Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an den Tatbestand eines gerichtlichen Urteils; Entkräftung einer formal ordnungsmäßigen Buchführung durch Schätzungsmaßnahmen

 

Leitsatz (NV)

1. Der Tatbestand eines finanzgerichtlichen Urteils einschließlich der in Bezug genommenen Schriftstücke muß den zum Verständnis des Urteilsinhalts erforderlichen Sach- und Streitstand hinreichend genau wiedergeben.

2. Eine formal ordnungsmäßige Buchführung hat die Vermutung der Richtigkeit für sich. Soll die Vermutung durch den Nachweis entkräftet werden, daß das Buchführungsergebnis schlechterdings nicht zutreffen kann, so sind an einen solchen Nachweis wesentlich strengere Anforderungen zu stellen als an die Begründung einer Schätzung, die wegen festgestellter Buchführungsmängel ohnehin durchgeführt werden muß.

 

Normenkette

AO 1977 § 158; FGO § 105 Abs. 3

 

Tatbestand

Die Sachen IV R 29/84 und IV R 30/84 werden zu gemeinsamer Entscheidung verbunden.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine inzwischen in Liquidation getretene Kommanditgesellschaft, unterhielt in X gastronomische Betriebe im . . . haus und im Hallenbad, sowie auch Kioske und Würstchenbuden. Anläßlich einer Betriebsprüfung für die Jahre 1975 bis 1977 verwarf der Prüfer das Buchführungsergebnis für das Jahr 1976, obwohl die Buchführung formell ordnungsgemäß war. Der abgekürzte Betriebsprüfungsbericht enthält hierzu folgende Ausführungen:

,,Für das Kalenderjahr 1976 wurde eine Kalkulation durchgeführt. Die Berechnungen wurden dem Steuerberater übergeben. Die von der Steuerpflichtigen erstellte Gegenkalkulation wurde vom Finanzamt berichtigt und dem Steuerberater übergeben. Unter Berücksichtigung aller Umstände und Einwendungen verbleibt eine Kalkulationsdifferenz von 117 000 DM, siehe auch Schreiben des Finanzamts . . . vom 8. Oktober 1980. Für das Kalenderjahr 1976 wird ein Unsicherheitszuschlag in Höhe von netto 117 000 DM gemacht."

Demgemäß änderte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) die Gewinnfeststellung und die Umsatzsteuer für 1976.

Im Einspruchsverfahren legte die Klägerin eine Gegenkalkulation vor. Strittig waren vor allem die Küchenumsätze. Die Klägerin verringerte den vom Prüfer angenommenen Wareneinsatz um Beträge für den Eigenverbrauch der Gesellschafter und für die Verpflichtung ihrer Arbeitnehmer; aus dem Restbetrag errechnete sie den Umsatz durch Berücksichtigung eines Kalkulationsaufschlags von 75 v. H. Danach ergaben sich keine Abweichungen zu den erklärten Umsätzen mehr. Das FA folgte dem im Einspruchsbescheid nicht, sondern kürzte die von der Klägerin angesetzten Beträge für Eigenverbrauch und Personalverpflegung und ging von einem Rohgewinnaufschlag von 100 v. H. aus. Danach ergab sich weiterhin eine Kalkulationsdifferenz von 117 000 DM. Die Klage hatte keinen Erfolg.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil und die Berichtigungsbescheide ersatzlos aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Finanzgericht (FG).

1. Das angefochtene Urteil hat auf die Darstellung der Berechnungen verzichtet, die den Prüfer und das FA zur Verwerfung der Buchführung und zur Schätzung des Umsatzes und des Gewinns im Streitjahr 1976 geführt haben. Sie ergeben sich auch nicht aus dem Betriebsprüfungsbericht. Der Prüfer hat über die Hinzuschätzung einen sogenannten abgekürzten Betriebsprüfungsbericht angefertigt, der aus sich heraus nicht verständlich ist, weil er entgegen der Anweisung in § 202 Abs. 1 Satz 2 der Abgabenordnung (AO 1977) nicht die für die Besteuerung erheblichen Prüfungsfeststellungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht in einer auch für Dritte verstehbarer Weise darstellt. Die Verwaltung geht von der Zulässigkeit abgekürzter Betriebsprüfungsberichte aus, verlangt aber eine umfassende Darstellung des Sachverhalts im Prüfungsbericht, wenn - wie im Streitfall - mit einem Rechtsbehelf zu rechnen ist (Einführungserlaß zur AO 1977, Anm. zu § 202 AO 1977, BStBl I 1976, 576, 615). Die Berechnung des FA lassen sich auch nicht aus der Einspruchsentscheidung erkennen, die sich im wesentlichen auf die Widerlegung der von der Klägerin eingereichten Nachkalkulation beschränkt. Das FG hat die Überlegungen des Prüfers handschriftlichen Notizen in der von ihm beigezogenen sogenannten Arbeitsakte entnommen und hierauf im Urteil Bezug genommen. Es hat damit dem § 105 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Genüge getan. Danach ist im Tatbestand des Urteils der Sach- und Streitstand gedrängt darzustellen, während wegen der Einzelheiten auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen verwiesen werden soll. Dies verlangt jedoch, daß der Tatbestand des Urteils einschließlich der in Bezug genommenen Schriftstücke den zum Verständnis des Urteilsinhalts erforderlichen Sach- und Streitstand hinreichend genau wiedergibt und damit eine Grundlage für die revisionsrichterliche Überprüfung bietet (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 21. Januar 1981 I R 153/77, BFHE 133, 33, BStBl II 1981, 517). Dem ist im Streitfall eben noch genügt, da das FG die maßgebenden Berechnungen des Prüfers unter Angabe der Seitenzahl der Arbeitsakte angeführt hat, so daß sich der vom FG zugrunde gelegte Tatsachenstoff, wenn auch mit Mühe, erkennen läßt.

