Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirtschaftliches Eigentum im Falle des Vorbehaltsnießbrauchs / Absetzung für Abnutzung des Vorbehaltsnießbrauchers

 

Leitsatz (NV)

1. Die Bestellung eines Vorbehaltsnießbrauchs an einem Grundstück reicht in der Regel nicht aus, um dem Vorbehaltsnießbraucher die Stellung eines wirtschaftlichen Eigentümers zu verschaffen.

2. Nutzt der Vorbehaltsnießbraucher das mit dem Vorbehaltsnießbrauch belastete Grundstück betrieblich, kann er AfA nur von dem eingelegten Nießbrauchrecht vornehmen.

 

Normenkette

AO 1977 § 39 Abs. 2 Nr. 1; EStG § 7

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches FG

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Alleinerbe seiner 1978 verstorbenen Ehefrau (E). Er wurde mit ihr für das Streitjahr 1978 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.

E betrieb u. a. auf dem ihr gehörenden Grundstück K in . . . einen gewerblichen Vermietungsbetrieb. Durch Vertrag vom 30. November 1970 übereignete E das Grundstück K an ihre drei Kinder; gleichzeitig räumten diese dem Kläger und E an dem Grundstück ein lebenslängliches Nießbrauchrecht ein, das im Todesfall eines Berechtigten in vollem Umfange dem Überlebenden zustehen sollte. Danach hatten der Kläger und E das Recht, alle Nutzungen aus dem Grundstück zu ziehen, und die Verpflichtung, das Grundstück in seinem Bestand zu erhalten und die öffentlich- und privatrechtlichen Lasten - insbesondere auch die Hypothekenzinsen - zu tragen. Ferner hatten sie die Tilgungsbeträge für alle eingetragenen Grundpfandrechte zu bezahlen; insoweit stand ihnen jedoch ein Erstattungsanspruch gegen die Kinder zu. E beendete ihre gewerbliche Tätigkeit zum 30. Oktober 1978.

Nach einer Betriebsprüfung erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) einen geänderten Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 1978, in dem hinsichtlich des Grundstücks K ein Betriebsaufgabegewinn in Höhe von 379 526 DM angesetzt wurde. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

Mit der Klage machte der Kläger geltend, daß er als Erbe der E den Betriebsaufgabegewinn hinsichtlich des Grundstücks K nicht zu versteuern habe; denn rechtliche und wirtschaftliche Eigentümer des Grundstücks seien nach dem Grundstücksüberlassungsvertrag vom 30. November 1970 seine Kinder gewesen. Den nach Klageerhebung in einem anderen Punkt geänderten Einkommensteuerbescheid machte der Kläger zum Gegenstand des Verfahrens.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es entschied unter Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 8. März 1977 VIII R 180/74 (BFHE 122, 64, BStBl II 1977, 629), daß E als Vorbehaltsnießbraucherin wirtschaftliche Eigentümerin des Grundstücks K gewesen sei und ihr deshalb einkommensteuerrechtlich der dieses Grundstück betreffende Aufgabegewinn hätte zugerechnet werden müssen.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Revision. Er beantragt sinngemäß, das FG-Urteil und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und die Einkommensteuer unter Änderung des angefochtenen Einkommensteuerbescheids in der Weise festzusetzen, daß ein Betriebsaufgabegewinn in Höhe von 379 526 DM außer Ansatz bleibt.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

1. In den auf den 30. Oktober 1978 festzustellenden Betriebsaufgabegewinn nach § 16 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ist ein hinsichtlich des Eigentums am Grundstück K zu ermittelnder Gewinn nicht einzubeziehen. Denn dieses Grundstück gehörte seit der Übereignung an die Kinder des Klägers durch den Vertrag vom 30. November 1970 nicht mehr zum Betriebsvermögen des Gewerbebetriebs der E. Diese war von diesem Zeitpunkt an nicht mehr zivilrechtliche und - entgegen der Auffassung des FG - auch nicht mehr wirtschaftliche Eigentümerin des Grundstücks (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung - AO 1977 -).

Wirtschaftlicher Eigentümer i. S. des § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 ist, wer die tatsächliche Herrschaft über ein Wirtschaftsgut in der Weise ausübt, daß er den zivilrechtlichen Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen kann, so daß der Herausgabeanspruch des zivilrechtlichen Eigentümers keine wirtschaftliche Bedeutung hat (ständige Rechtsprechung, siehe z. B. BFH-Urteil vom 5. Mai 1983 IV R 43/80, BFHE 139, 36, BStBl II 1983, 631). Die Bestellung eines Nießbrauchrechts an einem Grundstück reicht in der Regel nicht aus, um dem Nießbrauchberechtigten die Stellung eines wirtschaftlichen Eigentümers zu verschaffen (BFH-Urteil vom 28. Juli 1981 VIII R 141/77, BFHE 134, 409, BStBl II 1982, 454). Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn die Grundstücksübertragung unter Vorbehalt des Nießbrauchs erfolgt und der Nießbraucher Schuldner der auf dem Grundstück gesicherten Darlehen geblieben ist; der Vorbehaltsnießbraucher ist nur dann wirtschaftlicher Eigentümer, wenn sich seine rechtliche und tatsächliche Stellung gegenüber dem zivilrechtlichen Eigentümer des Grundstücks von der normalen Stellung eines Nießbrauchers so deutlich unterscheidet, daß er die tatsächliche Herrschaft über das nießbrauchbelastete Grundstück ausübt (BFH-Urteile vom 2. August 1983 VIII R 170/78, BFHE 139, 76, BStBl II 1983, 735; vom 2. August 1983 VIII R 57/80, BFHE 139, 73, BStBl II 1983, 739; vom 8. Dezember 1983 IV R 20/82, BFHE 139, 556, BStBl II 1984, 202).

