Entscheidungsstichwort (Thema)

Verjährung; Korrektur; zu Unrecht in Anspruch genommener Vorsteuerabzug

 

Leitsatz (NV)

1. Die Unanwendbarkeit neuen Verjährungsrechts auf vor dem 31.12. 1976 entstandene Steueransprüche gilt auch für die in § 174 Abs. 3 S. 2 sowie Abs. 4 S. 3 und S. 4 AO 1977 enthaltene Sonderregelung.

2. Der Vorsteuerabzug und seine Korrektur betrifft unmittelbar den Steueranspruch, nicht etwa einen Rückzahlungs- oder Vergütungsanspruch i.S. des § 145 Abs. 2 Nr. 5 AO.

3. Der Umsatzsteueranspruch entsteht auch hinsichtlich des Vorsteuerabzugs mit Ablauf des Besteuerungszeitraums, in dem die umsatzbezogenen Merkmale vorliegen.

4. Nach altem Recht steht der Eintritt der Verjährung, nach neuem Recht derjenige der Festsetzungsverjährung dem Erlaß eines Steuerbescheids oder Steueränderungsbescheids entgegen.

5. Der zur AO (§ 94 Abs. 1 Nr. 2) entwickelte Grundsatz, daß sich treuwidrig verhält, wer die zeitliche Zuordnung einer auch von ihm selbst prinzipiell für berechtigt gehaltenen Korrektur zu einem Veranlagungszeitraum erfolgreich bekämpft, ihrer Durchführung im anderen Veranlagungszeitraum aber die Zustimmung versagt, gilt - jedenfalls während der durch Art. 97 §§ 9 und 10 EGAO geregelten Übergangszeit - auch für die AO 1977 (§ 172 S. 1 Nr. 2a).

 

Normenkette

AO § 94 Abs. 1 Nr. 2, § 144 Abs. 1 S. 2, §§ 145, 146a Abs. 3, § 148 S. 1; AO 1977 § 169 Abs. 1 S. 1, § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2a, § 174 Abs. 3-4; EGAO Art. 97 §§ 9-10; UStG § 13 Abs. 1, § 15 Abs. 1-2, § 16 Abs. 2

 

Verfahrensgang

FG Nürnberg

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war und ist als Steuerberater tätig.

In den Jahren 1972 und 1973 errichtete er ein Einfamilienhaus in A, X-Straße. Mit der Begründung, im Dachgeschoß dieses Gebäudes sollten die Kanzleiräume untergebracht werden, machte er für einen Teil der Baukosten in den Umsatzsteuererklärungen für 1972 und 1973 Vorsteuerabzüge geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) setzte, entsprechend der am 2. Juli 1974 bei ihm eingegangenen Umsatzsteuererklärung des Klägers, die Umsatzsteuerschuld für 1972 gemäß § 100 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung (AO) durch Bescheid vom 31. Juli 1974 auf ./. 4655,96 DM fest.

Im Rahmen einer ersten, vom 10. bis 18. Dezember 1974 beim Kläger durchgeführten, auch die Umsatzsteuer für 1972 und 1973 betreffenden Betriebsprüfung minderte der Prüfer den Vorsteuerabzug auf den zukünftig betrieblich genutzten Teil des Einfamilienhauses für 1972 um 369,93 DM.

Anläßlich einer weiteren, u.a. die Umsatzsteuerveranlagungszeiträume 1974 bis 1976 betreffenden, im Januar/Mai 1979 durchgeführten Außenprüfung stellte der Prüfer fest, daß der Kläger sein Büro nicht in das Einfamilienhaus, sondern ab 1. September 1975 von A, X-Straße nach A, Y-Straße verlegt hatte, und vertrat den Standpunkt, der zu Unrecht in Anspruch genommene Vorsteuerabzug in Höhe von insgesamt 8499,05 DM (1972: 4781 DM; 1973: 3718,05 DM) sei im Jahre 1975 rückgängig zu machen. Zur Bezugsfertigkeit des Einfamilienhauses hat der Prüfer keine exakten Feststellungen getroffen.

