Entscheidungsstichwort (Thema)

Unterlassener Hinweis auf Monatsfrist nach § 68 Satz 2 FGO führt zur Jahresfrist - Zurückweisung einer unbegründeten Revision, wenn das FG die Klage zu Unrecht als unzulässig abgewiesen hat - Begründungserleichterung bezieht sich nicht auf den Tatbestand

 

Leitsatz (amtlich)

Wird der angefochtene Verwaltungsakt nach Klageerhebung durch einen anderen Verwaltungsakt geändert oder ersetzt und weist das FA entgegen § 68 Satz 3 FGO in der Rechtsbehelfsbelehrung nicht auf die in § 68 Satz 2 FGO vorgeschriebene Monatsfrist für den Antrag, den neuen Verwaltungsakt zum Gegenstand des Verfahrens zu machen, hin, kann der Antrag entsprechend § 55 Abs. 2 Satz 1 FGO grundsätzlich innerhalb eines Jahres nach Bekanntgabe des neuen Verwaltungsaktes gestellt werden.

 

Orientierungssatz

1. Hat das FG eine Klage zu Unrecht als unzulässig abgewiesen, kann der BFH die Revision des Klägers nach § 126 Abs. 4 FGO als unbegründet zurückweisen, wenn die Klage unbegründet ist (vgl. BFH-Urteil vom 22.4.1986 VII R 184/85; Literatur).

2. Die in § 105 Abs. 5 FGO vorgesehenen Begründungserleichterungen beziehen sich nur auf die Entscheidungsgründe (§ 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO), nicht aber auf den Tatbestand (§ 105 Abs. 2 Nr. 4 FGO; vgl. Literatur).

 

Normenkette

FGO § 55 Abs. 2 S. 1, § 68 Sätze 2-3, § 105 Abs. 2 Nrn. 4-5, Abs. 5, § 126 Abs. 4

 

Tatbestand

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte den von den Klägern und Revisionsklägern (Kläger), zur Einkommensteuer zusammen veranlagten Eheleuten, geltend gemachten Werbungskostenüberschuß bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung nicht. Der Einspruch blieb erfolglos.

Den während des finanzgerichtlichen Verfahrens ergangenen Änderungsbescheid vom 28. April 1993 gab das FA dem Prozeßbevollmächtigten der Kläger bekannt und wies auf die Möglichkeit hin, beim Finanzgericht (FG) nach § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zu beantragen, den Bescheid zum Gegenstand des Klageverfahrens zu machen. Die in § 68 Satz 2 FGO i.d.F. des FGO-Änderungsgesetzes vom 21. Dezember 1992 (BGBl I, 2109, BStBl I 1993, 90) vorgeschriebene Monatsfrist für den Antrag erwähnte das FA nicht.

Der vom Vorsitzenden bestimmte Richter (der Berichterstatter) forderte den Prozeßbevollmächtigten der Kläger mit Verfügung vom 18. August 1993 auf, bis zum 20. September 1993 mitzuteilen, ob beantragt werde, den geänderten Bescheid zum Gegenstand des Verfahrens zu machen. Das FG wies die Klage durch Gerichtsbescheid mit der Begründung ab, die Kläger hätten nicht beantragt, den Änderungsbescheid zum Gegenstand des Verfahrens zu machen, und ihn auch nicht mit dem Einspruch angefochten. Die Kläger beantragten innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids, eine mündliche Verhandlung durchzuführen und den Änderungsbescheid zum Gegenstand des Verfahrens zu machen.

Das FG wies die Klage durch das angefochtene Urteil als unzulässig ab. Die Kläger hätten den Antrag nach § 68 FGO nicht innerhalb der in § 68 Satz 2 FGO vorgeschriebenen Monatsfrist gestellt. Diese Frist laufe auch dann, wenn das FA in dem Änderungsbescheid nicht auf sie hinweise. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nicht zu gewähren, weil die Kläger den Antrag nach § 68 FGO nicht innerhalb der ihnen vom Berichterstatter gesetzten Frist gestellt hätten. Die Klage wäre im übrigen auch nicht begründet. Dies ergebe sich aus den zutreffenden Gründen der Einspruchsentscheidung, auf die gemäß § 105 Abs. 5 FGO verwiesen werde.

Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung von § 68 i.V.m. § 55 Abs. 2 FGO. Weise das FA in einem Änderungsbescheid nicht auf die Monatsfrist des § 68 Satz 2 FGO hin, laufe nicht diese, sondern eine Jahresfrist.

Die Kläger beantragen, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Die Vorentscheidung ist aufzuheben und die Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).

