Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifbegünstigte Veräußerung eines Praxisanteils i.S. der §§ 18 Abs.3, 34 EStG - Auslegung einer von einer Gemeinschaftspraxis eingelegten Klage als Klage der Gesellschafter - vom FG rechtsfehlerhaft als unbegründet statt als unzulässig abgewiesene Klage: keine Aufhebung des FG-Urteils

 

Leitsatz (amtlich)

Die tarifbegünstigte Veräußerung eines Praxisanteils i.S. der §§ 18 Abs.3, 34 EStG setzt die Übertragung aller wesentlichen vermögensmäßigen Grundlagen der freiberuflichen Tätigkeit einschließlich des Patientenstammes/Mandantenstammes voraus (Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung). Hierzu ist bei Veräußerung des gesamten Anteils an einer Praxis --im Gegensatz zur Veräußerung nur eines Teils des Praxisanteils-- erforderlich, daß die freiberufliche Tätigkeit in dem bisher örtlich begrenzten Wirkungskreis für eine gewisse Zeit eingestellt wird (Abgrenzung zum BFH-Urteil vom 14. September 1994 I R 12/94, BFHE 176, 520, BStBl II 1995, 407).

 

Orientierungssatz

1. Zu den wesentlichen vermögensmäßigen Grundlagen einer freiberuflichen Praxis gehören insbesondere immaterielle Wirtschaftsgüter wie die Beziehungen des Praxisinhabers zu seinen bisherigen Mandanten und das durch den Praxisnamen bestimmte Wirkungsfeld.

2. NV: Im Streitfall: Auslegung einer von einer zahnärztlichen Gemeinschaftspraxis wegen des Veräußerungsgewinns eines Gesellschafters eingelegten Klage als Klage der Gesellschafter, weil nach der für das Streitjahr 1991 gültigen Gesetzesfassung des § 48 Abs.2 FGO nicht die Gesellschaft, sondern nur die Gesellschafter klagebefugt waren.

3. NV: Hat das FG die Klagen insgesamt als unbegründet zurückgewiesen, obwohl es sie richtigerweise teils als unzulässig, teils als unbegründet hätte abweisen müssen, so muß der BFH das angefochtene Urteil trotz dieses Rechtsfehlers nicht aufheben, weil der Tenor des Urteils richtig ist (vgl. BFH-Urteil vom 20.4.1988 I R 67/84).

 

Normenkette

EStG § 18 Abs. 3, § 34 Abs. 2 Nr. 1; FGO § 126 Abs. 2, 3 Nr. 2, § 48 Abs. 2

 

Tatbestand

Die Zahnärzte L, St und Dr. S waren an der zahnärztlichen Gemeinschaftspraxis L, St und Dr. S in X zu je 1/3 beteiligt. Am 30. September 1986 schied L, der entsprechend seiner Ausbildung sowohl als Zahnarzt als auch als Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurg tätig war, aus der Gemeinschaftspraxis aus und übertrug seinen Anteil hieran auf die beiden übrigen Gesellschafter. Ab dem 1. Oktober 1986 führte L seine ärztliche Tätigkeit, nunmehr mit dem Schwerpunkt der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, in einer neuen Praxis in X fort.

In der Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte für das Streitjahr (1986) erklärte die zahnärztliche Gemeinschaftspraxis einen Veräußerungsgewinn i.S. des § 18 Abs.3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) aus dem Mitunternehmeranteil L in Höhe von 33 550 DM.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) erfaßte den Betrag von 33 550 DM im Streitjahr zusätzlich zu dem erklärten Gewinn aus der Gesellschaft als laufenden Gewinn des L.

Der hiergegen eingelegte Einspruch war ohne Erfolg.

Die Klage wies das Finanzgericht (FG) als unbegründet ab, weil L seine freiberufliche Tätigkeit in Form einer Einzelpraxis fortgeführt habe. Ein tarifbegünstigter Veräußerungsgewinn bei freiberuflicher Tätigkeit liege nur dann vor, wenn sich der bisherige Inhaber von allen wesentlichen Betriebsgrundlagen trennt bzw. seinen Anteil am Betrieb/an der Praxis vollständig aufgibt. Der Praxisinhaber bzw. das Mitglied der freiberuflichen Sozietät, das seine bisherige Tätigkeit nicht vollständig aufgibt, könne diese entweder nur örtlich getrennt von der bisherigen Praxis fortführen oder müsse einen gewissen Zeitraum abwarten, ehe die Tätigkeit mit einer neuen Praxis fortgeführt werden könne.

Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung der §§ 16, 18 und 34 EStG. Die höchstrichterliche Rechtsprechung halte an den im FG-Urteil genannten Auffassungen nicht mehr fest. Veräußerung und Übertragung eines Mitunternehmeranteils müßten in allen denkbaren Fallgestaltungen steuerlich gleich behandelt werden. Es könne nicht auf die Einstellung der freiberuflichen Tätigkeit in dem bisherigen örtlich begrenzten Wirkungskreis abgestellt werden.

