Leitsatz (amtlich)

Ist Ausfuhrvergütung zurückgefordert worden, weil ein anderer berechtigt ist, kann der andere einen Vergütungsantrag noch sechs Monate nach der Rückforderung stellen.

 

Normenkette

AO § 154; UStDB 1951 § 76 Abs. 1, 3

 

Tatbestand

Streifig ist noch, ob der Steuerpflichtigen (Klägerin, Revisionsbeklagten) Ausfuhrhändlervergütung und Ausfuhrvergütung für Oktober und November 1961 zusteht.

Die Steuerpflichtige lieferte 1961 Maschinenteile nach … (Ausland). Herstellerin der Waren war die W in … (Inland). Die W lieferte die Waren an die Firma C in … (Ausland), die ihrerseits an die Steuerpflichtige lieferte. Die Lieferungen vollzogen sich im Reihengeschäft. Die W übergab die Waren im Inland einem Spediteur, der den Versand ins Ausland durchführte. Die weißen Spediteurbescheinigungen wurden auf die Steuerpflichtige ausgestellt.

Die Steuerpflichtige wurde eingeschaltet, weil W und C nicht gegenüber den ausländischen Abnehmern in Erscheinung treten wollten. W wollte andererseits die Umsatzsteuerfreiheit für Auslandslieferungen und den Anspruch auf Ausfuhrvergütung behalten. Es fanden Besprechungen zwischen den Vertragsparteien statt. Die Steuerpflichtige erklärte sich bereit, zugunsten von W auf Ausfuhrhändlervergütung und Ausfuhrvergütung zu verzichten. Die Lieferungen sollten nach den Vorstellungen dieser Beteiligten im Ausland stattfinden; es wurde aber übersehen, daß Lieferungen nach § 5 Abs. 2 UStDB 1951 mit der Übergabe an den Spediteur als ausgeführt gelten.

W beantragte und erhielt von ihrem zuständigen Finanzamt (FA) A Ausfuhrvergütung. Die Steuerpflichtige unterließ hingegen vereinbarungsgemäß eine Antragstellung. Nach einer Vergütungsprüfung forderte das FA A von W die Ausfuhrvergütung mit Bescheid vom 13. Dezember 1962 zurück; dieser Bescheid ist bestandskräftig. Nachdem W die Steuerpflichtige von den Bedenken des Vergütungsprüfers benachrichtigt hatte, wandte sich diese mit einem Fernschreiben vom 20. November 1962 an W, in dem es heißt:

„sollte die bei ihnen stattfindende ueberpruefung der exportvertraege ergeben, dass nicht ihre firma, sondern wir den antrag auf exportverguetung haetten stellen muessen, so bitten wir, mit dem fuer sie zustaendigen finanzamt den paragraphen 76 abs. 3 der umsatzsteuerdurchfuehrungsverordnung geltend zu machen.”

In der abschließenden Besprechung am 29. November 1962 mit einem Bediensteten der W erklärte der Vergütungsprüfer, daß § 76 Abs. 3 Satz 2 UStDB 1951 nicht einschlägig sei, weil zwischen Antragsteller (W) und Abnehmer (Steuerpflichtige) die C eingeschaltet gewesen sei; andererseits wies er darauf hin, daß die Ausschlußfrist bei der Steuerpflichtigen für einen Teil der Aufträge noch bis zum 31. Dezember 1962 laufe. Hierbei ging der Prüfer irrig davon aus, der Vergütungszeitraum der Steuerpflichtigen betrage ein Vierteljahr. In Wirklichkeit betrug er aber nur einen Monat (§ 75 Abs. 1 Satz 4 UStDB 1951). Am 10. Dezember 1962 erfuhr die Steuerpflichtige anläßlich einer Besprechung zwischen Bediensteten der Steuerpflichtigen und der der W, daß die Vergütungsprüfung bei W abgeschlossen sei und das FA A Ausfuhrvergütung zurückfordern werde. W gab der Steuerpflichtigen mit Schreiben vom 17. Dezember 1962 Spediteurbescheinigungen und Ausfuhrerklärungen zurück, legte der Steuerpflichtigen nahe, noch bis zum 31. Dezember 1962 Vergütungsanträge zu stellen, und ihr die Vergütungen zur Verfügung zu stellen.

