Entscheidungsstichwort (Thema)

Ermittlung der Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte i.S. von § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG unter Beachtung der Regeln über den Verlustausgleich in § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002

 

Leitsatz (amtlich)

In § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG sind bei der Ermittlung der Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen waren, im Veranlagungszeitraum 1999 die Vorschriften über den Verlustausgleich in § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 zu berücksichtigen.

 

Normenkette

EStG § 2 Abs. 3, § 46 Abs. 2 Nr. 1

 

Verfahrensgang

Hessisches FG (Urteil vom 17.06.2003; Aktenzeichen 13 K 134/03)

 

Tatbestand

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Ehegatten. Sie erzielten im Streitjahr 1999 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, aus Gewerbebetrieb, aus Kapitalvermögen, aus Vermietung und Verpachtung sowie sonstige Einkünfte.

Da die Kläger die Einkommensteuererklärung für das Streitjahr zunächst nicht abgaben, schätzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die Besteuerungsgrundlagen. Den Schätzungsbescheid haben die Kläger nach ihren Angaben nicht erhalten. Nachdem das FA erfahren hatte, dass die Kläger den Zugang des Schätzungsbescheids in Abrede stellten, wurde der Bescheid vom FA als nicht wirksam bekannt gegeben behandelt.

Die Einkommensteuererklärung der Kläger für das Streitjahr ging beim FA am 11. Januar 2002 ein. Darin gaben die Kläger neben den von ihnen erzielten Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit folgende weitere Einkünfte an (alle Beträge in DM):

Kläger

Klägerin

Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit

263 029

195 457

Einkünfte aus Gewerbebetrieb

707

707

Einkünfte aus Kapitalvermögen

4 191

5 776

Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung

- 13 294

5 776

Sonstige Einkünfte

1 725

Das FA lehnte die Durchführung einer Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 des Einkommensteuergesetzes (EStG) wegen Ablaufs der Antragsfrist ab. Hiergegen legten die Kläger Einspruch ein, den das FA als unbegründet zurückwies.

Auch die Klage hatte keinen Erfolg. Ein Fall der Amtsveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG liege nicht vor, da die Summe der Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen seien, nicht mehr als 800 DM betragen habe. Eine Antragsveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG komme nicht in Betracht. Die dafür geltende Antragsfrist sei von den Klägern nicht eingehalten worden. Gründe für die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand seien weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.

Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sie seien nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG von Amts wegen zur Einkommensteuer zu veranlagen. Das Finanzgericht (FG) habe die Summe der Einkünfte im Sinne dieser Vorschrift falsch berechnet, weil es § 2 Abs. 3 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung nicht beachtet habe. § 2 EStG enthalte Begriffsbestimmungen, die im gesamten Einkommensteuerrecht anzuwenden seien. Das Gesetz enthalte keinen Hinweis darauf, dass § 2 Abs. 3 EStG im Rahmen des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG nicht angewendet werden solle. Unter Berücksichtigung von § 2 Abs. 3 EStG übersteige im Streitfall die Summe der Nebeneinkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen seien, den Betrag von 800 DM.

Die Kläger beantragen, das angefochtene Urteil, die Nichtveranlagungsverfügung sowie die Einspruchsentscheidung aufzuheben und das FA zu verpflichten, sie für den Veranlagungszeitraum 1999 zur Einkommensteuer zu veranlagen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte in § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG sei nicht identisch mit der Summe der Einkünfte in § 2 Abs. 3 EStG. Im Rahmen des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG bedeute "Summe" die mathematische Addition.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und der Klage stattzugeben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Entgegen der Ansicht der Vorinstanz sind die Kläger zur Einkommensteuer für 1999 zu veranlagen.

1. Besteht das Einkommen ganz oder teilweise aus Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, von denen ein Steuerabzug vorgenommen worden ist, wird eine Veranlagung nur unter den in § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 8 EStG genannten Voraussetzungen durchgeführt.

Im Streitfall liegen die Voraussetzungen für eine Veranlagung von Amts wegen nach § 46 Abs. 2 Nr. 1, 1. Alternative EStG vor. Nach dieser Vorschrift wird die Veranlagung durchgeführt, wenn die Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen waren, vermindert um die darauf entfallenden Beträge nach § 13 Abs. 3 und § 24a EStG, mehr als 800 DM beträgt. Die Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte i.S. von § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG ist unter Beachtung der durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/ 2000/2002 (StEntlG 1999/2000/2002) vom 24. März 1999 (BGBl I 1999, 402, BStBl I 1999, 304) eingeführten Regeln über den Verlustausgleich in § 2 Abs. 3 EStG zu ermitteln (ebenso Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 17. November 2005 III R 83/04, BFH/NV 2006, 999 zur Ermittlung der positiven Summe der Einkünfte i.S. des § 24a Satz 1 EStG).