Nunmehr wertete das FA beide Prüfungen in Übereinstimmung mit den Berichten aus. Es setzte aufgrund der Betriebsprüfung vom Dezember 1974 die Umsatzsteuerschuld des Klägers für 1972 im (nunmehr endgültigen) Bescheid vom 6. Dezember 1979 auf 4224,87 DM fest und korrigierte den im Hinblick auf die Außenprüfung 1979 für unberechtigt gehaltenen Vorsteuerabzug (8499,05 DM) im Umsatzsteuerbescheid 1975 vom 11. Januar 1980.

Während der Kläger den Umsatzsteuerbescheid 1972 vom 6. Dezember 1979 bestandskräftig werden ließ, focht er den Umsatzsteuerbescheid 1975 vom 11. Januar 1980 an und bestand auf Erfassung der Vorsteuer-Korrektur im Veranlagungszeitraum 1978. Seine Klage hatte im Ergebnis Erfolg: Das Finanzgericht (FG) machte im Urteil vom 29. Juni 1982 die Erhöhung der Umsatzsteuerschuld für 1975 um 8499,05 DM rückgängig, vertrat zur Begründung allerdings die Ansicht, die Berichtigung des Vorsteuerabzugs sei weder für 1975 noch für 1978, sondern für 1972 bzw. 1973 vorzunehmen. Ob letzteres rechtlich noch möglich sei, könne in diesem Verfahren nicht geprüft werden.

Daraufhin änderte das FA unter Berufung auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) mit Bescheid vom 10. Dezember 1982 die Umsatzsteuer 1972 abermals und setzte diese auf 556 DM fest.

Die hiergegen nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte hinsichtlich des Streitjahres Erfolg: Das FG ließ offen, ob der mit den Unklarheiten bei der Verwendungsabsicht zusammenhängende Schwebezustand 1975 oder 1978 beendet worden sei. Denn in beiden Fällen könne in der späteren Verwendung der Räume für private Zwecke ein Ereignis mit steuerlicher Rückwirkung i.S. des § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 (anders als für 1973) für 1972 nicht gesehen werden, weil insoweit, bezogen auf den Bescheid vom 6. Dezember 1979, kein Ereignis mit steuerlicher Rückwirkung vorliege. Eine Korrektur komme nur nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 in Betracht. Dem aber stehe die Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO 1977 entgegen, weil selbst das FA nicht von einer Steuerhinterziehung oder leichtfertigen Steuerverkürzung ausgehe. Auch eine Änderung nach § 174 Abs. 4 AO 1977 sei nicht gerechtfertigt, weil das FA nach dieser Vorschrift keine Fehler hätte korrigieren können, die es im Zeitpunkt der widerstreitenden Steuerfestsetzung nicht mehr hätte berichtigen dürfen. Bei zutreffender Beurteilung des Sachverhalts hätte die Rückgängigmachung des Vorsteuerabzugs nicht im Umsatzsteuerbescheid 1975 vom 11. Januar 1980, sondern teilweise für das Jahr 1972 durchgeführt werden müssen. Für diesen Zeitraum aber sei am 6. Dezember 1979 schon ein bestandskräftiger Bescheid (ohne die Korrektur) ergangen.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 174 Abs. 4 AO 1977. Es ist der Meinung, die Auffassung des FG, § 174 Abs. 4 AO 1977 lasse nur solche Änderungen zu, die im Zeitpunkt der widerstreitenden Festsetzung noch möglich gewesen wären, sei zu eng. Die Vorschrift rechtfertige auch solche Änderungen, die zunächst zwar möglich gewesen, aber infolge irriger Beurteilung unterlassen worden seien. Das FG übersehe, daß diese irrige Beurteilung nicht nur dem Bescheid vom 11. Januar 1980 (für 1975), sondern auch demjenigen vom 6. Dezember 1979 (für 1972) zugrunde gelegen habe.

