Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfassungsmäßigkeit des Kinderlastenausgleichs 1987 für Eltern mit zwei Kindern bei gemindertem Kindergeld - Keine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht bei bloßen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes

 

Leitsatz (amtlich)

Der steuerliche Kinderlastenausgleich im Jahre 1987 für Eltern mit zwei Kindern und einem Anspruch auf das auf den Sockelbetrag geminderte Kindergeld ist verfassungsgemäß.

 

Orientierungssatz

1. Bei der Beurteilung, ob der Kinderlastenausgleich verfassungsgemäß ist, müssen die steuerlichen Kinderfreibeträge und das Kindergeld in ihrem Zusammenwirken berücksichtigt werden. Das in einen fiktiven Kinderfreibetrag umzurechnende Kindergeld und der Kinderfreibetrag sind dem Betrag des Existenzminimums gegenüberzustellen. Es bestehen nach dem derzeitigen Stand der Rechtsprechung noch erhebliche Unsicherheiten darüber, wie das für steuerliche Zwecke maßgebliche Existenzminimum zu ermitteln, mit welchem Steuersatz das Kindergeld in einen fiktiven Kinderfreibetrag umzurechnen und in welchem Umfang es verfassungsrechtlich hinzunehmen ist, daß der steuerliche Entlastungsbetrag das Existenzminimum unterschreitet (Ausführungen mit Rechtsprechungshinweisen u.a. zu den Vorgaben des BVerfG und zur Anwendbarkeit der sog. Differenzmethode bei der Berechnung des Existenzminimums nach dem Sozialhilferegelsatz).

2. Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes oder bloße Bedenken reichen des für eine Vorlage zum Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 GG --im Gegensatz zur Normenkontrolle nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG-- nicht aus (vgl. BVerfG-Rechtsprechung).

 

Normenkette

BKGG § 10 Abs. 1-2; EStG 1987 § 32 Abs. 6 Fassung 1985-06-26; GG Art. 100 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 93 Abs. 1 Nr. 2

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 10.11.1998; Aktenzeichen 2 BvR 1852/97)

 

Tatbestand

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) setzte die Einkommensteuer der Kläger und Revisionskläger (Kläger) für das Streitjahr 1987 unter Berücksichtigung von zwei Kinderfreibeträgen fest. Mit ihrem Einspruch und der Klage hatten die Kläger ohne Erfolg einen höheren Grundfreibetrag begehrt. Mit der Revision wenden sie sich nunmehr gegen den nach ihrer Ansicht zu geringen und daher verfassungswidrigen Kinderfreibetrag gemäß § 32 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Die Kläger beantragen, die Vorentscheidung aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 1987 dahin zu ändern, daß weitere Kinderfreibeträge von insgesamt 6 928 DM berücksichtigt werden.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Kläger ist unbegründet.

Das Finanzgericht (FG) hat rechtsfehlerfrei entschieden, daß den Klägern keine höheren Kinderfreibeträge zu gewähren sind. Das FA hat in dem angefochtenen Einkommensteuerbescheid zwei Kinderfreibeträge von 2 x 2 484 DM = 4 968 DM berücksichtigt. Dies entspricht der gesetzlichen Regelung in § 32 Abs. 6 EStG i.d.F. des Gesetzes zur leistungsfördernden Steuersenkung und zur Entlastung der Familie (Steuersenkungsgesetz 1986/1988 --StSenkG 1986/1988--) vom 26. Juni 1985 (BGBl I, 1153, BStBl I 1985, 391).

1. Der Senat hat zwar Zweifel, ob § 32 Abs. 6 EStG i.d.F. des StSenkG 1986/1988 i.V.m. § 10 Abs. 1 und 2 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) vom 21. Januar 1986 (BGBl I, 222) unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) noch mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar ist, soweit --wie im Streitfall-- Steuerpflichtige mit zwei Kindern und einem auf den Sockelbetrag geminderten Kindergeld (§ 10 Abs. 2 BKGG) betroffen sind. Er ist jedoch angesichts der unterschiedlichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen, auf die die Prüfung der in Frage stehenden Regelungen in vertretbarer Weise gestützt werden kann, nicht überzeugt davon, daß diese Regelungen unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 Abs. 1 GG und bei Berücksichtigung des dem Gesetzgeber einzuräumenden Ermessensspielraums mit dem GG nicht vereinbar seien. Eine derartige Überzeugung wäre aber für eine Vorlage an das BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG erforderlich. Denn Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes oder bloße Bedenken reichen nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG für eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG --im Gegensatz zur Normenkontrolle nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG-- nicht aus (vgl. Urteil vom 20. März 1952 1 BvL 12, 15, 16, 24, 28/51, BVerfGE 1, 184, 188 f.; Beschluß vom 6. April 1989 2 BvL 8/87, BVerfGE 80, 59, 65).

