Leitsatz (amtlich)

1. Der gemäß § 174 Abs.5 Satz 2 AO 1977 am Verfahren Beteiligte hat die Rechtsstellung eines notwendig Beigeladenen i.S. von § 60 Abs.3 FGO (Ergänzung zum BFH-Urteil vom 22.Juli 1980 VIII R 114/78, BFHE 131, 429, BStBl II 1981, 101).

2. Freiwillige Zuwendungen einer unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtigen Familienstiftung, die diese nicht nach der Verordnung über die Steuerbegünstigung von Stiftungen, die an die Stelle von Familienfideikommissen getreten sind (vom 13.Februar 1926, RGBl I 1926, 101) abziehen kann, sind beim Empfänger keine sonstigen Einkünfte i.S. des § 22 Nr.1 Satz 1 EStG 1975.

 

Orientierungssatz

1. Der vom FG zum Klageverfahren Beigeladene ist zur selbständigen Einlegung der Revision befugt. Dabei ist unerheblich, daß weder der Kläger noch das FA Revision eingelegt haben (vgl. BFH-Urteil vom 22.7.1980 VIII R 114/78). Hat der Kläger vor dem FG obsiegt, erhält das FA seinen im vorinstanzlichen Verfahren gestellten Sachantrag nicht mehr aufrecht und begehren das FA sowie der Kläger die Zurückweisung der Revision, ist der Revisionsantrag des Beigeladenen nur zulässig, wenn der Beigeladene die Befugnisse eines notwendig Beigeladenen i.S. des § 60 Abs. 3 FGO hat.

2. Die abweichenden Sachanträge eines notwendig Beigeladenen (§ 60 Abs. 6 Satz 2 FGO) müssen sich im Rahmen des durch die Anträge der Hauptbeteiligten gesteckten Verfahrensstandes und Streitstandes halten (Literatur), können aber ggf. auch gegen alle anderen Verfahrensbeteiligten gerichtet sein (vgl. OVG Münster vom 17.12.1953 II A 1637/52).

3. Für eine Beiladung nach § 174 Abs. 5 Satz 2 AO 1977 ist lediglich erforderlich, daß ein Steuerbescheid möglicherweise wegen irriger Beurteilung eines Sachverhalts aufzuheben oder zu ändern ist, hieraus sich rechtliche Folgerungen für einen Dritten ergeben und das FA die Beiladung beantragt oder veranlaßt hat (vgl. BFH-Beschluß vom 17.10.1985 IV B 62/85; Literatur).

4. Voraussetzung für die Annahme wiederkehrender Bezüge i.S. des § 22 Nr. 1 EStG ist, daß sich diese aufgrund eines von vornherein gefaßten einheitlichen Entschlusses oder eines einheitlichen Rechtsgrundes mit einer gewissen Regelmäßigkeit, wenn auch nicht immer in gleicher Höhe, wiederholen (vgl. BFH-Rechtsprechung).

5. Zuwendungen von einer Stiftung erfolgen dann freiwillig, wenn die Bezugsberechtigten der Stiftung nach deren Satzung keinen Rechtsanspruch auf die Bezüge haben (vgl. BFH-Rechtsprechung und FG-Rechtsprechung; Literatur). Das Bestehen eines klagbaren Rechts ist nur ausnahmsweise dann anzunehmen, wenn die Person des Bezugsberechtigten sowie Art und Höhe der Zuwendung in der Satzung genau bestimmt sind, ohne daß den Stiftungsorganen die Möglichkeit der Auswahl gelassen wird.

6. Das Erfordernis der "unbeschränkten Steuerpflicht" des Gebers in § 22 Nr. 1 Satz 2 EStG umfaßt sowohl die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht als auch die unbeschränkte Körperschaftsteuerpflicht (vgl. BFH-Urteil vom 27.11.1959 VI 172/59 U).