 

Entscheidungsgründe

I. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Der Senat kann anhand der vom FG festgestellten Tatsachen (§ 118 Abs. 2 FGO) nicht abschließend entscheiden, ob das FG den angefochtenen Bescheid zu Recht aufgehoben hat. Der Sachverhalt ist, was den Eintritt der Verjährung angeht, nicht hinreichend aufgeklärt.

1. Ob und in welchem Umfang die bestandskräftige Veranlagung des Klägers zur Umsatzsteuer 1972 durch den angefochtenen Bescheid noch geändert werden durfte, richtet sich nach den ab 1. Januar 1977 geltenden Vorschriften des neuen Abgabenrechts (§ 415 Abs. 1 AO 1977; Art. 97 § 9 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung - EGAO 1977 - vom 14. Dezember 1976, BGBl I 1976, 3341, BStBl I 1976, 694). - Inwieweit Verjährung eingetreten war, bestimmt sich gemäß Art. 97 § 10 EGAO 1977 allein nach den §§ 143ff. AO i.d.F. des Änderungsgesetzes vom 15. September 1965 (BGBl I 1965, 1356, BStBl I 1965, 643; vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 30. September 1980 VIII R 58/80, BFHE 132, 1, BStBl II 1981, 245; vom 16. Mai 1990 X R 72/87, BFHE 161, 451, BStBl II 1990, 1044; vom 13. November 1991 I R 58/90, BFHE 166, 530, BStBl II 1992, 517; vom 18. Dezember 1991 X R 38/80, BFHE 167, 1, BStBl II 1992, 504; vom 8. April 1992 X R 164/88, BFH/NV 1992, 717), weil die Entstehung des Steueranspruchs vor, die streitige Änderung der Steuerfestsetzung nach dem Stichtag liegt. Der Ausschluß des neuen Verjährungsrechts gilt auch für die in § 174 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 4 Satz 3 und Satz 4 AO 1977 enthaltenen Sonderregelungen (BFH in BFHE 132, 1, BStBl II 1981, 245; in BFHE 167, 1, BStBl II 1990, 1044, sowie in BFH/NV 1992, 717, 718).

a) Streitig ist ein Steueranspruch, kein Rückzahlungs- oder Vergütungsanspruch i.S. des § 145 Abs. 2 Nr. 5 AO. Die nach § 15 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) abziehbaren Vorsteuern gehen gemäß § 16 Abs. 2 UStG als unselbständige Besteuerungsgrundlagen in die Bemessung der Jahressteuerschuld ein und betreffen, gleichgültig, ob sich hieraus ein positiver oder negativer Betrag ergibt, die Steuerfestsetzung i.S. des § 157 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 (§ 211 Abs. 1 AO; vgl. zur negativen Umsatzsteuerschuld BFH-Urteile vom 30. September 1976 V R 109/73, BFHE 120, 562, BStBl II 1977, 227, und vom 19. Dezember 1985 V R 139/76, BFHE 146, 484, BStBl II 1986, 500; R.Hofmann, Umsatzsteuer-Kongreßbericht 1982/83, 189f.; zur Abgrenzung von der Zahlschuld vgl. BFH-Entscheidungen in BFHE 146, 484, BStBl II 1986, 500; vom 22. Juli 1986 VII R 10/82, BFHE 147, 117, BStBl II 1986, 776; vom 16. Oktober 1986 VII R 159/83, BFHE 148, 4, BStBl II 1987, 405; vom 7. November 1989 VII R 34/87, BFHE 159, 106, BStBl II 1990, 201; vom 9. Januar 1990 VII B 77/89, BFH/NV 1990, 660; zum Unterschied Festsetzungs-/Erhebungsverfahren: BFH-Entscheidungen vom 14. November 1984 I R 232/80, BFHE 142, 408, BStBl II 1985, 216; vom 16. Oktober 1986 VII R 159/83, BFHE 148, 4, BStBl II 1987, 405; vom 20. Oktober 1987 VII R 32/87, BFH/NV 1988, 349f.; vom 16. April 1991 VIII R 224/85, BFH/NV 1992, 94; vom 25. Februar 1992 VII R 41/91, BFH/NV 1992, 716).

