Leitsatz (amtlich)

Führt ein Arbeitgeber den Lohnsteuerabzug entsprechend der von einer OFD in einer Verfügung geäußerten Auffassung durch, so ist seine Inanspruchnahme als Haftender in der Regel unabhängig davon ermessensfehlerhaft, ob er die Verfügung gekannt hat oder nicht.

 

Orientierungssatz

Die Steuerbehörden sind bei der Bewertung von Einnahmen im Rahmen des § 8 Abs.2 EStG (hier: Überlassung von Dienstwohnungen) nicht an die von kommunalen Stellen für Besoldungszwecke ermittelten örtlichen Mietwerte gebunden (Festhaltung an BFH-Urteil vom 15.12.1978 VI R 36/77). Dies gilt auch, wenn die Festsetzung des Mietwerts durch eine OFD im Rahmen des § 8 der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften über die Bundesdienstwohnungen vom 16.2.1970 erfolgt.

 

Normenkette

EStG §§ 42d, 8 Abs. 2, § 19 Abs. 1 Nr. 1; DWVwV § 8; AO 1977 § 5

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt eine Kurklinik. Sie stellt ihren Arbeitnehmern in der Nähe der Klinik Dienstwohnungen zur Verfügung. Die Arbeitnehmer zahlen Mieten in einer Höhe, wie sie von der Oberfinanzdirektion (OFD) gemäß § 8 der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften über die Bundesdienstwohnungen vom 16.Februar 1970 --DWV-- (Ministerialblatt des Bundesministers der Finanzen 1970, 130 ff.) festgesetzt worden sind. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) setzte nach einer Lohnsteuer- Außenprüfung demgegenüber den üblichen Mittelpreis des Verbrauchsorts für die Wohnungen mit höheren Beträgen an.

Das FA nahm die Klägerin wegen der auf den Unterschiedsbetrag zwischen der tatsächlich berechneten und der als ortsüblich angesehenen Miete entfallenden Lohnsteuer durch Haftungsbescheid vom 18.Februar 1980 in Anspruch.

Das Finanzgericht (FG) wies die mit Zustimmung des FA ohne Vorverfahren erhobene Klage ab. Es führte unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 15.Dezember 1978 VI R 36/77 (BFHE 127, 26, BStBl II 1979, 629) zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen aus: Die von der OFD festgesetzten Dienstwohnungsvergütungen seien nicht die üblichen Mittelpreise des Verbrauchsorts i.S. des § 8 Abs.2 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Aus § 12 DWV folge, daß die Dienstwohnungsvergütung allein aus besoldungsrechtlichen Erwägungen festgesetzt werde. Dieser Vorschrift könne nicht entnommen werden, daß sie Ausstrahlungen auf steuerrechtliche Gegebenheiten haben solle. Die Schätzung durch das FA beachte die besondere Wohnlage, sie stelle sich als zutreffend dar. Die Behauptung der Klägerin, Dritte hätten für die Wohnungen keine höhere Miete als die Arbeitnehmer zahlen müssen, sei nicht nachprüfbar, da derartige Mietverträge nicht vorlägen. Die Klägerin habe sich auch nicht in einem entschuldbaren Rechtsirrtum befunden. Sie habe einen umfangreichen Verwaltungsapparat mit einer Rechtsabteilung und könne in rechtlichen und steuerlichen Dingen als erfahren angesehen werden. Sie hätte sich durch Einholen einer Anrufungsauskunft absichern können. Daher sei auch die Erwägung der Klägerin, sie habe einem entschuldbaren Rechtsirrtum deshalb erliegen können, weil sogar ein FG in einem ähnlichen Fall zu einer ihre Ansicht stützenden Entscheidung gekommen sei (Urteil des FG München vom 19.August 1977 VIII 127/76 L, nicht veröffentlicht), nicht geeignet, einen etwa bestehenden Rechtsirrtum zu entschuldigen. Im übrigen sei das FG-Urteil zu einer Zeit ergangen, als die Klägerin bereits die geldwerten Vorteile aus der verbilligten Überlassung der Wohnungen unversteuert gelassen habe.

