Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung Steuerliche Betriebsprüfung

 

Leitsatz (amtlich)

Das Recht des Finanzamts, gemäß § 204 Abs. 2 Satz 2 AO zur Erörterung der Steuerpflicht das persönliche Erscheinen des Steuerpflichtigen zu verlangen, ist nur an die Grenzen gebunden, die Recht und Billigkeit der Ausübung des Ermessens setzen.

 

Normenkette

AO § 204 Abs. 2, § 205 Abs. 2, § 202

 

Tatbestand

Nach wiederholten vergeblichen Aufforderungen, zur Erörterung seiner Steuerpflicht persönlich auf dem Finanzamt zu erscheinen, drohte das Finanzamt dem Beschwerdeführer (Bf.) durch Verfügung vom 1. September 1951 die Festsetzung einer Erzwingungsgeldstrafe von 50 DM für den Fall an, daß er einer gleichzeitigen neuen Aufforderung nicht fristgemäß nachkommen würde. Nach Fristablauf setzte das Finanzamt durch Bescheid vom 18. September 1951 die angedrohte Strafe fest.

Das Finanzgericht wies die von dem Bf. gegen die Verfügungen vom 1. und 18. September 1951 eingelegten Rechtsmittel durch zwei Beschlüsse vom 30. Januar 1952 als unbegründet zurück, die Beschwerde gegen die Strafandrohung unter dem Az. ..., das Rechtsmittel gegen die Straffestsetzung unter dem Az. ...; beide Entscheidungen enthielten die vorgeschriebene Rechtsmittelbelehrung.

Der Bf. hat Rechtsbeschwerde (Rb.) nur gegen den Beschluß ... erhoben, durch den das Finanzgericht den Straffestsetzungsbescheid des Finanzamts vom 18. September 1951 bestätigte; der Strafandrohungsbescheid vom 1. September 1951 ist somit rechtskräftig geworden.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist zulässig, aber sachlich nicht begründet.

Gegen die Straffestsetzung des Finanzamts als solche war zwar das Rechtsmittel der Beschwerde an das Finanzgericht nach § 21 Abs. 2 der Verordnung der Britischen Militärregierung Nr. 175 über Wiedererrichtung von Finanzgerichten nicht gegeben, da der Straffestsetzung eine - inzwischen rechtskräftig gewordene - Strafandrohung vorausgegangen ist. Gleichwohl ist, wie der erkennende Senat in dem Urteil II 125/52 U vom 29. August 1952 (Bundessteuerblatt - BStBl. - 1952 III S. 250) mit eingehender Begründung dargelegt hat, auf Grund des Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) auch bei vorangegangener Strafandrohung ein Rechtsmittelverfahren gegen die Straffestsetzung als solche, und zwar das Berufungsverfahren zulässig, wenn der Betroffene - wie im Streitfalle der Bf. - Rechtsverletzung, insbesondere Ermessensmißbrauch, geltend macht.

Es ist unerheblich, daß das Finanzgericht das Rechtsmittel als Beschwerde behandelt und daher die angefochtene Entscheidung als Beschluß bezeichnet hat. Denn in dem Verfahren ist, besonders auch durch die Beteiligung ehrenamtlicher Beisitzer, der gleiche Rechtsschutz gewährt worden, wie er für das Berufungsverfahren vorgeschrieben ist.

Allerdings kann in dem Rechtsbeschwerdeverfahren gegen die als Urteil anzusehende Entscheidung des Finanzgerichts vom 30. Januar 1952 ... das neue tatsächliche Vorbringen des Bf. und des Finanzamts als Beschwerdegegners (Bg.) keine Berücksichtigung finden. Vielmehr obliegt dem Senat nur die Prüfung der Frage, ob dem Finanzamt bei Erlaß der Straffestsetzungsverfügung eine Rechtsverletzung, insbesondere ein Ermessensmißbrauch, zur Last fällt. Diese Frage ist in übereinstimmung mit der Vorinstanz zu verneinen.

Nach § 204 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung (AO) kann das Finanzamt von Personen, die im Inland einen Wohnsitz haben oder sich im Inland aufhalten, verlangen, daß sie "zur Erörterung der Steuerpflicht auf dem Finanzamt erscheinen". An weitere rechtliche Voraussetzungen ist die Pflicht zum Erscheinen im Sinne des Abs. 2 des § 204 AO, der durch Ziff. 20 des § 21 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) in die Reichsabgabenordnung eingefügt wurde, nicht gebunden.

Insbesondere gilt die Bestimmung des § 170 Abs. 1 AO, soweit sie das Finanzamt verpflichtet, vorher dem Steuerpflichtigen (Stpfl.) die Punkte schriftlich mitzuteilen, über die er sich mündlich äußern soll, nach der ausdrücklichen Bezugnahme auf die §§ 205 Abs. 1 und 2 AO nur, wenn es sich um die Beanstandung von schon dem Finanzamt vorliegenden Steuererklärungen handelt. Eine solche Pflicht zur Mitteilung einzelner Punkte war im Streitfalle nicht gegeben, da es sich im Rahmen des § 204 Abs. 2 AO erst um die Prüfung der Frage handelt, ob überhaupt eine Steuerpflicht in Betracht kommt. Nach dem Kommentar von Riewald (Teil II, 1951, Anm. 4 Abs. 1 zu § 204 AO) soll allerdings "der sachliche Umfang der durch § 204 Abs. 2 begründeten Verpflichtungen trotz der sich zum Teil nicht ganz deckenden Ausdrucksweise als mit den §§ 170, 171, 205 übereinstimmend angesehen werden". Soweit der Verfasser des Erläuterungsbuches mit diesen Ausführungen etwa auch als Voraussetzung der Pflicht zum persönlichen Erscheinen im Sinne des § 204 Abs. 2 Satz 2 AO die vorherige Mitteilung der einzelnen Besprechungspunkte gemäß § 170 Abs. 1 AO für erforderlich erklären will, würde eine solche Auslegung nach Ansicht des Senats weder dem klaren Sinne des Wortlauts noch dem Zweck der Bestimmung entsprechen.

Wenn nach dem Inhalt des § 204 Abs. 2 AO die Entscheidung der Frage, ob das Finanzamt einen Stpfl. zur Erörterung der Steuerpflicht vorladen will, grundsätzlich in das Ermessen der Behörde gestellt ist, so darf andererseits das Finanzamt von diesem Ermessen nur innerhalb der Grenzen Gebrauch machen, die Recht und Billigkeit der Ausübung jedes Ermessens setzen. Es darf von dem Ermessen kein mißbräuchlicher Gebrauch gemacht werden. Eine solche mißbräuchliche oder gar willkürliche Ausnutzung des Ermessensrechts liegt - entgegen der Behauptung des Bf. - nicht vor.

 

Fundstellen

Haufe-Index 407605

BStBl III 1953, 113

BFHE 1954, 288

BFHE 57, 288

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