Bei der Ermittlung der Summe der Einkünfte sind im Streitjahr 1999 die in § 2 Abs. 3 Sätze 2 bis 8 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 enthaltenen Regeln der Mindestbesteuerung zu beachten. Für den Verlustausgleich zwischen verschiedenen Einkunftsarten sind danach einkunftsartenbezogene Verhältnisrechnungen durchzuführen, da die auszugleichenden Verluste die positiven Einkünfte aus verschiedenen Einkunftsarten in dem Verhältnis mindern, in dem diese zur Summe der positiven Einkünfte stehen. § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG verwendet zur Bestimmung der Voraussetzungen, unter denen eine Veranlagung von Amts wegen durchzuführen ist, den auch in § 2 Abs. 3 EStG verwendeten Begriff der Summe der Einkünfte. § 2 EStG enthält für das EStG allgemein geltende Begriffsbestimmungen. Wortlaut und Systematik des Gesetzes sprechen folglich dafür, die Begriffe übereinstimmend auszulegen. Ein Grundbegriff des Einkommensteuerrechts wie die Summe der Einkünfte, der noch dazu in § 2 Abs. 3 EStG umfassend ausdrücklich im Gesetz selbst umschrieben ist, darf in demselben Gesetz nicht in unterschiedlicher Weise ausgelegt werden, wenn nicht zwingende Gründe eine andere Auslegung unausweichlich machen. Daran ist auch für § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG festzuhalten. So entspricht es ständiger Rechtsprechung des BFH und, soweit ersichtlich, einhelliger Auffassung im Schrifttum, dass unter dem Begriff der Einkünfte in § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG und ihrer Höhe die Einkünfte zu verstehen sind, wie sie nach den §§ 2, 13 bis 24 EStG zu ermitteln sind (BFH-Urteile vom 24. April 1961 VI 246/60 U, BFHE 73, 113, BStBl III 1961, 310, 311, und vom 12. Februar 1976 IV R 8/73, BFHE 118, 209, BStBl II 1976, 413; Schmidt/Glanegger, EStG, 25. Aufl., § 46 Rz. 51; Trzaskalik, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 46 Rdnr. B 7; Nolde in Herrmann/Heuer/Raupach, § 46 EStG Anm. 76; Blümich/Heuermann, § 46 EStG Rz. 57).

Zwingende Gründe für eine unterschiedliche Interpretation des Begriffs "Summe der Einkünfte" ergeben sich auch nicht aus dem Zweck des Gesetzes. Zwar beeinflusst die nach § 2 Abs. 3 EStG vorzunehmende Verhältnisrechnung die Zusammensetzung der Summe der Einkünfte, indem Verluste auch zum Ausgleich von Einkünften herangezogen werden, die dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen waren. Damit wirkt sich § 2 Abs. 3 EStG auf die Summe der bei § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG zu berücksichtigenden, neben dem Arbeitslohn bezogenen Einkünfte (Nebeneinkünfte) aus. Beträgt hiernach die Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen waren, mehr als 800 DM, so dass eine Veranlagung von Amts wegen zu erfolgen hat, steht dies mit dem Gesetzeszweck allerdings in Einklang. Denn Ziel sowohl der Amts- als auch der Antragsveranlagung ist die Herstellung steuerlicher Gleichheit zwischen allen Steuerpflichtigen durch Festsetzung der materiell richtigen Einkommensteuer (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Dezember 1967  1 BvR 679/64, BVerfGE 23, 1, BStBl II 1968, 70). Mit der Veranlagung sollen im Lohnsteuerverfahren systembedingt auftretende Steuerüber- und -untererhebungen ausgeglichen werden. Die Amtsveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG führt in Einklang mit diesem Gesetzeszweck dazu, dass (nur) die gesetzlich geschuldete Steuer festgesetzt wird.

Im Streitfall kann der Senat offen lassen, ob er die gegen § 2 Abs. 3 Sätze 2 bis 8 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 vielfach erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken im Ergebnis für durchgreifend erachtet. Er sieht jedenfalls trotz bestehender Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift keinen Anlass, die hier zu Gunsten der Kläger wirkenden Bestimmungen in § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 im vorliegenden Fall unberücksichtigt zu lassen.

2. Nach diesen Grundsätzen hat das FG das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Veranlagung der Kläger nach § 46 Abs. 2 Nr. 1, 1. Alternative EStG zu Unrecht verneint. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden. Denn nach den tatsächlichen Feststellungen des FG zu den von den Klägern erklärten Einkünften, die das FA im Rahmen der Bearbeitung der Einkommensteuererklärung geprüft und --soweit es hier von Interesse ist-- im Wesentlichen nicht beanstandet hat, übersteigt die Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen waren, unter Berücksichtigung der in § 2 Abs. 3 EStG vorgeschriebenen Verhältnisrechnung offensichtlich den Betrag von 800 DM. Die Kläger sind folglich von Amts wegen zur Einkommensteuer zu veranlagen.

Bei dieser Sachlage kommt es auf die von den Klägern erhobenen Verfahrensrügen nicht mehr an.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1567241

BFH/NV 2006, 1943

BStBl II 2006, 801

BFHE 2007, 141

BFHE 214, 141

BB 2006, 2055

DB 2006, 2093

DStRE 2006, 1206

HFR 2006, 991

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