Leitsatz (amtlich)

Bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage für den Selbstverbrauch (§ 30 Abs. 4 UStG 1967) ist die auf die Zeit vom Erwerb oder der Fertigstellung eines Wirtschaftsguts bis zu seiner Zuführung zur Verwendung oder Nutzung als Anlagevermögen entfallende anteilige AfA von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten zu berücksichtigen. Eine Berechnung der AfA nach Maßgabe des Abschn. 43 Abs. 10 EStR 1969 ist jedoch nicht zulässig.

 

Normenkette

UStG 1967 § 30 Abs. 4

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betreibt ein Unternehmen für Kies-, Kanal- und Straßenbau. Sie erwarb einen Bagger und Kompressor. Diese Geräte nahm sie im Folgejahr in Betrieb und behandelte die Vorgänge in der Umsatzsteuererklärung als Selbstverbrauch i. S. des § 30 Abs. 2 UStG 1967. Zur Ermittlung der Bemessungsgrundlage i. S. des § 30 Abs. 4 UStG 1967 setzte sie bis zur Inbetriebnahme angefallene anteilige AfA ab, und zwar für das zweite Halbjahr des Anschaffungsjahres nach Abschn. 43 Abs. 10 EStR 1969 die Hälfte des für ein Kalenderjahr in Betracht kommenden AfA-Betrags sowie die auf das Folgejahr entfallende zeitanteilige AfA.

Der Beklagte und Revisionskläger (FA) hält diese Berechnung der Bemessungsgrundlage nicht für zutreffend. Nach seiner Auffassung ist die AfA gemäß § 7 EStG zeitanteilig, ohne Berücksichtigung von Abschn. 43 Abs. 10 EStR anzusetzen; das FA stützte sich auf die Begründung, daß der Erlaß des BdF vom 30. Januar 1968 - IV A/3 - S 7470 - 13/67 (BStBl I 1968, 310) die nach einkommensteuerrechtlichen Vorschriften zulässigen Sonderabschreibungen ausschließe. Auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung setzte das FA im Umsatzsteuerbescheid für das Zweitjahr die Selbstverbrauchsteuer unter Anwendung des Steuersatzes von 6 v. H. höher als erklärt fest. Der Einspruch blieb erfolglos.

Mit der Klage beantragte die Klägerin, die Umsatzsteuerzahlungsschuld für das Zweitjahr (=Streitjahr) herabzusetzen.

Das FG hat der Klage stattgegeben. In seiner - in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1975 S. 48 veröffentlichten - Entscheidung hat es zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Das Gesetz gehe in § 30 Abs. 4 UStG 1967 von der Unterstellung aus, im Zeitpunkt des Selbstverbrauchs werde das Wirtschaftsgut bilanziert. Infolge der Verweisung auf die einkommensteuerrechtlichen Vorschriften in § 30 Abs. 4 UStG 1967 sei daher gemäß § 5 Abs. 1 EStG das selbstverbrauchsteuerpflichtige Wirtschaftsgut im Betriebsvermögen mit dem Wert anzusetzen, der nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung auszuweisen sei. Insbesondere im Hinblick auf den BdF-Erlaß vom 30. Januar 1968 sei ein Verstoß der Vereinfachungsregelung des Abschn. 43 Abs. 10 EStR 1969 gegen die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung nicht anzunehmen. Die Regelung gehöre, unbeschadet ihres Charakters als einer Verwaltungsvorschrift, zu den "einkommensteuerrechtlichen Vorschriften", auf die § 30 Abs. 4 Satz 1 UStG 1967 Bezug nehme. Die Anweisung in Abschn. 43 Abs. 10 EStR führe auch weder zu einer Sonderabschreibung noch zu einer erhöhten Absetzung, welche nach dem Erlaß des BdF vom 30. Januar 1968 Abschn. B Nr. 4 Abs. 3 und dem Urteil des BFH vom 13. Juli 1972 V R 159/71 (BFHE 106, 386, BStBl II 1972, 842), den für die Bemessung des Selbstverbrauchs maßgebenden Wert nicht berühren dürfen. Das FA könne sich für seine Auffassung auch nicht auf den Sinn der Besteuerung des Selbstverbrauchs berufen, den Vorsteuerabzug bei der Anschaffung des Wirtschaftsguts teilweise rückgängig zu machen. Der BFH habe wiederholt entschieden, die Erhebung der Umsatzsteuer auf den Selbstverbrauch sei nicht von einem vorangegangenen Vorsteuerabzug abhängig (vgl. Beschluß vom 11. Juni 1970 V B 45/70, BFHE 99, 322, BStBl II 1970, 644; Urteile vom 1. Oktober 1970 V R 69/70, BFHE 100, 278, BStBl II 1971, 36, und vom 6. Mai 1971 V R 162/70, BFHE 102, 171, BStBl II 1971, 509).