Die Steuerpflichtige wandte sich daraufhin mit Schreiben vom 21. Dezember 1962 an das FA B – Beklagter, Revisionskläger, im folgenden FA –. Sie führte aus: Sie könne dem Erstattungsverlangen der W nur dann nachkommen, wenn sie noch Vergütungsansprüche geltend machen könne. Die Ausschlußfristen seien größtenteils verstrichen. Ihr sei jedoch Nachsicht zu gewähren, weil sie „erstmalig am 10. Dezember 1962” von der Versagung der Ausfuhrvergütung bei W unterrichtet worden sei. Am 15. Januar 1963 stellte die Steuerpflichtige auf amtlichem Muster bezifferte Anträge auf Ausfuhrhändlervergütung und Ausfuhrvergütung.

Das FA lehnte den Vergütungsantrag und den Antrag auf Nachsichtgewährung ab. Der Einspruch blieb erfolglos. Auf die Berufung (Klage) hat das Finanzgericht (FG) den Ablehnungsbescheid und die Einspruchsentscheidung aufgehoben und die Verfahrenskosten zu 54 % der Steuerpflichtigen und zu 46 % dem FA auferlegt. Es hat ausgeführt: Die Ausschlußfristen seien zur Zeit der Antragstellung am 21. Dezember 1962 bereits abgelaufen gewesen. Die Steuerpflichtige sei zwar gehindert gewesen, Vergütungsanträge zu stellen, da bereits die W Anträge gestellt und zunächst Ausfuhrvergütung erhalten habe (§ 76 Abs. 1 UStDB 1951). Nach § 76 Abs. 3 Satz 2 UStDB 1951 laufe aber auch in diesen Fällen die Ausschlußfrist. Der Steuerpflichtigen sei jedoch hinsichtlich der Novemberlieferungen und derjenigen Oktoberlieferungen, bei denen die Waren erst im November die Grenze überschritten hätten, Nachsicht zu gewähren. Die Steuerpflichtige habe unverschuldet den Antrag erst im Dezember statt schon im November 1962 gestellt. Diese Verspätung sei veranlaßt worden durch die wiederholt geäußerte Auffassung des FA A, die Steuerpflichtige könne wegen eines Teils der Lieferungen Vergütungsanträge bis zum 31. Dezember 1962 stellen. Das FA A habe nicht darauf hingewiesen, daß sich bei einem evtl. monatlichen Vergütungszeitraum die Ausschlußfrist verkürze.

Das FA rügt mit der Revision Verletzung des § 86 AO: Die Auskunft sei von einem unzuständigen FA und überdies nicht der Steuerpflichtigen erteilt worden. Die Steuerpflichtige hätten den Sachverhalt von sich aus überprüfen müssen und können. Sie habe die Spediteurbescheinigungen aus der Hand gegeben und sich somit bewußt und schuldhaft der Möglichkeit einer Antragsstellung begeben. Soweit das FG auch für Oktoberlieferungen Nachsicht gewährt habe, habe es § 5 Abs. 2 UStDB 1951 verkannt. Die Ausschlußfrist laufe nicht erst ab Grenzübertritt der Ware, sondern schon ab Übergabe der Ware an den Spediteur.

Das FA beantragt,

das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als das FA hierdurch beschwert ist, und den Antrag der Steuerpflichtigen auf Nachsichtgewährung in vollem Umfang zurückzuweisen.

Die Steuerpflichtige beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie macht geltend: Entgegen der Auffassung des FG laufe die Ausschlußfrist nicht, solange ein Antragshindernis im Sinne des § 76 Abs. 1 UStDB 1951 vorliege. Zum mindesten müsse ihr aber Nachsicht gewährt werden. Dabei sei großzügig zu verfahren (Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – II 92/59 vom 10. Februar 1960, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1961 S. 157 – HFR 1961, 157 –). Sie habe sich in einem Irrtum über die Bedeutung des § 5 Abs. 2 UStDB 1951 befunden. Sie sei dadurch, daß das FA A den Rückforderungsbescheid gegen W erst im Dezember 1962 erlassen habe, unverschuldet an einer früheren Antragstellung gehindert worden. Eine Versagung der Nachsicht verstoße gegen § 131 AO, weil es unbillig sei, Vergütungen, die nach dem Gesetzeszweck einem der Ausfuhrbeteiligten gewährt werden sollten, keinem Beteiligten zu gewähren.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.

