Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Geschäftsveräußerung mangels Fortführung der wirtschaftlichen Tätigkeit des Veräußerers; Umsatzsteuerfreiheit einer Grunddienstbarkeit i.S. der §§ 1018 ff. BGB

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine nicht steuerbare Geschäftsveräußerung im Ganzen i.S. des § 1 Abs. 1 a UStG setzt voraus, dass der Erwerber die wirtschaftliche Tätigkeit des Veräußerers fortführen kann.

2. Zu den dinglichen Nutzungsrechten, deren Bestellung nach § 4 Nr. 12 Buchst. c UStG von der Umsatzsteuer befreit ist, gehört die Grunddienstbarkeit i.S. der §§ 1018 ff. BGB, wenn der Nutzungsberechtigte ―vergleichbar einem Eigentümer― Unbefugte von der Nutzung ausschließen kann.

 

Normenkette

EWGRL 388/77 Art. 13 Teil B Buchst. b; UStG 1993 § 1 Abs. 1a, § 4 Nrn. 8-9, 12 Buchst. a, c, § 9 Abs. 2

 

Verfahrensgang

FG Hamburg (Entscheidung vom 18.09.2002; Aktenzeichen II 168/01; EFG 2003, 267)

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH & Co. KG, erwarb mit notariellem Vertrag vom 28. September 1994 ein unbebautes Grundstück und bebaute es in der Folgezeit mit einem Büro- und Wohngebäude. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) war die Klägerin bereits mit dem Ziel gegründet worden, ein unbebautes Grundstück zu erwerben, dieses mit einem Büro- und Wohngebäude zu bebauen, die Wohn- und Gewerbeeinheiten zu vermieten und das Grundstück anschließend zu veräußern.

Während der Bauphase verkaufte die Klägerin das Grundstück mit notariellem Kaufvertrag vom 20. Juni 1996 an eine GbR (Erwerberin). Als Tag der Übergabe war der 30. Dezember 1996 vereinbart. Die Klägerin verpflichtete sich gegenüber der Erwerberin, auf dem Grundstück ein Gebäude mit vier gewerblich genutzten Einheiten und 16 Wohneinheiten zu errichten und diese zu vermieten. Die Bezugsfertigkeit der Geschäftsräume für eine Bank garantierte die Klägerin zum 30. November 1996, die der übrigen Einheiten zum 31. März 1997. Die Mietzahlung der Bank für den Monat Dezember 1996 vereinnahmte die Klägerin, die übrigen Mietzahlungen flossen nach der Übergabe des Grundstücks der Erwerberin zu.

Nach den Feststellungen des FG beabsichtigte die Klägerin, von der Gesamtmietfläche (1 788,39 qm) Teilbereiche von insgesamt 256,61 qm umsatzsteuerpflichtig und die übrigen Bereiche (1 539,78 qm) steuerfrei zu vermieten und das Gesamtobjekt sodann in vermietetem Zustand zu verkaufen.

Mit ihren Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre 1996 und 1997 nahm die Klägerin einen anteiligen Vorsteuerabzug aus den von ihr im Rahmen der Errichtung des Gesamtobjektes bezogenen Bauleistungen in Anspruch. Der anteilige Vorsteuerabzug entsprach dabei dem Verhältnis der vermieteten Grundfläche zur Gesamtmietfläche (14,35 v.H.). Den Verkauf des Grundstücks behandelte die Klägerin als nicht steuerbare Geschäftsveräußerung.

Ferner verpflichtete sich die Klägerin gegenüber den Eigentümern des Nachbargrundstücks (Nachbarn), die darauf ebenfalls Wohn- und Geschäftshäuser errichteten, zur Errichtung einer Toreinfahrt an der gemeinsamen Grundstücksgrenze und zur Einräumung eines Geh- und Fahrrechts, um das Erreichen von Abstellplätzen für das Nachbargrundstück zu gewährleisten. Wie vereinbart, wurde in Abteilung 2 des Grundbuchs für das Geh- und Fahrrecht eine Grunddienstbarkeit zugunsten der jeweiligen Eigentümer des Nachbargrundstücks eingetragen. Mit Schreiben vom 24. März 1997 stellte die Klägerin den Nachbarn einen Betrag von 200 000 DM in Rechnung; die Zahlung behandelte sie als Entgelt für einen umsatzsteuerfreien Umsatz.

Die vertragliche Regelung lautet im Wortlaut auszugsweise wie folgt:

"… X und Y werden die Grundstücke mit Wohn- und Geschäftshäusern bebauen. Beide Firmen verpflichten sich hiermit im Rahmen des Nachbarschaftsrechts zu gegenseitiger Unterstützung ihrer Baumaßnahmen und zur Abgabe der erforderlichen Erklärungen gegenüber den Baugenehmigungsbehörden.