Das FG hat die Revision zugelassen.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts (§ 30 Abs. 4 UStG 1967). Es führt zur Begründung im wesentlichen aus: Die Vereinfachungsregelung des Abschn. 43 Abs. 10 EStR 1969 müsse bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage des Selbstverbrauchs unberücksichtigt bleiben, denn Sinn der Besteuerung des Selbstverbrauchs sei die Rückgängigmachung des bei der Anschaffung des Wirtschaftsguts vorgenommenen Vorsteuerabzugs. Diesem Gedanken würde es widersprechen, wenn die Bemessungsgrundlage für den Selbstverbrauch durch die bei der Einkommensteuer im Verwaltungsweg getroffene Vereinfachungsmaßnahme des Abschn. 43 Abs. 10 EStR 1969 gekürzt würde. Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.

1. Die Selbstverbrauchsteuerschuld entsteht mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem der Unternehmer den Selbstverbrauch ausgeführt hat (§ 30 Abs. 6 UStG 1967). Maßgebend für die Ausführung des Selbstverbrauchs ist - wie der Senat in seinem Urteil vom 14. Dezember 1972 V R 110/72 (BFHE 107, 547, BStBl II 1973, 255) eingehend dargelegt hat - der Zeitpunkt, in dem das Wirtschaftsgut tatsächlich in Betrieb genommen wird. Dieser lag im vorliegenden Fall im Streitjahr.

2. Gemäß der Vorschrift des § 30 Abs. 4 Satz 1 UStG 1967 wird der Selbstverbrauch nach dem Wert bemessen, der im Zeitpunkt des Selbstverbrauchs nach den einkommensteuerrechtlichen Vorschriften bei der Berechnung der AfA für das Wirtschaftsgut anzusetzen ist. Ausgangspunkt für die Berechnung sind somit die Anschaffungs- und Herstellungskosten des Wirtschaftsguts (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 EStG).

a) Wird das Wirtschaftsgut nicht unmittelbar nach der Anschaffung der Verwendung oder Nutzung als Anlagevermögen zugeführt, so ergibt sich grundsätzlich - wie auch im Streitfall - die Bemessungsgrundlage aus den um die bis zum Zeitpunkt des Selbstverbrauchs angefallenen AfA geminderten Anschaffungskosten (vgl. Nr. 4 Abs. 3 des BdF-Erlasses vom 30. Januar 1968). Denn nach einkommensteuerrechtlichen Grundsätzen können die AfA von den Anschaffungskosten eines Wirtschaftsguts des Anlagevermögens bereits im Jahr der Anschaffung anteilig vorgenommen werden (vgl. Littmann, Das Einkommensteuerrecht, 11. Aufl., 1974, § 7 Rdnr. 17; Blümich/Falk, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 10. Aufl. 1971, § 7 Anm. 5, S. 1015; Herrmann/Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 17. Aufl., § 7 Anm. 14 mit Nachweisen). Zwar läßt, wie der Große Senat des BFH in seinem Beschluß vom 7. Dezember 1967 GrS 1/67 (BFHE 91, 93, BStBl II 1968, 268) ausgeführt hat, der Wortlaut des § 7 Abs. 1 EStG den Schluß zu, daß AfA nur insoweit und in dem Umfang zulässig sein sollen, als das Wirtschaftsgut "genutzt" wird. Maßgebliches Auslegungskriterium für § 7 EStG ist auch der Grundsatz der periodengerechten Gewinnermittlung, d. h. die AfA bezwecken den Ausgleich des Wertverlustes, der an den Gegenständen des Anlagevermögens durch die Nutzung im Betrieb entsteht. Daß die in § 7 Abs. 1 EStG verwendeten Begriffe "Nutzung" und "Abnutzung" jedoch nicht ausschließlich an die tatsächliche betriebliche Verwendung oder Nutzung anknüpfen, sondern auch auf eine lediglich wirtschaftliche Abnutzung abstellen, ergibt sich daraus, daß die Regelung der AfA schematisch ist und der Vereinfachung dient. Durch das Abstellen auf die "betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer" in § 7 Abs. 1 Satz 2 EStG hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, daß er die Berechnung der Nutzungsdauer nach der jeweiligen tatsächlichen Nutzung nicht für praktikabel hält. Denn die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer eines Wirtschaftsguts ist nicht exakt festzustellen, sondern lediglich zu schätzen (vgl. BFH-Beschluß GrS 1/67). Im Rahmen dieser Schätzung kann jedoch die tatsächliche Nichtbenutzung der angeschafften Wirtschaftsgüter berücksichtigt werden (vgl. Plückebaum/Malitzky, Umsatzsteuergesetz, Mehrwertsteuer, Kommentar, 10. Aufl., § 30 Rdzahl 85).

