Leitsatz (amtlich)

1. Die Gesellschafterversammlung einer GmbH kann - sofern sie dabei nicht willkürlich verfährt - ihren bisherigen Bilanzfeststellungs- und Gewinnverteilungsbeschluß dahin ändern, daß freie Rücklagen nicht außerhalb der Bilanz, sondern über den Bilanzgewinn ausgeschüttet werden, mit der Folge, daß der ausgeschüttete Betrag dem ermäßigten Steuersatz für berücksichtigungsfähige Ausschüttungen unterliegt.

2. Änderungen der Handelsbilanz bedürfen nur dann der Zustimmung des FA nach § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG, wenn sie die steuerliche Gewinnermittlung im vergangenen Geschäftsjahr beeinflussen oder in den Folgejahren beeinflussen können.

 

Normenkette

KStG § 19 Abs. 3; EStG § 4 Abs. 2 S. 2, § 5; GmbHG § 29 Abs. 1, § 46 Nr. 1

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin, eine GmbH, erklärte für den Veranlagungszeitraum 1965 ein zu versteuerndes Einkommen von 64 820 DM. Der in der Handelsbilanz ausgewiesene Gewinn nebst Gewinnvortrag aus dem Vorjahr betrug hingegen nur 56 506,44 DM. Außerdem war eine freie Rücklage von 15 300 DM ausgewiesen. Die Alleingesellschafterin, ebenfalls eine GmbH, genehmigte die Bilanz am 22. Februar 1967 und beschloß weiterhin:

"Der Reingewinn des Jahres 1965 von 55 964,26 DM, sowie der Gewinnvortrag aus dem Vorjahr von 542,18 DM und ein aus den freien Rücklagen zu entnehmender Betrag von 8 313,56 DM, insgesamt 64 820 DM, werden an die alleinige Gesellschafterin ausgeschüttet."

Nach Anhängigkeit des gerichtlichen Verfahrens ergänzte die Alleingesellschafterin diesen Beschluß am 22. Juni 1967 wie folgt:

"... ich stelle ... fest, daß der Gewinnausschüttungsbeschluß entsprechend der Vorschrift des § 29 I GmbH-Gesetz dahin zu verstehen ist, daß der Reingewinn sich um den aus den freien Rücklagen zu entnehmenden Betrag erhöht und alsdann die Gewinnausschüttung erfolgt."

Mit Schriftsatz vom 22. September 1967 reichte die Klägerin dem FG eine geänderte Bilanz zum 31. Dezember 1965 ein, in der die freien Rücklagen nunmehr mit 6 986,44 DM (15 300 DM abzüglich Entnahme 8 313,56 DM) und der Reingewinn mit 64 820 DM (Gewinn nebst Gewinnvortrag zuzüglich Entnahme aus freien Rücklagen) ausgewiesen waren.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte - das FA - lehnte es in dem vorläufigen Körperschaftsteuerbescheid für 1965 ab, die unmittelbar der freien Rücklage entnommene Ausschüttung von 8 313,56 DM nach § 19 Abs. 3 KStG zu berücksichtigen.

Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das FG hat ausgeführt: Die der freien Rücklage entnommene Ausschüttung sei nicht zugunsten des Handelsbilanzgewinns aufgelöst worden. Nur als Gewinn ausgewiesene Beträge könnten nach § 46 Nr. 1 GmbHG verteilt werden. Unerheblich sei, daß die Klägerin erkennbar ihr gesamtes Einkommen begünstigt habe ausschütten wollen. Der ergänzende Beschluß vom 22. Juni 1967 rechtfertige deswegen keine andere Beurteilung, weil er sich nach wie vor auf die ursprüngliche Bilanz beziehe und ihm nicht die erst im September 1967 geänderte Bilanz zugrunde gelegt werden könne.

Die Klägerin macht mit der Revision geltend: Bei der Auslegung des § 19 Abs. 3 KStG komme es auf den im Gewinnverteilungsbeschluß erklärten Willen an. Der Beschluß vom 22. Februar 1967 lasse erkennen, daß das gesamte Einkommen einschließlich eines Teils der freien Rücklage habe ausgeschüttet werden sollen. Ein Gewinnverteilungsbeschluß sei auch dann wirksam, wenn er mehr als den ausgewiesenen Reingewinn verteile, sofern wie hier entsprechende Rücklagen vorhanden seien (Baumbach-Hueck, GmbH-Gesetz, 13. Aufl., § 46 Anm. 2 B). Im übrigen sei der mit Schriftsatz vom 22. September 1967 eingereichten Bilanz zu entnehmen, was mit den Beschlüssen vom 22. Februar und 22. Juni 1967 gemeint gewesen sei. Davon abgesehen, müsse ihr ein etwaiger steuerlicher Rechtsirrtum zugute gehalten werden. Bei der Schwierigkeit und Unübersichtlichkeit der Rechtsmaterie könne sie nicht an einer offensichtlich ungewollten Rechtsfolge festgehalten werden. Die Rückgängigmachung liege in dem Beschluß vom 22. Juni 1967. Dieser enthalte auch eine Bilanzänderung, der das FA die Zustimmung nicht versagen dürfe.

