Leitsatz (amtlich)

Nehmen sich Mitglieder einer aus Arbeitskollegen bestehenden Fahrgemeinschaft wöchentlich abwechselnd in ihrem PKW zu gemeinsamen Fahrten von der Wohnung zur Arbeitsstätte am gleichen Arbeitsort mit, so können sie jeweils nur die Pauschsätze nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG für die Fahrten mit dem eigenen PKW als Werbungskosten geltend machen. Das gilt auch dann, wenn sie für den Jahresschluß eine gegenseitige finanzielle Verrechnung vereinbart und durchgeführt haben.

 

Normenkette

EStG § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) und drei Kollegen wohnten in A und waren in B als Arbeitnehmer tätig. Sie stellten im Streitjahr 1970 wöchentlich abwechselnd ihren PKW für tägliche gemeinsame Fahrten zum Arbeitsplatz in B zur Verfügung, und zwar der Kläger an 13 Wochen, während er an 35 Arbeitswochen bei den anderen drei Kollegen mitfuhr. Die beteiligten dieser Fahrgemeinschaft verpflichteten sich gegenseitig, für die Mitnahme beim Kollegen an diesen 13 DM pro Woche, d. h. den Betrag für die Beförderung mit einem öffentlichen Verkehrsmittel, zu zahlen.

Der Kläger machte in der Einkommensteuererklärung 1970 folgende Fahrtkosten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte geltend:

Fahrten mit dem eigenen PKW VW 1300 von A nach B 234 DM

Zahlungen an die Fahrgemeinschaft durch Verrechnung gemäß Quittung 455 DM

zusammen 689 DM

Der Einkommensteuererklärung lag eine Quittung bei, in der die drei Kollegen dem Kläger bestätigten, daß sie im Jahr 1970 vom Kläger für die Mitnahme zur Arbeitsstätte in ihrem PKW 455 DM (35 Wochen x 13 DM) "durch Verrechnung erhalten" hätten.

Der Beklagte und Revisionskläger (FA) ließ im Einkommensteuerbescheid 1970 Pauschbeträge für Fahrten mit dem eigenen PKW von A nach B von 468 DM (20 km x 0,36 DM x 65 Tage) zum Abzug zu.

Es erkannte die innerhalb der Fahrgemeinschaft verrechneten Beträge von 455 DM nicht als Werbungskosten an, da die Fahrgemeinschaft eine BGB-Gelegenheitsgesellschaft sei mit dem Ziel, ihren Gesellschaftern auf möglichst einfache und billige Art die Erreichung ihres Arbeitsorts zu ermöglichen. Das Zurverfügungstellen der Fahrzeuge sei als Sachbeitrag der Gesellschafter anzusehen.

Die Sprungklage hatte Erfolg. Das FG führte aus, der Kläger könne die Kosten, die ihm durch die Mitnahme im Fahrzeug seiner Berufskollegen entstanden seien, als Werbungskosten abziehen, weil es sich um einen beruflichen Aufwand handle. Das Gericht sei aufgrund der mündlichen Verhandlung und der Angaben der als Zeugen vernommenen drei Kollegen des Klägers zu dem Ergebnis gelangt, daß die Fahrgemeinschaft nicht als BGB-Gesellschaft zu werten sei. Bei einer BGB-Gesellschaft müßten sich die Beteiligten vertraglich geeinigt haben, zur Erreichung und Förderung eines gemeinschaftlichen Zweckes Beiträge zu leisten. Die Beteiligten hätten sich im Streitfall nicht verpflichtet, ihre Fahrzeuge für gemeinschaftliche Fahrten zur Verfügung zu stellen. Sie hätten lediglich verabredet, daß jeder Mitfahrer einen Betrag von 13 DM dem Kollegen schulden solle, wenn dieser ihn eine Woche lang zur Arbeitsstätte Mitgenommen habe. Die gegenseitigen Ansprüche sollten am Ende des Jahres ermittelt und, soweit sie nicht aufrechenbar seien, durch Barzahlung ausgeglichen werden. Tatsächlich habe einer der Beteiligten am Ende des Jahres einen Spitzenbetrag von 13 DM an den Kläger gezahlt. Die Arbeitskollegen hätten durch die Vereinbarung eines Entgeltes von 13 DM wöchentlich eine klare Abrechnung insbesondere für den Fall sicherstellen wollen, daß während des Streitjahres einer von ihnen aus der Fahrgemeinschaft hätte ausscheiden müssen.