Die Frage, ob eindeutig auf Vorrat oder aus Vorsorge für den Betrieb angeschaffte Wirtschaftsgüter erst mit der tatsächlichen Verwendung im Betrieb abgeschrieben werden können (vgl. dazu Littmann, a. a. O.; FG München, Urteil vom 31. Mai 1972 III 85/71, Umsatzsteuer-Rundsachau 1972 S. 204; Plückebaum/Malitzky, a. a. O., § 30 Rdzahl 85/1), braucht der Senat nicht zu entscheiden; denn dieser Fall ist nach den Feststellungen des FG nicht gegeben.

b) Zu Unrecht hat das FG für die Bemessung des Selbstverbrauchs den Abschn. 43 Abs. 10 EStR 1969 herangezogen. Danach ist es aus Vereinfachungsgründen allgemein nicht zu beanstanden, wenn für die in der zweiten Hälfte des Wirtschaftsjahres angeschafften oder hergestellten beweglichen Anlagegüter die Hälfte des für das gesamte Wirtschaftsjahr in Betracht kommenden AfA-Betrags abgesetzt wird. Diese Verwaltungsanordnung, die keinen Rechtsnormcharakter besitzt, wird von der Verweisung in § 30 Abs. 4 UStG 1967 auf die einkommensteuerrechtlichen Vorschriften nicht umfaßt. Verwaltungsanordnungen, die vom BdF als Richtlinien zur Gesetzesanwendung für die nachgeordneten Finanzbehörden aufgestellt worden sind, binden FG und BFH nicht. Diese haben vielmehr selbständig über die Vereinbarkeit mit dem GG und mit dem einfachen Gesetz zu urteilen (vgl. Urteil des BVerfG vom 21. Februar 1961 1 BvR 314/60, BStBl I 1961, 63; Urteil des BFH vom 23. August 1963 III 176/61 S, BFHE 77, 605, BStBl III 1963, 541 [544]).

Darüber hinaus enthält Abschn. 43 Abs. 10 EStR 1969 auch keinen Grundsatz des Einkommensteuerrechts, der als solcher über die Verweisung in § 30 Abs. 4 UStG 1967 bei der Bemessung des Selbstverbrauchs zu berücksichtigen wäre. Abschn. 43 Abs. 10 EStR dient als Vereinfachungsregelung (vgl. BFH-Urteil vom 14. Juli 1966 IV 389/62, BFHE 86, 729, BStBl III 1966, 641) lediglich dem Zweck, die Ermittlung der AfA-Beträge im Jahr der Anschaffung eines Wirtschaftsguts zu erleichtern. Sie führt ertragsteuerlich nur zu einer - gegenüber der gesetzlichen Regelung - anderen zeitlichen Verteilung und nicht zu einer größenmäßigen Veränderung des gesamten Abschreibungsvolumens. Im Rahmen der Selbstverbrauchsteuer ergäbe die Anwendung dieses Verfahrens eine nicht durch Gesetz zugelassene Vorwegnahme künftiger AfA und damit im Ergebnis eine echte Minderung der Bemessungsgrundlage der Selbstverbrauchsteuer (vgl. Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, Umsatzsteuergesetz, Mehrwertsteuer, § 30 Anm. 90), die der Senat bereits in seinem Urteil vom 13. Juli 1972 V R 159/71 bei erhöhten Absetzungen gemäß § 14 Abs. 4 des Berlinhilfegesetzes 1968 nicht zugelassen hat.

Für die Anwendung der auf die Ertragsbesteuerung zugeschnittenen Vereinfachungsregelung ist bei der Besteuerung des Selbstverbrauchs kein Raum. Diese verlangt vielmehr eine möglichst genaue, an den Anschaffungskosten ausgerichtete Ermittlung der Bemessungsgrundlage. Der Senat hat in seinem Urteil V R 159/71 betont, daß zu den Zwecken der Besteuerung des Selbstverbrauchs u. a. das Rückgängigmachen des bei der Anschaffung des Wirtschaftsguts vorgenommenen Vorsteuerabzugs gehört, wenn auch nicht immer in der Durchführung eine Übereinstimmung zwischen Vorsteuerabzug und der Selbstverbrauchsteuer besteht. Zur Erreichung dieses Zwecks ist hinsichtlich der Bemessungsgrundlage aus Gründen der Praktikabilität auf die einkommensteuerrechtlichen Vorschriften verwiesen. Diesem Zweck widerspricht eine Anwendung des Abschn. 43 Abs. 10 EStR 1969.

Zu Recht hat das FA -übereinstimmend mit der Auffassung der Verwaltung (vgl. Steuererlasse in Karteiform, Umsatzsteuergesetz 1967, § 30 Nrn. 48, 115, 134) und der überwiegenden Auffassung im Schrifttum (Hartmann/Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz, Mehrwertsteuer, 6. Aufl., § 30 Rdnr. 36; Plückebaum/Malitzky, a. a. O., 10. Aufl., § 30 Rdzahl 85; Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, a. a. O., § 30 Anm. 90) - die Vereinfachungsregelung nicht angewendet, da dies zu einem offensichtlich unrichtigen Ergebnis geführt hätte.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72421

BStBl II 1977, 708

BFHE 1978, 173

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge