Entscheidungsstichwort (Thema)

Realsplitting, Kinderfreibeträge 1984 und 1985, Besucherfreibetrag

 

Leitsatz (NV)

1. Der in den Jahren 1984 und 1985 geltende Höchstbetrag für das Realsplitting von 9000 DM (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG 1983) ist verfassungsgemäß.

2. Der neu geregelte Kinderfreibetrag in § 32 Abs. 8 i. V. m. § 54 EStG i. d. F. des StÄndG 1991 entlastet Eltern mit zwei Kindern in den Jahren 1984 und 1985 in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandendem Umfang.

3. Die Begrenzung des sog. Besucherfreibetrags (§ 33 a Abs. 1 a EStG 1983) auf 600 DM ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

 

Normenkette

EStG 1983 § 10 Abs. 1 Nr. 1, § 33a Abs. 1a; EStG i.d.F. des StÄndG 1991 § 32 Abs. 8; EStG i.d.F. des StÄndG 1991 § 54

 

Verfahrensgang

FG München

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurde im November 1985 von seiner Ehefrau, von der er seit Dezember 1983 getrennt lebte, geschieden. Das Recht der elterlichen Sorge für die beiden gemeinsamen Kinder (geboren 1977 und 1981) wurde der Ehefrau übertragen, die nach der Scheidung mit den Kindern nach X übersiedelte.

In den Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre 1984 und 1985 begehrte der Kläger, seine Unterhaltsleistungen an die geschiedene Ehefrau und die Kinder sowie seine Aufwendungen für die Besuche der Kinder in tatsächlicher Höhe steuerlich zu berücksichtigen.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) ließ die Unterhaltszahlungen an die Ehefrau gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes in der für die Streitjahre 1984 und 1985 geltenden Fassung (EStG) nur in Höhe von jeweils 9000 DM als Sonderausgaben zum Abzug zu. Für die Kinder des Klägers gewährte das FA gemäß § 32 Abs. 8 EStG jeweils einen halben Kinderfreibetrag von 232 DM. Für die "Aufwendungen zur Pflege des Eltern- Kind-Verhältnisses" zog es nach § 33 a Abs. 1 a EStG jeweils einen Betrag von 600 DM je Kind vom Gesamtbetrag der Einkünfte ab.

Die Einsprüche des Klägers gegen die Einkommensteuerbescheide 1984 und 1985 waren erfolglos.

Im Klageverfahren beantragte der Kläger, die Unterhaltszahlungen an die geschiedene Ehefrau in voller Höhe als Sonderausgaben abzuziehen und

die Unterhaltszahlungen an die Kinder sowie die Aufwendungen zur Wahrnehmung des Umgangsrechts in voller Höhe als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen.

Das Finanzgericht wies die Klage ab.

Mit der Revision trägt der Kläger vor: Die Vorentscheidung sei rechtsfehlerhaft, weil der Kinder- und Grundfreibetrag sowie der Freibetrag zur Wahrnehmung des Umgangsrechts in den Streitjahren zu niedrig gewesen seien. Die ihm tatsächlich entstandenen Aufwendungen überstiegen diese Freibeträge bei weitem. Das FA habe die Aufwendungen entgegen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts -- BVerfG -- (Neue Juristische Wochenschrift 1984, 2453) nur in "realitätsfremder Weise" berücksichtigt.

Während des Revisionsverfahrens hat das FA die Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre geändert und die durch das Steueränderungsgesetz (StÄndG) 1991 vom 24. Juni 1991 (BGBl I 1991, 1322, BStBl I 1991, 665) erhöhten (halben) Kinderfreibeträge abgezogen. Der Kläger hat beantragt, die Änderungsbescheide zum Gegenstand des Verfahrens zu machen (§ 68 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).

Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und das FA zu verpflichten, "unter Aufhebung der jeweils angefochtenen Einkommensteuerbescheide in Form der jeweiligen Einspruchsentscheidungen die Einkommensteuer für den Kläger neu festzusetzen unter Berücksichtigung der jeweils erstinstanzlich gestellten Anträge".

Soweit sich der Bundesfinanzhof (BFH) an einer Entscheidung im Sinne des Antrags auf Grund der Gesetzeslage gehindert sehe, regt der Kläger an, eine verfassungsgerichtliche Entscheidung durch eine Vorlage an das BVerfG herbeizuführen.