b) Der streitige Umsatzsteueranspruch ist gemäß § 15 UStG i.V.m. § 13 Abs. 1 UStG mit Ablauf des Besteuerungszeitraums entstanden, in dem die umsatzbezogenen Merkmale vorlagen, d.h. hier selbst dann im Veranlagungszeitraum 1972, wenn der Kläger von der zunächst angestrebten bzw. bekundeten Absicht erst später abgewichen sein sollte, unabhängig von der tatsächlichen erstmaligen Verwendung (§ 15 Abs. 2 UStG). Die nämlich wirkt, auch wenn sie einen längeren Zustand materiell-rechtlicher Ungewißheit beendet, auf den Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs (§ 15 Abs. 1 UStG) zurück (vgl. BFH-Urteile vom 26. Februar 1987 V R 1/79, BFHE 149, 307, BStBl II 1987, 521; vom 30. November 1989 V R 85/84, BFHE 159, 272, BStBl II 1990, 354; vom 5. Oktober 1990 V R 17/85, BFH/NV 1991, 201; vom 21. Februar 1991 V R 38/86, BFH/NV 1992, 61, Umsatzsteuer-Rundschau - UR - 1991, 287; Stadie, Jahrbuch der deutschen steuerjuristischen Gesellschaft - DStJG - Bd.13, 1990, 179, 211). Erst recht im Abzugsjahr 1972 entstanden ist der streitige Steueranspruch, wenn der Abgrenzungsanspruch von Anfang an nicht gegeben war, weil die erklärte Absicht in Wirklichkeit von Anfang an nicht (bzw. nicht hinreichend nach außen hin manifestiert - nachvollziehbar: BFH in BFHE 159, 272, 275, BStBl II 1990, 345 -) bestand.

2. Das FG hätte vorrangig die Frage der Verjährung klären müssen, weil der Verjährungseintritt dem Erlaß eines Änderungsbescheids in jedem Fall entgegenstand, und zwar nach neuem (so ausdrücklich § 169 Abs. 1 Satz 1 AO 1977) wie nach altem Recht (vgl. dazu BFH-Urteil vom 5. März 1987 VII R 29/84, BFHE 149, 132, 133, BStBl II 1987, 413 m.w.N.).

Vor allem wären in diesem Zusammenhang substantiierte tatsächliche Feststellungen zum Problem der Steuerhinterziehung erforderlich gewesen, die dem Senat eine eigenständige Beantwortung der Frage erlaubt hätten, ob im Streitfall die fünfjährige oder die zehnjährige Verjährungsfrist (§ 144 Abs. 1 Satz 1 AO) gilt.

Der (unter einem anderen Gesichtspunkt - § 173 Abs. 2 AO 1977 - gegebene) Hinweis, von einer Hinterziehung (oder leichtfertigen Steuerverkürzung) sei nicht einmal das FA ausgegangen, enthob das FG nicht von der von Amts wegen bestehenden Verpflichtung zu einer gründlichen Sach- und Rechtsprüfung: Immerhin ging es um die Inanspruchnahme eines Steuervorteils durch einen Rechtskundigen, die entscheidend von seiner Absicht abhing, d.h. einer inneren Tatsache; die allerdings mußte sich, um rechtlich bedeutsam zu werden, nach außen hin manifestieren. Zunächst einmal hierzu hätte das FG ermitteln müssen und sich nicht damit begnügen dürfen, daß zu dieser Frage außer mehr oder weniger allgemein gehaltenen Ansichtsbekundungen nur überaus unbestimmte Daten bekanntgeworden sind, die es zweifelhaft erscheinen lassen, daß es jemals objektiv, nach außen hin erkennbare Beweisanzeichen für die erklärte Verwendungsabsicht i.S. des § 15 Abs. 1 UStG gegeben hat. Außerdem sind weder die erstmalige tatsächliche Verwendung des Gebäudes noch die Entwicklung der Pläne des Klägers zur Praxisverlegung im hier interessierenden Zeitraum aufgeklärt und zeitlich eingeordnet worden.

