Entscheidungsstichwort (Thema)

Unzulässigkeit der Klage ohne außergerichtliches Vorverfahren; Einspruch nur eines Ehegatten gegen Zusammenveranlagung; Zeitpunkt der Leistung i. S. des § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG 1971 bei Aufrechnung

 

Leitsatz (NV)

1. Hat gegen einen Zusammenveranlagungsbescheid der Ehemann im eigenen Namen Einspruch eingelegt und das FA denn auch nur gegenüber dem Ehemann eine Einspruchsentscheidung erlassen, ist die Klage der Ehefrau gegen den Zusammenveranlagungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung unzulässig (Anschluß an ständige Rechtsprechung).

2. Zur Vorauszahlung von Schuldzinsen als Sonderausgaben.

3. Eine Leistung im Sinne des § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG 1971 hat der Schuldner, der aufgrund eines Aufrechnungsvertrages eine Schuld mit einer fälligen Forderung tilgt, erst im Zeitpunkt der Fälligkeit dieser Forderung bewirkt.

 

Normenkette

AO § 238 Abs. 1; AO 1977 § 357 Abs. 1; StAnpG § 6 Abs. 1; EStG § 10 Abs. 1 Nr. 1; EStG 1971 § 11 Abs. 2 S. 1; FGO § 44 Abs. 1, § 126 Abs. 3 Nr. 1

 

Verfahrensgang

FG Köln

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) wurde im Veranlagungszeitraum 1973 mit seiner Ehefrau (Klägerin) und Revisionsbeklagte (Klin.) zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. In ihrer Einkommensteuererklärung 1973 machten die Kläger Zinsen in Höhe von 127 650 DM als Sonderausgaben i. S. des § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG 1971 geltend, die der Kläger an den Versicherer für Versicherungsscheindarlehen gezahlt hatte.

Bei einem Teilbetrag von 70 200 DM handelte es sich um in 1973 vorweggeleistete Zinsen für 1974. Die einem Schreiben des Versicherers beigefügte Anlage enthält folgende Abrechnung vom 1. Oktober 1973:

Prämie 1974: 107 184 DM

Zinsen 1974: 7 % auf 660 000 DM = 46 200 DM

8 % auf 300 000 DM = 24 000 DM 70 200 DM

Zwischensumme 177 384 DM

abzüglich Beleihung 150 000 DM

zu entrichtender Betrag 27 384 DM

Der Endbetrag von 27 384 DM war bis zum 26. Oktober 1973 zu zahlen.

Das FA ließ die auf das Jahr 1974 entfallenden Schuldzinsen in Höhe von 70 200 DM nicht als Sonderausgaben zum Abzug zu.

Der vom Kläger gegen diesen Bescheid in eigenem Namen eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg. Das FA richtete die Einspruchsentscheidung nur an den Kläger. Das Finanzgericht (FG) gab der hiergegen - von den Revisionsbeklagten gemeinsam - erhobenen Klage statt.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG 1971.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist teilweise begründet.

Soweit sich die Vorentscheidung gegen die Klägerin richtet, ist sie aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), weil das FG insoweit zu Unrecht eine Sachentscheidung getroffen hat.

Das FG hätte die Klage, soweit sie von der Klägerin erhoben wurde, wegen fehlenden Vorverfahrens (§ 44 Abs. 1 FGO), dessen Abschluß eine vom Revisionsgericht auch ohne Rüge zu prüfende Prozeßvoraussetzung ist, als unzulässig abweisen müssen, weil nur der Kläger, nicht aber auch die Klägerin, gegen den Änderungsbescheid Einspruch eingelegt hat und dieser Bescheid daher ihr gegenüber bestandskräftig geworden ist (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 20. Januar 1972 I B 51/68, BFHE 104, 45, BStBl II 1972, 287).

Im Streitfall kann nicht davon ausgegangen werden, daß der Kläger auch im Namen seiner Ehefrau Einspruch erheben wollte, denn dem Wortlaut des Einspruchsschreibens des Klägers ist nicht klar und unmißverständlich zu entnehmen, daß er den Rechtsbehelf auch für seine Ehefrau einlegen wollte (vgl. BFH-Urteil vom 27. November 1984 VIII R 73/82, BFHE 143, 32, BStBl II 1985, 296).

Das FA hat auch nur über den Rechtsbehelf des Ehemannes der Klägerin entschieden, so daß die Klägerin durch die Einspruchsentscheidung auch nicht beschwert war.