2. FA und FG sind übereinstimmend davon ausgegangen, daß die Buchführung der Klägerin formell ordnungsmäßig war. Eine derartige Buchführung ist der Besteuerung zugrunde zu legen, soweit nach den Umständen des Einzelfalles kein Anlaß ist, ihre sachliche Richtigkeit zu beanstanden (§ 208 der Reichsabgabenordnung - AO -, § 158 AO 1977). Eine formell ordnungsmäßige Buchführung hat die Vermutung der sachlichen Richtigkeit für sich. Diese Vermutung muß seitens des FA durch den Nachweis entkräftet werden, daß das Buchführungsergebnis sachlich schlechterdings nicht zutreffen kann. Soll dieser Nachweis durch eine Nachkalkulation, also durch eine Schätzung erbracht werden, sind hieran wesentlich strengere Anforderungen zu stellen als an die Begründung einer Schätzung, die wegen festgestellter Buchführungsmängel ohnehin durchgeführt werden muß (BFH-Urteil vom 25. Juni 1970 IV 17/65, BFHE 100, 159, BStBl II 1970, 838). Das FG hat diesen Anforderungen nicht hinreichend Rechnung getragen.

a) Das FG gründet seine Berechnung in erster Linie auf eine Mittagskarte vom 16. Juli 1976 aus dem gastronomischen Betrieb der Klägerin im Hallenbad. Die Klägerin hat auf Verlangen des Prüfers den Wareneinsatz zu den auf dieser Karte angeführten Gerichten errechnet; hieraus hat der Prüfer einen Kalkulationsaufschlag von 121 v. H. ermittelt, den er bei der Berechnung des gesamten Küchenumsatzes auf 75 v. H. ermäßigt hat, während ihn das FA im Einspruchsbescheid auf 100 v. H. erhöhte. Dieses Vorgehen ist fehlerhaft.

(1) Für die auf der Speisekarte verzeichneten Gerichte ergeben sich nach den von der Klägerin mitgeteilten Wareneinsatzwerten ganz unterschiedliche Rohgewinnaufschläge. Um einen Durchschnittsaufschlag anhand der Speisekarte zu ermitteln, hätte festgestellt werden müssen, wie häufig die einzelnen Gerichte abgegeben wurden; danach hätte ein gewogener Durchschnitt für den Aufschlag aus der Speisekarte berechnet werden müssen.

(2) Auf der Mittagskarte, die u.a. das Gericht ,,Seezunge" zum Preis von 18,70 DM enthält, befindet sich ein handschriftlicher Hinweis ,,Seezunge kostet auf Standardkarte 14,70 DM". Danach sind Speisen auch nach einer Standardkarte mit erheblich geringem Rohgewinnaufschlag abgegeben worden. Hierauf sind weder der Prüfer noch das FG eingegangen. Sie haben auch nicht geprüft, mit welchem Rohgewinnaufschlag die auf der Tageskarte nicht verzeichneten kleineren Standardgerichte abgegeben werden.

(3) Die Mittagskarte bezieht sich allein auf das Restaurant im Hallenbad. Für das Restaurant im . . . haus ist ebenfalls eine Tageskarte vom 16. Juli 1976 vorhanden. Sie enthält mit Ausnahme des Gerichts ,,Seezunge" ein völlig anderes Speiseangebot, das bei der Rohgewinnaufschlagsermittlung offensichtlich nicht berücksichtigt wurde.

(4) Ungewiß ist außerdem, ob bei dem im Jahre 1979 berechneten Wareneinsatz Preise des Streitjahres 1976 angesetzt wurden.