Das FA rügt mit der Revision unrichtige Anwendung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG. Es führt aus, der Ansicht des FG könne nach der im Steuerrecht gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise nicht gefolgt werden. Grundlage der zwischen den Mitgliedern der Fahrgemeinschaft getroffenen Vereinbarungen sei die gegenseitige unentgeltliche Mitnahme und die abwechselnde Bereitstellung der Fahrzeuge. Das zeige sich u. a. darin, daß das sog. Entgelt für die Mitnahme nicht am Ende einer Woche, sondern erst am Schluß des Kalenderjahres gezahlt bzw. verrechnet werden sollte. Eine solche Regelung sei ohne aufrechenbare Gegenansprüche nicht üblich. Die Verpflichtung zur gegenseitigen Mitnahme und Bereitstellung der Fahrzeuge müsse trotz entgegenstehender Aussagen der drei als Zeugen vernommenen Mitglieder der Fahrgemeinschaft unterstellt werden. Es sei daher eine BGB-Gesellschaft anzunehmen. Der von den Gesellschaftern erstrebte steuerliche Erfolg sel nur bei abwechselnden Fahrten zu erreichen gewesen. Andernfalls würde die Mitfahrerentschädigung die Grenze von 500 DM überschritten und beim Empfänger als sonstige Einkünfte i. S. des § 22 Nr. 3 EStG einkommensteuerpflichtig geworden sein. Es sei im übrigen zu prüfen, ob die von den Mitgliedern der Fahrgemeinschaft behauptete Vertragsgestaltung als Mißbrauch von Formen und Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechts nach § 6 Abs. 1 StAnpG zu verwerfen sei. Zumindest müßten die Zahlungen der drei Arbeitskollegen die beim Fahrer anzusetzenden Werbungskosten mindern. Die Mitnahme sei erfolgt, um die bei Benutzung eines Kraftfahrzeugs für Fahrten zur Arbeitsstätte entstehenden erheblichen Kosten zu verringern. Es sei deshalb folgerichtig, die bei dem jeweiligen Fahrer nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG anzusetzenden Werbungskosten um die von den Mitfahrern gezahlten Erstattungen auch dann zu kürzen, soweit durch die Mitnahme ein besonderer Mehraufwand (z. B. durch Umwege) nicht entstanden sei. Von ähnlichen Erwägungen gehe auch die vergleichbare Regelung des Abschn. 25 Abs. 4 Satz 4 LStR 1972 bei Ersatzleistungen des Arbeitgebers aus.

Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Sprungklage gegen den Einkommensteuerbescheid 1970 abzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG 1969 kann ein Arbeitnehmer für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bei Benutzung eines eigenen Kraftfahrzeuges bis zu einer Entfernung von 40 km 0,36 DM je Entfernungskilometer als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend machen. Er kann diesen Pauschbetrag auch dann begehren, wenn er Arbeitskollegen in seinem Wagen mitnimmt und dafür eine Entschädigung erhält. Denn der Gesetzgeber gewährt dem Arbeitnehmer den Pauschsatz unabhängig von den tatsächlich angefallenen PKW-Aufwendungen, also auch dann, wenn die Unkosten im Einzelfall niedrigerer als 0,36 DM je Entfernungskilometer sein sollten (vgl. Urteil des BFH vom 2. Juli 1962 IV 222/59 U, BFHE 75, 742, BStBl III 1962, 536; Urteil des FG Baden-Württemberg, Außensenate Stuttgart, vom 21. Februar 1973 V 21/72, EFG 1973, 429; Hartz-Meeßen-Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer, Stichwort: "Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte", Nr. 5 Abs. 14 Buchst. g; Oeftering-Görbing, Das gesamte Lohnsteuerrecht, § 20 LStDV, Anm. 5 Buchst. d Abs. 3 [Bl. 9 1/2]; Erlaß des Hessischen Ministers der Finanzen vom 9. Mai 1957, Deutsche Steuerzeitung, Eildienst, 1957 S. 214). FA und FG haben mithin dem Kläger trotz der vom FA im Revisionsverfahren erhobenen Bedenken den Pauschbetrag von 468 DM für die eigenen Fahrten des Klägers zur Arbeitsstätte nach B unabhängig von Verrechnungen und tatsächlichen Zahlungen der vom Kläger mitgenommenen Kollegen zu Recht als Werbungskosten anerkannt.

