Entscheidungsstichwort (Thema)

Unzulässige Revision wegen Solidaritätszuschlags -- Nachweis der Bevollmächtigung

 

Leitsatz (NV)

1. Eine Revision, die ausdrücklich auch "Annexsteuern" betrifft, ohne insoweit eine Beschwer erkennen zu lassen, ist unzulässig.

2. Der nach §62 Abs. 3 Satz 1 FGO erforderliche Nachweis der Bevollmächtigung ist dem Gericht, d. h. dem zuständigen Spruchkörper gegenüber, zu erbringen, und zwar grundsätzlich für jedes Verfahren gesondert.

3. Ausnahmsweise genügt, entsprechenden Vollmachtsinhalt vorausgesetzt, die Bezugnahme auf die in einem anderen Verfahren vorgelegte (Original-)Vollmacht, soweit diese für den Spruchkörper, der den Nachweis von Amts wegen zu prüfen hat (§62 Abs. 3 Satz 2 FGO), ohne weiteres greifbar ist.

4. In ganz bestimmten Ausnahmefällen erübrigen sich gesonderte Vorlage und Bezugnahme, wenn im konkreten Fall der jederzeitige Zugriff auf die Vollmacht gesichert ist, wie z. B. in einem Klageverfahren, wenn eine auch das Klageverfahren umfassende Vollmacht im Rahmen des zur selben Zeit, zur selben Hauptsache, bei demselben Spruchkörper anhängig gewordenen AdV- Verfahren vorgelegt wurde.

 

Normenkette

FGO § 62

 

Verfahrensgang

FG Rheinland-Pfalz

 

Tatbestand

Namens der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erhoben ihre jetzigen Prozeßbevollmächtigten Klage gegen den Bescheid vom 9. Oktober 1995, mit dem der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) unter Berufung auf §173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) der Klägerin gegenüber die Einkommensteuer und den Solidaritätszuschlag für 1991 höher festgesetzt hatte.

Zugleich mit Klageerhebung beantragten die Prozeßbevollmächtigten namens der Klägerin beim Finanzgericht (FG) Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Änderungsbescheids.

In beiden Verfahren, die bei demselben Senat des FG anhängig waren und von demselben Berichterstatter bearbeitet wurden, setzte, von diesem veranlaßt, der Senatsvorsitzende -- in getrennten Verfügungen -- am 17. Januar 1996 unter Hinweis auf §62 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) eine Ausschlußfrist zur Vorlage einer schriftlichen Originalvollmacht bis zum 9. Februar 1996.

Daraufhin ging am 29. Januar 1996 beim FG eine auf die Prozeßbevollmächtigten lautende, vom 6. Januar 1996 datierende, die "Angelegenheit A. ./. Finanzamt X. ... vor sämtlichen Gerichten ... " betreffende, "alle Nebenverfahren" einschließende Originalvollmacht der Klägerin ein, eingereicht mit einem an das FG gerichteten Schriftsatz der Prozeßbevollmächtigten zum " ... Finanzrechtsstreit A. ./. Finanzamt X. -- ... " (Aktenzeichen des Klageverfahrens)" -- ... " (dem Aktenzeichen des AdV-Verfahrens).

Das AdV-Verfahren beendete das FG nach Abhilfe durch das FA und übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten mit Kostenbeschluß nach §138 Abs. 2 FGO, das Klageverfahren mangels Vorlage einer Prozeßvollmacht durch Prozeßurteil. Hinsichtlich des Solidaritätszuschlags verneinte das FG außerdem das Rechtsschutzinteresse.

Gegen die Nichtzulassung der Revision durch das FG wandte sich die Klägerin, soweit Einkommensteuer betroffen war, mit der Nichtzulassungsbeschwerde. Zu Unrecht habe das FG die Klage durch Prozeßurteil abgewiesen und die mit Schriftsatz vom 26. Januar 1996 vorgelegte Prozeßvollmacht unbeachtet gelassen.

Das Rechtsmittel hatte Erfolg: Durch -- antragsgemäß auf die Einkommensteuer beschränkten -- Senatsbeschluß Az.: ... vom 10. Juli 1996 wurde die Revision zugelassen.

Mit der sowohl die Einkommensteuer als auch den Solidaritätszuschlag betreffenden Revision rügt die Klägerin Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Die Klägerin beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Einkommensteuer sowie den Solidaritätszuschlag 1991 entsprechend ihrem Sachbegehren herabzusetzen.

Das FA hält die Klageabweisung durch Prozeßurteil für nicht gerechtfertigt und beantragt daher

Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das FG,

damit eine Sachentscheidung ergehen kann.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist, soweit sie den Solidaritätszuschlag betrifft, unzulässig (§124 Abs. 1 FGO) und führt im übrigen, hinsichtlich der Einkommensteuer, zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das FG (§126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

1. Die Unzulässigkeit des den Solidaritätszuschlag betreffenden Rechtsschutzbegehrens folgt daraus, daß insoweit Revisionszulassung weder begehrt noch gewährt worden war und Einkommensteuer einerseits und Solidaritätszuschlag andererseits selbständige Streitgegenstände auch im Sinne des Revisionsrechts (vgl. dazu Gräber, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., 1997, §115 Rz. 44, m. w. N.) darstellen (s. auch §51a Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes -- EStG --; i. ü. Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 9. November 1994 I R 67/94, BFHE 176, 244, BStBl II 1995, 305; zur grundsätzlichen Unselbständigkeit der "Annexsteuern" bzw. "Folgesteuern": Gräber, a. a. O., §40 Rz. 81, §42 Rz. 29, 33, m. w. N.).