Die Revision des FA gegen die gegenüber dem Kläger ergangene Vorentscheidung führte zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (vgl. § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

Das FG hat zwar ohne Rechtsverstoß die Abziehbarkeit der im Streitjahr 1973 vor ihrer Fälligkeit im Jahre 1974 geleisteten Schuldzinsen als Sonderausgaben gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG 1971 bejaht. Die tatsächlichen Feststellungen des FG reichen jedoch nicht aus, um beurteilen zu können, ob der Kläger auch insoweit im Streitjahr 1973 absetzbare Ausgaben geleistet hat, als die streitigen Schuldzinsen mit dem Darlehen verrechnet worden sind.

1. Die Vorentscheidung ist insoweit nicht zu beanstanden, als sie die Abziehbarkeit der streitigen Schuldzinsen in Höhe des im Oktober 1973 entrichteten Betrags von 27 384 DM als Sonderausgaben anerkennt. Dieser Betrag ist beim Kläger im Streitjahr 1973 abgeflossen. Der Kläger hat die Zinsen nicht willkürlich im Sinne der Rechtsprechung des BFH vorausgeleistet. Dem Abzug als Sonderausgaben steht Art. 1 Nr. 3 und Nr. 5a Satz 2 des Steueränderungsgesetzes 1973 vom 26. Juni 1973 (BGBl I 1973, 676, BStBl I 1973, 545) nicht entgegen. Die Vorauszahlung der im Jahre 1974 fälligen Schuldzinsen im Jahre 1973 aus Gründen der Steuerersparnis ist auch nicht rechtsmißbräuchlich i. S. von § 6 Abs. 1 des Steueranpassungsgesetzes. Der Senat verweist zur weiteren Begründung auf sein Urteil vom gleichen Tage IX R 2/80 (BFHE 145, 507, BStBl II 1986, 284).

2. Die Vorentscheidung ist aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen, weil die tatsächlichen Feststellungen die Entscheidung des FG, daß der Kläger auch den Betrag von 42 816 DM im Streitjahr 1973 gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG 1971 geleistet hat, nicht tragen.

Durch die - ausweislich der oben angeführten Abrechnung und unter den Beteiligten auch unstreitig - erfolgte Zinszahlung im Oktober 1973 von 27 384 DM hat der Kläger konkludent seinen Willen zum Ausdruck gebracht, das Angebot des Versicherers laut Abrechnung vom 1. Oktober 1973 anzunehmen, die restliche Zinsforderung in Höhe von 42 816 DM mit der Darlehensforderung über 150 000 DM zu verrechnen. Der Senat kann die vom FG unterlassene Auslegung dieses Aufrechnungsvertrages nicht vornehmen, da hierzu die tatsächlichen Feststellungen des FG nicht ausreichen (vgl. BFH-Urteil vom 11. Februar 1981 I R 13/77, BFHE 133, 3, BStBl II 1981, 475). Es fehlen Feststellungen zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Schuldzinsen, zum Zeitpunkt, in dem die Verrechnung durchgeführt werden sollte und zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Darlehensforderung über 150 000 DM.

Bei der erneuten Entscheidung wird das FG zu berücksichtigen haben, daß zwar auch eine noch nicht fällige Forderung Gegenstand vertraglicher Aufrechnung sein kann (vgl. Urteil des Reichsgerichts vom 16. März 1922 VI 541/21, RGZ 104, 186; Urteil des Bundesgerichtshofs vom 29. September 1969 II ZR 51/67, Neue Juristische Wochenschrift 1970, 41, Ziff. I); eine Leistung i. S. des § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG 1971 hat der Schuldner, der aufgrund eines Aufrechnungsvertrages eine Schuld mit einer noch nicht fälligen Forderung tilgt, aber erst im Zeitpunkt der Fälligkeit dieser Forderung bewirkt. Die Ausgabe muß wirtschaftlich aus dem Vermögen des Leistenden abgeflossen sein (vgl. BFH-Beschluß vom 6. Dezember 1965 GrS 2/64 S, BFHE 84, 399, BStBl III 1966, 144). Der wirtschaftliche Abfluß setzt voraus, daß die Forderung, mit der aufgerechnet wird, fällig ist (vgl. auch Urteil vom 19. April 1977 VIII R 119/75, BFHE 122, 111, BStBl II 1977, 601, Ziff. 4).

 

Fundstellen

Haufe-Index 414158

BFH/NV 1986, 733

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