1. Das FG hat zu Unrecht angenommen, die Kläger hätten verspätet beantragt, den Änderungsbescheid zum Gegenstand des Verfahrens zu machen.

a) Der Antrag, einen Änderungsbescheid nach § 68 Satz 1 FGO zum Gegenstand des Verfahrens zu machen, ist nach § 68 Satz 2 FGO innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des neuen Verwaltungsaktes zu stellen. Hierauf ist in der Rechtsbehelfsbelehrung hinzuweisen (§ 68 Satz 3 FGO).

Fehlt dieser Hinweis, wird die Monatsfrist entsprechend § 55 Abs. 2 Satz 1 FGO durch eine Jahresfrist ersetzt.

§ 68 FGO regelt nicht ausdrücklich die Folgen, die sich ergeben, wenn das FA in der Rechtsbehelfsbelehrung entgegen § 68 Satz 3 FGO nicht auf die Monatsfrist des § 68 Satz 2 FGO hinweist. Die Vorschrift des § 55 Abs. 2 Satz 1 FGO, die bei unterbliebener oder unrichtiger Rechtsbehelfsbelehrung die Einlegung des Rechtsbehelfs grundsätzlich innerhalb eines Jahres seit Bekanntgabe zuläßt, ist nicht unmittelbar anwendbar, wenn man den Antrag nach § 68 FGO entsprechend der bisherigen Rechtsprechung als Klageänderung und nicht als Rechtsbehelf beurteilt (vgl. Beschluß des Großen Senats des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 8. November 1971 GrS 9/70, BFHE 103, 549, BStBl II 1972, 219). § 55 Abs. 2 Satz 1 FGO ist dann aber entsprechend anwendbar. Das Versäumen der Frist des § 68 Satz 2 FGO führt wie das Versäumen einer Rechtsbehelfsfrist zur Unzulässigkeit des Antrags. Der vom Gesetzgeber mit der Regelung des § 55 Abs. 2 Satz 1 FGO verfolgte Zweck, den Betroffenen bei unterbliebener oder unrichtiger Belehrung zu schützen, gilt auch für die in § 68 Satz 3 FGO vorgeschriebene Belehrung über die Frist des § 68 Satz 2 FGO (von Groll, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 1994, 117, 120; Buciek, DStR 1993, 118, 122, und Der Betrieb 1994, 1442, 1444; Rößler, Deutsche Steuer-Zeitung 1993, 685, 686; Bilsdorfer, Die Information über Steuer und Wirtschaft 1993, 431 a; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 68 FGO Tz.6).

b) Die Kläger haben den Antrag nach § 68 FGO innerhalb der Jahresfrist und somit rechtzeitig gestellt. Die Verfügung des Berichterstatters vom 18. August 1993 ließ die Jahresfrist unberührt. Der Berichterstatter hat in der Verfügung nicht auf die in § 68 Satz 2 FGO vorgeschriebene Monatsfrist hingewiesen. Der Senat braucht daher nicht zu entscheiden, ob ein solcher Hinweis die Monatsfrist in Lauf setzen könnte.

2. Da das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, ist die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Hat das FG eine Klage zu Unrecht als unzulässig abgewiesen, kann zwar der BFH die Revision des Klägers nach § 126 Abs. 4 FGO als unbegründet zurückweisen, wenn die Klage unbegründet ist (BFH-Urteil vom 22. April 1986 VII R 184/85, BFHE 146, 302; Gräber/Ruban, FGO, § 126 Anm. 7; Tipke/Kruse, a.a.O., § 126 FGO Tz.9). Das FG hat im Streitfall aber keine hinreichenden Feststellungen getroffen, die eine Entscheidung über die Begründetheit der Klage ermöglichen (vgl. BFH-Urteil vom 28. November 1972 VIII R 142-144/70, BFHE 108, 275, BStBl II 1973, 497). Die Verweisung auf die Einspruchsentscheidung ersetzt solche Feststellungen nicht. Die in § 105 Abs. 5 FGO vorgesehenen Begründungserleichterungen beziehen sich nur auf die Entscheidungsgründe (§ 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO), nicht aber auf den Tatbestand (§ 105 Abs. 2 Nr. 4 FGO; Gräber/von Groll, a.a.O., § 105 Anm. 29; Tipke/Kruse, a.a.O., § 105 FGO Tz.5 b).

 

Fundstellen

Haufe-Index 65508

BFH/NV 1995, 45

BStBl II 1995, 328

BFHE 176, 315

BFHE 1995, 315

BB 1995, 764 (L)

DB 1995, 760 (L)

DStR 1995, 568-569 (KT)

DStZ 1995, 574 (L)

HFR 1995, 331 (LT)

StE 1995, 253 (K)

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