Entscheidungsstichwort (Thema)

Frist in § 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1991 nicht verlängerbare Ausschlussfrist

 

Leitsatz (NV)

  1. Bei der in § 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1991 bezeichneten Frist handelt es sich um eine nicht verlängerbare Ausschlussfrist.
  2. Eine Verpflichtung zur rückwirkenden Verlängerung der Antragsfrist nach § 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1991 ergibt sich auch nicht aus Abschn. 243 Abs. 5 Satz 1 UStR 1992.
 

Normenkette

UStG 1991 § 18 Abs. 9; UStDV 1991 § 61 Abs. 1 S. 2; UStR 1992 Abschn. 243 Abs. 5 S. 1; EWGRL 560/86 Art. 3 Abs. 2; EWGRL 1072/79 Art. 7 Abs. 1 S. 4

 

Verfahrensgang

FG Köln (Urteil vom 24.05.2000; Aktenzeichen 2 K 3747/97; EFG 2001, 1527)

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist in den USA ansässig. Sie führte im Streitjahr 1992 in Deutschland keine steuerpflichtigen Umsätze aus.

Am 30. November 1994 beantragte sie durch ihren steuerlichen Vertreter beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Bundesamt für Finanzen ―BfF―) die Vergütung von Vorsteuerbeträgen für den Zeitraum Januar bis Dezember 1992, die aufgrund von Hotel- und Reisekosten sowie durch Aufwendungen für Messebesuche angefallen waren. Da die hierfür im Streitjahr nach § 61 Abs. 1 Satz 2 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV 1991) geltende Frist von sechs Monaten nach Ablauf des Kalenderjahres bereits abgelaufen war, stellte sie gleichzeitig einen Antrag auf rückwirkende Fristverlängerung nach § 109 der Abgabenordnung (AO 1977), weil ihr die Möglichkeit der Vergütung nicht bekannt gewesen sei.

Das BfF lehnte beide Anträge mit Bescheid vom 20. September 1995 ab und wies den Einspruch gegen die Ablehnung des Fristverlängerungsantrags mit Einspruchsentscheidung vom 24. April 1997 zurück. Der Einspruch gegen die Ablehnung der Vorsteuervergütung ist noch nicht beschieden worden. Gegen die Ablehnung der Fristverlängerung erhob die Klägerin Klage, die das Finanzgericht (FG) als unbegründet abwies (vgl. Urteilsveröffentlichung in Entscheidungen der Finanzgerichte ―EFG― 2001, 1527).

Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts. Sie vertritt die Auffassung, die Antragsfrist des § 18 Abs. 9 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1991 i.V.m. § 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1991 könne nach § 109 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 rückwirkend verlängert werden, denn sie gehöre als Steueranmeldungsfrist zu den verlängerbaren Steuererklärungsfristen. Das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 21. Oktober 1999 V R 76/98 (BFHE 190, 239, BStBl II 2000, 214, Umsatzsteuer-Rundschau ―UR― 2000, 167) betreffe ausschließlich die seit Geltung des Jahressteuergesetzes 1996 anwendbare Rechtslage, nach der nunmehr die Ausschlussfrist des § 18 Abs. 9 Satz 3 UStG 1993 n.F. einzuhalten sei. Für die Streitjahre könne die Frist des § 61 UStDV nicht aufgrund einer richtlinienkonformen Auslegung der Bestimmung als Ausschlussfrist angesehen werden, weil die Achte Richtlinie erst am 6. Dezember 1979 erlassen worden und am 1. Januar 1981 in Kraft getreten, die UStDV hingegen bereits am 21. Dezember 1979 erlassen worden sei. Es habe sich daher insoweit um rein nationales Recht gehandelt. Von der Verlängerbarkeit der Frist nach § 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1991 seien auch die zum Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Umsatzsteuer-Richtlinien (UStR) 1992 in Abschn. 243 Abs. 5 ausgegangen. Dasselbe gelte für die Verfügung der Oberfinanzdirektion (OFD) Frankfurt a.M. vom 31. März 1994 (UR 1994, 289) und das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 18. Juli 1995 IV C 4 -S 7359- 110/95 (BStBl I 1995, 382). Auch habe das BfF noch im September 1996 in verschiedenen Verfahren eine nachträgliche Fristverlängerung nach § 109 AO 1977 gewährt.