1. Der Senat geht davon aus, daß die Steuerpflichtige im finanzgerichtlichen Verfahren begehrt, das FA zu verpflichten, ihr Ausfuhrhändlervergütung und Ausfuhrvergütung im beantragten Umfang zu gewähren. Das angefochtene Urteil stellt allerdings fest, die Steuerpflichtige beantrage, den Ablehnungsbescheid „aufzuheben”. Dieser Formulierung kann jedoch nur scheinbar entnommen werden, die Steuerpflichtige habe eine Anfechtungsklage und nicht – wie es nach der Ablehnung von beantragten Vergütungen sachgemäß ist – eine Verpflichtungsklage erheben wollen. Es kann unerörtert bleiben, ob die Beschränkung auf die Anfechtungsklage zulässig wäre (dafür v. Wallis-List in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 40 FGO Anm. 7). Im vorliegenden Fall ergibt eine Auslegung der Erklärungen der Steuerpflichtigen vor dem FG, daß sie eine Verpflichtungsklage erheben wollte. Die Steuerpflichtige hatte im Schriftsatz vom 14. Juli 1964 an das FG, der noch vor Inkrafttreten der FGO eingereicht worden war, beantragt, festzustellen, daß sie einen Anspruch auf Ausfuhrhändlervergütung und Ausfuhrvergütung für die ab 1. Oktober 1961 ausgeführten Lieferungen habe (FG-Akte Bl. 12). Dieser Antrag war in der mündlichen Verhandlung vom 11. Mai 1966 durch den Vortrag des Berichterstatters Gegenstand des Verfahrens geworden. Nach dem Vortrag des Berichterstatters erklärte die Steuerpflichtige, sie dehne ihr Klagebegehren auf die Vergütungsvorgänge der Zeit ab 1. Januar 1961 aus. Wenn späterhin nur ein Aufhebungsantrag protokolliert wurde, kann darin kein Abrücken der Steuerpflichtigen von ihrem Antrag vom 14. Juli 1964 erblickt werden, dem ab 1. Januar 1966 die Bedeutung einer Verpflichtungsklage beigelegt werden mußte. Das Protokoll ergibt nicht, daß die Fassung der Anträge erörtert wurde. Möglicherweise hatte kurz nach Inkrafttreten der FGO auch das FG noch keine deutliche Vorstellung davon, welche Anträge sachgemäß waren. Jedenfalls kann unter diesen Umständen nicht angenommen werden, die Steuerpflichtige habe bewußt an die Stelle ihres bisherigen sachgemäßen Antrags einen Antrag setzen wollen, der die von ihr angenommene Rechtslage nur teilweise ausschöpfte.

2. Im Rahmen des Revisionsbegehrens muß das angefochtene Urteil insoweit beanstandet werden, als der Tenor die vom FG nach den Urteilsgründen getroffene Entscheidung nicht zum Ausdruck bringt. Nach den Gründen hat das FG die Ablehnung der Vergütungsanträge teilweise für rechtswidrig erachtet. Es hätte sonach eine teilweise Verpflichtung des FA aussprechen müssen, Vergütungen zu gewähren. Das ergibt sich aus § 101 Satz 1 FGO, wonach das FG bei Spruchreife zu verpflichten hat, „soweit” die Ablehnung rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist. Aber auch wenn mit dem FG davon ausgegangen wird, es sei eine bloße Anfechtungsklage erhoben, hätte es nach § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO betragsmäßig angeben müssen, inwieweit die Ablehnung gerechtfertigt war (BFH-Beschluß Gr. S. 3/68 vom 16 Dezember 1968, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 94 S. 436 – BFH 94, 436 –, BStBl II 1969, 192).

3. Das FA durfte entgegen der Auffassung des FG Ausfuhrhändlervergütung in vollem Umfang versagen. Es braucht an dieser Stelle nicht entschieden zu werden, ob ein Antragshindernis nach § 76 Abs. 1 UStDB 1951 die Ausschlußfrist verlängert (vgl. unter 4.). Die W hatte keine Ausfuhrhändlervergütung beantragt, sondern stets nur Ausfuhrvergütung. Sie hatte als Herstellerin auch keinen Anspruch auf Ausfuhrhändlervergütung. Sonach hinderten die von der W eingeleiteten Vergütungsverfahren die Steuerpflichtige nicht, Ausfuhrhändlervergütung geltend zu machen.

