Leitsatz (amtlich)

Die Annahme eines Organverhältnisses zwischen einer Kapitalgesellschaft und einem Einzelunternehmen auf dem Gebiet des Gewerbesteuerrechts setzt das Vorliegen einer unmittelbaren finanziellen Beteiligung des Einzelunternehmens am Grund- oder Stammkapital der Kapitalgesellschaft voraus. Sie ist indes auch dann gegeben, wenn die Beteiligung buchmäßig nicht in der Bilanz des Einzelunternehmens, sondern als Privatvermögen des Inhabers des Einzelunternehmens geführt wird, die tatsächlichen Beziehungen der Kapitalgesellschaft zum Einzelunternehmen die Beteiligung jedoch als notwendiges Betriebsvermögen des Einzelunternehmens ausweisen.

 

Normenkette

GewStG § 2 Abs. 2 Nr. 2; GewStDV § 3

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Revisionsbeklagte (das FA) die Revisionsklägerin (Steuerpflichtige) zu Recht als Organträger der Firma M-GmbH angesehen und ihr deshalb zu Recht gemäß §§ 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 GewStG 1955, 3 GewStDV 1955 den Gewerbeertrag und das Gewerbekapital der M-GmbH zugerechnet hat.

Die Steuerpflichtige ist eine Einzelfirma, die sich mit dem Im- und Export sowie dem Großhandel mit NE-Rohmetallen, NE-Verhüttungsmaterialien und NE-Metallhalbzeug befaßt. Mit Gesellschaftsvertrag vom 22. Januar 1954 gründeten der Inhaber der Steuerpflichtigen und dessen Ehefrau die B-GmbH mit einem Stammkapital von 20 000 DM, die alsbald in C-GmbH umbenannt wurde. Gegenstand des Unternehmens der C-GmbH war das Schmelzen und die Verarbeitung von NE-Metallen, die sie mit einer von der Steuerpflichtigen gepachteten Schmelzanlage auf dem Betriebsgrundstück der Steuerpflichtigen durchführte. Die vom Inhaber der Steuerpflichtigen aus privaten Mitteln erworbenen Geschäftsanteile der C-GmbH behandelte das FA im Erhebungszeitraum 1954 als Privatvermögen des Inhabers der Steuerpflichtigen.

Die Veredelung von Kupferwalzdraht zu Kupferdraht ließ die Steuerpflichtige durch die S-GmbH ausführen. Im Dezember 1954 erwarb der Inhaber der Steuerpflichtigen (ebenfalls aus privaten Mitteln) von dem Alleingesellschafter der S-GmbH ein Grundstück, auf dem sich die Fabrikationsanlagen der S-GmbH befanden, und vermietete es an die C-GmbH. Gleichzeitig kaufte die Steuerpflichtige einen Teil der Maschinen der S-GmbH, die ihr Anfang Januar 1955 übergeben wurden. Die S-GmbH übersiedelte in andere Betriebsräume. Nunmehr verpachtete die Steuerpflichtige die von ihr erworbenen Maschinen ihrerseits der C-GmbH, die Mitte Januar 1955 mit der Lohnveredelung von Kupferwalzdraht zu Kupferdraht für die Steuerpflichtige begann.

Am 2. Februar 1955 wurde der Gesellschaftsvertrag der C-GmbH neu gefaßt. Das Stammkapital wurde von 20 000 DM auf 50 000 DM erhöht, ein Angestellter der Steuerpflichtigen als neuer Gesellschafter in die GmbH aufgenommen und der Firmenname in M-GmbH geändert. Das auf 50 000 DM erhöhte Stammkapital entfiel zu 85 v. H. auf den Inhaber der Steuerpflichtigen, zu 5 v. H. auf dessen Ehefrau, während 10 v. H. der neue Gesellschafter übernahm. Alle drei Gesellschafter wurden zu Geschäftsführern der GmbH bestellt.