Die Ablehnung des Fristverlängerungsantrags verstoße gegen § 5 AO 1977, da das BfF die Möglichkeit einer nachträglichen Fristverlängerung grundsätzlich ausgeschlossen und daher sein Ermessen nicht ausgeübt habe. Im Streitfall sei das Ermessen in der Weise reduziert, dass entsprechend Abschn. 243 Abs. 5 UStR 1992 lediglich die Gewährung der Fristverlängerung ermessensfehlerfrei gewesen wäre.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und das BfF zur Verlängerung der Antragsfrist zur Abgabe des Antrags auf Vorsteuervergütung für 1992 zu verpflichten.

Das BfF ist der Revision entgegengetreten.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision hat keinen Erfolg. Die Vorentscheidung hält den Angriffen der Revision stand. Das FG hat zutreffend entschieden, dass das BfF nicht verpflichtet war, die Frist für den Antrag auf Vergütung von Vorsteuerbeträgen zu verlängern.

1. § 18 Abs. 9 UStG 1991 in der in den Streitjahren maßgebenden Fassung lautete: "Zur Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens kann der Bundesminister der Finanzen mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung die Vergütung der Vorsteuerbeträge (§ 15) an im Ausland ansässige Unternehmer, abweichend von § 16 und von den Absätzen 1 bis 4, in einem besonderen Verfahren regeln. Dabei kann angeordnet werden, dass der Unternehmer die Vergütung selbst zu berechnen hat."

§ 61 Abs. 1 UStDV 1991 regelte das Verfahren u.a. wie folgt:

"Der Unternehmer hat die Vergütung nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck bei dem Bundesamt für Finanzen oder bei dem nach § 5 Abs. 1 Nr. 8 Satz 2 des Finanzverwaltungsgesetzes zuständigen Finanzamt zu beantragen. Der Antrag ist binnen sechs Monaten nach Ablauf des Kalenderjahres zu stellen, in dem der Vergütungsanspruch entstanden ist. In dem Antrag hat der Unternehmer die Vergütung selbst zu berechnen … ."

Mit Wirkung vom 3. Juni 1995 (vgl. Art. 41 Abs. 6 des Jahressteuergesetzes 1996 vom 11. Oktober 1995, BGBl I 1995, 1250) wurde § 18 Abs. 9 UStG 1993 durch Art. 20 Nr. 13 Buchst. d des Jahressteuergesetzes 1996 vom 11. Oktober 1995 (BGBl I 1995, 1250) wie folgt geändert:

"Zur Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens kann das Bundesministerium der Finanzen mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung die Vergütung der Vorsteuerbeträge (§ 15) an im Ausland ansässige Unternehmer, abweichend von § 16 und von den Absätzen 1 bis 4, in einem besonderen Verfahren regeln. Dabei kann angeordnet werden, dass die Vergütung nur erfolgt, wenn sie eine bestimmte Mindesthöhe erreicht. Der Vergütungsantrag ist binnen sechs Monaten nach Ablauf des Kalenderjahres zu stellen, in dem der Vergütungsanspruch entstanden ist. Der Unternehmer hat die Vergütung selbst zu berechnen und die Vorsteuerbeträge durch Vorlage von Rechnungen und Einfuhrbelegen im Original nachzuweisen. …"

Der zuvor zitierte § 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1991 wurde gleichzeitig aufgehoben (Art. 21 Nr. 18 Buchst. a des Jahressteuergesetzes 1996 vom 11. Oktober 1995, BGBl I 1995, 1250).

Danach hat die Klägerin den Antrag auf Vergütung von Vorsteuerbeträgen für 1992 am 30. November 1994 verspätet gestellt.