Der Kläger kann andererseits den Betrag von 455 DM, den er "durch Verrechnung" an seine drei Kollegen gezahlt hat, nicht als Werbungskosten geltend machen. Der Senat ist im Gegensatz zum FG der Auffassung, daß die vier Beteiligten der Fahrgemeinschaft sich gegenseitig dazu verpflichtet hatten, wöchentlich abwechselnd jeweils die anderen drei Beteiligten im PKW mitzunehmen. Die Verpflichtung, daß jeder seinen PKW zur Verfügung zu stellen und die anderen mitzunehmen hatte, war die Grundlage der Fahrgemeinschaft und der im Streitjahr 1970 getroffenen Abrede, daß ein wöchentliches "Entgelt" von 13 DM für die Mitnahme nicht am Ende einer jeden Woche, sondern erst am Jahresschluß gegenseitig zu verrechnen sei. Diese Verpflichtung ist entgegen den Feststellungen des FG von den als Zeugen vernommenen Arbeitskollegen des Klägers nicht in Abrede gestellt worden.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Fahrgemeinschaft im Streitfall als BGB-Gelegenheitsgesellschaft anzusehen ist. Geht man von einer BGB-Gelegenheitsgesellschaft aus, so liegen in der wöchentlich abwechselnden Zurverfügungstellung der PKW durch die Beteiligten und in der gegenseitigen Zahlung von Spitzenbeträgen nach Verrechnung der Fahrten untereinander am Jahresschluß Gesellschaftsbeiträge sachlicher und finanzieller Art, die nicht unter den Begriff von Werbungskosten im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG 1969 fallen. Nimmt man keine BGB-Gesellschaft an, so sind die Vereinbarungen der Beteiligten als einkommensteuerlich nicht relevante Gefälligkeitsabreden zu werten. Da der Kläger und die drei Arbeitskollegen täglich den gleichen Fahrweg zur Arbeitsstätte hatten, nahmen sie sich gegenseitig im PKW aus kollegialer Gefälligkeit mit. Es spielte dabei allerdings der Gedanke mit, durch die wechselseitige wöchentliche Mitnahme die eigenen Fahrtkosten jeweils möglichst geringzuhalten. Dieser Umstand steht der Annahme von Gefälligkeitsabreden nicht entgegen. Denn eine Gefälligkeit bleibt auch dann eine Gefälligkeit, wenn sie auf Gegenseitigkeit beruht und ihr wirtschaftliche Überlegungen zugrunde liegen. Die Vereinbarung, es sollten für die Mitnahme pro Woche von jedem 13 DM an den Kollegen gezahlt werden, der seinen PKW zur Verfügung stellte, diente nur als Verrechnungsmodus, um am Ende des Jahres die Ungleichheiten zu beseitigen, die durch gelegentliche Ausfälle beim wechselseitigen Fahren wegen Urlaubs, Krankheit, Kur oder bei einem eventuellen vorzeitigen Ausscheiden eines Beteiligten aus der Fahrgemeinschaft entstehen konnten. Das ergibt sich eindeutig aus der Aussage des Zeugen G, der bekundete, es "spielte die Abrechnung nach wie vor keine entscheidende Rolle, da ja nach Ablauf von vier Wochen bei wechselnder Beteiligung aller vier Beteiligten Ansprüche und Forderungen ohnehin ausgeglichen waren. Abrechnungen waren nur wegen gelegentlicher Ausfälle wegen Urlaubs usw. geboten, brachten deshalb aber nur kleine Spitzenbeträge, die möglicherweise ausgezahlt werden mußten." Es sind dem Kläger im Streitjahr im Ergebnis auch keine Kosten dadurch erwachsen, daß er an ca. drei Viertel der jährlichen Arbeitstage von den drei Arbeitskollegen in deren Wagen mitgenommen wurde. Er mußte zwar 13 DM an einen Kollegen zahlen, er erhielt andererseits aber 13 DM von einem anderen Mitglied der Fahrgemeinschaft.

Die Vorentscheidung war aufzuheben, weil das FG von anderen rechtlichen Erwägungen ausgegangen ist. Da das FA zu Recht den verrechneten Betrag von 455 DM nicht zum Abzug zugelassen hat, war die Klage als unbegründet abzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71408

BStBl II 1975, 561

BFHE 1975, 52

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