Die X erstellt entlang der gemeinsamen Grundstücksgrenze von X und Y eine Toreinfahrt, die zum Befahren und Begehen geeignet ist. Diese Toreinfahrt hat ebenfalls eine ausreichende Durchfahrtshöhe für das Plazieren des Trafogebäudes und den Abbau der Baukräne nach Beendigung der Bauarbeiten. Maximale Durchfahrtshöhe 3,50 m.

Die X gestattet der Y an dieser Durchfahrt ein Geh- und Fahrrecht, damit die Y die Abstellplätze und die Hoffläche auf ihrem Grundstück erreichen kann. Dieses Wegerecht soll als Baulast im Baulastenverzeichnis und im Grundbuch gesichert werden. Für die Erstellung der Toreinfahrt und die Nutzung zahlt die Y an die X einen einmaligen Betrag in Höhe von 200.000 DM."

Im Anschluss an eine Umsatzsteuersonderprüfung behandelte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) die Veräußerung des bebauten Grundstücks als einen nach § 4 Nr. 9 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG) steuerfreien Umsatz und versagte den anteiligen Vorsteuerabzug aus der Errichtung des Gebäudekomplexes. Außerdem behandelte das FA die Zahlung der 200 000 DM durch die Nachbarn als Entgelt für eine steuerpflichtige sonstige Leistung der Klägerin.

Die hiergegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hatte überwiegend Erfolg. Die Entscheidung des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2003, 267 veröffentlicht.

Das FG hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts. Zur Begründung macht es im Wesentlichen geltend, die vom FG seiner Entscheidung zugrunde gelegte Absicht der Klägerin zur Ausführung gewerblicher Vermietungsumsätze finde weder in den Vorträgen der Beteiligten noch sonst eine Grundlage. Auch habe das FG zu Unrecht eine Geschäftsveräußerung im Ganzen angenommen, weil das Grundstück keine wesentliche Betriebsgrundlage dargestellt habe und weder Know-how noch die für den Betrieb eines Bauträgerunternehmens maßgeblichen Geschäftskontakte übertragen worden seien. Die Einräumung des Wegerechts falle nicht unter § 4 Nr. 12 Buchst. c UStG, weil die Klägerin die Toreinfahrt ebenfalls habe nutzen dürfen. § 4 Nr. 12 Buchst. c UStG setze aber den Ausschluss der Nutzung durch den Eigentümer voraus. Außerdem sichere die Einräumung des Wegerechts eine steuerpflichtige Leistung der Klägerin. Durch die Einräumung des Wegerechts sei es den Nachbarn erspart geblieben, eine eigene Toreinfahrt oder einen eigenen Weg zu errichten. Außerdem habe das zu erwerbende Grundstück geschlossen bebaut und deshalb besser genutzt werden können.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin ist der Revision entgegengetreten.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist zum Teil begründet. Sie führt hinsichtlich Umsatzsteuer 1996 zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Abweisung der Klage sowie zur Neufestsetzung der Umsatzsteuer 1997 (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).

1. Die Revision ist begründet, soweit sie sich gegen die Anerkennung von Vorsteuerbeträgen aus den Herstellungsleistungen für den Gebäudekomplex richtet. Der Klägerin steht diesbezüglich gemäß § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG kein Vorsteuerabzug zu, weil sie die Leistungsbezüge zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet hat.

a) Die Veräußerung des Gesamtobjektes ist ein unter das Grunderwerbsteuergesetz (GrEStG) fallender und damit nach § 4 Nr. 9 UStG steuerfreier Umsatz. Hierbei hat es sich entgegen der Ansicht des FG nicht um eine den Vorsteuerabzug unberührt lassende nicht steuerbare Geschäftsveräußerung i.S. des § 1 Abs. 1 a UStG gehandelt. Eine Geschäftsveräußerung liegt nach dieser Vorschrift u.a. vor, wenn ein Unternehmen im Ganzen übereignet wird. Das setzt die Übertragung der wesentlichen Betriebsgrundlagen des Unternehmens voraus, wobei ggf. auch deren langfristige Überlassung zur Nutzung ausreichen kann. Was die wesentlichen Betriebsgrundlagen eines Unternehmens sind, richtet sich im Einzelfall nach der Art und dem Wirtschaftszweig des Unternehmens.