Anläßlich einer im Jahre 1960 bei der Steuerpflichtigen durchgeführten Betriebsprüfung zogen der Prüfer und das FA aus dem dargestellten Sachverhalt für die Gewerbesteuer den Schluß, daß die M-GmbH im streitigen Erhebungszeitraum 1955 zur Steuerpflichtigen in einem Organverhältnis gestanden habe. Einspruch und Berufung der Steuerpflichtigen blieben insoweit ohne Erfolg. Das FG begründet seine Entscheidung wie folgt:

Nach § 3 GewStDV sei eine Kapitalgesellschaft als Organgesellschaft anzusehen, wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in ein anderes gewerbliches Unternehmen eingegliedert sei. Diese Voraussetzungen seien im Streitfall in Ansehung der M-GmbH und der Steuerpflichtigen erfüllt.

Die finanzielle Eingliederung der M-GmbH in das Unternehmen der Steuerpflichtigen sei durch die 85 v. H. betragende Beteiligung des Inhabers der Steuerpflichtigen am Stammkapital der M-GmbH gegeben. Die Steuerpflichtige könne sich demgegenüber nicht auf das Urteil des BFH I 62/59 S vom 25. Oktober 1960 (BFH 72, 185, BStBl III 1961, 69) berufen, das für die finanzielle Eingliederung einer Kapitalgesellschaft in eine andere Kapitalgesellschaft die unmittelbare Beteiligung des Organträgers am Stammkapital der Organgesellschaft verlange und die mittelbare Beteiligung (über die Beteiligung der Gesellschafter des Organträgers) nicht für ausreichend erachte. Die Steuerpflichtige besitze indes im Verhältnis zu ihrem Inhaber keine eigene Rechtspersönlichkeit. Hinzu komme, daß sie - spätestens im Zeitpunkt des teilweisen Erwerbs der Wirtschaftsgüter der S-GmbH - die Beteiligung ihres Inhabers an der M-GmbH als notwendiges Betriebsvermögen hätte bilanzieren müssen, da diese Beteiligung erkennbar mit ihrem - der Steuerpflichtigen - Betrieb zusammenhänge (BFH-Urteile I 205/57 U vom 24. März 1959, BFH 69, 72, BStBl III 1959, 289; III 1/58 U vom 13. Januar 1961, BFH 73, 179, BStBl III 1961, 333). Die Gründung der GmbH habe der Steuerpflichtigen gedient. Die GmbH habe mit dem Schmelzen und der Verarbeitung von NE-Metallen auf dem Betriebsgrundstück und mit den Anlagen der Steuerpflichtigen die Ausführung von Arbeiten übernommen, die die Steuerpflichtige bis dahin selbst ausgeführt habe. Unzweifelhaft sei dies deutlich geworden, als sich der Inhaber der Steuerpflichtigen nach Differenzen mit der S-GmbH entschlossen habe, die Veredelung von Kupferwalzdraht zu Kupferdraht in der (damals noch C-GmbH firmierenden) GmbH vorzunehmen. Anders sei es nicht zu erklären, daß das Betriebsgrundstück der S-GmbH vom Inhaber der Steuerpflichtigen und die erforderlichen Maschinen von der Steuerpflichtigen selbst erworben wurden. Mit Abschluß dieser Kaufverträge, mit der Änderung des Gesellschaftsvertrags und der Umfirmierung der C-GmbH in M-GmbH sei klar zutage getreten, daß die GmbH der Steuerpflichtigen diene. Daß sie über eigenes Betriebskapital verfüge und ihre Verpflichtungen aus eigenen Mitteln erfüllt habe, sei demgegenüber unerheblich.