Mit ihrer Revision beantragt die Klägerin, den Haftungsbescheid aufzuheben, hilfsweise, die Sache zur erneuten Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Zur Begründung führt sie im wesentlichen aus:

Entgegen der Auffassung des FG und des FA lägen die mit den Arbeitnehmern vereinbarten Mieten nicht unter den üblichen Mittelpreisen des Verbrauchsorts. Der von der OFD gemäß § 8 Abs.1 Satz 2 DWV errechnete Mietwert sei der objektive Wert der Wohnungen unter Berücksichtigung der werterhöhenden und der wertmindernden Umstände. Er entspreche dem üblichen Mittelpreis des Verbrauchsorts i.S. des § 8 Abs.2 EStG. Daher sei auch anerkannt, daß bei Dienstwohnungen im öffentlichen Dienst der besoldungsrechtliche Mietwert auch für das Steuerverfahren relevant sei (Erlaß der OFD Bremen vom 10.Juli 1968, Steuererlasse in Karteiform --StEK--, Lohnsteuer-Durchführungsverordnung, § 3 Nr.61).

Selbst wenn in der Differenz zwischen dem besoldungsrechtlichen Mietwert und einem angeblich höheren steuerlichen Mietwert eine Einnahme der Arbeitnehmer gesehen werden sollte, so wäre dieser Vorteil nicht f ü r eine Beschäftigung gewährt worden. Dieser erforderliche Zusammenhang zwischen Einnahme und Dienstverhältnis fehle, wenn der Vorteil nicht nur dem Arbeitnehmer, sondern potentiell auch jedem Dritten gewährt werde. Im Streitfall seien die auf dem Klinikgelände gelegenen Wohnungen unterschiedslos zu gleichen Mieten sowohl an Arbeitnehmer als auch an andere Personen vermietet worden.

Letztlich sei auch ihre, der Klägerin, Inanspruchnahme als Haftende ermessensfehlerhaft. Das FG habe zu Unrecht einen entschuldbaren Rechtsirrtum mit dem Hinweis auf ihren umfangreichen Verwaltungsapparat und ihre Rechtsabteilung verneint. Auch angesichts des unstreitig vorhandenen Verwaltungsapparats habe sie sich darauf verlassen können, daß die von ihr geübte Praxis steuerrechtlich völlig unbedenklich gewesen sei; dies deshalb, weil ihre Praxis durch den Erlaß der OFD Bremen vom 10.Juli 1968 gedeckt gewesen sei. Auch das FG München habe in dem erwähnten Urteil in einem gleichliegenden Fall die Praxis der Klägerin in vollem Umfang bestätigt. Zwar sei dieses Urteil erst nach dem Haftungszeitraum ergangen; es sei aber ermessensfehlerhaft, ihr, der Klägerin, schuldhaftes Handeln vorzuwerfen, wenn selbst ein FG die Praxis als steuerrechtlich zutreffend beurteilt habe.

Das FA beantragt unter Hinweis auf die Gründe der Vorentscheidung, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und des angefochtenen Lohnsteuerhaftungsbescheids.

1. Der Senat hat durch Urteil in BFHE 127, 26, BStBl II 1979, 629 entschieden, daß die Steuerbehörden bei der Bewertung von Einnahmen im Rahmen des § 8 Abs.2 EStG nicht an die von kommunalen Stellen für Besoldungszwecke ermittelten örtlichen Mietwerte gebunden sind. Diese Entscheidung gilt nicht nur, wenn kommunale Stellen den Mietwert festsetzen, sondern auch dann, wenn dies durch eine OFD im Rahmen des § 8 DWV geschieht. Die von der Klägerin vorgetragenen Gründe geben dem Senat keine Veranlassung, hiervon abzurücken. Die Entscheidung hat im übrigen auch im Schrifttum Zustimmung gefunden (Herrmann/Heuer/ Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 19.Aufl., § 19 EStG Anm. 200, am Ende; Hartz/Meeßen/Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer, Stichwort: "Dienstwohnung", 1 am Ende; Oeftering/Görbing, Das gesamte Lohnsteuerrecht, 5.Aufl., § 8 EStG Anm.46).