Die Anträge konnten binnen einer Ausschlußfrist von 12 Monaten nach Ablauf des Vergütungszeitraums gestellt werden, in dem die vergütungsfähigen Ausfuhrgeschäfte bewirkt worden waren (§ 75 Abs. 1 Nr. 1 b UStDB 1951). Das FG nimmt an, die Ausfuhrgeschäfte seien nicht schon im Zeitpunkt der Übergabe der Waren an den Spediteur bewirkt gewesen (Zeitpunkt der Lieferung, § 5 Abs. 2 UStDB 1951), sondern erst im Zeitpunkt des Grenzübertritts (ebenso Plückebaum-Malitzky, Umsatzsteuergesetz, Kommentar, 9. Aufl. Rdnr. 6349, 6357). Der Senat braucht sich nicht mit der Frage auseinanderzusetzen, in welchem Zeitpunkt ein Ausfuhrgeschäft bewirkt ist. Ausfuhrhändlervergütung kann selbst dann nicht gewährt werden, wenn die Auffassung des FG zutreffend sein sollte. Die letzten vergütungsfähigen Ausfuhrgeschäfte wären dann im Dezember 1961 bewirkt worden, die Ausschlußfrist für diese Ausfuhrgeschäfte am 31. Dezember 1962 abgelaufen. Dem FA hat aber bis zum 31. Dezember 1962 kein Vergütungsantrag vorgelegen. Die Annahme des FG, schon das Schreiben vom 21. Dezember 1962 sei ein Antrag, ist unzutreffend. Zwingendes Formerfordernis eines Ausfuhrhändlervergütungsantrags ist die Benutzung des vom Bundesminister der Finanzen (BdF) vorgeschriebenen Antragsmusters (§ 75 Abs. 2 Satz 1 UStDB 1951). Der Antrag auf amtlichem Muster ist verspätet erst am 15. Januar 1963 bei dem FA eingegangen.

Der Steuerpflichtigen ist keine Nachsicht zu gewähren. Nach §§ 86, 87 AO in der Fassung bis zum 31. Dezember 1965 konnte Nachsicht wegen Versäumung der Frist für den Antrag auf Gewährung einer Steuervergütung beantragen, wer ohne Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten; der Antrag war innerhalb zweier Wochen nach Ablauf des Tages zu stellen, an dem der Antrag zuerst gestellt werden konnte. Die Voraussetzungen der §§ 86, 87 AO a. F. haben selbst dann nicht vorgelegen, wenn dem FG darin gefolgt wird, die Steuerpflichtige habe schuldlos darauf vertrauen können, daß die Ausschlußfrist für alle Ausfuhrgeschäfte, die noch Gegenstand des Verfahrens sind, bis zum 31. Dezember 1962 und danach die Nachsichtfrist bis zum 14. Januar 1963 laufe. In diesem Falle wäre zwar der Nachsichtantrag rechtzeitig, nämlich am 21. Dezember 1962, gestellt worden. Die Steuerpflichtige hätte jedoch versäumt, rechtzeitig die unterlassene Rechtshandlung nachzuholen. Ein formgerechter Vergütungsantrag ist beim FA erst am 15. Januar 1963 eingegangen. Allerdings sagt § 87 Abs. 2 Satz 2 AO a. F. nur, die Einlegung eines „versäumten Rechtsmittels” sei innerhalb der für den Nachsichtantrag maßgebenden Frist nachzuholen. Erst § 86 Abs. 2 Satz 3 AO n. F. formuliert allgemein, innerhalb der Antragsfrist sei die „versäumte Rechtshandlung” nachzuholen. Dieser Rechtszustand bat aber ohne ausdrückliche Regelung bereits vor dem 1. Januar 1966 gegolten. Der Vergütungsantrag ist in § 87 AO a. F. deshalb nicht erwähnt, weil anläßlich der Erweiterung des § 86 AO auf Vergütungsanträge (Gesetz zur Änderung von einzelnen Vorschriften der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze vom 11. Juli 1953, Bundesgesetzblatt I 1953 S. 511, BStBl I 1953, 262, vgl. Art. 1 Nr. 14) unterlassen wurde, § 87 AO dem veränderten § 86 AO anzupassen. In § 87 AO a. F. ist weiterhin (nicht nur in Abs. 2 Satz 2, sondern auch in Abs. 1 und 4) lediglich von versäumten Rechtsmitteln die Rede. Die Vorschrift mußte aber auf die Versäumung einer Vergütungsfrist entsprechend angewandt werden; eine andere verfahrensrechtliche Regelung war für diese Art der Nachsichtgewährung nicht gegeben und nicht angängig. Demgemäß erwähnt auch die Regierungsbegründung zu § 162 Nr. 14 FGO, der § 86 Abs. 2 Satz 3 AO n. F. einführte, die Neufassung der §§ 86, 87 AO solle lediglich zusammenfassen und klarstellen (Bundestagsdrucksache IV/1446 S. 61).