2. Die Frist für den Antrag der Klägerin auf Verlängerung der Frist für den Antrag auf Vergütung von Vorsteuerbeträgen 1992 konnte nicht verlängert werden.

a) Bei der in § 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1991 bezeichneten Frist handelt es sich um eine nicht verlängerbare Ausschlussfrist (vgl. auch FG Schleswig-Holstein vom 11. März 1992 IV 682/89, EFG 1992, 426). Nach dem Wortlaut ("Der Antrag ist binnen sechs Monaten nach Ablauf des Kalenderjahres zu stellen") handelt es sich um eine eindeutige Handlungsfrist, die der Steuerpflichtige zur Wahrung seiner Rechte einhalten muss. Die Versäumung schließt ihn von den antragsabhängigen Rechten aus, sofern keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht kommt. Derartige Ausschlussfristen (vgl. dazu Klein/Brockmeyer, Abgabenordnung, 7. Aufl., § 108 Anm. 1 bis 3) sind nicht ―insbesondere nicht rückwirkend― verlängerbar (so inzwischen die Finanzverwaltung, BMF in BStBl I 1995, 382). Auf dieser Ansicht beruht die Rechtsprechung des Senats zur wortgleichen Vorschrift des § 18 Abs. 9 Satz 3 UStG 1993, die seit 3. Mai 1995 die Regelung in § 61 UStDV 1991 ersetzt (BFH‐Urteil in BFHE 190, 239, BStBl II 2000, 214, UR 2000, 167).

b) Diese Auslegung des § 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1991 ist gemeinschaftsrechtlich geboten.

Die sich aus einer Richtlinie ergebende Verpflichtung der Mitgliedstaaten, das in dieser Richtlinie vorgesehene Ziel zu erreichen, sowie ihre Aufgabe gemäß Art. 5 des Vertrages der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ―EWG-Vertrag― (jetzt Art. 10 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft ―EGV―), alle zur Erfüllung dieser Verpflichtung geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zu treffen, obliegt allen Trägern öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten, und zwar im Rahmen ihrer Zuständigkeiten auch den Gerichten (siehe u.a. Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften ―EuGH― vom 26. September 1996 Rs. C-168/95 ―Arcaro―, Slg. 1996, I-4705 Randnr. 41). Daraus folgt, dass sich ein nationales Gericht, wenn es nationales Recht bei dessen Anwendung auszulegen hat, dabei so weit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie ausrichten muss, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen und auf diese Weise Art. 189 Abs. 3 EWG-Vertrag (jetzt Art. 249 Abs. 3 EGV) nachzukommen (EuGH-Urteile vom 11. Juli 2002 Rs. C-62/00 ―Marks & Spencer―, Slg. 2002, I-6325, UR 2002, 436; vom 13. November 1990 Rs. C-106/89 ―Marleasing―, Slg. 1990, I-4135 Randnr. 8; vom 16. Dezember 1993 Rs. C-334/92 ―Wagner Miret―, Slg. 1993, I-6911 Randnr. 20). So muss der nationale Richter bei der richtlinienkonformen Auslegung das zur Durchführung der Richtlinie der Europäischen Gemeinschaften (EG-Richtlinie) erlassene Gesetz "unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihm das nationale Recht einräumt, in Übereinstimmung mit den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts auslegen und anwenden" (EuGH-Urteile vom 10. April 1984 Rs. 14/83 ―Colson―, Slg. 1984, 1891, Neue Juristische Wochenschrift ―NJW― 1984, 2021 Randnr. 18; in Slg. 1990, I-4135 Randnr. 8).

Durch § 18 Abs. 9 UStG 1991 und § 61 Abs. 1 UStDV 1991 wurde Art. 3 Abs. 2 der Dreizehnten Richtlinie des Rates vom 17. November 1986 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Umsatzsteuern 86/560/EWG - Verfahren der Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Gebiet der Gemeinschaft ansässige Steuerpflichtige (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften ―ABlEG― 1986 Nr. L 326, im Folgenden: Dreizehnte Richtlinie) umgesetzt.

Danach darf die Erstattung von Vorsteuern an nicht im Gebiet der Gemeinschaft ansässige Steuerpflichtige nicht zu günstigeren Bedingungen erfolgen als für in der Gemeinschaft ansässige Steuerpflichtige. Der Gesetzgeber musste daher für die Antragstellung eine Frist bestimmen, die den nicht im Gebiet der Gemeinschaft ansässigen Antragsteller nicht günstiger stellt als die in Art. 7 Abs. 1 Satz 4 der Achten Richtlinie des Rates vom 6. Dezember 1979 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 79/1072/EWG - Verfahren zur Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige (ABlEG 1979 Nr. L 331, 11, im Folgenden: Achte Richtlinie) vorgesehene Regelung.

Die Bestimmung lautet:

"Der Antrag ist spätestens sechs Monate nach Ende des Kalenderjahres, in dem die Steuer fällig geworden ist, an die … zuständige Behörde zu stellen."

Die genannten Bestimmungen der Achten und Dreizehnten Richtlinie sind für die Mitgliedstaaten verbindlich (vgl. Art. 5 Abs. 1, 2 i.V.m. Art. 189 Abs. 3 EWG-Vertrag; Art. 10 Abs. 1 i.V.m. Art. 249 Unterabs. 3 EGV). Der Senat hatte in seinem Urteil in BFHE 190, 239, BStBl II 2000, 214, UR 2000, 167) keine Zweifel, dass Art. 7 Abs. 1 Satz 4 der Achten Richtlinie eine Fristverlängerung ausschließt. Daran hält er fest. Die Bestimmung ist inhaltlich eindeutig ("spätestens"). Dem trägt § 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1991 durch die Fassung "binnen sechs Monaten nach Ablauf des Kalenderjahres" Rechnung.

Auch der Österreichische Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hat in der Entscheidung vom 25. April 2002 (Zl. 2000/15/0032) ausgeführt, dass es mit dem Wortlaut des Art. 7 Abs. 1 Satz 4 der Achten Richtlinie, wonach der Antrag "spätestens" sechs Monate nach Ablauf des Kalenderjahres zu stellen ist, unvereinbar wäre, wenn die Antragsfrist verlängert werden könnte. Anderslautende Entscheidungen aus anderen Mitgliedstaaten sind dem Senat nicht bekannt.

c) Der Zeitpunkt der Wirksamkeit der Achten Richtlinie ―mit der Antragsfrist, die für Anträge nach der Dreizehnten Richtlinie gleichermaßen verbindlich ist―, steht auch der richtlinienkonformen Auslegung des § 61 Abs. 1 UStDV 1991 nicht entgegen. Die Achte Richtlinie ist nicht ―wie die Klägerin vorträgt― erst am 1. Januar 1981 in Kraft getreten. Dieses Datum bezeichnet lediglich den Zeitpunkt, an dem die Mitgliedstaaten die Richtlinie spätestens umsetzen müssen (vgl. Art. 10 Satz 1 der Achten Richtlinie). Eine frühere Umsetzung der Richtlinie ―wie hier durch § 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1980 vom 21. Dezember 1979 (BGBl I 1979, 2359, BStBl I 1980, 19)― war jedoch rechtlich zulässig, denn als ein an die Mitgliedstaaten gerichteter Rechtsakt des Gemeinschaftsrechts war sie mit ihrer (notwendig einstimmigen) Verabschiedung durch den Rat am 6. Dezember 1979 und der Bekanntgabe im Amtsblatt (ABlEG 1979 Nr. L 331, 11 vom 27. Dezember 1979) wirksam. Die kurzfristige Umsetzung der Achten Richtlinie in deutsches Recht war möglich, weil dem Gesetz- und Verordnungsgeber die beabsichtigten gemeinschaftsrechtlichen Regelungen bekannt waren.

Der Verordnungsgeber hat seinen auf Umsetzung der Achten Richtlinie gerichteten Willen außerdem dadurch bekräftigt, dass er mit der Änderung der UStDV 1980 durch die Zweite Verordnung zur Änderung der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung vom 9. Juni 1983 (BGBl I 1983, 680), die in ihrem Art. 1 Nr. 9 und 10 auch die §§ 59 ff. UStDV ―wenn auch nur klarstellend (vgl. BRDrucks 125/83, S. 15)― betrifft, den Regelungsgehalt der bezeichneten Richtlinie wiederholt.

d) Die Umsetzung der vorgegebenen Bestimmungen von Art. 3 Abs. 2 der Dreizehnten Richtlinie bzw. Art. 7 Abs. 1 Satz 4 der Achten Richtlinie durch eine Rechtsverordnung (§ 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1991) ist bedenkenfrei (vgl. auch BFH-Beschluss vom 14. März 2002 V B 119/01, BFH/NV 2002, 1038).

Bei der Umsetzung einer Richtlinie ist ein Mitgliedstaat nur an das zu erreichende Ziel, nicht aber an eine bestimmte Form und an besondere Mittel gebunden. Deshalb ist dem Mitgliedstaat auch nicht vorgeschrieben, in welcher gesetzlichen Form (förmliches Gesetz oder Rechtsverordnung) er Gemeinschaftsrecht in nationales Recht umsetzt. Er muss die Richtlinie nur sinngetreu und ihrem Zweck entsprechend umsetzen (vgl. EuGH-Urteil vom 9. September 1999 Rs. C-102/97 ―Kommission/Deutschland―, Slg. 1999, I-5051, Europäische Zeitschrift für Wirtschaft ―EuZW― 1999, 689, m.w.N.). Die Ausnahme, nach der eine EG-Richtlinie nicht durch eine bloße Verwaltungspraxis umgesetzt werden darf, wenn sie die Verwaltung beliebig ändern kann und wenn sie nur unzureichend bekannt ist (vgl. EuGH-Urteil vom 8. Juli 1999 Rs. C-203/98 ―Kommission/Belgien―, Slg. 1999, I-4899 Randnr. 14), liegt im Streitfall nicht vor.

e) Inhalt, Zweck und Ausmaß des in der Verordnung zu regelnden Gegenstands sind durch Art. 7 Abs. 1 Satz 4 der Achten Richtlinie i.V.m. § 18 Abs. 9 UStG 1991 so bestimmt vorgegeben, dass dadurch i.V.m. § 18 Abs. 9 UStG 1991 eine ausreichende Ermächtigung i.S. von Art. 80 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes vorlag. Die eindeutige Antragsfrist in Art. 7 Abs. 1 Satz 4 der Achten Richtlinie, die dem nationalen Gesetzgeber keinen Umsetzungsspielraum lässt, brauchte deswegen nicht in § 18 Abs. 9 UStG 1991 geregelt zu werden.

Mit der Übernahme der (inhaltlich unveränderten) Antragsfrist aus der Rechtsverordnung (§ 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1993) in das Gesetz (§ 18 Abs. 9 Satz 3 UStG ab 3. Juni 1995) ist keine Rechtsänderung verbunden, weil sie lediglich "aus Gründen der Rechtsklarheit" erfolgte (Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum Jahressteuergesetz 1996, zu § 18 Abs. 9 UStG, BRDrucks 171/95, S. 151 zu Art. 11 Nr. 5 Buchst. e; unverändert in der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses vom 31. Mai 1995, BTDrucks 13/1558, S. 173). Ausdrücklich wird darauf hingewiesen, dass sich das Vergütungsverfahren (§ 18 Abs. 9 UStG 1993) nach den Bestimmungen der Achten und Dreizehnten Richtlinie richte.

Der Gesetzgeber machte von der Wahlfreiheit bei der Bestimmung der Form der Umsetzung Gebrauch. Eine (rückwirkende) inhaltlich neue Regelung war nur insoweit mit der Vorschrift verbunden, als er auch die Möglichkeit nutzte, die Vorsteuervergütung bei Unternehmern, die nicht im Gemeinschaftsgebiet ansässig waren, von der Gegenseitigkeit abhängig zu machen und sie bei bestimmten Vorumsätzen auszuschließen (§ 18 Abs. 9 Sätze 6 und 7 UStG 1993), um Missbrauchseffekte zu verhindern (Arzberger, Der Betrieb ―DB― 1995, 2184, 2191; Kraeusel, UR 1995, 357, 374).

3. Die rückwirkende Verlängerung der Ausschlussfrist ist auch durch § 109 AO 1977 nicht zugelassen. Die Vorschrift, nach der die Frist für die Einreichung einer Steuererklärung verlängert werden kann, findet keine Anwendung, weil ihr die spezielleren Verfahrensvorschriften der § 18 Abs. 9 UStG 1991 i.V.m. § 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1991 vorgehen.

4. Eine Verpflichtung zur rückwirkenden Fristverlängerung ergibt sich auch nicht aus Abschn. 243 Abs. 5 Satz 1 UStR 1992, der ausführt: "Die Antragsfrist (§ 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV) kann verlängert werden (§ 109 AO)." Denn diese Verwaltungsregelung ist nach den oben dargestellten Rechtsgrundsätzen rechtswidrig und entfaltet im Streitfall keine Bindungswirkung.

Im Streitfall kann offen bleiben, ob eine Verwaltungsregelung dazu führen kann, dass ein Mitgliedstaat ―für eine bestimmte Übergangszeit― eine Rechtspraxis beibehält, die dem Gemeinschaftsrecht widerspricht. Denn bereits aus den nationalen Rechtsgrundsätzen ergibt sich, dass die Klägerin aus den angeführten Verwaltungsanordnungen keinen Anspruch auf Fristverlängerung herleiten kann.

a) Bei Abschn. 243 Abs. 5 UStR 1992 handelt es sich nicht um eine die Ausübung des Verwaltungsermessens regelnde Anordnung, für die der Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung gilt (BFH-Urteil vom 10. Juni 1992 I R 142/90, BFHE 168, 226, BStBl II 1992, 784), sondern um eine norminterpretierende Regelung, an die jedenfalls die Gerichte nicht gebunden sind (BFH-Urteil vom 30. September 1997 IX R 39/94, BFH/NV 1998, 446).

b) Eine Bindung folgt auch nicht aus dem BMF-Schreiben in BStBl I 1995, 382, Heft 11 vom 10. August 1995. In dem Schreiben wird u.a. ausgeführt:

"Es ist daher vorgesehen, die Antragsfrist in den Umsatzsteuerrichtlinien 1996 als Ausschlussfrist zu behandeln …

Im Hinblick auf die geltende Rechtslage kann Abschnitt 243 Abs. 5 Satz 1 UStR 1992 nicht beibehalten werden, nach dem die Antragsfrist aufgrund von § 109 AO verlängert werden kann.

Die bisherigen Grundsätze (Anwendung des § 109 AO) gelten noch für Fristverlängerungsanträge, die bis zur Veröffentlichung dieses Schreibens im Bundessteuerblatt bei den Finanzbehörden eingegangen sind."

Sog. norminterpretierende Verwaltungsvorschriften stehen konkludent unter dem Vorbehalt einer davon abweichenden Auslegung der Norm durch die Rechtsprechung (z.B. BFH-Urteil vom 5. Mai 1999 XI R 1/97, BFHE 189, 57, BStBl II 1999, 653, m.w.N.). Für den Fall einer rückwirkenden verschärfenden Änderung der Rechtsprechung ist es Sache der obersten Verwaltungsbehörden, auf der Grundlage der §§ 163 oder 227 AO 1977 (früher § 131 AO) unbillige Auswirkungen unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes durch Übergangsregelungen zu vermeiden, die auch von den Steuergerichten grundsätzlich zu beachten sind (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 25. Juni 1984 GrS 4/82, BFHE 141, 405, 417, BStBl II 1984, 751, 757, zu C.I.1.).