7. Die Verordnung über die Steuerbegünstigung von Stiftungen, die an die Stelle von Familienfideikommissen getreten sind, vom 13.2.1926 (VO vom 13.2.1926) war auch in den Jahren 1975 und 1976 noch anzuwenden (zu deren Rechtsgültigkeit s. OFH-Urteil vom 22.8.1950 I 15/50 sowie Abschn. 3 Abs. 1 KStR 1969). Eine Bezugsberechtigung i.S. des § 1 der VO vom 13.2.1926 ist nur anzunehmen, wenn das Familienmitglied nach der Stiftungssatzung auf die Leistung einen klagbaren Anspruch hat. Liegen die Voraussetzungen des § 1 der VO vom 13.2.1926 nicht vor, kann die Stiftung Zuwendungen nicht von ihrem Einkommen abziehen (§ 12 Nr. 1 KStG 1975).

 

Normenkette

AO 1977 § 174 Abs. 5 S. 2; FGO § 60 Abs. 3; EStG 1975 § 22 Nr. 1; KStG 1975 § 12 Nr. 1; StiftKStBegV § 1; FGO § 60 Abs. 1, 6 S. 2; KStR 1969 Abschn. 3 Abs. 1

 

Tatbestand

Die am ... verstorbene Klägerin erhielt von der im Verfahren vor dem Finanzgericht (FG) beigeladenen Stiftung der Familie X, der Beigeladenen und Revisionsklägerin (Beigeladene), neben einer seit dem Jahre 1958 gewährten Rente seit Jahren weitere Zuwendungen in wechselnder Höhe. Nach einem Beschluß des Oberlandesgerichts (OLG) ... vom 28.November 1973 3 W 82/73 hat die Klägerin auf die Gewährung der Rente einen Rechtsanspruch, während hinsichtlich der übrigen Zuwendungen ein solcher nicht besteht. In § 15 Nr.3 der Stiftungssatzung ist zu diesem Punkt ausdrücklich festgelegt, daß der Stiftungsvorstand insoweit nach freiem Ermessen entscheidet.

Die Beigeladene ist eine sog. Familienstiftung. Sie bezieht Einkünfte aus Kapitalvermögen und aus Vermietung und Verpachtung. Die von ihr gemäß § 15 Nr.3 der Stiftungssatzung an die bezugsberechtigten Familienmitglieder verteilten Überschüsse sind bei der Veranlagung der Beigeladenen zur Körperschaftsteuer (unter Hinweis auf § 1 der Verordnung über die Steuerbegünstigung von Stiftungen, die an die Stelle von Familienfideikommissen getreten sind, vom 13.Februar 1926, RGBl I 1926, 101; BGBl III Gliederungsnr. 611-4-3 --nachfolgend als VO vom 13.Februar 1926 bezeichnet--) außer Ansatz gelassen worden.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) erfaßte die Leistungen der Beigeladenen an die Klägerin bei letzterer als Einkünfte aus wiederkehrenden Bezügen i.S. des § 22 Nr.1 des Einkommensteuergesetzes 1975 (EStG).

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob die Klägerin Klage. Das FG lud auf Antrag des FA gemäß § 174 Abs.5 Satz 2 der Abgabenordnung (AO 1977) die Beigeladene zum Verfahren bei. Der Klage gab es im wesentlichen mit folgender Begründung statt: Die nach dem freien Ermessen des Stiftungsvorstandes der Beigeladenen an die Klägerin getätigten Zuwendungen seien zu Unrecht bei dieser als Einkünfte aus wiederkehrenden Bezügen i.S. des § 22 Nr.1 Satz 1 EStG erfaßt worden. Die Klägerin habe hierauf nach der Satzung der Beigeladenen keinen Rechtsanspruch. Deshalb handele es sich um freiwillige Zuwendungen i.S. des § 22 Nr.1 Satz 2 EStG. Diese seien dem Geber zuzurechnen, wenn er unbeschränkt steuerpflichtig sei und die Beträge nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs --BFH-- (Urteil vom 27.November 1959 VI 172/59 U, BFHE 70, 174, BStBl III 1960, 65) nicht einkommensmindernd absetzen könne. Diese Voraussetzungen seien im Streitfall erfüllt. Bei der Veranlagung der Beigeladenen zur Körperschaftsteuer seien die nach dem freien Ermessen des Stiftungsvorstandes getätigten Zuwendungen an die Klägerin zu Unrecht einkommensmindernd berücksichtigt worden. § 1 der VO vom 13.Februar 1926 sei --soweit es die dem freien Ermessen des Stiftungsvorstandes unterliegenden Zuwendungen an die Klägerin angehe-- nicht einschlägig. Deshalb bleibe es bei der in § 12 Nr.1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) 1975 enthaltenen Regelung, daß die Aufwendungen einer Stiftung zur Erfüllung satzungsmäßiger Zwecke steuerlich nicht abziehbar seien.

