrente angesehen" worden sei. Das FG beruft sich zu Unrecht auf Littmann (Das Einkommensteuerrecht, 12. Aufl., §§ 22, 23 Anm. 23, 24), der eine solche Behandlung zwar für unentgeltlich erworbene, nicht aber für entgeltlich erworbene Zeitrenten für angebracht erachtet. Es vertritt eine Auffassung, die mit Wortlaut, Sinn und Zweck der Regelung des § 22 Nr. 1 Satz 1 und Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG sowie der Begründung, die zu Art. 1 Nr. 25 des Gesetzes zur Neuordnung von Steuern vom 16. Dezember 1954 - StNG - (BGBl I 1954, 373, BStBl I 1954, 575) gegeben worden ist (vgl. Begründung zum Entwurf des Gesetzes zur Neuordnung von Steuern, Bundestags-Drucksache Nr. II/481, S. 85 ff.), nicht vereinbar ist.

Der Bemessung des Ertragsanteils in § 22 Nr. 1 Buchst. a EStG liegen verschiedene Fiktionen zugrunde (vgl. Lantau, Die Neuregelung der Besteuerung privater Leibrenten nach dem EStG 1955, Betriebs-Berater 1955 S. 695 - BB 1955, 695 -). Als Ertrag des Rentenrechts gilt für die gesamte Dauer des Rentenbezugs der Unterschied zwischen dem Jahresbetrag der Rente und dem Betrag, der sich bei gleichmäßiger Verteilung des Kapitalwerts der Rente auf ihre voraussichtliche Laufzeit ergibt. Wortlaut, Sinn und Zweck der Regelung in § 22 Nr. 1 Satz 1 und Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG sowie der Begründung die zu Art. 1 Nr. 25 StNG gegeben worden ist, stimmen darin überein, daß § 22 Nr. 1 Buchst. a EStG ausschließlich eine besondere Regelung für Leibrenten enthält. Zur praktischen Durchführbarkeit dieser Besteuerung - nämlich einer einfachen Berechnung der sonstigen Einkünfte aus einer Leibrente - dienen die gedankliche Umwandlung der Leibrente in eine vorschüssige Zeitrente, die Fiktion einer mittleren Lebensdauer, die Bestimmung des Zinssatzes von 4 v. H., die Ableitung der mittleren Lebenserwartung aus der Deutschen Sterbetafel 1949/51 für Männer und die Fiktion, daß sämtliche Daten unabhängig von den Tatsachen unberücksichtigt gebliebener Verhältnisse auf die gesamte Dauer des Rentenbezugs bezogen werden. Andere wiederkehrende Bezüge wurden in diese Regelung für die Leibrenten nicht einbezogen (vgl. auch die Begründung zum Entwurf des Gesetzes zur Neuordnung von Steuern, a. a. O., unter a, dort S. 88, in der die Zeitrenten ausdrücklich angesprochen werden). Wiederkehrende Bezüge, die keine Leibrenten sind, unterliegen in voller Höhe der Besteuerung gemäß § 22 Nr. 1 Satz 1 EStG, unabhängig davon, ob sie Zeitrenten, Renten, die weder Leibrenten noch Zeitrenten sind, oder sonstige wiederkehrende Bezüge sind.

Der Senat hält an dieser Rechtsprechung fest (vgl. Urteile vom 10. Oktober 1963 VI 288/62 U, BFHE 77, 719, BStBl III 1963, 584, und vom 24. Oktober 1978 VIII R 172/75, BFHE 126, 282, BStBl II 1979, 135; vgl. auch Herrmann/Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 18. Aufl., § 22 EStG Anm. 31; Klein/Flockermann/Kühr, Einkommensteuergesetz, 2. Aufl., 1979, § 22 Anm. 4b S. 1182; Biergans/von Stotzingen, Raten, Renten, andere wiederkehrende Zahlungen, 1979 S. 237). Den Einwänden gegen die Besteuerung gemäß § 22 Nr. 1 Satz 1 EStG (vgl. Blümich/Falk, Einkommensteuergesetz, 11. Aufl., 1980, § 22 Anm. VI S. 28 ff.; Lademann/Lenski/Brockhoff, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 22 Anm. 67) kann nur der Gesetzgeber Rechnung tragen (insoweit zustimmend Biergans/von Stotzingen, a. a. O., S. 238).

Das BFH-Urteil vom 20. August 1970 IV 143/64 (BFHE 100, 97, BStBl II 1970, 807), das den Fall der Veräußerung eines Wirtschaftsgutes aus einem Betriebsvermögen betraf und offenließ, ob die Bezüge als Kaufpreisraten oder Kaufpreis-(Veräußerungs-)Rente zu beurteilen seien, ist für den vorliegenden Sachverhalt nicht einschlägig, und zwar auch nicht, soweit dieses Urteil Ausführungen zu privaten Veräußerungszeitrenten enthält.

 

Fundstellen

Haufe-Index 413500

BStBl II 1981, 358

BFHE 1981, 422

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