Die Klägerin beantragt,

die Vorentscheidung aufzuheben und die Körperschaftsteuer für 1965 auf 9 723 DM festzusetzen.

Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist begründet.

Nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 KStG ermäßigt sich die Körperschaftsteuer für berücksichtigungsfähige Ausschüttungen auf 15 v. H. des Einkommens. Berücksichtigungsfähige Ausschüttungen sind die auf Grund eines den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechenden Gewinnverteilungsbeschlusses vorgenommenen Gewinnausschüttungen für Wirtschaftsjahre, deren Ergebnisse bei der Veranlagung berücksichtigt sind (§ 19 Abs. 3 Satz 1 KStG). Der Gewinnverteilungsbeschluß bezieht sich nach ständiger Rechtsprechung des Senats auf den Handelsbilanzgewinn des Wirtschaftsjahres, für das die Veranlagung durchgeführt wird, nicht hingegen auf das steuerliche Einkommen (u. a. Urteil des BFH I 86/61 U vom 26. April 1963, BFHE 76, 834, BStBl III 1963, 303).

Die dem Gewinnverteilungsbeschluß vom 22. Februar 1967 ursprünglich zugrunde gelegte und festgestellte Handelsbilanz wies einen Gewinn aus, der um 8 313,56 DM niedriger war als das körperschaftsteuerpflichtige Einkommen. Bei Maßgeblichkeit nur dieser Bilanz konnte - wie das FG zutreffend angenommen hat - der ermäßigte Steuersatz nicht in vollem Umfang gewährt werden. Zwar können Rücklagen ganz oder teilweise zugunsten des Handelsbilanzgewinns aufgelöst und dann in die Gewinnverteilung einbezogen werden (BFH-Urteile I 86/61 U, a. a. O.; I R 10/67 vom 14. Mai 1969, BFHE 95, 534, BStBl II 1969, 503; I R 88/69 vom 18. November 1970, BFHE 100, 400, BStBl II 1971, 73). Eine solche Erhöhung des verteilungsfähigen Handelsbilanzgewinns hätte indessen einen entsprechenden Ausweis im Jahresabschluß 1965 der Klägerin vorausgesetzt. Das war zunächst nicht der Fall. Die Rücklagenauflösung war im ursprünglichen Abschluß weder in der Handelsbilanz unter der Position Reingewinn noch in der Gewinn- und Verlustrechnung als Ertrag ausgewiesen. Dem Gewinnverteilungsbeschluß vom 22. Februar 1967 ist allerdings zu entnehmen, daß eine gewinnerhöhende Auflösung gewollt war; offensichtlich sollte das gesamte steuerpflichtige Einkommen als "Gewinn" verteilt werden. Dies genügt aber nicht zur Anwendung des § 19 Abs. 3 KStG. Der Gewinnverteilungsbeschluß ist von der Feststellung der Bilanz zu unterscheiden. Die Geschäftsführer stellen die Bilanz auf (§§ 41, 42 GmbHG). Die Gesellschafter stellen sie fest und verteilen den sich aus der Bilanz ergebenden Reingewinn (§ 46 Nr. 1 GmbHG).

Entgegen der Auffassung des FG ist indes durch den Beschluß vom 22. Juni 1967 der Widerspruch zwischen dem festgestellten Handelsbilanzgewinn und der Gewinnverteilung ausgeräumt worden. Dieser Beschluß enthielt eine den Absichten der Alleingesellschafterin entsprechende neue Bilanzfeststellung. Nachdem die Alleingesellschafterin zunächst am 22. Februar 1967 die Bilanz ohne Änderung genehmigt hatte, änderte sie nunmehr diese dahin ab, daß die freie Rücklage in Höhe von 8 313,56 DM gewinnerhöhend aufgelöst wurde. Dafür bedurfte es nicht, wie das FG anzunehmen scheint, einer Neuerstellung der Bilanz. Die Gesellschafter können ihr Feststellungsrecht aus § 46 Nr. 1 GmbHG in der Weise ausüben, daß sie die vorgelegte Bilanz genehmigen, sie als ganzes nicht genehmigen oder einzelne Bilanzpositionen ändern. Im Falle der Änderung ist der vorgelegte Abschluß zusammen mit dem ändernden Feststellungsbeschluß maßgeblich, ohne daß eine neue Bilanz aufgestellt werden müßte. Die mit Schriftsatz vom 22. September 1967 vorgelegte Bilanz dient ausschließlich der Erläuterung. Sie stellt die Auswirkungen des Feststellungsbeschlusses vom 22. Juni 1967 dar.