Die Kläger beantragen sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und den Betrag von 33 550 DM als steuerbegünstigten Veräußerungsgewinn nach § 18 Abs.3 i.V.m. § 16 und § 34 EStG festzustellen.

++/ Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen. Die von den Klägern genannte Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) betreffe ausschließlich die Übertragung eines Teils eines Mitunternehmeranteils an einer freiberuflich tätigen Personengesellschaft. Für diesen Fall sei nach Auffassung des BFH die Einstellung der freiberuflichen Tätigkeit im bisherigen Wirkungskreis zumindest für eine gewisse Zeit keine Voraussetzung für die Anwendung des § 18 Abs.3 EStG. Scheide jedoch wie im Streitfall ein Freiberufler aus einer Gemeinschaftspraxis aus und eröffne er im bisherigen örtlichen Wirkungskreis eine Einzelpraxis, so behalte er einen wesentlichen Teil seines Patientenstammes und damit seines Praxiswertes zurück. Da mithin nicht alle wesentlichen Betriebsgrundlagen übertragen seien, liege keine steuerbegünstigte Veräußerung i.S. des § 18 Abs.3 i.V.m. §§ 16 Abs.2 bis 4, 34 Abs.1 und 2 EStG vor. /++

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

++/ Das FG hat die Klagen in dem mit der Revision angefochtenen Urteil im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Zwar hätte das FG die Klagen richtigerweise teils als unzulässig, teils als unbegründet abweisen müssen. Das angefochtene Urteil ist trotz dieses Rechtsfehlers nicht aufzuheben, weil der Tenor des Urteils richtig ist (vgl. BFH-Urteil vom 20. April 1988 I R 67/84, BFHE 154, 5, BStBl II 1988, 927).

1. Der Senat legt die Klage der zahnärztlichen Gemeinschaftspraxis aus als Klagen der Gesellschafter L, St und Dr. S. Denn nach der für das Streitjahr maßgebenden Regelung des § 48 Abs.2 FGO a.F. war nicht eine Klagebefugnis der Gesellschaft, sondern lediglich der Gesellschafter gegeben.

2. Die Klagen der Gesellschafter St und Dr. S sind jedoch unzulässig. Die beiden Gesellschafter können unter keinem denkbaren Gesichtspunkt in ihren Rechten dadurch verletzt sein (§ 40 Abs.2 FGO), daß das FA bei L einen laufenden Gewinn anstelle eines Veräußerungsgewinns angesetzt hat. Die Qualifizierung als steuerbegünstigten Veräußerungsgewinn oder laufenden Gewinn des L betrifft ausschließlich L und hat keinen Einfluß auf den St und Dr. S zugewiesenen Anteil am übrigen Gewinn der Gemeinschaftspraxis. /++

3. Das FG hat die Annahme einer tarifbegünstigten Anteilsveräußerung i.S. des § 18 Abs.3 i.V.m. § 34 Abs.1 und 2 EStG im Ergebnis zu Recht verneint.

Nach § 18 Abs.3 Satz 1 EStG gehört zu den Einkünften aus selbständiger Arbeit u.a. der Gewinn, der bei der Veräußerung eines Anteils am Vermögen erzielt wird, das der selbständigen Arbeit dient. Nach § 34 Abs.1 und 2 Nr.1 EStG ist die auf außerordentliche Einkünfte i.S. des § 18 Abs.3 EStG entfallende Einkommensteuer nach einem ermäßigten Steuersatz zu bemessen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil vom 7. November 1985 IV R 44/83, BFHE 145, 522, BStBl II 1986, 335) setzt die tarifbegünstigte Veräußerung eines Anteils am Vermögen i.S. der §§ 18 Abs.3, 34 EStG voraus, daß alle wesentlichen vermögensmäßigen Grundlagen der freiberuflichen Tätigkeit auf den Praxiserwerber übertragen oder in das Privatvermögen überführt werden. Zu den wesentlichen vermögensmäßigen Grundlagen einer freiberuflichen Praxis gehören insbesondere immaterielle Wirtschaftsgüter wie die Beziehungen des Praxisinhabers zu seinen bisherigen Mandanten und das durch den Praxisnamen bestimmte Wirkungsfeld, das die maßgebende Grundlage für die Möglichkeit darstellt, neue Mandanten zu erlangen.