Angesichts der strengen Anforderungen, die gerade im Bereich der Mehrwertsteuer auch unter steuerstrafrechtlichen Gesichtspunkten (§§ 396 AO, 370 AO 1977) an die Abgabe richtiger (zeitgerechter) Erklärungen (Voranmeldungen) zu stellen sind (vgl. Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 370 AO 1977 Tz. 17d, 25, 28f. und 78f. m.w.N.), wären solche weiteren Sachverhaltsermittlungen im Streitfall unerläßlich gewesen. Deren Entscheidungserheblichkeit folgt daraus, daß die steuerstrafrechtliche Behandlung der Sache für die Anwendung des § 144 Abs. 1 AO nicht präjudizierend ist (zumal eine evtl. Selbstanzeige nach § 395 Abs. 1 AO bzw. § 371 Abs. 1 AO 1977 allenfalls Straffreiheit zur Folge haben konnte; vgl. auch Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 169 AO 1977 Tz. 29 und 37) und daß die fünfjährige Verjährungsfrist hier abgelaufen war.

a) Die Verjährung begann gemäß § 145 Abs. 2 Nr. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung für 1972 abgegeben wurde, d.h. zum Jahresende 1974. Maßgeblich war dabei, auch in Fällen wie dem streitigen, stets die Jahreserklärung, nicht etwa die (berichtigende) Voranmeldung (vgl. BFH-Entscheidungen vom 30. Juli 1980 I B 27/80, BFHE 131, 273, BStBl II 1981, 55, und vom 30. Januar 1985 I R 12/82, BFHE 143, 213, BStBl II 1985, 386; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 145 AO Tz. 3; anders ausdrücklich § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977; s. auch Tipke/Kruse, a.a.O., 14. Aufl., § 170 AO 1977 Tz. 2; offensichtlich nicht beachtet im BFH-Beschluß vom 2. Dezember 1991 V B 74/91, BFH/NV 1992, 572).

b) Zu einer Anlaufhemmung nach § 145 Abs. 2 Nr. 4 AO war es nicht gekommen, weil der Bescheid vom 31. Juli 1974 auf § 100 Abs. 2 AO gestützt war (vgl. § 145 Abs. 2 Nr. 4 2. Halbsatz AO).

c) Die regelmäßige Verjährung endete mit Ablauf des Jahres 1979. Nur die am 23. Januar 1979 begonnene Außenprüfung hat diese Frist beeinflussen, ihren Ablauf aber letztlich doch nicht entscheidend hemmen können.

Nach § 146a Abs. 3 AO verjährten, wenn vor Ablauf der Verjährungsfrist mit einer Betriebsprüfung begonnen wurde, die Ansprüche, auf die sich die Betriebsprüfung erstreckte, nicht, bevor die aufgrund der Betriebsprüfung ergangenen Steuerbescheide unanfechtbar geworden waren.

aa) Die erste Betriebsprüfung vom Dezember 1974 wurde erklärtermaßen im Bescheid vom 6. Dezember 1979 ausgewertet. Dieser galt, mit einfachem Brief übermittelt, am 9. Dezember 1979 als bekanntgegeben (§§ 155 Abs. 1, 157 Abs. 1 Satz 1, 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977). Am 9. Januar 1980 endete die hiergegen eröffnete einmonatige Einspruchsfrist (§§ 355 Abs. 1 Satz 1, 108 Abs. 1 AO 1977 i.V.m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -) und damit zugleich auch die fünfjährige Verjährungsfrist für den Umsatzsteueranspruch 1972.