Das FG hat in der angefochtenen Entscheidung diese Grundsätze nicht beachtet. Zur Begründung, daß E nach dem Vertrag vom 30. November 1970 wirtschaftliche Eigentümerin des Grundstücks K gewesen sei, hat es ausgeführt, daß die Grundstücksübertragung eine vorweggenommene Erbregelung darstelle, daß die Nießbrauchbestellung unentgeltlich erfolgt sei und sich keine Änderungen hinsichtlich des Besitzes, der Nutzungen und der Lastentragung - einschließlich der Tilgung auf die Grundpfandrechte - ergeben hätten und daß schließlich der Kläger und E diese Rechte in gleicher Weise wie vor der Nießbrauchbestellung hätten ausüben können. Diese Feststellungen reichen jedoch nicht aus, um die Stellung der E als wirtschaftliche Eigentümerin des Grundstücks K seit dem 30. November 1970 zu begründen.

Die in dem angefochtenen Urteil zum Ausdruck gekommene Auffassung kann auch nicht auf die in den BFH-Urteilen in BFHE 122, 64, BStBl II 1977, 629, und vom 21. Juni 1977 VIII R 18/75 (BFHE 124, 313, BStBl II 1978, 303) ausgesprochenen Grundsätze gestützt werden. In diesen Urteilen hat der BFH zwar entschieden, daß der Vorbehaltsnießbraucher wirtschaftlicher Eigentümer bleibt, wenn Grundstücke im Rahmen vorweggenommener Erbfolge schenkweise übertragen werden und der Übertragende aufgrund unentgeltlicher, auf Lebenszeit vorbehaltener Nießbrauchrechte den übereigneten Grundbesitz wirtschaftlich unverändert, insbesondere in gleichem Maße, in gleicher Weise, gegen Entzug gleich gesichert und auf gleiche Dauer wie zuvor nutzt. Abgesehen davon, daß diese Grundsätze durch die bereits erwähnten Entscheidungen in BFHE 139, 76, BStBl II 1983, 735; in BFHE 139, 73, BStBl II 1983, 739, und in BFHE 139, 556, BStBl II 1984, 202 überholt sind, weicht der Sachverhalt im Streitfall in entscheidenden Punkten von der Sachlage in den Urteilen in BFHE 122, 64, BStBl II 1977, 629 und in BFHE 124, 313, BStBl II 1978, 303 ab. Das auf die Kinder des Klägers übertragene Grundstück K stand im Alleineigentum der E, so daß zu ihren Gunsten ein Vorbehaltsnießbrauch und zugunsten des Klägers ein Zuwendungsnießbrauch bestellt worden sind. E hat damit seit dem Vertrag vom 30. November 1970 nicht mehr in gleichem Umfange wie zuvor das Grundstück K wirtschaftlich genutzt; denn sie mußte die Nutzung mit dem Kläger teilen. Ferner haben der Kläger und E für die Übernahme der Tilgungsleistungen auf die Grundpfandrechte einen Erstattungsanspruch gegen ihre Kinder erworben; damit hatten sie diese Lasten - anders als in den Urteilsfällen in BFHE 122, 64, BStBl II 1977, 629, und in BFHE 124, 313, BStBl II 1978, 303 - wirtschaftlich nicht zu tragen.

2. Nach den Feststellungen des FG ist E als Vorbehaltsnießbraucherin die Absetzung für Abnutzung (AfA) auf die Gebäudekosten zuerkannt worden. Dies war einkommensteuerrechtlich unzutreffend. Nach dem Urteil in BFHE 139, 76, BStBl II 1983, 735 hatte E, da sie das Grundstück K betrieblich nutzte, die AfA nicht von den Gebäudekosten, sondern von dem eingelegten Nießbrauchrecht vorzunehmen. Das FG hat keine Feststellungen getroffen, in welcher Höhe diese AfA berücksichtigt werden konnte. Der Senat kann diese Feststellungen nicht nachholen. Die Sache war daher an das FG zurückzuverweisen.

Bei der erneuten Entscheidung wird das FG zu beachten haben, ob zum Betriebsvermögen des Betriebs der E auch insoweit ein der AfA unterliegendes Nutzungsrecht gehörte, als der Kläger als Nießbraucher zur Nutzung befugt war. Es wird weiter zu berücksichtigen haben, welche einkommensteuerrechtlichen Folgen sich daraus ergeben, daß bei Beendigung der gewerblichen Tätigkeit der E am 30. Oktober 1978 das Grundstücksnutzungsrecht zum Betriebsvermögen gehörte.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414964

BFH/NV 1987, 502

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