Der Senat hält an seiner Rechtsprechung fest, wonach die Übertragung aller wesentlichen vermögensmäßigen Grundlagen der freiberuflichen Tätigkeit auf den Erwerber in der Regel nur dann gewährleistet ist, wenn die freiberufliche Tätigkeit in dem bisherigen örtlichen Wirkungskreis wenigstens für eine gewisse Zeit aufgegeben wird. Denn die Überleitung des Mandanten-/Patientenstammes ist nicht gesichert, wenn der Veräußerer mit seiner bisherigen Tätigkeit in räumlicher Nähe zu dem veräußerten Unternehmen freiberuflich tätig bleibt und damit mit dem Erwerber zumindest bezüglich der bisherigen Kunden in Konkurrenz tritt.

Mit dieser Beurteilung weicht der Senat nicht von der Entscheidung des I.Senats vom 14. September 1994 I R 12/94 (BFHE 176, 520, BStBl II 1995, 407) ab. Dort war über die Teilübertragung eines Gesellschaftsanteils zu befinden.

Auch nach der Entscheidung des I.Senats in BFHE 176, 520, BStBl II 1995, 407 gehört zu den Voraussetzungen einer steuerbegünstigten Anteilsveräußerung bei einem Freiberufler die Übertragung des anteiligen Mandanten-/Patientenstammes als wesentliche Betriebsgrundlage. Dieses Erfordernis ist auch im Schrifttum weitgehend unbestritten (vgl. insbesondere Pickert, Der Betrieb --DB-- 1995, 2390, 2393 ff., m.w.N.; Richter/Richter, Betriebs-Berater 1995, 703, 704; Schmidt/Seeger, Einkommensteuergesetz, 15.Aufl., § 18 Rdnr.226; Brandt in Herrmann/Heuer/ Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 18 EStG Anm.320; a.A. wohl Klaas, DB 1989, 948).

Die Interessenlage bei Änderung der Beteiligungsverhältnisse und bei Ausscheiden aus einer Sozietät ist indes nicht identisch (vgl. auch BFH-Urteil vom 12. Juni 1996 XI R 56, 57/95, BFHE 180, 436, BStBl II 1996, 527, zur Aufgabe der gewerblichen Tätigkeit als Voraussetzung einer Betriebsveräußerung).

In den Fällen der Änderung der Beteiligungsverhältnisse beeinträchtigt die weitere freiberufliche Tätigkeit des Veräußerers, wenn auch bei veränderter Beteiligungsquote, nicht die Chancen, die einem erworbenen Mandanten-/Patientenstamm innewohnen. Der Erwerber partizipiert vielmehr in einem größeren Umfang als vorher an dem Mandanten-/Patientenvertrauen zu dem Veräußerer. Zum anderen ist der Veräußerer nach der Veräußerung des Teilanteils tatsächlich zu einem geringeren Anteil am wirtschaftlichen Ergebnis der Sozietät/Praxis beteiligt.

Scheidet jedoch ein Mitglied aus einer Sozietät/Praxis aus und baut sich ein neues "Unternehmen" mit gleicher oder vergleichbarer freiberuflicher Tätigkeit auf, ist die Überleitung des Mandanten-/Patientenvertrauens auf den Erwerber nur sichergestellt, wenn der Veräußerer nicht in Konkurrenz zu dem übertragenen Unternehmen steht, insbesondere dadurch, daß er sein bisheriges, durch Mandanten/Patienten und Praxisnamen bedingtes Wirkungsfeld als maßgebliche Grundlage zukünftiger freiberuflicher Tätigkeit nutzt. Im Gegensatz zur Teilanteilsübertragung ist in diesen Fällen die Übertragung aller wesentlichen vermögensmäßigen Grundlagen der freiberuflichen Tätigkeit auf den Erwerber mithin nur gewährleistet, wenn die freiberufliche Tätigkeit in dem bisher örtlich begrenzten Wirkungskreis wenigstens für eine gewisse Zeit eingestellt wird.

Nach den Feststellungen des FG hat L seine Tätigkeit als Zahnarzt, Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurg im bisherigen Wirkungskreis weder endgültig noch vorübergehend eingestellt. Er hat vielmehr seine bisherige ärztliche Tätigkeit, nunmehr schwerpunktmäßig im Bereich der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, ohne Unterbrechung in X fortgesetzt. Auch die geringe Höhe der Abfindung deutet darauf hin, daß L nicht sämtliche Grundlagen seiner Tätigkeit in der bisherigen Sozietät belassen hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 66179

BFH/NV 1997, 214

BStBl II 1997, 498

BFHE 182, 533

BFHE 1997, 533

BB 1997, 870-871 (Leitsatz und Gründe)

DB 1997, 1062 (Leitsatz)

DStR 1997, 610-611 (Leitsatz und Gründe)

DStRE 1997, 372 (Leitsatz)

DStZ 1997, 534-535 (Leitsatz und Gründe)

HFR 1997, 486 (Leitsatz)

StE 1997, 239 (Kurzwiedergabe)

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