bb) Der Umsatzsteuerbescheid vom 11. Januar 1980 betraf zwar die Umsatzsteuerschuld 1975 und war aufgrund der zweiten Betriebsprüfung vom Januar/Mai 1979 ergangen, die ausdrücklich die Umsatzsteuer nur hinsichtlich der Veranlagungszeiträume 1974 bis 1976 zum Gegenstand hatte. Er hätte gleichwohl Ablaufhemmung auch für die Umsatzsteuer 1972 bewirken können, weil § 146a Abs. 3 AO - insoweit (anders als § 171 Abs. 4 AO 1977) auf den tatsächlichen Prüfungsumfang abstellt (vgl. u.a. BFH-Entscheidungen vom 10. Dezember 1971 III R 35/71, BFHE 104, 282, BStBl II 1972, 331; vom 21. November 1972 VII B 80/71, BFHE 107, 360, BStBl II 1973, 130; vom 31. März 1976 I R 123/74, BFHE 118, 459, BStBl II 1976, 510; vom 15. Dezember 1982 II R 72/81, BFHE 137, 396, BStBl II 1983, 384; vom 22. Oktober 1986 I R 107/82, BFHE 148, 507, BStBl II 1987, 293; vom 11. April 1990 I R 167/86, BFHE 160, 504, BStBl II 1990, 772; vom 28. Juni 1990 V R 93/85, BFH/NV 1991, 210; Tipke/Kruse, a.a.O., § 171 AO 1977 Tz. 16a; Hübschmann/ Hepp/Spitaler, a.a.O., § 171 AO 1977 Tz. 54) und die Feststellungen des Prüfers sich konkret auf den Sachverhaltskomplex Vorsteuerabzug Einfamilienhaus erstreckten, also (ungeachtet der fehlerhaften rechtlichen Folgerungen) in Wirklichkeit (auch) die Umsatzsteuer 1972 betrafen;

- (ebenfalls abweichend vom neuen Recht) keine unmittelbare Auswertung der Prüfungsfeststellungen verlangte, also auch mehrere aufeinander folgende Bescheide als auf Grund der Betriebsprüfung ergangen angesehen werden konnten (vgl. für Grundlagen- und Folgebescheide: BFH-Urteil in BFHE 104, 282, BStBl II 1972, 331, und vom 10. August 1989 III R 5/87, BFHE 158, 109, BStBl II 1990, 38; Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 171 AO 1977 Tz. 58; Tipke/Kruse, a.a.O., § 171 AO 1977 Tz. 16a, jeweils m.w.N.).

- grundsätzlich (bis zur Grenze der Verwirkung) keine zeitliche Begrenzung für die Auswertung der Prüfungsfeststellungen vorsah (BFH in BFHE 104, 282, BStBl II 1972, 331; in BFHE 158, 109, BStBl II 1990, 38, und vom 19. Mai 1992 VIII R 37/90, BFH/NV 1993, 87, 91; Tipke/Kruse, a.a.O., § 171 AO 1977 Tz. 17, jeweils m.w.N.).

Eine solche mittelbare Ablaufhemmung scheitert im Streitfall jedoch daran, daß der Bescheid vom 11. Januar 1980 erst erging, als - fünfjährige Verjährungsfrist vorausgesetzt - die Umsatzsteuerschuld 1972 verjährt und damit erloschen war (§ 148 AO; s.o. unter 2. a.A.).

cc) Gleiches gilt erst recht für den angefochtenen Änderungsbescheid vom 10. Dezember 1982. Auf die Gründe, die ihn im übrigen hätten rechtfertigen können, insbesondere die Prüfung einschlägiger Korrekturtatbestände, kommt es daher im Geltungsbereich der fünfjährigen Verjährungsfrist nicht an.

