Entscheidungsstichwort (Thema)

Erstattung von Währungsausgleichsbeträgen aus Billigkeitsgründen

 

Leitsatz (NV)

Die Billigkeitsregelung der VO (EWG) Nr. 1608/74 kann auch auf Einfuhren aufgrund von Verträgen angewendet werden, die vor dem 4. Juni 1973 abgeschlossen worden sind.

 

Normenkette

EWGV 1608/74

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) kaufte mit Verträgen vom 16. Mai 1973 bzw. 29. Mai 1973 kanadischen Weichweizen bzw. USA-Weizen auf USDollar-Basis. Sie verkaufte die Waren am 16. Mai bzw. 5. Juni 1973 verzollt an inländische Käufer auf DM-Basis weiter. Den Weizen führte sie am 1. August 1973 bzw. 23. Juli 1973 ein und entrichtete die Eingangsabgaben einschließlich der Währungsausgleichsbeträge (WAB). Die erhobenen WAB wurden zu den aufgrund der Verordnung (EWG) Nr. 1786/73 (VO Nr. 1786/73) der Kommission vom 2. Juli 1973 (Amtsblatt der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaften - ABlEG - L 180/1 vom 3. Juli 1973) erhöhten Sätzen berechnet. Die Erhöhung geht auf die DM-Aufwertung zum 29. Juni 1973 zurück. Die Anträge der Klägerin, auf die Erhebung der erhöhten WAB zu verzichten, lehnte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt - HZA -) mit Schreiben vom 11. August 1977 mit der Begründung ab, der Klägerin habe aufgrund der Verkaufsverträge das Recht zugestanden, den Erhöhungsbetrag an ihre Abnehmer weiterzugeben.

Mit ihren nach erfolglosen Beschwerden erhobenen Klagen beantragt die Klägerin, unter Aufhebung der genannten Bescheide in Gestalt der Beschwerdeentscheidungen das HZA zu verpflichten, den Erstattungsanträgen stattzugeben. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit folgender Begründung ab: Für den geltend gemachten Anspruch fehle die Rechtsgrundlage. Nach Wortlaut, Sinn und Zweck der Verordnung (EWG) Nr. 1608/74 (VO Nr. 1608/74) der Kommission vom 26. Juni 1974 (ABlEG L 170/38 vom 27. Juni 1974) komme ein Erlaß von WAB aus Billigkeitsgründen nur für solche Verträge in Betracht, die nach dem 4. Juni 1973 abgeschlossen worden seien. Art. 1 VO Nr. 1608/74 knüpfte an das zum genannten Zeitpunkt in Kraft getretene System der festen WAB an. Aufgrund der Anknüpfung an Währungsmaßnahmen nach dem genannten Stichtag greife die VO Nr. 1608/74 nur bei solchen Einfuhrverträgen ein, die während ihrer Laufzeit von einer solchen Währungsmaßnahme betroffen würden. Die VO Nr. 1608/74 sei Ausdruck eines Vertrauensschutzes, den es naturgemäß nicht bei einem System schwankender WAB geben könne, sondern nur bei relativ stabilen WAB, wie es sie bei dem am 4. Juni 1973 eingeführten System gebe. Unstreitig habe die Klägerin die Einkaufsverträge vor dem 4. Juni 1973 abgeschlossen.

Die Klägerin macht mit ihrer Revision geltend, das FG habe die VO Nr. 1608/74 falsch und insbesondere Art. 6 Satz 2 VO Nr. 1608/74 gegen ihren klaren Wortlaut unrichtig ausgelegt. Sie verweist auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 10. Oktober 1985 Rs. 183/84 (Zeitschrift für Zölle + Verbrauchsteuern - ZfZ - 1985, 362), wonach die VO Nr. 1608/74 dahin auszulegen sei, ,,daß der Erlaß oder die Erstattung von bei der Einfuhr erhobenen WAB aus Billigkeit auch dann gewährt werden kann, wenn die der Einfuhr zugrunde liegenden Verträge vor dem 4. Juni 1973 geschlossen worden sind". Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und der Klage gemäß den in der ersten Instanz gestellten Anträgen stattzugeben, hilfsweise, den Rechtsstreit an das FG zurückzuverweisen.

Das HZA beantragte zunächst, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Nach Bekanntwerden des EuGH-Urteils in ZfZ 1985, 362 stellte das HZA den Antrag, den Rechtsstreit zur Beurteilung in tatsächlicher Hinsicht an das FG zurückzuverweisen. Es macht u. a. geltend: Eine Erstattung komme nur in Betracht, wenn die zusätzliche Belastung übermäßig sei (Art. 2 Abs. 2 Buchst. b VO Nr. 1608/74). Im vorliegenden Fall seien die eingeführten Waren gegen Verkaufsverträge ausgeliefert worden, die die Klägerin auf der Grundlage der Einheitsbedingungen im deutschen Getreidehandel bzw. auf der Grundlage der Hamburger Getreideschlußscheine abgeschlossen habe. Danach habe die Klägerin das Recht, die Mehrkosten auf ihre Abnehmer abzuwälzen. Wenn sie davon keinen Gebrauch gemacht habe, so habe sie die Folgen selbst zu vertreten und zu tragen. Der Rechtsstreit müsse zur Beurteilung in tatsächlicher Hinsicht an das FG zurückverwiesen werden.

 

Entscheidungsgründe

Auf die Revision des HZA ist die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Das FG hat die Abweisung der Klage allein damit begründet, daß die Regelung der VO Nr. 1608/74 auf Einfuhren aufgrund von Verträgen nicht angewendet werden könne, die vor dem 4. Juni 1973 abgeschlossen worden sind. Diese Rechtsauffassung ist nach dem Urteil des EuGH in ZfZ 1985, 362 unrichtig. Wegen dieses Rechtsfehlers ist die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Es fehlen die tatsächlichen Feststellungen, die es dem Senat ermöglichten, darüber zu entscheiden, ob die Voraussetzungen des Art. 2 Abs. 2 VO Nr. 1608/74 erfüllt sind.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414610

BFH/NV 1987, 338

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