Das FA beantragt sinngemäß, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

1. Aufwendungen für den Unterhalt der geschiedenen Ehefrau sind grundsätzlich eine außergewöhnliche Belastung; der Steuerpflichtige kann die Aufwendungen bis zu einem Betrag von 3600 DM vom Gesamtbetrag der Einkünfte abziehen (§ 33 a Abs. 1 EStG). Unterhaltsleistungen an den geschiedenen Ehegatten sind dagegen Sonderausgaben, wenn der Geber dies mit Zustimmung des Empfängers beantragt (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG). Als Sonderausgaben sind sie -- in den Streitjahren -- bis zur Höhe von 9000 DM abziehbar (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG). Die den Betrag von 9000 DM übersteigenden Aufwendungen sind nicht -- auch nicht als außergewöhnliche Belastung -- abziehbar. Denn durch den Antrag des Gebers und die Zustimmung des Empfängers werden die im Kalenderjahr an den Empfänger erbrachten Unterhaltsleistungen insgesamt, nicht nur bis zu einem Betrag von 9000 DM begrifflich Sonderausgaben. Die Beschränkung des Sonderausgabenabzugs auf 9000 DM ist verfassungsmäßig (BVerfG-Beschlüsse vom 18. September 1985 1 BvR 893/85, Deutsche Steuer-Zeitung/Eildienst -- DStZ --, 1985, 326; vom 4. Juli 1988 1 BvR 729/88, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung -- HFR -- 1989, 442; vgl. auch BVerfG-Beschluß vom 21. November 1986 1 BvR 840/86, HFR 1988, 35). Die vom BVerfG in diesen Entscheidungen für die Jahre 1979 und 1983 angestellten Erwägungen gelten auch für den Streitfall. Die Sozialhilfesätze haben sich in den Streitjahren 1984 und 1985 nicht so wesentlich erhöht, daß die Berücksichtigung der Unterhaltsaufwendungen mit 9000 DM als realitätsfremd angesehen werden könnte.

2. Hinsichtlich der Unterhaltsaufwendungen für die Kinder in den Streitjahren 1984 und 1985 ist die Revision ebenfalls unbegründet.

a) Die laufenden Aufwendungen der Eltern für den Unterhalt und die Erziehung der Kinder werden durch das Kindergeld und den Kinderfreibetrag abgegolten. Soweit die Aufwendungen die Kinderfreibeträge und das Kindergeld übersteigen, können sie nicht als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden, es sei denn, es handelt sich um -- im Streitfall nicht vorliegende -- atypische, unübliche Unterhaltsaufwendungen.

b) Es ist verfassungsrechtlich weder geboten, daß Unterhaltsleistungen für die Kinder in der vollen Höhe des bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsanspruchs berücksichtigt werden noch, daß die steuerliche Entlastung für kindbedingte Aufwendungen am bürgerlich-rechtlichen Unterhalt ausgerichtet wird (BVerfG-Beschluß vom 29. Mai 1990 1 BvL 20/84, 1 BvL 26/84, 1 BvL 4/86, BVerfGE 82, 60, BStBl II 1990, 653). Die den Eltern durch Unterhaltsleistungen an die Kinder erwachsenden wirtschaftlichen Belastungen dürfen bei der Einkommensteuer pauschaliert berücksichtigt werden.

Nach der Rechtsprechung des BVerfG muß der Gesetzgeber aber "den Unterhaltsaufwand für Kinder des Steuerpflichtigen in dem Umfang als besteuerbares Einkommen außer Betracht lassen, in dem die Unterhaltsaufwendungen zur Gewährleistung des Existenzminimums der Kinder erforderlich sind" (BVerfG in BStBl II 1990, 653). Bei der Beurteilung, ob der Staat diesen Anforderungen gerecht wird, müssen die steuerlichen Kinderfreibeträge und das Kindergeld in ihrem Zusammenwirken berücksichtigt werden. Das in einen fiktiven Kinderfreibetrag umzurechnende Kindergeld und der im Einkommensteuerrecht vorgesehene Kinderfreibetrag sind dem Betrag des Existenzminimums gegenüberzustellen (BVerfG in BStBl II 1990, 653). Die Kinderfreibetragsregelung in § 32 Abs. 8 EStG in der für die Streitjahre ursprünglich geltenden Fassung entsprach diesen Voraussetzungen nicht; das BVerfG erklärte diese Regelung für unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) i. V. m. Art. 6 Abs. 1 GG. Der Gesetzgeber hat daraufhin durch das StÄndG 1991 die Kinderfreibeträge erhöht (§ 32 Abs. 8 Satz 1 i. V. m. § 54 Abs. 1 EStG i. d. F. des StÄndG 1991).

c) Diese vom FA in den Änderungsbescheiden für die Streitjahre 1984 und 1985 berücksichtigten erhöhten Freibeträge sind verfassungsgemäß.