4. Hingegen durfte das FG die beantragte Ausfuhrvergütung nicht versagen.

Zu Recht rügt allerdings das FA, daß das FG Nachsicht gewährt hat. Wenn die Ausschlußfristen bei Antragstellung am 15. Januar 1963 abgelaufen gewesen wären, hätte insoweit ebensowenig wie für die Versäumung der Ausfuhrhändlervergütung-Ausschlußfristen Nachsicht gewährt werden können. Die Ausschlußfristen waren jedoch am 15. Januar 1963 noch nicht abgelaufen. Es kommt entgegen der Auffassung des FG dem Umstand Bedeutung zu, daß W Ausfuhrvergütung beantragt und erhalten hatte.

Nach § 76 Abs. 1 UStDB 1951 sind Ausfuhrvorgänge nicht vergütungsfähig, wenn ein Vergütungsantrag bereits gestellt worden ist, es sei denn, daß der Antrag rechtskräftig zurückgewiesen worden ist oder gezahlte Vergütungen zurückgefordert worden sind. Diese Regelung kann dazu führen, daß während des Laufs der Ausschlußfrist der Vergütungsberechtigte keinen zulässigen Antrag stellen kann, weil zunächst ein vermeintlich Berechtigter den Antrag gestellt und Vergütung erhalten hat. Die fehlende Antragsberechtigung des vermeintlich Berechtigten und tatsächlich Begünstigten steht einer Anwendung der Vorschrift nicht entgegen (BFH-Urteile V 238/63 vom 21. April 1966 BFH 85, 355, BStBl III 1966, 336; V 39/65 vom 22. Februar 1968, BFH 92, 63). § 76 Abs. 3 Satz 2 UStDB 1951 gibt nicht in jedem Fall einen Ausgleich. Die Vergütung wird danach dem vermeintlich Berechtigten nur dann belassen und steht für einen zivilrechtlichen Ausgleich nur dann zur Verfügung, wenn der vermeintliche zu dem richtigen Vergütungsberechtigten im Verhältnis eines Lieferers oder Abnehmers steht. In anderen Fällen ergäbe sich daher, folgte man der Auffassung des FG, folgende Konsequenz: Der vermeintlich Berechtigte müßte die Vergütung zurückzahlen, und der richtige Vergütungsberechtigte könnte wegen Ablaufs der Ausschlußfrist keinen Antrag mehr stellen. Das formelle Recht würde den Ausschluß der Vergütung bewirken, ohne daß es der Vergütungsberechtigte hindern könnte und obwohl nach materiellem Vergütungsrecht unzweifelhaft ein vergütungsfähiger Ausfuhrvorgang vorliegt.

Durch eine solche buchstabengetreue Anwendung des Gesetzes würde dessen Sinn und Zweck aufgehoben. Sie kann deshalb nicht rechtens sein. Dazu ist folgendes zu bedenken: Die Ausschlußfrist für die Geltendmachung von Ausfuhrhändlervergütung und Ausfuhrvergütung endet ohnehin nicht immer 12 Monate nach Ablauf des Vergütungszeitraums. Sie wird vielmehr gemäß §§ 154, 158 Abs. 2 AO gehemmt, wenn der Vergütungsberechtigte durch höhere Gewalt oder wegen fehlender Geschäftsfähigkeit und fehlender gesetzlicher Vertretung gehindert ist, Anträge zu stellen (§ 154 Abs. 1 AO) oder wenn der Vergütungsanspruch zu einem Nachlaß gehört, den der Erbe noch nicht angenommen hat oder über den noch nicht Konkurs eröffnet worden ist (§ 154 Abs. 2 AO). § 154 AO regelt die Hemmung von Antragsfristen im Erstattungs- und Vergütungsrecht jedoch nicht abschließend. Die Vorschrift ist aus § 131 AO 1919 hervorgegangen. Becker hat die §§ 127 ff. AO 1919 als den „Versuch … einer ersten Regelung wenig geklärter Fragen” bezeichnet (Reichsabgabenordnung 1922 Anm. 1 vor § 127). Dieser Versuch war gekennzeichnet durch die Übernahme einiger Vorschriften des BGB über die Hemmung der Verjährung (§§ 203, 206, 207 BGB). Während die Fristenhemmung im Abgabenverjährungsrecht eine Neuregelung erfahren hat (§§ 146, 146 a AO in der ab 1966 geltenden Fassung), ist § 154 AO stets unverändert geblieben. Nach Auffassung des Senats ist zugunsten der Steuerpflichtigen eine entsprechende Anwendung des § 154 Abs. 2 AO geboten. § 154 Abs. 2 AO trägt dem Umstand Rechnung, daß bis zur Bestimmung des Berechtigten (Erbannahme) ein im Nachlaß vorhandener Erstattungs- oder Vergütungsanspruch nicht geltend gemacht werden kann. Ähnlich liegt der Fall der Steuerpflichtigen. Diese stand als Berechtigte erst fest, als das FA von W die Ausfuhrvergütung zurückforderte. Jetzt erst erfüllte sie alle gesetzlichen Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme der Ausfuhrvergütung. Vorher wäre ein Antrag nach § 76 Abs. 1 UStDB 1951 abgelehnt worden.