Dagegen wendet sich die Beigeladene mit ihrer Revision, die sie im wesentlichen wie folgt begründet: Bei den der Klägerin vom Stiftungsvorstand nach freiem Ermessen zugebilligten Beträgen handele es sich nicht um wiederkehrende Bezüge i.S. des § 22 Nr.1 EStG, weil die einzelnen Leistungen nicht auf einem einheitlichen Entschluß beruhten. Im übrigen habe es sich auch nicht um freiwillige Leistungen i.S. des § 22 Nr.1 Satz 2 EStG gehandelt, da sie auf eine entsprechende Anordnung des Stifters zurückzuführen seien. Das FG habe ferner den Begriff "Bezugsberechtigung" in § 1 der VO vom 13.Februar 1926 zu Unrecht eng ausgelegt. Bei dieser handele es sich um einen Milderungserlaß zugunsten der aus Fideikommissen hervorgegangenen Familienstiftungen. Ihr habe die Vorstellung zugrunde gelegen, daß die Bezüge nach wie vor bei den Empfängern zu versteuern seien.

Die Beigeladene beantragt, das Urteil des FG aufzuheben.

Die Klägerin und das FA beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

1. Die Revision ist zulässig.

Die vom FG zum Verfahren beigeladene Revisionsklägerin ist zur selbständigen Einlegung der Revision befugt. Dabei ist unerheblich, daß weder die Klägerin noch das FA Revision eingelegt haben (Urteil des BFH vom 22.Juli 1980 VIII R 114/78, BFHE 131, 429, BStBl II 1981, 101; v.Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 60 FGO Anm.43).

a) Der Streitfall weist allerdings die Besonderheit auf, daß das FA, dem die Beigeladene von der materiellen Rechtslage her zuzuordnen ist (BFHE 131, 429, BStBl II 1981, 101, 103), im Revisionsverfahren seinen im vorinstanzlichen Verfahren gestellten Sachantrag nicht mehr aufrechterhält und --in Übereinstimmung mit der Klägerin-- die Zurückweisung der Revision begehrt.

Der Revisionsantrag der Beigeladenen ist damit nur zulässig, wenn sie die Befugnisse einer notwendig Beigeladenen i.S. des § 60 Abs.3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hat. Denn dann darf sie gemäß § 60 Abs.6 Satz 2 FGO auch abweichende Sachanträge stellen, die sich allerdings im Rahmen des durch die Anträge der Hauptbeteiligten gesteckten Verfahrens- und Streitstandes halten müssen (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, Kommentar, § 60 FGO Tz.6; Redecker/v.Oertzen, Verwaltungsgerichtsordnung, § 66 Anm.8), aber ggf. auch gegen alle anderen Verfahrensbeteiligten gerichtet sein können (s. dazu z.B. Oberverwaltungsgericht --OVG-- Münster, Bescheid vom 17.Dezember 1953 II A 1637/52, OVGE 8, 121).