(5) Der Prüfer ist bei seinen Berechnungen von einem ermittelten Rohgewinnaufschlag von 121 v. H. ausgegangen, hat dann aber den Küchenumsatz nach einem Aufschlag von 75 v. H. ermittelt. Das FA ist in der Einspruchsentscheidung demgegenüber von 100 v. H. ausgegangen, ohne die Abweichung von der bisherigen Kalkulation zu erläutern. Das FG hat diese Berechnung übernommen. Hierin liegt der wesentlichste Mangel des FG-Urteils. Würden die Einwendungen der Klägerin gegen den Wareneinsatz anerkannt, hätte sich bei Anwendung des Kalkulationsaufschlags von 75 v. H. kein Fehlbetrag mehr ergeben.

b) Das FG hat die Gegenkalkulation der Klägerin als ungeeignet bezeichnet, weil sie in den Jahren 1975 und 1977 zu erheblich geringeren als den erklärten Umsätzen führen würde. Die Klägerin hat zur Erklärung dieses Mißverhältnisses angegeben, daß im Jahre 1976 erhebliche Preissteigerungen aufgetreten seien, die notwendigen Preiserhöhungen jedoch erst nach Ablauf der Saison vorgenommen worden seien; der Betrieb ,,. . . haus" sei in der Saison 1976 erstmalig ohne Familienangehörige und demnach unwirtschaftlich geführt worden. Im Jahre 1977 seien aus dem schlechten wirtschaftlichen Ergebnis für 1976 Konsequenzen durch verstärkte Kontrollen gezogen worden.

Auf dieses Vorbringen, das die Minderergebnisse des Jahres 1976 erklären kann, ist das FG nicht eingegangen; dies wird von der Revision zu Recht gerügt.

c) Das FA hat in der Einspruchsentscheidung den Anteil der Personalverpflegung am Wareneinsatz erheblich gekürzt, um der Gegenkalkulation der Klägerin zu begegnen. Das FG hat die Kürzung bestätigt und ausgeführt, der Bewertung der Sachbezüge lägen die von der Oberfinanzdirektion (OFD) gemäß § 3 Abs. 2 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung

(LStDV) 1976 festgesetzten Werte zugrunde; diese Sätze gäben den Warenwert (Einkaufspreise) zutreffend wieder. Dem ist nicht zu folgen.

Die noch auf § 8 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) vor Inkrafttreten des Steueränderungsgesetzes (StÄndG) 1977 (BGBl I 1977, 1586, BStBl I 1977, 442) zurückgehende Ermächtigung in § 3 Abs. 2 LStDV betrifft die Bewertung bestimmter Sachbezüge unter Berücksichtigung von Durchschnittswerten für die Lohnsteuer. Demgemäß wird in der vom FG herangezogenen Festsetzung der Sachbezugswerte in der Bekanntmachung vom 2. Januar 1976 (BStBl I 1976, 78) darauf hingewiesen, daß sie den Steuerabzug vom Arbeitslohn betreffe. Sie gilt nicht für den Betriebsausgabenabzug beim Arbeitgeber; hierbei kommt es allein auf die tatsächlichen Aufwendungen an (vgl. Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 4. Aufl., § 4 Anm. 99, Stichwort ,,Arbeitslohn" mit weiteren Nachweisen). Hierzu hat das FG keine Feststellungen getroffen.

d) Die vom FA und vom FG angestellte Nachkalkulation betrifft den Gesamtumsatz aller Betriebe der Klägerin. Die Klägerin hat den Umsatz für die einzelnen Getränkearten und die Speisen nicht gesondert ermittelt. Der Prüfer hat in seiner Nachkalkulation für die einzelnen Getränkearten anhand des Wareneinsatzes jeweils eigene Umsatzzahlen errechnet. Sind diese Umsätze zu niedrig, kann für den als Restgröße behandelten Küchenumsatz innerhalb des Gesamtumsatzes der Klägerin ein höherer Kalkulationsaufschlag zum Tragen kommen. Das FG mußte sich deshalb auch ein Urteil über die Ergebnisse in den anderen Umsatzsparten bilden.

Bei seiner erneuten Entscheidung wird das FG auch bedenken, daß alle Schätzungen mit Unsicherheiten behaftet sind und daß die Schätzung aufgrund einer Nachkalkulation überhaupt nur dann zu Abweichungen von einer formell ordnungsmäßigen Buchhaltung führen darf, wenn der sogenannte Unschärfebereich der Schätzung überschritten ist (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 26. April 1983 VIII R 38/82, BFHE 138, 323, BStBl II 1983, 618).

 

Fundstellen

Haufe-Index 414116

BFH/NV 1986, 719

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