Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Beruflich veranlaßte Fahrtkosten eines beinamputierten Beamten, die nach der Rechtsprechung des Senats, zuletzt im Urteil VI 264/62 S vom 22. November 1963 (BStBl 1964 III S. 141) keine Werbungskosten sind, können unter Umständen aber nach § 33 EStG berücksichtigt werden. Das gilt insbesondere für die Kosten, die einem gehbehinderten Beamten durch die Benutzung seines Pkw bei Dienstgängen an seinem Dienstort entstehen.

 

Normenkette

EStG §§ 9, 9/2, § 12 Nr. 1, § 33; EStDV § 65; LStDV §§ 20, 25

 

Tatbestand

Der Bf. ist ein um 80 v. H. in der Erwerbsfähigkeit geminderter schwer kriegsbeschädigter Obersteuerinspektor (Amputation des linken Oberschenkels), der außerdem infolge eines chronischen Gallenleidens einer besonderen Diät bedarf. Der Bf. legte die Strecke von 2 km von seiner Wohnung zum Finanzamt täglich viermal mit seinem Pkw zurück und benutzte den Wagen auch für Dienstfahrten. Die Aufwendungen für den Pkw gab er für 1960 mit 3.916 DM an. In seinem Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich für 1960 schied er davon 20 v. H. als Kosten der privaten Nutzung aus und machte die verbleibenden 3.133 DM als Werbungskosten geltend. Das Finanzamt erkannte jedoch nur die Kosten der Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte für 234 Arbeitstage mit 234 DM als Werbungskosten an und berücksichtigte außerdem weitere 315 DM für die mittäglichen Heimfahrten mit Rücksicht auf die notwendige Diätverpflegung als außergewöhnliche Belastung.

Die Sprungberufung des Bf. hiergegen hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht war der Auffassung, der Bf. könne als Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes beruflich veranlaßte Aufwendungen nicht als Werbungskosten geltend machen, wenn ihr Ersatz nach dem Reisekostenrecht geregelt sei. Wenn ein öffentlich-rechtlicher Arbeitgeber einen seiner Arbeitnehmer zu Ausgaben im Rahmen seiner dienstlichen Tätigkeit veranlasse, so könne er auch bestimmen, inwieweit dabei Kosten entstehen dürfen, die er dann ersetze. Es sei dem Arbeitnehmer in der Regel unbenommen, mehr aufzuwenden; die Berücksichtigung als Werbungskosten sei dann jedoch ausgeschlossen. Das gelte auch für Körperbeschädigte, zumal dem Bf. von seinem Dienstvorgesetzten keine grundsätzliche Ermächtigung zur Benutzung seines Pkw bei Dienstreisen erteilt worden sei.

Der Bf. trägt zur Begründung seiner Rb. vor: Es habe jahrelange Einigkeit darüber bestanden, daß er anstelle der Vergütungen nach dem Reisekostenrecht die tatsächlichen Autokosten als Werbungskosten geltend machen könne. Wenn man von dieser jahrelangen übung habe abgehen wollen, hätte man ihn hiervon rechtzeitig in Kenntnis setzen müssen. Es habe sich aber bei ihm ganz überwiegend um Dienstfahrten gehandelt, für die ihm nach Reisekostenrecht keine Vergütungen zugestanden hätten. Für seine zahlreichen und plötzlich notwendigen dienstlichen Kurzfahrten habe der einzige Dienstwagen des Finanzamts nicht zur Verfügung gestanden. Bei der Anschaffung seines Pkw habe er im Jahre 1954 nur deshalb einen beachtlichen Zuschuß von der orthopädischen Versorgungsstelle des Versorgungsamtes erhalten, weil der damalige Vorsteher des Finanzamts eine Erklärung abgegeben habe, daß er den Pkw überwiegend für berufliche Zwecke benutzen werde. Durch den Pauschbetrag nach § 65 EStDV seien lediglich die ihm infolge der Körperbehinderung erwachsenden besonderen Aufwendungen abgegolten. Da der Gesetzgeber ab 1960 auf eine Aufgliederung dieses Betrags verzichtet habe, sei im Streitjahr ein anteiliger Werbungskostenpauschbetrag in dem Freibetrag nach § 65 EStDV nicht mehr enthalten.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. führte zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.