Hinsichtlich der Methode, wie die vom Gesetzgeber steuerfrei zu belassenden Unterhaltsaufwendungen für das Existenzminimum der Kinder zu berechnen sind, schließt sich der erkennende Senat dem III. und dem VIII. Senat des BFH in den Urteilen vom 14. Januar 1994 III R 194/90 (BFHE 173, 528, BStBl II 1994, 429) und vom 21. Dezember 1993 VIII R 13/89 (BFHE 174, 328, BStBl II 1994, 734) an. Danach ist der Grundbedarf eines Kindes zu ermitteln nach dem durchschnittlichen Sozialhilferegelsatz in den Streitjahren 1984 und 1985, einem Zuschlag in Höhe von 20 v. H. des Regelsatzes für sog. Einmalbeihilfen sowie einem Zuschlag für den Wohnbedarf und für Heizkosten.

Der durchschnittliche Sozialhilferegelsatz ergibt sich aus den in den einzelnen Bundesländern für die Zeit vom 1. Juli 1983 bis 30. Juni 1984, vom 1. Juli 1984 bis 30. Juni 1985 und vom 1. Juli 1985 bis 30. Juni 1986 geltenden Regelsätzen für die vier Alterstufen bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres (vgl. Gottschick/Giese, Das Bundes sozialhilfegesetz, 8. Aufl., S. 183, und 9. Aufl., S. 191, sowie die Tabelle in Heft 72 des Karl-Bräuer-Instituts des Bundes der Steuerzahler, Steuern in Deutschland, S. 178). Er beträgt für ein Kind im Streitjahr 1984 2893,50 DM, im Streitjahr 1985 3055,50 DM.

Der Zuschlag in Höhe von 20 v. H. für Einmalbeihilfe betrug 578,70 DM für das Jahr 1984 und 611,10 DM für das Jahr 1985. Für den Wohnbedarf waren 709 DM im Jahr 1984 und 731 DM im Jahr 1985 anzusetzen. Der Heizkostenzuschlag belief sich 1984 auf 174 DM, 1985 auf 181 DM (zur Ermittlung dieser Beträge vgl. BFHE 173, 528, BStBl II 1994, 429 sowie "Steuern in Deutschland", a. a. O., S. 178 Fn. 4 und 5).

Die Gesamtleistungen der Sozialhilfe betrugen sonach für ein Kind bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres 4356 DM im Streitjahr 1984 (ebenso VIII. Senat in BFHE 174, 328, BStBl II 1994, 734) und 4579 DM im Streitjahr 1985, für zwei Kinder dementsprechend 8712 DM im Jahr 1984 und 9158 DM im Jahr 1985.

Die steuerliche Gesamtentlastung für zwei Kinder betrug in den Streitjahren 1984 und 1985 -- wenn man das Kindergeld mit einem Steuersatz von 40 v. H. in einen fiktiven Kinderfreibetrag umrechnet (1440 DM : 40 x 100 = 3600 DM) und den Kinderfreibeträgen (2432 DM + 1832 DM) hinzurechnet -- jährlich 7864 DM. Der steuerliche Entlastungsbetrag bleibt somit im Streitjahr 1984 gegenüber den Gesamtleistungen für Sozialhilfe in Höhe von 8712 DM mit 848 DM (= 9,73 v. H.) und im Streitjahr 1985 gegenüber den Gesamtleistungen für Sozialhilfe in Höhe von 9158 DM mit 1294 DM (= 14,13 v. H.) zurück.

Der erkennende Senat schließt sich der Auffassung des III. Senats in BFHE 173, 528, BStBl II 1994, 429 an, daß bei einer Abweichung von unter 15 v. H. noch kein evidenter, zur Verfassungswidrigkeit des Kinderlastenausgleichs führender Verfassungsverstoß i. S. des BVerfG in BVerfGE 82, 60, BStBl II 1990, 653 (Abschn. C III. Nr. 4) vorliegt. Konkrete verfassungsrechtliche Einwendungen gegen die geänderten Kinderfreibeträge für die Streitjahre 1984 und 1985 hat auch der Kläger nicht vorgebracht.

d) Da der volle Kinderfreibetrag den Eltern nur gemeinsam zusteht, bestehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die gesetzliche Regelung insoweit, als dem Kläger allein nur der halbe Kinderfreibetrag gewährt wird.

3. Aufwendungen zur Wahrnehmung des Umgangsrechts mit den Kindern -- wie sie der Kläger geltend macht -- werden nach § 33 a Abs. 1 a EStG pauschal durch einen Abzug vom Gesamtbetrag der Einkünfte in Höhe von 600 DM je Kind abgegolten. Darüber hinausgehende Aufwendungen werden steuerrechtlich nicht berücksichtigt. Das BVerfG hat die Regelung des § 33 a Abs. 1 a EStG als verfassungsgemäß beurteilt (Beschlüsse vom 7. Juni 1993 2 BvR 194/91, HFR 1993, 594, DStZ 1993, 533, und vom 2. November 1995 2 BvR 496/90, DStZ 1996, 112).

 

Fundstellen

Haufe-Index 421656

BFH/NV 1996, 889

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