Damit sei auch die wirtschaftliche Eingliederung der M-GmbH in das Unternehmen der Steuerpflichtigen gegeben. Die Betätigung der M-GmbH sei von vornherein auf die wirtschaftliche Betätigung der Steuerpflichtigen ausgerichtet worden. Sie habe ihre Materialien zu 90 v. H. von der Steuerpflichtigen bezogen und 80 v. H. der von ihr bearbeiteten Halberzeugnisse für die Steuerpflichtige veredelt. Damit habe sie wirtschaftlich mit ihrer Tätigkeit den Betrieb der Steuerpflichtigen abgerundet und ergänzt. Daß sie auch andere, nicht auf die Steuerpflichtige bezogene Geschäfte getätigt habe, schließe ihre wirtschaftliche Abhängigkeit nicht aus.

Schließlich sei die M-GmbH auch organisatorisch in das Unternehmen der Steuerpflichtigen eingegliedert gewesen. Der Inhaber der Steuerpflichtigen habe die Geschäftsführung der M-GmbH wahrgenommen; von seiner Ehefrau und seinem Angestellten als neben ihm bestellten Geschäftsführern hätte er keinen Widerspruch gegen seine geschäftlichen Entschlüsse und Maßnahmen zu erwarten gehabt. Eine von seinem Willen abweichende Willensbildung in der Geschäftsführung der M-GmbH sei danach ausgeschlossen gewesen, was zur Bejahung einer organisatorischen Eingliederung ausreiche.

Hiergegen richtet sich die als Revision zu behandelnde Rb. der Steuerpflichtigen, zu deren Begründung sie folgendes vortragen läßt:

Verfahrensrechtlich werde die Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung über die Revision der Steuerpflichtigen in dem vor dem BFH anhängigen Rechtsstreit III 101/65 beantragt. Wenngleich diese Entscheidung ggf. gemäß § 218 AO auch die Änderung des rechtskräftig festgesetzten einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrags bewirke, scheine die Aussetzung aus prozeßökonomischen Gründen zweckmäßig. Auch sei die Frage, ob die Geschäftsanteile der M-GmbH notwendiges Betriebsvermögen der Steuerpflichtigen seien, u. U. vorgreiflich, da bei Verneinung dieser Frage die Anteile nicht im unmittelbaren Besitz der Steuerpflichtigen gestanden hätten.

In der Sache selbst habe das FG bei der Feststellung des Tatbestands die Aussage des Prokuristen der Steuerpflichtigen nicht verwertet. Dieser habe bekundet, daß die M-GmbH ihre finanziellen Transaktionen völlig selbständig betrieben und eigene Bank- und Postscheckkonten unterhalten habe. Er habe des weiteren bekundet, daß die M-GmbH sowohl personell wie finanziell von der Steuerpflichtigen unabhängig gewesen sei. Diese Unabhängigkeit sei so weit gegangen, daß der Zeuge als Buchhaltungsleiter der Steuerpflichtigen nicht einmal gewußt habe, was finanziell bei der M-GmbH vorgegangen sei. Er habe schließlich bekundet, daß die Warengeschäfte zwischen beiden Unternehmungen so abgewickelt worden seien, wie es zwischen einander fremden Unternehmen üblich sei. Sollten danach auch einzelne Tatbestandsmerkmale einer Eingliederung der M-GmbH in die Steuerpflichtige für gegeben angesehen werden, so sei das Gesamtbild der Rechtsbeziehungen zwischen ihnen jedoch nicht geeignet, die M-GmbH als eine unselbständige Geschäftsabteilung der Steuerpflichtigen anzusehen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist nicht begründet.

1. Wie der Entscheidung des BFH III 33/62 vom 28. August 1964 (HFR 1965, 5) zu entnehmen ist, ist die bewertungsrechtliche Beurteilung der Geschäftsanteile der GmbH als notwendiges Betriebsvermögen der Steuerpflichtigen nicht bestimmend für die gewerbesteuerrechtliche Beurteilung der zwischen der M-GmbH und der Steuerpflichtigen bestehenden Beziehungen als Organverhältnis. Eine Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO kommt danach nicht in Betracht (§ 184 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 FGO).

2. Auch soweit die Steuerpflichtige die tatsächlichen Feststellungen des FG angreift (§ 118 Abs. 2 FGO), sind ihre Einwendungen unbegründet.

Die Aussage des Prokuristen der Steuerpflichtigen ist nicht geeignet, die Feststellung der Tatsachen, die die finanzielle Eingliederung der M-GmbH in das Unternehmen der Steuerpflichtigen begründen, zu erschüttern. Die finanzielle Eingliederung einer Kapitalgesellschaft in ein anderes gewerbliches Unternehmen bedeutet nicht die Einschränkung der Buchhaltungs- und Bilanzierungsverpflichtungen der Kapitalgesellschaft (siehe BFH-Urteil I 29/53 U vom 6. Oktober 1953, BFH 58, 101, BStBl III 1953, 329). Sie bedeutet vielmehr - als eine der Voraussetzungen für die Anerkennung bzw. Feststellung eines Organverhältnisses - die Beteiligung des Organträgers als des herrschenden Unternehmens am Grund- oder Stammkapital der Organgesellschaft in einer Höhe, die die Durchsetzung des Willens des Organträgers im wirtschaftlichen und organisatorischen Bereich auf jeden Fall sicherstellt. Das darüber hinaus für die körperschaftsteuerrechtliche Beurteilung erforderliche Moment, daß der Betrieb des Organunternehmens im Innenverhältnis auf Rechnung und Gefahr des Organträgers als des herrschenden Unternehmens erfolgt, wird im gewerbesteuerrechtlichen Bereich durch die Legaldefinition des § 3 GesStDV ersetzt.

Der Steuerpflichtigen ist jedoch darin zuzustimmen, daß die Annahme eines Organverhältnisses im Streitfall die Zugehörigkeit der Geschäftsanteile der M-GmbH zum Betriebsvermögen der Steuerpflichtigen voraussetzt. Angesichts der 85 v. H. betragenden Beteiligung des Inhabers der Steuerpflichtigen am Stammkapital der M-GmbH sowie der weiteren Feststellungen des FG über die wirtschaftliche und organisatorische Eingliederung der GmbH in das Unternehmen der Steuerpflichtigen waren - wie das FG zu Recht ausgeführt hat - die Anteile an der M-GmbH notwendiges Betriebsvermögen der Steuerpflichtigen unbeschadet ihrer buchmäßigen Behandlung durch den Inhaber der Steuerpflichtigen. Entscheidend ist allein die tatsächliche Beziehung der Beteiligung zum Betrieb der Steuerpflichtigen. Es trifft daher objektiv nicht zu, wenn der Zeuge ausgeführt hat, daß keinerlei finanzielle Verflechtungen zwischen der Einzelfirma und der M-GmbH bestanden.

Mit zutreffender Begründung hat das FG ausgeführt, daß die Grundsätze der BFH-Urteile I 62/59 S (a. a. O.) und I 44/64 vom 26. April 1966 (BFH 86, 88, BStBl III 1966, 376) auf den Streitfall nicht Anwendung finden können, da die Steuerpflichtige ihrem Inhaber nicht als selbständige Rechtspersönlichkeit gegenübertritt.

Auch die Ausführungen des FG zur Frage der wirtschaftlichen und organisatorischen Eingliederung der M-GmbH in das Unternehmen der Steuerpflichtigen lassen einen Rechtsirrtum nicht erkennen. Auch insoweit wird das für die körperschaftsteuerrechtliche Beurteilung maßgebliche Abhängigkeitsverhältnis der Organgesellschaft vom Organträger "nach Art einer bloßen Geschäftsabteilung" durch die Legaldefinition des § 3 GesStDV (Betriebstätte des Organträgers) ersetzt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 67935

BStBl II 1968, 315

BFHE 1968, 316

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