Nach diesen Grundsätzen liegt keine Geschäftsveräußerung im Ganzen vor. Zwar hat es der Senat im Beschluss vom 1. April 2004 V B 112/03 (BFH/NV 2004, 1198) als nicht ernstlich zweifelhaft beurteilt, dass bei der Veräußerung verpachteter oder vermieteter Immobilien unter Fortführung der Pacht-/Mietverträge durch den Erwerber eine nicht steuerbare Geschäftsveräußerung i.S. des § 1 Abs. 1 a UStG vorliegen kann. Damit sind die Voraussetzungen im Streitfall aber nicht vergleichbar. Mit dem erworbenen Grundstück hat die Erwerberin die selbständige wirtschaftliche Tätigkeit der Klägerin nicht fortführen können.

Ein Vermietungsunternehmen, das die Erwerberin hätte fortführen können, hat die Klägerin nicht betrieben. Sie hat zwar die Bürofläche an die Bank für einen Monat vermietet. Die Klägerin hat aber keine nachhaltige Vermietung als Gegenstand ihrer unternehmerischen Tätigkeit beabsichtigt. Nach den Feststellungen des FG ist es ihr vielmehr darauf angekommen, das Gebäude zu errichten und Mieter für die einzelnen Mieteinheiten zu finden, um eine möglichst lukrative Veräußerung zu gewährleisten. Die Klägerin hat damit ein auf ein Großprojekt beschränktes Bauträgerunternehmen betrieben. Allein der Umstand, dass sie für einen Monat Mieteinnahmen erzielt hat, fällt dagegen nicht ins Gewicht. Dieses Unternehmen hat die Erwerberin nicht fortführen können, weil es mit Errichtung, Vermietung und Verkauf abgeschlossen gewesen ist. Die Erwerberin hat ein anders geartetes Unternehmen, nämlich ein Vermietungsunternehmen, betrieben.

b) Die Klägerin hat die Eingangsleistungen auch nicht zur Ausführung sonstiger steuerpflichtiger Umsätze verwendet. Die Vermietung an die Bank ist gemäß § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG umsatzsteuerfrei erfolgt. Insoweit ist eine Option der Klägerin nach § 9 Abs. 2 UStG ausgeschlossen gewesen, weil die Bank das Grundstück nicht ausschließlich für Umsätze verwendet hat, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen, sondern zumindest teilweise zur Ausführung von nach § 4 Nr. 8 UStG steuerfreien Umsätzen.

c) Steuerpflichtige Umsätze hat die Klägerin auch nicht hinsichtlich der gewerblich genutzten Gebäudeteile ausgeführt. Zwar hat sie insoweit noch die Mietverträge mit den Mietern geschlossen. Die Vermietungsleistung besteht aber nicht im Abschluss des Mietvertrages, sondern sie wird erst mit der tatsächlichen Nutzungsüberlassung ausgeführt. Diese ist erst durch die Erwerberin erfolgt.

2. Die Revision ist unbegründet, soweit mit ihr gerügt wird, das FG habe die Übertragung der Grunddienstbarkeit zu Unrecht als steuerfrei i.S. des § 4 Nr. 12 Buchst. c UStG behandelt. Bei der Verpflichtung zur Errichtung einer Toreinfahrt und der Einräumung einer Grunddienstbarkeit handelt es sich um eine einheitliche, nach § 4 Nr. 12 Buchst. c UStG steuerfreie Leistung der Klägerin. Nach dieser Vorschrift ist von der Umsatzsteuer u.a. die Bestellung von dinglichen Nutzungsrechten befreit. Hierzu gehört auch die Grunddienstbarkeit i.S. der §§ 1018 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Das gilt unabhängig davon, ob mit der Einräumung des Rechts der Ausschluss der Nutzung durch andere verbunden ist. Diese Auslegung steht im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht, insbesondere mit der Regelung in Art. 13 Teil B Buchst. b Satz 1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG). Danach sind nur die Vermietung und Verpachtung von der Mehrwertsteuer befreit. Unter die gemeinschaftsrechtlichen Begriffe Vermietung und Verpachtung fallen auch dingliche Nutzungsrechte, die ―wie im Streitfall die Einräumung des Wegerechts― dem Inhaber ein Nutzungsrecht an dem Grundstück geben (Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften ―EuGH―, Urteil vom 4. Oktober 2001 Rs. C-326/99, Stichting Goed Wonen, Umsatzsteuer-Rundschau ―UR― 2001, 484). Nicht erforderlich ist, dass der Nutzungsberechtigte das Nutzungsrecht alleine ausüben kann; es genügt, wenn er ―vergleichbar einem Eigentümer― (EuGH in UR 2001, 484 Randnr. 55) Unbefugte von der Nutzung ausschließen kann.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1383181

BFH/NV 2005, 1467

BStBl II 2007, 61

BFHE 2006, 146

BFHE 210, 146

BB 2005, 1609

DB 2005, 1553

DStR 2005, 1226

DStRE 2005, 923

DStZ 2005, 505

HFR 2005, 889

UR 2005, 547

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