Der Beschluß vom 22. Juni 1967 durfte von der bisherigen genehmigten Bilanz abweichen. Die im Beschluß vom 22. Juni 1967 liegende Bilanzänderung konnte noch bis zum Abschluß des Verfahrens vor dem FG ohne Zustimmung des FA vorgenommen werden. § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG (hier bereits in der Fassung des § 168 FGO, in Verbindung mit § 5 Satz 2 EStG) ist nicht berührt. Die Handelsbilanzänderung wirkt sich nicht auf das steuerliche Ergebnis aus, weil die gewinnerhöhende Auflösung von freien Rücklagen in der Handelsbilanz bei der Ermittlung des steuerlichen Einkommens rückgängig zu machen ist (BFH-Urteil I R 27/66 vom 28. Oktober 1970, BFHE 100, 382 [385 oben], BStBl II 1971, 117). § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG hat den Sinn, eine willkürliche Beeinflussung des steuerlichen Gewinns zu verhindern. Bei Änderungen der Handelsbilanz greift er nur ein, wenn infolge der Maßgeblichkeit der Handelsbilanz (§ 5 EStG) eine Beeinflussung der steuerlichen Gewinnermittlung im vergangenen Geschäftsjahr oder in den Folgejahren in Betracht kommt. Ist eine solche Beeinflussung ausgeschlossen, kann die Handelsbilanz ohne Zustimmung des FA geändert werden, selbst wenn die Änderung wie hier für den Steuertarif von Bedeutung ist.

Handelsrechtliche Bedenken gegen eine Änderung des ursprünglichen Feststellungsbeschlusses könnten nur geltend gemacht werden, wenn die Änderung willkürlich wäre (Urteil des bundesgerichtshofs II ZR 208/55 vom 24. Januar 1957, BGHZ 23, 150 [152]). Dafür gibt es im Streitfall keinen Anhalt. Die Alleingesellschafterin war ursprünglich der Ansicht, sie hätte alles Erforderliche getan, um eine Besteuerung des gesamten Einkommens der Klägerin mit dem ermäßigten Steuersatz zu erreichen. Dieser Rechtsirrtum ist ihr, obwohl sie steuerlich beraten war, bei der Schwierigkeit der Rechtssache nicht anzulasten. In dem angegriffenen Steuerbescheid begründete das FA seine ablehnende Haltung ohne nähere Erläuterung mit einem Hinweis auf Abschn. 47 Abs. 1 KStR 1964, der zahlreiche Fälle berücksichtigungsfähiger und nicht berücksichtigungsfähiger Ausschüttungen anspricht. Noch der Einspruchsschrift ist zu entnehmen, daß die Klägerin nicht erkannte, welcher Gesichtspunkt dem FA entscheidungserheblich erschien. Das ergab sich erstmals mit Deutlichkeit aus der Einspruchsentscheidung. Daraufhin faßte die Alleingesellschafterin alsbald den neuen Feststellungsbeschluß vom 22. Juni 1967.

Ebenso wie dieser ist der gleichzeitig gefaßte neue Gewinnverteilungsbeschluß handelsrechtlich und steuerlich beachtlich. Es kann dahingestellt bleiben, ob der ursprüngliche Gewinnverteilungsbeschluß infolge der Ausschüttung eines nicht ausgewiesenen Gewinns teilweise fehlerhaft oder insoweit in einen sonstigen Ausschüttungsbeschluß umzudeuten war. Der etwa fehlerhafte ursprüngliche Gewinnverteilungsbeschluß wäre am 22. Juni 1967 durch einen wirksamen Gewinnverteilungsbeschluß ersetzt worden. Ein schon ursprünglich wirksamer Ausschüttungsbeschluß wäre geändert worden; die Änderung wäre handelsrechtlich zulässig, weil der entstandene Anspruch der Gesellschafter nicht berührt worden wäre. § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG findet auf die Änderung von Gewinnverteilungsbeschlüssen keine Anwendung (BFH-Urteil I 5/63 U vom 1. Juli 1964, BFHE 80, 162, BStBl III 1964, 533). Die Änderung wäre auch nicht willkürlich verzögert worden. Auf die Ausführungen zur Änderung des Feststellungsbeschlusses wird verwiesen.

Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO). Unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung und unter Abänderung des vorläufigen Bescheids vom 3. Mai 1967 ist die Körperschaftsteuer wie folgt neu festzusetzen:

steuerpflichtige Einkommen 64 820 DM

Körperschaftsteuer (15 %) 9 723 DM.

 

Fundstellen

Haufe-Index 70301

BStBl II 1973, 195

BFHE 1973, 503

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