Arbeitnehmern des öffentlichen Dienstes wird der bei Dienstfahrten mit dem eigenen Pkw entstehende Aufwand vom Arbeitgeber nach den Reisekostenvorschriften ersetzt, soweit der Arbeitgeber diese Aufwendungen für angemessen und für erforderlich hält. Der Senat lehnt es daher grundsätzlich ab, bei Beamten die Kosten für die Benutzung eines Pkw als Werbungskosten zu berücksichtigen, wenn der öffentliche Dienstherr sie nicht ersetzt, da dann eine dienstliche Veranlassung der Fahrt nicht anzunehmen ist. Er hat die bisherige Rechtsprechung in dem Grundsatzurteil VI 264/62 S vom 22. November 1963 (BStBl 1964 III S. 141) erneut bestätigt. Der vorliegende Sachverhalt veranlaßt den Senat nicht zu einer änderung seiner Auffassung.

Unerheblich ist der Einwand des Bf., daß er einen Anspruch darauf habe, im Streitjahr ebenso behandelt zu werden wie in früheren Jahren, in denen seine Pkw-Aufwendungen bei Dienstfahrten als Werbungskosten anerkannt worden seien. Es braucht hier nicht geprüft zu werden, inwieweit das Finanzamt dem Bf. etwa früher zu Unrecht Fahrtkosten als Werbungskosten anerkannt hat und unter welchen Voraussetzungen das Vertrauen eines Steuerpflichtigen auf eine unrichtige Sachbehandlung des Finanzamts in späteren Jahren nach Treu und Glauben zu schützen ist. Denn die gleiche Frage war bereits für das Jahr 1958 streitig und wurde damals schließlich durch ein rechtskräftig gewordenes Urteil des Finanzgerichts zu seinen Ungunsten entschieden. Der Bf. kann sich deshalb für den Lohnsteuer-Jahresausgleich 1960 jedenfalls nicht mehr auf eine etwaige frühere unrichtige Handhabung des Finanzamts berufen. Wenn der Bf. es daher unterlassen hat, für das Streitjahr von seiner Behörde Ersatz für Fahrtkosten bei Dienstreisen zu verlangen, der ihm nach den Reisekostenbestimmungen zugestanden hätte, so können nicht deswegen seine Fahrtkosten als Werbungskosten angesehen werden.

Bei den Prüfungen, die der Bf. an seinem Dienstort vorgenommen hat, führte er "Dienstgänge" im Sinn der Reisekostenvorschriften aus, bei denen zwar der Ersatz von Auslagen nach Nr. 34 der Ausführungsbestimmungen zum Reisekostengesetz (Vgl. Ambrosius, Das Reisekostenrecht, 9. Aufl., 1961, s. 223) in Betracht kommen kann, ein Ersatz von Kraftfahrzeugkosten aber nicht möglich gewesen wäre. Bei der Entscheidung, ob die steuerliche Berücksichtigung der Pkw-Kosten bei Dienstgängen durch die Reisekostenbestimmungen ausgeschlossen ist, kann nicht außer Betracht bleiben, daß bei beruflichen Fahrten viele Steuerpflichtige ihren Pkw aus privaten Gründen benutzen, weil es für sie angenehmer und bequemer ist. Dann ist nach § 12 Ziff. 1 EStG im allgemeinen der berufliche Anlaß der Fahrten nicht zu beachten, und die ganzen Fahrtkosten sind steuerlich der privaten Lebensführung zuzurechnen. Der Bf. hat seinen Pkw bei seinen Dienstgängen ebenfalls nicht nur aus einem beruflichen, sondern zugleich aus einem privaten Grund, nämlich wegen seiner erheblichen Gehbehinderung, benutzt. Seine körperliche Behinderung dürfte sogar der Hauptgrund gewesen sein, daß er mit seinem Pkw zu den geprüften Betrieben gefahren ist. Das Verwaltungsgericht Berlin hat bei einem etwa gleichliegenden Sachverhalt - es handelt sich um einen in der Erwerbsfähigkeit zu 80 v. H. geminderten, gehbehinderten Betriebsprüfer - in einem in den "Entscheidungen der Finanzgerichte" 1963 S. 525 veröffentlichten Urteil dem Steuerpflichtigen wegen der dienstlich veranlaßten Kraftwagenkosten eine Steuerermäßigung nach § 33 EStG gewährt. Der Senat hat dieses Urteil bestätigt. Er hat auch im vorliegenden Fall keine Bedenken, die Kraftfahrzeugkosten, die dem Bf. durch die Fahrten zu Betrieben an seinem Dienstort erwachsen sind, als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen. Die Feststellung, daß Fahrtkosten mit dem eigenen Pkw bei Dienstgängen eines Beamten für ihn eine zwangsläufige außergewöhnliche Belastung im Sinn des § 33 EStG sind, wird allerdings im allgemeinen nur bei erheblich Gehbehinderten getroffen werden können. Bei Arbeitnehmern, die keinen derartigen schweren Körperschaden haben, ist die Benutzung des eigenen Pkw bei Dienstgängen dagegen nicht zwangsläufig im Sinn von § 33 EStG.

