Entscheidungsstichwort (Thema)

Gewährung des Vorsteuerabzugs für einen Grundstückserwerb von einem illiquiden Veräußerer

 

Leitsatz (NV)

Der Vorsteuerabzug durch den Grundstückserwerber ist grundsätzlich nicht rechtsmißbräuchlich, wenn der Grundstücksveräußerer eine Grundstückslieferung als steuerpflichtig behandelt. Dies gilt auch für einen Grunderwerb vom illiquiden Veräußerer, wenn der Erwerber den Kaufpreis (einschließlich Umsatzsteuer) bezahlt.

 

Normenkette

AO 1977 § 42; UStG 1980 § 4 Nr. 9 Buchst. a, §§ 9, 15

 

Verfahrensgang

FG Rheinland-Pfalz

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) kaufte im Jahre 1989 einen Miteigentumsanteil an einem Grundstück in S verbunden mit Sondereigentum nach dem Wohnungseigentumsgesetz. Der Kaufpreis betrug 2 745 000 DM (einschließlich 337 105,26 DM Umsatzsteuer). Die Verkäuferin (V) hatte die Immobilie verpachtet. Nach dem Erwerb trat die Klägerin in die bestehenden Pachtverträge ein.

V war eine in Liquidation befindliche KG. Das Grundstück stand im Zeitpunkt des Verkaufs unter Zwangsverwaltung.

Zur Finanzierung des Kaufpreises übernahm die Klägerin die durch Grundschulden gesicherten Verbindlichkeiten der V gegenüber einer Bank, bei der die Klägerin ihrerseits auch wieder Darlehen zur Tilgung des Kaufpreises aufnahm. Von dem Kaufpreis erhielt V nichts ausbezahlt, vielmehr wurde er in vollem Umfang zur Tilgung ihrer Bankschulden verwandt.

In ihrer Umsatzsteuer-Voranmeldung für das 3. Kalendervierteljahr 1989 machte die Klägerin einen Vorsteuerüberschuß von 338 768,80 DM geltend, der sich aus der im Grundstückskaufvertrag ausgewiesenen Umsatzsteuer und weiteren mit dem Grunderwerb zusammenhängenden Vorsteuern ergab. Eine daraufhin angeordnete Umsatzsteuersonderprüfung ergab, daß bei einer steuerfreien Veräußerung des Grundstücks (§ 4 Nr. 9 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes -- UStG -- 1980) der Vorsteuerabzug der V gemäß § 15 a UStG 1980 lediglich in Höhe von 24 416 DM hätte berichtigt werden müssen. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) verweigerte daraufhin den von der Klägerin geltend gemachten Vorsteuerabzug.

Hiergegen erhob die Klägerin nach erfolglosem Einspruch Klage. Während des Klageverfahrens erließ das FA den Jahressteuerbescheid für 1989, den die Klägerin gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Verfahrens machte. Sie errechnete sich für das Kalenderjahr 1989 einen Vorsteuerüberschuß von 335 114,50 DM.

Das Finanzgericht (FG), dessen Urteil in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1994, 64 abgedruckt ist, gab der Klage statt.

Hiergegen wendet sich das FA mit seiner Revision. Es rügt Verletzung materiellen Rechts; nach den Sachverhaltsfeststellungen des FG sei es offen, ob dem Vorsteuerabzug ein Gestaltungsmißbrauch i. S. von § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) entgegenstehe.

Das FA führt im einzelnen aus, nach den Gesamtumständen des Falles sei davon auszugehen, daß die Klägerin die V dazu bewogen habe, auf die Steuerfreiheit des Grundstücksumsatzes zu verzichten. Soweit sich dies nicht bereits aus dem vom FG festgestellten Sachverhalt ergebe, seien die entsprechenden Feststellungen noch nachzuholen. Die dem Veräußerer in § 9 UStG 1980 eingeräumte Möglichkeit, auf die Steuerfreiheit der Grundstücksveräußerung zu verzichten, habe den Sinn, ihm den Vorsteuerabzug für das Grundstück zu belassen. Dieser Sinn entfalle, wenn das Grundstück gar nicht oder nur in ganz geringem Umfang mit Vorsteuern belastet sei. Das FG sei zu Unrecht davon ausgegangen, daß in der Person der Klägerin ein Gestaltungsmißbrauch deshalb ausscheide, weil sie mit dem Kaufpreis und der darin enthaltenen Umsatzsteuer belastet sei. Es sei vielmehr in Betracht zu ziehen, daß die Beteiligten aus einem feststehenden "Nettopreis" Umsatzsteuer herausgerechnet hätten. Es sei dann aber ungereimt, danach zu differenzieren, ob der Kaufpreisanspruch des illiquiden Grundstücksveräußerers mit Forderungen des Grundstückserwerbers oder mit Forderungen eines anderen Gläubigers des Grundstücksveräußerers verrechnet werde. Schießlich stütze das FG seine Rechtsauffassung auch zu Unrecht auf die Neuregelung des § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV) durch die Neunte Verordnung zur Änderung der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung vom 3. Dezember 1992 (BGBl I 1992, 1982, BStBl I 1993, 49), da die Rechtslage ungeklärt gewesen sei und bereits vor der endgültigen Klärung für den Verordnungsgeber ein Handlungsbedarf zwecks Vermeidung möglicher Steuerausfälle bestanden habe.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.