2. Das BVerfG hat unter teilweiser Korrektur seiner früheren Rechtsprechung (vgl. Beschluß vom 23. November 1976 1 BvR 150/75, BVerfGE 43, 108, BStBl II 1977, 135, 138, unter C. I. 2. a) entschieden, der Gesetzgeber müsse den Unterhaltsaufwand für Kinder des Steuerpflichtigen in dem Umfang als besteuerbares Einkommen außer Betracht lassen, in dem die Unterhaltsaufwendungen zur Gewährleistung des Existenzminimums der Kinder erforderlich sind; geschehe dies nicht, so liege ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor, weil Steuerpflichtige mit Kindern gegenüber Kinderlosen benachteiligt würden (Beschlüsse vom 29. Mai 1990 1 BvL 20/84, 1 BvL 26/84, 1 BvL 4/86, BVerfGE 82, 60, BStBl II 1990, 653; vom 14. Juni 1994 1 BvR 1022/88, BVerfGE 91, 93, BStBl II 1994, 909). Bei der Beurteilung, ob der Gesetzgeber diesen Anforderungen gerecht wird, müssen die steuerlichen Kinderfreibeträge und das Kindergeld in ihrem Zusammenwirken berücksichtigt werden. Das in einen fiktiven Kinderfreibetrag umzurechnende Kindergeld und der im Einkommensteuerrecht vorgesehene Kinderfreibetrag sind dem Betrag des Existenzminimums gegenüberzustellen (BVerfG in BVerfGE 82, 60, BStBl II 1990, 653, 660).

Es bestehen nach dem derzeitigen Stand der Rechtsprechung noch erhebliche Unsicherheiten darüber, wie das für steuerliche Zwecke maßgebliche Existenzminimum zu ermitteln, mit welchem Steuersatz das Kindergeld in einen fiktiven Kinderfreibetrag umzurechnen und in welchem Umfang es verfassungsrechtlich hinzunehmen ist, daß der steuerliche Entlastungsbetrag das Existenzminimum unterschreitet.

a) Bei der Ermittlung des steuerlichen Existenzminimums eines Kindes ist grundsätzlich davon auszugehen, daß der Mindestbedarf, den der Gesetzgeber im Sozialrecht festgelegt hat, nicht unterschritten werden darf (vgl. BVerfGE 82, 60, BStBl II 1990, 653; BVerfGE 91, 93, BStBl II 1994, 909, 915). Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist dieser Mindestbedarf nach dem durchschnittlichen Sozialhilferegelsatz, einem Zuschlag von 20 v.H. des Regelsatzes für sog. Einmalbeihilfen sowie einem Zuschlag für den Wohn- und Heizbedarf zu ermitteln (vgl. Vorlagebeschluß vom 16. Juli 1993 III R 206/90, BFHE 171, 534, BStBl II 1993, 755, unter B. II. 2. a der Gründe; Urteile vom 21. Dezember 1993 VIII R 13/89, BFHE 174, 328, BStBl II 1994, 734; vom 14. Januar 1994 III R 194/90, BFHE 173, 528, BStBl II 1994, 429; vom 24. Juli 1996 X R 152/90, BFH/NV 1996, 889; Beschluß vom 28. Juli 1994 III B 37/90, BFHE 175, 96, BStBl II 1994, 795).

aa) Das BVerfG hat in seinem Beschluß in BVerfGE 91, 93, BStBl II 1994, 909 den Kinderlastenausgleich in den Jahren 1986 und 1987 jedenfalls für Kindergeldberechtigte mit drei und mehr Kindern für mit dem GG vereinbar gehalten. Es hat dabei ausdrücklich darauf hingewiesen, daß bei der Bildung des gewichteten Durchschnitts der Sozialhilferegelsätze unsicher sei, welche Altersgruppen zu berücksichtigen seien. Es hat außerdem darauf aufmerksam gemacht, daß bei der Ermittlung des Wohn- und Heizbedarfs unterschiedliche Vorstellungen darüber bestehen, ob der notwendige Mehrbedarf an Wohnraum zu berücksichtigen (sog. Differenzmethode) oder ob eine Aufteilung der Wohnkosten nach Kopfteilen der Familienmitglieder vorzunehmen ist (BVerfGE 91, 93, BStBl II 1994, 909, 916). Das BVerfG brauchte jedoch nicht abschließend zu entscheiden, welche Methode zur Ermittlung des Existenzminimums der Realität näher kommt. Es konnte vielmehr in seinem Beschluß in BVerfGE 91, 93, BStBl II 1994, 909, 915 schon deshalb den höheren durchschnittlichen jährlichen Sozialhilfebedarf entsprechend den Angaben des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend --BMFSFJ-- (im Jahre 1987 für zwei Kinder 11 232 DM) zugrunde legen, weil es auch bei Berücksichtigung dieser höheren Werte zu dem Ergebnis gelangt ist, daß die zur Prüfung gestellten Regelungen bei drei und mehr Kindern verfassungsgemäß sind. Die Frage, ob § 10 Abs. 2 BKGG mit dem GG vereinbar sei, soweit Kindergeldberechtigte mit einem oder zwei Kindern --wie im Streitfall-- betroffen sind, hat das BVerfG ausdrücklich offengelassen (vgl. BVerfGE 91, 93, BStBl II 1994, 909, 914).