b) In der Rechtsprechung des BFH ist die Frage, welche Rechtsstellung ein gemäß § 174 Abs.5 Satz 2 AO 1977 zum Verfahren Beigeladener hat, noch nicht geklärt. Der VII.Senat hat in seinem Beschluß vom 27.Januar 1982 VII B 141/81 (BFHE 134, 537, BStBl II 1982, 239) eine vom FG auf § 60 Abs.1 FGO i.V.m. § 174 Abs.4 und 5 AO 1977 gestützte Beiladung aufgehoben, weil es an einem entsprechenden Antrag des FA fehlte. Der VIII.Senat hat im Urteil in BFHE 131, 429, BStBl II 1981, 101 offengelassen, ob es sich bei der Beiladung gemäß § 174 Abs.5 Satz 2 AO 1977 um eine einfache Beiladung i.S. des § 60 Abs.1 FGO oder um eine notwendige i.S. des § 60 Abs.3 FGO gehandelt hat. Das FG Nürnberg (Beschluß vom 3.Dezember 1981 V 381/81, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1982, 172) räumt dem wegen möglicher widerstreitender Steuerfestsetzung beigeladenen Dritten die Stellung eines notwendig Beigeladenen ein. Dem hat sich die in der Literatur vertretene Meinung überwiegend angeschlossen (Tipke/Kruse, a.a.O., § 174 AO 1977 Tz.18; Klein/Orlopp, AO, 3.Aufl., § 174 Anm.10; Plath, Abgabenordnung (AO 1977), Kommentar, § 174 Anm.6 a.E. und Gröger/Schöll, AO, § 174 Rdnr.9; anderer Ansicht: Frotscher in Schwarz, AO, § 174 Anm.14 d u.a. mit Hinweis auf BFHE 134, 537, BStBl II 1982, 239).

c) Der Senat folgt der vom FG Nürnberg und der ihm folgenden Literaturmeinung vertretenen Auffassung. § 174 Abs.5 Satz 2 AO 1977 enthält einen selbständigen Beiladungsgrund; danach ist eine Beiladung unabhängig davon zulässig, ob auch die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 60 FGO erfüllt sind. Für eine Beiladung nach § 174 Abs.5 Satz 2 AO 1977 ist lediglich erforderlich, daß ein Steuerbescheid möglicherweise wegen irriger Beurteilung eines Sachverhalts aufzuheben oder zu ändern ist, hieraus sich rechtliche Folgerungen für einen Dritten ergeben und das FA die Beiladung beantragt oder veranlaßt hat (BFH-Beschluß vom 17.Oktober 1985 IV B 62/85, BFH/NV 1987, 479; Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 174 AO Anm.21 a). Sinn und Zweck des § 174 Abs.5 Satz 2 AO 1977 gebieten es dabei, dem Dritten die Befugnisse eines notwendig Beigeladenen zu geben. Dessen Beteiligung am Verfahren soll dem FA unter den Voraussetzungen des § 174 Abs.4 AO 1977 die Möglichkeit eröffnen, gegen ihn einen Bescheid zu erlassen, weil ein bestimmter Sachverhalt einheitlich und zutreffend beurteilt werden soll. Die Interessenlage des gemäß § 174 Abs.5 Satz 2 AO 1977 zum Verfahren Beigeladenen ist damit mit der eines notwendig Beigeladenen vergleichbar. Dies rechtfertigt es, ihm auch die entsprechenden Rechte einzuräumen.

2. Die Revision ist jedoch nicht begründet.

a) Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, daß die hier streitigen Zuwendungen, die an die Klägerin nach dem freien Ermessen des Stiftungsvorstandes verteilt worden sind, bei ihr nicht als sonstige Einkünfte i.S. des § 22 Nr.1 Satz 1 EStG erfaßt werden können. Nach dieser Vorschrift sind Einkünfte aus wiederkehrenden Bezügen, soweit sie nicht zu den in § 2 Abs.3 Nrn.1 bis 6 EStG bezeichneten Einkunftsarten gehören, als sonstige Einkünfte des Empfängers zu besteuern. Werden die Bezüge freiwillig oder aufgrund einer freiwillig begründeten Rechtspflicht oder einer gesetzlich unterhaltsberechtigten Person gewährt, so sind sie gemäß § 22 Nr.1 Satz 2 EStG nicht dem Empfänger zuzurechnen, wenn der Geber unbeschränkt steuerpflichtig ist.