3. Rechtlich erheblich wird die Frage nach dem einschlägigen Korrekturtatbestand nur, wenn die zehnjährige Verjährungsfrist eingreift. Ist dies nach den vom FG nachzuholenden Ermittlungen zu bejahen, wäre selbst der angefochtene Bescheid vom 10. Dezember 1982, unabhängig von § 146a Abs. 3 AO, noch zu einem bestehenden, nicht verjährten Steueranspruch ergangen, hinge die Rechtmäßigkeitsprüfung entscheidend davon ab, ob er durch eine der Änderungsvorschriften der AO 1977 gedeckt ist.

Als Rechtsgrundlage käme z.B. (ungeachtet der vom FA gegebenen Begründung: BFH-Urteile vom 28. November 1989 VIII R 83/86, BFHE 159, 418, BStBl II 1990, 458, und in BFH/NV 1993, 87, 90) zunächst die allgemeine Regelung des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 in Betracht, wonach ein Steuerbescheid zum Nachteil des Steuerpflichtigen (auch wenn der durch eine Einspruchsentscheidung bestätigt wurde - § 172 Abs. 2 AO 1977 -) aufgehoben oder geändert werden darf, soweit der Steuerpflichtige zustimmt oder seinem Antrag der Sache nach entsprochen wird.

Letzteres ist zwar hier nicht der Fall. Die in der Anfechtung des Bescheids vom 10. Dezember 1982 liegende Weigerung, einer Änderung zuzustimmen, ist aber im Streitfall nach den Grundsätzen von Treu und Glauben unbeachtlich, weil sich der Kläger hierdurch in Widerspruch zu früherem Verhalten setzt. Er hat sich in dem früheren finanzgerichtlichen Verfahren erfolgreich dagegen gewehrt, daß die von ihm, auch aus seiner Sicht, zu Unrecht in Anspruch genommenen, dem Grunde wie der Höhe nach unstreitigen Vorsteuerabzugsbeträge in einem anderen Veranlagungszeitraum steuererhöhend berücksichtigt werden. Er verhält sich treuwidrig, wenn er später verhindern will, daß insoweit nunmehr die richtigen materiell-rechtlichen Folgerungen gezogen werden. Durchgreifende Bedenken, diese zum alten Recht (§ 94 Abs. 1 Nr. 2 AO) entwickelten Grundsätze (vgl. BFH-Urteile vom 7. Dezember 1962 IV 310/60 U, BFHE 76, 446, BStBl III 1963, 162; vom 12. Juli 1963 VI 250/62 U, BFHE 77, 292, BStBl III 1963, 426; vom 7. Juli 1966 V 20/64, BFHE 86, 541, BStBl III 1966, 613; vom 30. Oktober 1975 IV R 15/72, 146/74, BFHE 117, 419, BStBl II 1976, 253) anzuwenden, hat der Senat jedenfalls für den Streitfall nicht (vgl. auch Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 172 AO 1977 Tz. 21; Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., 1990, § 172 AO 1977 Anm. 3a, aa; einschränkend Tipke/Kruse, a.a.O., § 172 AO 1977 Tz. 8, und FG Köln, Urteil vom 19. Dezember 1983 VIII K 465/83, Entscheidungen der Finanzgerichte 1984, 470), weil sonst für die Übergangszeit wegen der Unabgestimmtheit von altem und neuem Korrekturrecht einerseits sowie alter und neuer Verjährungsregelung andererseits (vgl. BFH in BFHE 132, 1, BStBl II 1981, 245; in BFHE 161, 451, BStBl II 1990, 1044; in BFHE 166, 530, BStBl II 1992, 517, und in BFH/NV 1992, 717) nicht sichergestellt ist, daß dem Gesichtspunkt der Begrenzung der Einflußmöglichkeiten des Steuerpflichtigen auf die gebotenen Richtigstellungen ausreichend Rechnung getragen wird. ...

 

Fundstellen

Haufe-Index 419294

BFH/NV 1994, 295

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