Eine die Verwaltungspraxis bestätigende höchstrichterliche Rechtsprechung zur Verlängerbarkeit der Frist des § 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1993 war jedoch nicht vorhanden. Vielmehr hatte das FG Schleswig-Holstein durch Urteil vom 11. März 1992 IV 682/89 (EFG 1992, 426) entschieden, dass es sich bei der Antragsfrist in § 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1980 um eine nicht verlängerbare Ausschlussfrist handele.

Im Übrigen setzt die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben eine besondere Vertrauenssituation zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Finanzamt voraus. Diese kann grundsätzlich nur durch die Erteilung einer verbindlichen Zusage oder Auskunft geschaffen werden, nicht hingegen durch den Erlass allgemeiner norminterpretierender Verwaltungsrichtlinien (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteil in BFHE 189, 57, BStBl II 1999, 653, m.w.N.). Für Übergangsregelungen zu rechtswidrigen norminterpretierenden Verwaltungsvorschriften gilt nichts anderes.

5. Die Vorentscheidung erwiese sich im Ergebnis auch dann als zutreffend, wenn das BfF die Antragsfrist für Anträge auf Vorsteuervergütung nach § 109 Abs. 1 AO 1977 hätte verlängern dürfen. Die Ablehnung der Fristverlängerung war im Streitfall nicht ermessensfehlerhaft. Aus der Übergangsregelung des BMF in dem Schreiben in BStBl I 1995, 382 zur Anwendung des § 109 Abs. 1 AO 1977 ergibt sich nicht, dass auch eine rückwirkende Fristverlängerung hätte gewährt werden müssen.

§ 109 Abs. 1 AO 1977 bestimmt hierzu:

"…

Sind solche Fristen bereits abgelaufen, so können sie rückwirkend verlängert werden, insbesondere wenn es unbillig wäre, die durch den Fristablauf eingetretenen Rechtsfolgen bestehen zu lassen."

Da die Vorschrift der Verwaltungsbehörde für die Entscheidung über eine Fristverlängerung nach Fristablauf Ermessen (§ 5 AO 1977) einräumt, kann die Entscheidung über den Fristverlängerungsantrag nur darauf überprüft werden, ob das BfF bei der Ausübung seines Ermessens die gesetzlichen Grenzen überschritten oder das Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise ausgeübt hat (§ 102 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).

Das BfF ist in seiner Einspruchsentscheidung vom 24. April 1997 von der für die Klägerin günstigeren Anwendbarkeit des § 109 AO 1977 ausgegangen. Ermessensfehler sind insoweit nicht ersichtlich. Insbesondere war es nicht ermessensfehlerhaft, ein Verschulden der Klägerin an der verspäteten Antragstellung anzunehmen (vgl. BFH-Urteil vom 15. Juli 1999 V R 52/98, BFH/NV 2000, 98). Dem steht nicht der Vortrag der Klägerin entgegen, es sei für ausländische Unternehmer aufgrund der tatsächlichen Gegebenheiten schwierig, die gesetzliche Frist für den Antrag auf Gewährung der Vorsteuervergütung von sechs Monaten einzuhalten. Denn hieraus ergibt sich nicht, dass die Klägerin nicht in der Lage gewesen wäre, vor Fristablauf Fristverlängerung zu beantragen.

Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass das BfF mit der Ablehnung der Fristverlängerung gegen eine sein Ermessen bindende Verwaltungspraxis verstoßen hätte. Nach den nicht widerlegten Ausführungen des BfF in der Einspruchsentscheidung wurde Anträgen auf Fristverlängerung entsprochen, wenn sie vor dem Ablauf der sechsmonatigen Antragsfrist des § 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1991 gestellt worden waren. Wenn der Fristverlängerungsantrag nach Ablauf dieser Frist gestellt worden war, wurde die Frist nur verlängert, wenn der Antrag unverschuldet verspätet gestellt worden war. Dieser Praxis entspricht die Entscheidung des BfF im Streitfall.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1093678

BFH/NV 2004, 673

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