aa) Voraussetzung für die Annahme wiederkehrender Bezüge i.S. des § 22 Nr.1 EStG ist, daß sich diese aufgrund eines von vornherein gefaßten einheitlichen Entschlusses oder eines einheitlichen Rechtsgrundes mit einer gewissen Regelmäßigkeit, wenn auch nicht immer in gleicher Höhe, wiederholen (BFH-Urteile vom 20.Juli 1971 VIII 24/65, BFHE 103, 410, BStBl II 1972, 170, und vom 19.Oktober 1978 VIII R 9/77, BFHE 126, 405, BStBl II 1979, 133). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat das FG nach den von den Beteiligten mit Revisionsrügen nicht angefochtenen und damit für den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen (§ 118 Abs.2 FGO) zutreffend angenommen. Zu Unrecht wendet die Revision hiergegen ein, daß die einzelne Leistung im Streitfall jeweils im Sinne von BFHE 103, 410, BStBl II 1972, 170 von einer neuen Vereinbarung bzw. einem neuen Entschluß abhängig gewesen sei. Gemäß § 15 Nr.3 der Stiftungssatzung war es zwar in das freie Ermessen des Vorstandes gestellt, an welche Mitglieder der stiftungsberechtigten Familie er die hier streitigen Beträge verteilte. Der alljährliche Verteilungsbeschluß des Stiftungsvorstandes kann jedoch nur so verstanden werden, daß mit den laufenden Zuwendungen ein mit der Stiftung und ihrer Vermögensausstattung verbundener Auftrag des Stifters erfüllt werden soll. In diesem Stifterwillen liegt der für die wiederkehrenden Bezüge des § 22 Nr.1 EStG geforderte einheitliche Entschluß (BFH-Urteil vom 2.August 1968 VI R 200/66, nicht veröffentlicht --NV--).

bb) Das FG hat auch zu Recht angenommen, daß die hier streitigen Beträge der Klägerin freiwillig zugewandt worden sind, weil jede einzelne Leistung freiwillig und ohne rechtliche Verpflichtung gewährt worden ist (BFH-Urteil vom 25.März 1976 IV R 174/73, BFHE 118, 572, BStBl II 1976, 487).

Dabei kann offenbleiben, ob die ab dem Streitjahr 1975 geltende Fassung des § 22 Nr.1 Satz 2 2.Halbsatz EStG auch satzungsgemäße Zuwendungen einer Stiftung erfaßt (bejahend: Herrmann/Heuer/Raupach, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, Ergänzungslieferung 150, Juni 1986, § 22 EStG Anm.II 2; Bericht der Bundesregierung über die steuerliche Belastung von Zuwendungen, die Stiftungen an ihre Destinatäre gewähren, BTDrucks 8/3165, S.6; ablehnend: Scholtz in Hartmann/Böttcher/Nissen/Bordewin, EStG, § 22 Rdnr.28). Denn im Streitfall sind die Voraussetzungen für eine Anwendung des § 22 Nr.1 Satz 2 1.Halbsatz EStG gegeben. Daß der Stiftungsvorstand mit der Zuwendung an die Klägerin den in der Satzung niedergelegten Willen des Stifters ausführt, hat dabei keine Bedeutung. Denn die Zuwendung erfolgt dann freiwillig, wenn die Bezugsberechtigten der Stiftung nach deren Satzung keinen Rechtsanspruch auf die Bezüge haben (BFH-Urteil vom 25.November 1966 VI R 111, 112/66, BFHE 87, 476, BStBl III 1967, 178, betreffend eine Familienstiftung; FG Hamburg, Urteil vom 10.Juli 1972 III 157/69, EFG 1973, 13, m.w.N., betreffend eine gemischte Stiftung; bestätigt durch BFH-Urteil vom 26.August 1975 VIII R 204/72, NV; Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., Ergänzungslieferung 109, Juni 1974, § 22 EStG Anm.10, Stichwort: "Stiftung"; anderer Ansicht insbesondere Troll, Besteuerung von Verein, Stiftung und Körperschaft des öffentlichen Rechts, 3.Aufl., S.158; Goerdeler/Ulmer, Betriebsberater --BB-- 1964, 975, 980).