Die Klägerin ist der Revision entgegengetreten.

Beide Parteien haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist unbegründet.

1. Der Klägerin steht der begehrte Vorsteuerabzug zu.

a) Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG 1980 für den Vorsteuerabzug sind im Streitfall erfüllt. Die Klägerin ist als Verpächterin Unternehmerin. Dasselbe galt für V, solange sie noch mit der Liquidation der ihrem Unternehmen zugeordneten Gegenstände beschäftigt war. V hat der Klägerin die verkaufte Immobilie für ihr Unternehmen geliefert und ihr hierfür die Umsatzsteuer im Kaufvertrag gesondert in Rechnung gestellt.

b) § 42 AO 1977 (Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts) schließt den Vorsteuerabzug nicht aus.

Nach dieser Vorschrift kann durch Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden. Liegt ein Mißbrauch vor, so entsteht der Steueranspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht.

Für die Frage, ob einem Grundstückserwerber eine mißbräuchliche Gestaltung mit der sich aus § 42 Satz 2 AO 1977 ergebenden Rechtsfolge entgegengehalten werden kann, ist auf die Verhältnisse in der Person des Erwerbers abzustellen; denn § 42 AO 1977 betrifft nach Wortlaut und systematischer Stellung (im Abschnitt Steuerschuldverhältnis, §§ 37 bis 50 AO 1977) den Steueranspruch aus dem konkreten Steuerschuldverhältnis des einzelnen Steuerpflichtigen.

Der Vorsteuerabzug durch den Grund stückserwerber ist grundsätzlich nicht rechtsmißbräuchlich, wenn der Grundstücksveräußerer eine Grundstückslieferung als steuerpflichtig behandelt; vielmehr soll der Verzicht auf die Steuerbefreiung dem Erwerber den Vorsteuerabzug regelmäßig gerade ermöglichen (vgl. Senatsurteile vom 24. Februar 1994 V R 80/92, BFHE 173, 468, BStBl II 1994, 487, und vom 6. Juni 1991 V R 70/89, BFHE 165, 1, BStBl II 1991, 866 unter 4.).

Der Senat hat einen Mißbrauch beim Erwerber allerdings für den Fall bejaht, daß dieser den vereinbarten Kaufpreis (einschließlich Umsatzsteuer) dem Verkäufer gar nicht auszahlt, sondern mit eigenen -- infolge der wirtschaftlichen Situation des Veräußerers notleidenden -- Gegenforderungen verrechnet (vgl. Urteile in BFHE 165, 1, BStBl II 1991, 866; vom 23. September 1993 V R 3/93, BFH/NV 1994, 745). Bei einer derartigen Gestaltung wird der Fiskus in Höhe des geltend gemachten Vorsteueranspruchs im wirtschaftlichen Ergebnis vom Erwerber zur Erfüllung seiner wertlosen oder jedenfalls gegenwärtig nicht vollwertigen Forderung gegen den überschuldeten Veräußerer herangezogen. Der Grundstückserwerber will, wirtschaftlich gesehen, insoweit seine notleidende Forderung gegenüber dem Veräußerer gegen einen sicher realisierbaren Vorsteuerabzugsanspruch austauschen. Dies geschieht auf Kosten des Fiskus, der von einer Erhebung der entsprechenden Umsatzsteuer bei dem überschuldeten Leistenden infolge der Verrechnung des Kaufpreisanspruchs seitens des Erwerbers praktisch ausgeschlossen ist (vgl. hierzu auch Reiß, Umsatzsteuer-Rundschau -- UR -- 1992, 42; Tipke/Kruse, Abgabenordnung- Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 42 AO 1977 Tz. 36; Weiß, UR 1991, 317; Wagner, Die Rechtsprechung zum Gestaltungsmißbrauch im Umsatzsteuerrecht, in: Steuerrecht, Verfassungsrecht, Finanzpolitik, Festschrift für Franz Klein, Köln 1994, S. 977 ff.).