bb) Der III., VIII. und X. Senat des BFH haben bei der Ermittlung des als Existenzminimum zu berücksichtigenden Wohn- und Heizbedarfs eines Kindes übereinstimmend die sog. Differenzmethode angewendet, bei der auf den für die Kinder notwendigen Mehrbedarf abgestellt wird; sie haben dabei 10 qm Wohnfläche für ein Kind angesetzt (vgl. BFH in BFHE 171, 534, BStBl II 1993, 755, 758; BFHE 173, 528, BStBl II 1994, 429, 432; BFHE 174, 328, BStBl II 1994, 734, 738; BFH/NV 1996, 889, 890). Die Bundesregierung geht ebenfalls davon aus, daß das für steuerliche Zwecke maßgebende Existenzminimum eines Kindes nach der sog. Differenzmethode zu ermitteln ist (vgl. dazu BTDrucks 12/6224, 5; vgl. auch BVerfG, 3. Kammer des 1. Senats, Beschluß vom 30. Januar 1997 1 BvR 746/86, Die Information über Steuer und Wirtschaft 1997, 286).

cc) Die unterschiedlichen Methoden der Ermittlung des Existenzminimums führen zu Ergebnissen, die erheblich voneinander abweichen. Bezogen auf das Jahr 1987 und zwei Kinder beträgt die Differenz 1 488 DM und die Abweichung der Werte voneinander 13,25 v.H. Denn während bei einer Aufteilung der Wohn- und Heizkosten nach Kopfteilen das BVerfG in BVerfGE 91, 93, BStBl II 1994, 909, 915 für zwei Kinder einen Betrag von 11 232 DM angeführt hat, hat der III. Senat des BFH das Existenzminimum für ein Kind auf 4 872 DM, mithin also für zwei Kinder auf 9 744 DM geschätzt (Beschlüsse in BFHE 171, 534, BStBl II 1993, 755, 757 f.; BFHE 175, 96, BStBl II 1994, 795).

b) Es ist auch unsicher, mit welchem Steuersatz das tatsächlich gezahlte Kindergeld in einen fiktiven Kinderfreibetrag umzurechnen ist. Das BVerfG hat in seinem Beschluß in BVerfGE 82, 60, BStBl II 1990, 653, 661 darauf hingewiesen, daß ein Spitzensteuersatz von 40 v.H. von einer großen Zahl von Steuerpflichtigen erreicht werde. Dementsprechend haben der III., VIII. und X. Senat des BFH übereinstimmend die Umrechnung mit einem Steuersatz von 40 v.H. vorgenommen (in BFHE 171, 534, BStBl II 1993, 755, 758; BFHE 173, 528, BStBl II 1994, 429, 432; BFHE 174, 328, BStBl II 1994, 734, 738; BFH/NV 1996, 889, 890). Allerdings hat das BVerfG in der Entscheidung in BVerfGE 91, 93, BStBl II 1994, 909, 915 f. die Auswirkungen bei einer Umrechnung mit den verschiedenen Steuersätzen (30 v.H., 40 v.H., 45 v.H., 56 v.H.) tabellarisch dargestellt und sodann ausgeführt, eine duale Ausgleichsregelung könne von Verfassungs wegen jedenfalls nicht mehr beanstandet werden, wenn sie für Steuerpflichtige, die in der Einkommensspitze einem Steuersatz bis zu 45 v.H. unterlägen, zu einer Entlastung führe, die einem (fiktiven) Steuerfreibetrag in Höhe des vollen Existenzminimums gleichkomme.

