Leitsatz (amtlich)

Weichen die Steuerbefreiungsvorschriften im Zeitpunkt der Entstehung der Steuerschuld von den Steuerbefreiungsvorschriften ab, die bei Fertigstellung des zu errichtenden Wohnraums gelten, so sind die Steuerbefreiungsvorschriften maßgebend, die bei Entstehung der Steuerschuld anzuwenden waren.

Zum Begriff des Wohnraums. § 1 des württemberg-hohenzollernschen Gesetzes über die Befreiung von der Grunderwerbsteuer für den sozialen Wohnungsbau vom 13. März 1951;

 

Normenkette

GrEStWGBW 1

 

Tatbestand

Der Beschwerdeführer (Bf.) kaufte durch notariell beurkundeten Vertrag vom 7. Juli 1952 ein in Baden-Württemberg gelegenes Grundstück und errichtete darauf ein Wohngebäude. Nach einer Bescheinigung des zuständigen Landratsamts vom 4. Oktober 1954 entfallen 94,10 qm auf Wohnungen und Wohnräume.

Streitig ist, ob schon das baden-württembergische Gesetz über Grunderwerbsteuerbefreiung beim Wohnungsbau vom 21. September 1953 (Gesetzblatt für Baden-Württemberg 1953 S. 147, Bundessteuerblatt - BStBl - 1953 II S. 125) oder ob noch das Gesetz des früheren Landes Württemberg-Hohenzollern über die Befreiung von der Grunderwerbsteuer für den sozialen Wohnungsbau vom 13. März 1951 (Regierungsblatt des Landes Württemberg-Hohenzollern 1951 S. 27) anwendbar ist. Nach dem erstgenannten Gesetz würde im Streitfall Steuerbefreiung eintreten; nach § 2 des letztgenannten Gesetzes kommt eine Steuerbefreiung nur in Betracht, wenn u. a. die Wohnfläche der einzelnen Wohnung 80 qm nicht übersteigt. Das Finanzamt ist der Auffassung, daß noch das Gesetz vom 13. März 1951 maßgebend ist; es hat demgemäß eine Steuerbefreiung nicht anerkannt.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung wurde als unbegründet zurückgewiesen. Die Rechtsbeschwerde (Rb.) ist ohne Erfolg.

Der Kaufvertrag ist am 7. Juli 1952 abgeschlossen worden. Soweit ersichtlich ist, bedurfte dieser Vertrag keiner behördlichen Genehmigung (ß 3 Abs. 5 Ziff. 5 Buchstabe b des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG -). Der Tag des Kaufvertrags ist demgemäß auch der Tag, an dem die Steuerschuld entstand (ß 3 Abs. 1 StAnpG).

Das Finanzgericht hat als maßgeblich nicht die Befreiungen des Gesetzes vom 21. September 1953, sondern die des Gesetzes vom 13. März 1951 angesehen. Dieser Auffassung ist beizutreten. Das Gesetz vom 21. September 1953 ist nach seinem § 8 Abs. 1 mit Wirkung vom 1. Oktober 1952 in Kraft getreten; nach § 8 Abs. 2 Ziff. 2 dieses Gesetzes ist das Gesetz vom 13. März 1951 mit dem gleichen Tage außer Kraft gesetzt worden. Das Gesetz vom 21. September 1953 hat sich demgemäß rückwirkende Kraft nur bis 1. Oktober 1952 beigelegt.

Wie der erkennende Senat bereits im Urteil II 260/52 S vom 11. Februar 1953 (Slg. Bd. 57 S. 274, BStBl 1953 III S. 108) zum Vermögensbewertungsgesetz (VBewG) vom 16. Januar 1952 (Bundesgesetzblatt - BGBl - 1952 I S. 22, BStBl 1952 I S. 35) ausgeführt hat, gilt ein neues Gesetz, soweit die Grunderwerbsteuer in Betracht kommt, nur für Rechtsvorgänge, die in die Zeit seiner Gültigkeit fallen, während das frühere Gesetz auf die Rechtsvorgänge anzuwenden ist, die sich im zeitlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes ereignet haben. Dazu sei ergänzt: Die Grunderwerbsteuer ist eine Rechtsverkehrsteuer, die bestimmte Rechtsvorgänge erfaßt. Demgemäß können auch nur die Befreiungsvorschriften angewendet werden, die in dem Zeitpunkt bestanden, in dem die Steuerschuld entstanden ist. Wäre in Fällen der vorliegenden Art das jeweils bei Fertigstellung des Wohngebäudes maßgebliche Gesetz anwendbar, so würde, worauf auch das Finanzgericht hinweist, einem Steuerpflichtigen die erweiterte Steuerermäßigung eines neuen Gesetzes zugute kommen, wenn er die Gebäudeherstellung verzögert, während ein anderer Steuerpflichtiger, der das Gebäude sofort errichtet, die Steuer auf Grund des alten Gesetzes entrichten. Es liegt auf der Hand, daß eine derartige Regelung, bei der der Eintritt der Steuerbefreiung von ganz zufälligen Umständen abhängig wäre, nicht gewollt sein kann. Möglich ist natürlich, daß einer Steuervergünstigung rückwirkende Kraft beigelegt wird. Vergleichsweise sei auf § 2 des Strafgesetzbuchs hingewiesen; dort ist im Abs. 2 Satz 2 bestimmt, daß bei Verschiedenheit der Gesetze von der Zeit der begangenen Handlung bis zu deren Aburteilung das mildeste Gesetz anzuwenden ist. Ohne eine dahingehende Bestimmung wäre auch hier das Gesetz anzuwenden, das zur Zeit der Tat maßgebend war (ß 2 Abs. 2 Satz 1 des Strafgesetzbuchs). Die Auffassung des Finanzgerichts ist somit frei von Rechtsirrtum.

Andererseits macht der Bf. geltend, daß der Begriff des Wohnraums verkannt sei, weil als Wohnraum auch ein Raum in der Größe von 14 1/2 qm angesehen wurde, der als Wohnraum nicht geeignet ist. Der Raum liege im Kellergeschoß, habe einen unmittelbaren Zugang nur vom Garten her und müsse als gesundheitsgefährdend angesehen werden, weil er zu wenig Licht habe und zu feucht sei. Dieser Einwand geht fehl. Für die Frage, ob ein Wohnraum vorliegt oder nicht, kann es nicht darauf ankommen, ob der Raum als Wohnraum geeignet ist. Entscheidend kann nur sein, ob er als zur Wohnung gehöriger Raum voll ausgebaut wurde (vgl. auch § 4 des Gesetzes vom 13. März 1951). Das ist aber unstreitig der Fall. Die Auffassung des Finanzgerichts ist demnach auch insoweit frei von Rechtsirrtum.

Sonstige Gründe, die die Rb. rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich. Der Umstand, daß dem Bf. Befreiung von der Grundsteuer gewährt wird, ist auf die Entscheidung bezüglich der Grunderwerbsteuer ohne Einfluß.

Die Rb. ist deshalb unbegründet.

 

Fundstellen

Haufe-Index 408597

BStBl III 1956, 387

BFHE 1957, 500

BFHE 63, 500

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