Von letzterem ist im Regelfalle auszugehen. Das Bestehen eines klagbaren Rechts ist nur ausnahmsweise dann anzunehmen, wenn die Person des Bezugsberechtigten sowie Art und Höhe der Zuwendung in der Satzung genau bestimmt sind, ohne daß den Stiftungsorganen die Möglichkeit der Auswahl gelassen wird. Haben diese dagegen die Befugnis, die Personen, die in den Genuß des Stiftungsnutzens kommen sollen, aus einem in der Satzung näher umschriebenen Kreis von Personen auszuwählen, so scheidet ein unmittelbarer Rechtsanspruch aus. In einem solchen Falle wird er erst dann erworben, wenn die Stiftungsorgane den von ihnen Bestimmten die Leistung zuerkannt haben (Bundesgerichtshof --BGH--, Urteil vom 16.Januar 1957 IV ZR 221/56 (KG), Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1957, 708; Steffen in BGB- RGRK, 12.Aufl., § 85 Anm.4; Soergel/Neuhoff, BGB, 11.Aufl., § 85 Anm.13 f.; Seifart, Handbuch des Stiftungsrechts, 1987, § 7 Rdnrn.126 f.).

Das FG ist mit zutreffenden Erwägungen zu der Überzeugung gelangt, daß die Klägerin auf die hier streitigen Bezüge nach der Satzung der Beigeladenen keinen Rechtsanspruch hatte.

Auch die Schlußfolgerung des FG, daß die Leistungen freiwillig gewährt wurden, läßt Rechtsfehler nicht erkennen. Zu Unrecht beruft sich die Revision insoweit auf das nicht veröffentlichte Urteil des BFH vom 2.August 1968 VI R 200/66. Denn der dort entschiedene Fall betraf einen mit dem Streitfall nicht vergleichbaren Sachverhalt. Da die Zuwendungen von einer nicht unbeschränkt steuerpflichtigen Stiftung gewährt wurden, kam es für die Zurechnung beim Empfänger nicht auf die Frage der Freiwilligkeit i.S. des § 22 Nr.1 Satz 2 EStG an (s. dazu z.B. Urteil des BFH in BFHE 111, 33, BStBl II 1974, 101).

b) Die Beigeladene ist auch gemäß § 1 Abs.1 Nr.5 KStG 1975 unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig. Damit ist dem Erfordernis der "unbeschränkten Steuerpflicht" des Gebers in § 22 Nr.1 Satz 2 EStG Genüge getan. Denn nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil in BFHE 70, 174, BStBl III 1960, 65) umfaßt dieses sowohl die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht als auch die unbeschränkte Körperschaftsteuerpflicht (s. nunmehr die Klarstellung in § 22 Nr.1 Satz 2 EStG 1986).

c) Der Senat kann offenlassen, ob --wie in BFHE 70, 174, BStBl III 1960, 65 angenommen-- die freiwilligen Zuwendungen i.S. des § 22 Nr.1 Satz 2 EStG beim Empfänger nur dann steuerfrei sind, wenn sie der Geber nicht von seinem Einkommen abziehen durfte (zur Kritik an dieser Rechtsprechung s. insbesondere FG Münster, Urteil vom 6.Februar 1980 II 2708/79 E, EFG 1980, 391; Friedrichs, Der Betrieb --DB-- 1960, 705; Hahn, Finanz-Rundschau --FR-- 1966, 366). Im Streitfall ist diese Voraussetzung erfüllt.

d) Das FG hat zutreffend festgestellt, daß die Beigeladene die hier streitigen Zuwendungen nicht von ihrem Einkommen abziehen darf. Dies ergibt sich aus § 12 Nr.1 KStG 1975. Die Voraussetzungen für eine Anwendung des § 1 der VO vom 13.Februar 1926 lagen nicht vor.