Der Anerkennung der Kraftfahrzeugkosten als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG steht nicht entgegen, daß Körperbehinderten nach § 33 a Abs. 6 EStG 1960 in Verbindung mit § 65 EStDV 1960 (ß 26 LStDV 1960) pauschale Freibeträge gewährt werden. Diese pauschalen Freibeträge, die ursprünglich in den EStR geregelt waren, sollen die Aufwendungen abgelten, die Körperbehinderten erfahrungsgemäß durch ihre Krankheit usw. entstehen und deren Höhe nur schwer nachzuweisen ist. Ursprünglich wurden diese Pauschbeträge den erwerbstätigen und den nicht erwerbstätigen Steuerpflichtigen in verschiedener Höhe gewährt. Noch im § 65 EStDV 1958 wurden die Pauschbeträge aufgeteilt in solche für Werbungskosten, Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastungen. Seit 1960 werden jedoch nur noch nach dem Ausmaß der Erwerbsminderung abgestufte Pauschbeträge wegen außergewöhnlicher Belastung gewährt. Der Senat ist der Auffassung, daß diese Pauschbeträge die allgemeinen zusätzlichen Aufwendungen für Wäsche, Hilfeleistungen, Erholung usw. berücksichtigen, die Körperbehinderten erfahrungsgemäß erwachsen, nicht jedoch Aufwendungen, die schwer Körperbehinderte machen müssen, um ihren Beruf wie andere nicht behinderte Steuerpflichtige ausüben zu können. Sofern diese Aufwendungen nicht Werbungskosten oder Betriebsausgaben sind, sind sie neben den Pauschbeträgen nach § 33 a Abs. 6 EStG 1960, § 65 EStDV nach § 33 EStG durch eine Steuerermäßigung zu berücksichtigen. Daß insbesondere die Kosten für die Benutzung von Kraftfahrzeugen nicht durch die Pauschbeträge nach § 33 a Abs. 6 EStG 1960, § 65 EStDV 1960 abgegolten werden, ergibt sich daraus, daß diese Pauschbeträge bereits zu einer Zeit gewährt wurden, als die Benutzung von Kraftfahrzeugen für die große Masse der Steuerpflichtigen und damit auch für die meisten Körperbehinderten noch nicht in Betracht kam. überdies sind die Pauschbeträge seitdem auch nicht so wesentlich erhöht worden, daß angenommen werden könnte, daß dadurch jetzt auch die Kosten der Kraftfahrzeugbenutzung bei der Berufsausübung abgegolten sein sollen.

Da das Finanzgericht die Anwendung des § 33 EStG nicht geprüft hat, wird die Vorentscheidung aufgehoben und die Sache zur nochmaligen Entscheidung unter Beachtung der vorstehenden Ausführungen an das Finanzgericht zurückverwiesen.

Das Finanzgericht hat jedoch auch zu prüfen, ob die Privatfahrten des Bf. nicht höher als mit 20 v. H. der gesamten Fahrten anzunehmen sind. Dieser Satz dürfte zu niedrig sei, da dienstliche Fahrten nach den Ausführungen des Finanzamts nicht oft zu machen waren. Der Bf. kann sich gegen eine freie Schätzung nicht mit dem Hinweis wehren, daß er bisher zu Nachweisungen hinsichtlich seiner Dienstfahrten von seiner Dienststelle nicht angehalten worden sei. Abgesehen davon, daß dies vom Finanzamt bestritten wird, hätte er von sich aus Anlaß gehabt, entsprechende Aufzeichnungen zu führen, da die steuerliche Berücksichtigung seiner Fahrten an seinem Dienstsitz bereits 1958 streitig waren. Im übrigen entspricht auch die Sachbehandlung hinsichtlich der mittäglichen Heimfahrten, die das Finanzamt im Rahmen des § 33 EStG berücksichtigt hat, nicht der neuesten Rechtsprechung des Senats im Urteil VI 98/61 S vom 7. Dezember 1962 (BStBl 1963 III S. 134 Slg. Bd. 76 S. 363).

 

Fundstellen

Haufe-Index 411038

BStBl III 1964, 139

BFHE 1964, 360

BFHE 78, 360

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