c) Eine weitere Unsicherheit bringt die Rechtsprechung des III. Senats des BFH mit sich, nach der zu berücksichtigen ist, daß die elterliche Unterhaltspflicht auch Vorsorgeleistungen für die Kinder (Beiträge zur Krankenversicherung) mitumfaßt. In dem Urteil in BFHE 173, 528, BStBl II 1994, 429, 432 f. hat der III. Senat es für notwendig erachtet, den tatsächlich gewährten Kinderfreibetrag deshalb in Höhe von 200 DM pro Jahr und Kind nicht in die Ermittlung des fiktiven Kinderfreibetrages einzubeziehen, weil Eltern im Rahmen ihrer gesetzlichen Unterhaltspflicht u.a. auch Vorsorge zum Schutz der Kinder vor Krankheit, Unfall und Haftpflichtfällen treffen müßten. Der Auffassung, daß dies zu einer Kürzung des in einen steuerlichen Freibetrag umzurechnenden Kindergeldes führen müsse, könnte jedoch entgegengehalten werden, daß Krankheitskosten oder entsprechende Vorsorgeaufwendungen im Rahmen der gebotenen typisierenden Betrachtung außer Betracht bleiben können. Dabei könnte eine Rolle spielen, daß bei der Veranlagung zur Einkommensteuer die tatsächlichen Krankheitskosten nach § 33 EStG steuermindernd berücksichtigt werden. Außerdem entsteht für die überwiegende Zahl der Steuerpflichtigen, die als Arbeitnehmer pflichtversichert sind, wegen der Krankenversicherung ihrer Kinder kein Mehraufwand. Denn in den gesetzlichen Krankenkassen richten sich die Beiträge ausschließlich nach den beitragspflichtigen Einnahmen der Versicherten; Familienmitglieder sind mitversichert, ohne daß für sie Beiträge erhoben werden (vgl. §§ 3 und 10 des Sozialgesetzbuchs --SGB V--; § 205 der Reichsversicherungsordnung --RVO--). Dem Beschluß in BVerfGE 82, 60, BStBl II 1990, 653, 660 könnte im übrigen zu entnehmen sein, daß Vorsorgeaufwendungen nicht in dem vom Existenzminimum abgedeckten Grundbedarf enthalten seien und deshalb nicht in den Vergleich einzustellen sind.

d) Unsicher ist ferner, in welchem Umfang es von Verfassungs wegen hinzunehmen ist, daß der fiktive Kinderfreibetrag das Existenzminimum unterschreitet.

Nach dem Beschluß in BVerfGE 82, 60, BStBl II 1990, 653, 659 f. hat sich das BVerfG bei der Nachprüfung, ob die steuerlichen Entlastungsbeträge den verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen genügen, auf eine Evidenzkontrolle zu beschränken; die gesetzliche Regelung könne nur dann beanstandet werden, wenn der Gesetzgeber die maßgeblichen Pflichten entweder überhaupt außer acht gelassen oder ihnen offensichtlich nicht genügt habe. In dem Beschluß in BVerfGE 91, 93, BStBl II 1994, 909, 916 hat das BVerfG aus der Erkenntnis, daß sich der durchschnittliche jährliche Sozialhilfebedarf nur annäherungsweise ermitteln läßt, abgeleitet, daß dem Gesetzgeber bei der Festlegung des Entlastungsbetrages ein gewisser Einschätzungsspielraum zugebilligt werden muß. Es hat entschieden, daß die gesetzliche Regelung erst dann verfassungsrechtlich beanstandet werden könne, wenn die Unterschreitung der zum Vergleich herangezogenen Richtwerte ein Ausmaß erreiche, das selbst unter Berücksichtigung des Einschätzungsspielraums des Gesetzgebers und der in Betracht kommenden Ungenauigkeiten der Berechnung nicht mehr vertretbar erscheine. Wo diese Grenze zu ziehen sei, hänge insbesondere vom Ausmaß der Unsicherheit ab, die der zum Vergleich herangezogenen Berechnung des durchschnittlichen Sozialhilfebedarfs anhafte; ein allgemeiner Grenzwert lasse sich danach nicht für alle in Betracht kommenden Vergleichsberechnungen aufstellen. Jedenfalls könne aber bei Richtwerten, wie sie hier nach der Berechnung des BMFSFJ zum Vergleich herangezogen würden, die Verfassungswidrigkeit einer bestehenden Regelung noch nicht festgestellt werden, wenn diese Richtwerte um weniger als 15 v.H. unterschritten würden; das BVerfG hat dabei vergleichend auf den Vorlagebeschluß in BFHE 171, 534, 545, BStBl II 1993, 755 verwiesen (BVerfGE 91, 93, BStBl II 1994, 909, 916, linke Spalte, letzter Absatz).