Die entsprechende Anwendung des § 154 Abs. 2 AO wird insbesondere gerechtfertigt durch den in § 202 Abs. 1 BGB enthaltenen, im Rechtsinstitut von Treu und Glauben wurzelnden und deshalb auch für öffentlich-rechtliche Ausschlußfristen gültigen Rechtsgrundsatz, daß eine dem Schutz des Verpflichteten dienende Frist nicht verstreichen kann, solange dieser gegenüber dem Anspruch des Berechtigten ein Leistungsverweigerungsrecht hat.

Danach steht der Steuerpflichtigen Ausfuhrvergütung zu. Die Ausschlußfrist für die Beantragung der Ausfuhrvergütung ist bei entsprechender Anwendung des § 154 Abs. 2 AO erst sechs Monate nach Rückforderung der Ausfuhrvergütung bei WGW abgelaufen, d. h. am 17. Juni 1963. Die Steuerpflichtige hatte aber bereits am 15. Januar 1963 einen formgerechten Antrag gestellt.

5. Der Senat ist in der Lage, abschließend zu entscheiden. Soweit Ausfuhrhändlervergütung beantragt ist, ist die Klage abzuweisen. Soweit Ausfuhrvergütung beantragt ist, ist das FA unter Abänderung des Ablehnungsbescheids und der Einspruchsentscheidung zu verpflichten, der Steuerpflichtigen Ausfuhrvergütung in Höhe von … DM zu gewähren. Das FA kann hingegen nicht verpflichtet werden, weitere Ausfuhrvergütung in Höhe von … DM zu gewähren.

Insoweit hat das FG den Versagungsbescheid rechtskräftig bestätigt. Die Steuerpflichtige hat das Urteil nicht angegriffen. Der Senat kann es nur im Rahmen des Revisionsbegehrens des FA abändern (§§ 121, 96 Abs. 1 Satz 2 FGO). Er ist auch nicht in der Lage, die erst in der Revision bestätigte Versagung von weiteren … DM Ausfuhrhändlervergütung mit der Versagung der erwähnten … DM Ausfuhrvergütung zu „saldieren”. Zwar dürfen die Steuergerichte auf Anfechtungsklage im Rahmen der Anträge bisher unbeachtete Bescheidsfehler mit einem unbegrüdeten Vorbringen ausgleichen (BFH-Beschluß Gr. S. 1/66 vom 17. Juli 1967, BFH 91, 393, BStBl II 1968, 344). Es mag auch unterstellt werden, daß diese Rechtsprechung auf eine Verpflichtungsklage nach abgelehntem Antrag erstreckt werden kann. Ihre Anwendung setzt jedoch sowohl bei Anfechtungs- wie bei Verpflichtungsklagen voraus, daß die Verwaltung einheitlich über die zu saldierenden Punkte entscheiden muß. Das trifft zu für die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen in einem Steuerbescheid (§ 213 Abs. 1 AO). Im vorliegenden Fall hätte das FA jedoch über die Gewährung von Ausfuhrhändlervergütung und Ausfuhrvergütung gesondert befinden können.

 

Fundstellen

Haufe-Index 514891

BFHE 1970, 270

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