2. Zu Unrecht hat das FG hinsichtlich der Einkommensteuer von einer Sachprüfung und Sachentscheidung abgesehen. Die gegen die Einkommensteuerfestsetzung gerichtete Klage ist nicht unzulässig, auch nicht in dem von der Vorinstanz beanstandeten Punkt. Denn eine dieses Verfahren umfassende Prozeßvollmacht ist rechtzeitig vorgelegt worden.

Gemäß §62 Abs. 1 Satz 1 FGO können sich die Beteiligten des finanzgerichtlichen Verfahrens durch Bevollmächtigte vertreten lassen. Die Bevollmächtigung ist nach §62 Abs. 3 Satz 1 FGO durch eine schriftliche Vollmacht nachzuweisen. Die Vollmacht kann nachgereicht werden; hierfür kann der Vorsitzende oder der Berichterstatter eine Frist mit ausschließender Wirkung setzen (§62 Abs. 3 Satz 3 FGO).

a) Daß die zum AdV-Verfahren eingereichte Vollmacht ihrem Inhalt nach auch das Klageverfahren betrifft, steht außer Frage und bedarf daher keiner weiteren Erörterung.

b) Die Bevollmächtigung für das Klageverfahren ist auch rechtzeitig vor Ablauf der Ausschlußfrist in der erforderlichen Weise nachgewiesen worden. Daß die beide Verfahren betreffende Vollmachtsurkunde der äußeren Form nach allein zum AdV-Verfahren eingereicht wurde, ist unter den gegebenen Umständen unschädlich.

Der in §62 FGO geforderte Nachweis ist dem Gericht, d. h. grundsätzlich dem zuständigen Spruchkörper (BFH-Beschluß vom 30. Juli 1991 VIII B 88/89, BFHE 165, 22, BStBl II 1991, 848; Gräber, a. a. O., §62 Rz. 29 ff., m. w. N.) gegenüber zu erbringen. Ihm muß eine Originalvollmacht (BFH-Urteile vom 28. November 1995 VII R 63/95, BFHE 179, 5, BStBl II 1996, 105, und vom 9. August 1996 VI R 30/96, BFH/NV 1997, 135 -- jeweils m. w. N.) vorgelegt werden, und zwar grundsätzlich für jedes Verfahren gesondert. Die Bezugnahme auf die in einem anderen Verfahren eingereichte Vollmacht genügt nur ausnahmsweise -- nämlich dann, wenn diese für den Spruchkörper, der den Nachweis von Amts wegen zu prüfen hat (§62 Abs. 3 Satz 2 FGO), ohne weiteres greifbar ist (BFH-Beschlüsse vom 16. Dezember 1994 III B 24/94, BFH/NV 1995, 889, und vom 29. Juli 1996 III B 267/95, BFH/NV 1996, 924). Weil der Nachweis, nicht die Abgabe einer Erklärung im Vordergrund steht (vgl. Gräber, a. a. O., §62 Rz. 27 ff., m. w. N.), ist nicht die Bezugnahme das Entscheidende, sondern (entsprechend dem Rechtsgedanken des §130 Abs. 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches; näher dazu Gräber, a. a. O., Rz. 14 vor §33 und die dortigen Nachweise) die Möglichkeit des jederzeitigen Zugriffs auf das Schriftstück. Ist gewährleistet, daß der für das in Frage stehende Verfahren zuständige Spruchkörper vom Inhalt der Vollmacht ohne weiteres Kenntnis nehmen kann, kommt es weder darauf an, daß die Vollmachtsurkunde in einem anderen Verfahren vorgelegt, noch darauf, daß auf ihre doppelte Bedeutung nicht ausdrücklich hingewiesen wurde.

Im Streitfall war eine solche Kenntnisnahme auch für das Klageverfahren gesichert. Gleichzeitig waren Klage- und AdV-Verfahren bei demselben Senat anhängig geworden und wurden -- offensichtlich im Bewußtsein des bestehenden Sachzusammenhangs -- parallel von demselben Berichterstatter bzw. vom Senatsvorsitzenden bearbeitet, unter denselben Daten, mit genau gleich bemessenen Ausschlußfristen und Wiedervorlageterminen. Bei einer derart engen personellen und organisatorischen Verknüpfung beider Verfahren kann (angesichts der auch zur Klärung dieses Punktes für denselben Tag vorgesehenen Wiedervorlage beider Akten) ausgeschlossen werden, daß die aus dem Vollmachttext klar ersichtliche Bedeutung des Nachweises auch für das Klageverfahren allein wegen der dem äußeren Anschein nach "nur" das AdV-Verfahren betreffenden Vorlage des Schriftstücks übersehen wurde.

3. Da das FG -- aus seiner Sicht zu Recht -- keine Feststellungen zur Sache getroffen hat, ist dem Senat eine Entscheidung nach §126 Abs. 3 Nr. 1 FGO verwehrt (§118 Abs. 2 FGO). Die zur Prüfung der Begründetheit der Klage erforderliche Sachauf klärung und die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Änderungsbescheids (§soweit er die Einkommensteuer 1991 betrifft) werden nun im zweiten Rechtsgang nachzuholen sein.

 

Fundstellen

Haufe-Index 66526

BFH/NV 1998, 58

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