In dem vergleichend in Bezug genommenen Vorlagebeschluß hat der III. Senat den als Existenzminimum zu berücksichtigenden Wohn- und Heizbedarf nicht nach den höheren, durch Aufteilung nach Kopfteilen der Familienmitglieder ermittelten durchschnittlichen Richtwerten, sondern als Mehrbedarf für ein Kind nach der sog. Differenzmethode berechnet. Unter diesen Umständen läßt die Bezugnahme des BVerfG auf den Vorlagebeschluß des III. Senats jedenfalls auch die Deutung zu, daß das BVerfG die gesetzliche Regelung selbst dann noch für vertretbar und mithin für verfassungsgemäß hält, wenn der Entlastungsbetrag den nach der Differenzmethode ermittelten Sozialhilfebedarf jedenfalls um nicht mehr als 15 v.H. unterschreitet. Für dieses Verständnis spricht auch, daß die 3. Kammer des 2. Senats des BVerfG mit Beschluß vom 11. Oktober 1996 2 BvR 1929/96 die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des X. Senats in BFH/NV 1996, 889 nicht zur Entscheidung angenommen hat. Der X. Senat hat den als Existenzminimum zu berücksichtigenden Wohn- und Heizbedarf nach der Differenzmethode (10 qm) und den fiktiven Kinderfreibetrag durch die Umrechnung des tatsächlich gezahlten Kindergeldes mit einem Steuersatz von 40 v.H. errechnet; er hat die sich danach ergebenden Unterschreitungen von 9,73 v.H. und 14,13 v.H. als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen.

3. Setzt man im Streitfall das Existenzminimum für zwei Kinder mit 9 744 DM (vgl. Vorlagebeschluß in BFHE 171, 534, BStBl II 1993, 755) und den fiktiven Kinderfreibetrag durch eine Umrechnung mit einem Steuersatz von 40 v.H. mit 8 568 DM an (1 440 DM x 100 : 40 = 3 600 DM zuzüglich 2 x 2 484 DM = 4 968 DM), so ergibt sich eine Unterdeckung von 1 176 DM, was einer Abweichung von 12,07 v.H entspricht. Ließe man wegen der Vorsorgeaufwendungen bei der Umrechnung des Kindergeldes in einen steuerlichen Entlastungsbetrag das tatsächlich gezahlte Kindergeld in Höhe von 200 DM pro Jahr und Kind außer Betracht, so ergäbe sich eine steuerliche Gesamtentlastung von 8 168 DM, was zu einer Unterdeckung von 1 576 DM und einer Abweichung von 16,17 v.H. führen würde (vgl. BFH-Beschluß in BFHE 175, 96, BStBl II 1994, 795).

Hielte man den Prozentsatz von 15 v.H. für eine unverrückbare Toleranzgrenze, bei deren Überschreitung eine Verfassungswidrigkeit zwingend anzunehmen wäre, könnte möglicherweise die Verfassungsmäßigkeit der zur Prüfung stehenden Regelungen davon abhängen, ob die Vorsorgeaufwendungen bei typisierender Betrachtung zu berücksichtigen sind. Es wäre aber auch denkbar, daß insoweit wiederum nur eine Evidenzkontrolle oder Vertretbarkeitskontrolle durchzuführen wäre. Dies kann aber dahingestellt bleiben. Denn jedenfalls angesichts dessen, daß das BVerfG das tatsächlich gezahlte Kindergeld ohne Kürzung wegen der Vorsorgeaufwendungen in einen steuerlichen Entlastungsbetrag umgerechnet hat (vgl. die Tabelle in BVerfGE 91, 93, BStBl II 1994, 909, 915), hat der Senat auch insoweit nicht die für eine Richtervorlage gemäß Art. 100 Abs. 1 GG erforderliche Überzeugung gewinnen können, daß der Gesetzgeber bei der Regelung des steuerlichen Kinderlastenausgleichs im Jahr 1987 für zwei Kinder und dem auf den Sockelbetrag geminderten Kindergeld (§ 10 Abs. 2 BKGG) den ihm zustehenden Einschätzungsspielraum überschritten hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 66313

BFH/NV 1997, 482

BStBl II 1997, 692

BFHE 183, 538

BFHE 1998, 538

BB 1997, 2096 (Leitsatz)

DB 1997, 2100-2102 (Leitsatz und Gründe)

DStR 1997, 1569-1572 (Leitsatz und Gründe)

DStRE 1997, 839 (Leitsatz)

DStZ 1997, 825 (Leitsatz)

HFR 1997, 909-911 (Leitsatz und Gründe)

StE 1997, 654 (Leitsatz)

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