Leitsatz (amtlich)

Ist die Klageschrift von einem Angestellten des Prozeßbevollmächtigten unterzeichnet worden, so kann dieser Mangel in der Vertretungsmacht dadurch geheilt werden, daß die Prozeßpartei durch eine Erklärung zur Niederschrift des Gerichts zum Ausdruck bringt, sie genehmige die Prozeßhandlung des Angestellten ihres Bevollmächtigten.

 

Normenkette

FGO §§ 62, 64, 155; ZPO §§ 80, 89

 

Tatbestand

Streitig ist die Zulässigkeit einer Klage, wenn die Klageschrift von einem Angestellten des Prozeßbevollmächtigten unterzeichnet wird.

Die Revisionsklägerin, eine OHG, erhob gegen den Bescheid über die einheitliche und gesonderte Feststellung des Gewinns für 1968 Klage. Die Klageschrift, die eingangs die Bezeichnung "J.... D......., StBev., ..." enthält, ist von dem Steuerbevollmächtigten Diplom-Kaufmann B. unterzeichnet. Die beigefügte Vollmacht lautet auf den Steuerbevollmächtigten D. In der mündlichen Verhandlung vor dem FG vom 18. Dezember 1970 beantragte die durch einen ihrer Gesellschafter-Geschäftsführer und D. vertretene Revisionsklägerin, die von B. unterschriebene Klage für zulässig zu erklären. Das FG wies die Klage mit der Begründung als unzulässig ab, die Klageschrift sei weder von den gesetzlichen Vertretern der Revisionsklägerin noch von ihrem Bevollmächtigten D. handschriftlich unterzeichnet worden. Die Unterzeichnung der Klageschrift durch den Angestellten des D. genüge nicht zur rechtswirksamen Klageerhebung.

Hiergegen richtet sich die Revision, mit der die Revisionsklägerin geltend macht, die handschriftliche Unterzeichnung im Sinne des § 64 Abs. 1 FGO sei auch gewährleistet, wenn die Klageschrift durch einen Untervertreter des Bevollmächtigten unterzeichnet worden sei. Die gegenteilige Auffassung stehe auch mit § 155 FGO in Verbindung mit § 81 ZPO nicht im Einklang. Denn nach dieser Vorschrift umfasse die Prozeßvollmacht u. a. die Befugnis, einen Vertreter zu bestellen. Hilfsweise möge die im Revisionsverfahren vorgelegte, auf B. ausgestellte Vollmacht anerkannt werden.

Die Revisionsklägerin beantragt, das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits and das FG.

Die Klage ist schriftlich zu erheben (§ 64 Abs. 1 FGO). "Schriftlich" heißt, daß die Klageschrift vom Steuerpflichtigen oder seinem Prozeßbevollmächtigten handschriftlich unterzeichnet sein muß (Urteile des BFH VII R 92/68 vom 29. Juli 1969, BFH 96, 381, BStBl II 1969, 659; VI R 230/68 vom 20. Februar 1970, BFH 98, 233, BStBl II 1970, 329; grundsätzlich auch BFH-Urteile III R 86/68 vom 29. August 1969, BFH 97, 226, BStBl II 1970, 89; III R 32/70 vom 18. Dezember 1970, BFH 101, 349, BStBl II 1971, 329; III R 127/69 vom 15. Januar 1971, BFH 101, 475, BStBl II 1971, 397).

Diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt. Die Klageschrift ist von dem Steuerbevollmächtigten B. unterzeichnet. Für B. wurde eine schriftliche Prozeßvollmacht zwar erst im Revisionsverfahren vorgelegt. Der Senat braucht indes im Streitfall nicht zu entscheiden, ob die Vorlage der Vollmacht im Revisionsverfahren die Kraft hat, den Mangel der Vertretungsmacht für das Verfahren vor dem FG zu heilen (vgl. BFH-Urteil V R 62, 107/67, V B 23, 36/67 vom 28. September 1967, BFH 90, 280, BStBl II 1968, 63). Denn der zunächst vorliegende Mangel der Vertretungsmacht des B. wurde schon im Klageverfahren dadurch geheilt, daß die Revisionsklägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem FG beantragte, die von B. unterzeichnete Klage für zulässig zu erklären. Dadurch hat die Revisionsklägerin die Prozeßhandlung des B. rechtswirksam genehmigt (vgl. § 155 FGO in Verbindung mit § 89 Abs. 2 ZPO).

Der Annahme einer Genehmigung im Finanzprozeß steht nicht entgegen, daß nach § 62 Abs. 3 Satz 1 FGO die Vollmacht schriftlich zu erteilen ist. Aus der Wortfassung dieser Vorschrift wird überwiegend geschlossen, daß die schriftliche Erteilung der Vollmacht im Finanzprozeß - anders als im Zivilprozeß, wo die Vollmacht nur schriftlich nachzuweisen ist (§ 80 Abs. 1 ZPO) - konstitutive Voraussetzung für die Entstehung der Vollmacht sei (v. Wallis-List in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 62 FGO Anm. 11; Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 2. bis 4. Aufl., § 62 FGO Anm. 8. Ebenso für die übereinstimmende Vorschrift des § 67 Abs. 3 Satz 1 VwGO: Eyermann-Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, § 67 Anm. 13; Koehler, Verwaltungsgerichtsordnung, § 67 Anm. 3, 4). Nach anderer Auffassung dient die "schriftliche Erteilung" der Vollmacht nur dem Nachweis der Vertretungsmacht (Ziemer-Birkholz, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 62 Anm. 30). Welcher Ansicht zu folgen ist, brauchte der Senat nicht abschließend zu entscheiden. Denn auch dann, wenn die schriftliche Ausstellung der Vollmachtsurkunde die Vertretungsmacht erst zur Entstehung bringt, schließt dies nicht aus, daß Prozeßhandlungen eines Dritten vom Vertretenen - ebenso wie nach § 89 Abs. 2 ZPO im Verhältnis zwischen Vertretenem und Vertreter - auch dem Gericht gegenüber genehmigt werden können (ebenso BFH-Beschluß V R 46/66 vom 10. November 1966, BFH 87, 1, BStBl III 1967, 5; BFH-Urteil V R 62/67, 107/67, V B 23/67, 36/67, a. a. O.). Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Genehmigung schriftlich oder - wie im Streitfall - durch eine der Schriftform gleichwertige Erklärung zur Niederschrift des Gerichts ausgesprochen wird. Die Genehmigung macht die Prozeßhandlung dessen, der zunächst als Vertreter ohne Vertretungsmacht aufgetreten ist, mit rückwirkender Kraft voll wirksam (Urteil des BGH II ZR 108/50 vom 9. Mai 1951, Monatsschrift für Deutsches Recht 1951 S. 732, [733]).

Einer Anrufung des Großen Senats des BFH wegen Abweichung vom BFH-Urteil III R 32/70 (a. a. O.) gemäß § 11 Abs. 3 FGO bedarf es nicht. Der III. Senat hat auf Anfrage mitgeteilt, daß er der vorliegenden Entscheidung zustimme und dem Urteil III R 32/70 (a. a. O.) ein vom Streitfall abweichender Sachverhalt zugrunde liege.

Danach hat die Vorinstanz die Klage zu Unrecht wegen Fehlens der Voraussetzungen des § 64 FGO als unzulässig abgewiesen. Die Vorentscheidung wird daher aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 425918

BStBl II 1972, 95

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