2. Wenn auch das FA nicht an die von der OFD ermittelten Mietwerte gebunden ist, so bedeutet dies nicht, daß die Klägerin, die sich an diese Werte gehalten hat, als Haftende in Anspruch genommen werden konnte, falls die vom FA angesetzten höheren Mietwerte den üblichen Mittelpreisen der Verbrauchsorte (§ 8 Abs.2 EStG) entsprochen haben sollten. Denn die Entscheidung des FA, ob der Arbeitgeber als Haftender für Steuerschulden des Arbeitnehmers in Anspruch genommen werden soll, ist nach billigem Ermessen zu treffen.

Der Senat hat wiederholt ausgesprochen, daß ein entschuldbarer Rechtsirrtum des Arbeitgebers dessen Inanspruchnahme als Haftenden unbillig machen kann. Ein solcher Irrtum ist z.B. anzunehmen, wenn das FA den Arbeitgeber aufgrund einer Auskunft, einer Lohnsteuer-Außenprüfung oder einer anderen Sachbehandlung in den Glauben versetzt, er brauche für einen bestimmten Tatbestand keine Lohnsteuer einzubehalten. Das gleiche gilt, wenn der Rechtsirrtum des Arbeitgebers durch unklare Lohnsteuer- Richtlinien oder dadurch verursacht worden ist, daß der Arbeitgeber den Angaben in einem Tarifvertrag über die Steuerfreiheit bestimmter Zuwendungen vertraut hat (vgl. zu den vorstehenden Beispielen die ausführliche Zusammenfassung im BFH-Urteil vom 18.September 1981 VI R 44/77, BFHE 134, 149, BStBl II 1981, 801).

Auch im Streitfall ist die Inanspruchnahme der Klägerin als Haftende unbillig. Die OFD Bremen hatte durch Verfügung vom 10.Juli 1968 S 2334-St 4 (StEK, Lohnsteuer-Durchführungsverordnung, § 3 Nr.61) die Auffassung vertreten, daß der besoldungsrechtlich nach den jeweils maßgebenden bundes- oder landesrechtlichen Vorschriften festgesetzte örtliche Mietwert in der Regel dem steuerrechtlichen ortsüblichen Mietwert entspricht. Daher seien diese besoldungsrechtlichen Mietwerte grundsätzlich auch für Besteuerungszwecke zugrunde zu legen. Auch in anderen Bundesländern ist im Haftungszeitraum ähnlich verfahren worden (Hartz/Meeßen/Wolf, a.a.O., Stichwort "Dienstwohnung" 1 am Ende). Hatte die Klägerin im Zeitpunkt des Lohnsteuerabzugs von der OFD-Verfügung Kenntnis, so war ihr Rechtsirrtum über den zutreffenden Lohnsteuerabzug im Sinne der oben zitierten BFH- Rechtsprechung entschuldbar; der Irrtum war dann durch eine Äußerung der Finanzverwaltung verursacht worden. Ein Rechtsirrtum könnte der Klägerin aber auch dann nicht zum Vorwurf gemacht werden, wenn sie die Verfügung der OFD Bremen im Zeitpunkt des Lohnsteuerabzugs nicht gekannt haben sollte. Zwar wäre der Rechtsirrtum dann nicht durch eine Äußerung der Finanzverwaltung verursacht worden. Es könnte aber nicht unbeachtet bleiben, daß die Klägerin beim Lohnsteuerabzug so verfahren ist, wie dies in einer Verfügung einer OFD an die nachgeordneten FÄ angeordnet worden ist. Es erscheint unbillig, einem Arbeitgeber das Haftungsrisiko für ein Verhalten aufzuerlegen, welches eine OFD von ihren nachgeordneten FÄ gerade erwartet. Unter diesen Umständen kann es auch keine Rolle spielen, ob der Arbeitgeber einen umfangreichen Verwaltungsapparat mit einer Rechtsabteilung besitzt oder nicht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 60783

BStBl II 1986, 98

BFHE 144, 569

BFHE 1986, 569

BB 1986, 1067-1067 (S)

DStR 1986, 127-127 (S)

DStZ 1986, 62-62 (T)

HFR 1986, 81-81 (ST)

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