Die Beigeladene ist zwar eine sog. Familienstiftung (zum Begriff s. Seifart, a.a.O., § 14 Rdnrn. 1 f.), auf deren Einkünfte die VO vom 13.Februar 1926 grundsätzlich anzuwenden ist. Die VO vom 13.Februar 1926 war auch in den Streitjahren noch anzuwenden (zu deren Rechtsgültigkeit s. Urteil des Obersten Finanzgerichtshofs --OFH-- vom 22.August 1950 I 15/50, BFHE 54, 526, sowie Abschn.3 Abs.1 der Körperschaftsteuer-Richtlinien 1969).

Die hier streitigen Zuwendungen gehören jedoch nicht zu den Einkünften, die nach § 1 der VO vom 13.Februar 1926 bei der Veranlagung der Beigeladenen zur Körperschaftsteuer außer Ansatz bleiben durften. Hierunter fallen nur Einkünfte, die an die nach der Stiftungssatzung bezugsberechtigten, unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Familienmitglieder verteilt werden. Die Vorinstanz hat dazu rechtsfehlerfrei ausgeführt, daß eine Bezugsberechtigung i.S. des § 1 der VO vom 13.Februar 1926 nur anzunehmen ist, wenn das Familienmitglied nach der Stiftungssatzung auf die Leistung einen klagbaren Anspruch hat.

Das Stiftungsrecht faßt unter den Begriff des Genuß- bzw. Bezugsberechtigten einer Stiftung (Destinatär) sowohl solche mit als auch solche ohne klagbaren Rechtsanspruch auf die Stiftungsleistungen. Welche Rechtsstellung dem Bezugsberechtigten eingeräumt ist, bestimmt sich allein nach dem Willen des Stifters, wie er in der Stiftungsurkunde oder Satzung zum Ausdruck gekommen ist (Steffen, a.a.O.; Soergel/Neuhoff, a.a.O.; Seifart, a.a.O.; Hahn, a.a.O., S.368). Der in der VO vom 13.Februar 1926 verwandte Begriff "nach der Stiftungssatzung bezugsberechtigten ... Familienmitglieder" ist damit mehrdeutig. Legt man jedoch deren Zweck zugrunde, so ergibt sich, daß mit den nach der "Stiftungssatzung bezugsberechtigten Familienmitgliedern" nur solche gemeint sind, die nach der Satzung einen klagbaren Anspruch haben. Denn die VO vom 13.Februar 1926 sollte nur eine Doppelbesteuerung der Zuwendungen beim Geber und beim Empfänger verhindern (s. dazu OFH-Urteil in BFHE 54, 526; Kennerknecht, Kommentar zum KStG vom 16.Oktober 1934, Vorbemerkungen zu §§ 8 bis 10, Anm.11 f.; Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., Ergänzungslieferung 115, Dezember 1975, vor §§ 8 bis 10 KStG Anm.5 f.). Satzungsgemäße Zuwendungen einer Stiftung, auf die der Bezugsberechtigte keinen Rechtsanspruch hatte, unterlagen jedoch nach den im EStG bis zum Veranlagungszeitraum 1974 enthaltenen Regelungen ohnehin nicht beim Empfänger der Einkommensteuer, weil Zuwendungen im Zusammenhang mit einer freiwillig begründeten Rechtspflicht noch nicht --wie in § 22 Nr.1 Satz 2 EStG ab 1975-- dem Geber zugerechnet wurden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 61623

BStBl II 1988, 344

BFHE 151, 506

BFHE 1988, 506

BB 1988, 1512-1514 (LT1-2)

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