Ein derartiger Sachverhalt ist im Streitfall nicht gegeben. Vielmehr hat die Klägerin den Kaufpreis in voller Höhe (einschließlich Umsatzsteuer) ohne Verrechnung mit eigenen Forderungen gezahlt. Der Vorteil des Vorsteuerabzugs, den die Klägerin durch den Verzicht der V auf die Steuerfreiheit der Grundstückslieferung erlangt hat, wird dadurch ausgeglichen, daß die Klägerin mit dem vereinbarten Kaufpreis auch die gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer bezahlen mußte. Ein verbleibender Vorteil der Klägerin ist weder festgestellt noch erkennbar.

2. Anhaltspunkte dafür, daß die Klägerin auch ohne den Verzicht der V auf die Steuerbefreiung und ohne den ihr dadurch ermöglichten Vorsteuerabzug bereit gewesen wäre, einen Grundstückskaufpreis von 2 745 000 DM zu akzeptieren, sieht der Senat nicht. Da die Umsatzsteuer grundsätzlich auf Abwälzung angelegt ist, ist in der Regel vielmehr davon auszugehen, daß die Abwälzung gelungen ist. Es kann deshalb auch nicht unterstellt werden, daß der Grundstückserwerber, der den Kaufpreis bezahlt (und nicht nur mit eigenen notleidenden Forderungen verrechnet), durch die Option des Veräußerers zur Steuerpflicht einen unangemessenen Steuervorteil erlangt.

Auf die Frage, ob die Option in der Person des Grundstücksveräußerers unangemessen ist, kommt es nicht an, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 9 UStG 1980 für den Verzicht des Veräußerers auf die Steuerbefreiung erfüllt sind. Es kann deshalb dahinstehen, ob der Verzicht auf die Steuerbefreiung dem leistenden Unternehmer den Vorsteuerabzug erhalten und/oder dem Leistungsempfänger verschaffen soll. In jedem Fall waren die Tatbestandsvoraussetzungen des § 9 Abs. 1 UStG 1980 für den Verzicht der V auf die Steuerfreiheit des Grundstücksumsatzes gegeben.

Wie das FG zutreffend bemerkt hat, hat der erkennende Senat in der Neuregelung des § 51 UStDV 1993 eine gewisse Bestätigung für seine Rechtsprechung gesehen, daß der Vorsteuerabzug für den Grunderwerb vom illiquiden Veräußerer nicht generell nach § 42 AO 1977 ausgeschlossen ist (Urteile des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 16. März 1993 V R 54/92, BFHE 171, 7, BStBl II 1993, 736, und vom 29. April 1993 V R 93/89, BFH/NV 1994, 510). Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStDV 1993 hat der Ersteher eines Grundstücks im Zwangsversteigerungsverfahren die Steuer von der Gegenleistung einzubehalten. Die Regelung beruht auf § 18 Abs. 8 Satz 1 Nr. 3 UStG 1993. Diese Vorschrift bezweckt die Sicherung des Steueranspruchs; ihr liegt die Erwägung zugrunde, daß im Fall der Zwangsversteigerung der Grundstücksveräußerer zur Entrichtung der von ihm geschuldeten Umsatzsteuer in der Regel nicht in der Lage ist, der Leistungsempfänger aber gleichwohl den Vorsteuerabzug geltend machen kann (so die Gesetzesbegründung der Bundesregierung in BTDrucks 12/2463 S. 35). Dies spricht dafür, daß der Vorsteuerabzug bei einem Grundstückserwerb vom illiquiden Veräußerer im Fall der Zwangsversteigerung regelmäßig nicht gemäß § 42 AO 1977 ausgeschlossen ist und auch vor der Neuregelung nicht generell ausgeschlossen war.

Das FG hat den nach seiner (zutreffenden) materiell-rechtlichen Rechtsauffassung erheblichen Sachverhalt vollständig aufgeklärt. Einer weiteren Sachverhaltsaufklärung bedurfte es nicht (vgl. BFH-Beschluß vom 6. März 1991 II B 65/89, BFH/NV 1992, 199).

 

Fundstellen

BFH/NV 1995, 1029

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