Entscheidungsstichwort (Thema)

Notwendigkeit eines Feststellungsverfahrens bei wegen Nießbrauchs strittiger Einkünftezurechnung

 

Leitsatz (NV)

1. Auf die Durchführung eines Feststellungsverfahrens kann nicht gemäß § 180 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 verzichtet werden, wenn zwischen den Beteiligten strittig ist, ob die Einkünfte teilweise einem Nießbraucher zuzurechnen sind.

2. Zu der für die steuerrechtliche Berücksichtigung des Nießbrauchs an einem Grundstück notwendigen tatsächlichen Durchführung der Bestellung gehört, daß der Nießbraucher auch nach außen als Vermieter auftritt und ihm die Mieterträge zufließen (Anschluß an BFH-Urteil vom 6. Juli 1993 IX R 112/88, BFHE 171, 530, 534, HFR 1993, 708).

 

Normenkette

AO 1977 § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 3 S. 1; EStG §§ 21, 21a; FGO § 74

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Eheleute.

Der Kläger und sein Vater waren je zur ideellen Hälfte Miteigentümer eines Mietwohngrundstücks sowie eines Einfamilienhauses, das von den Klägern selbst bewohnt wird. Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 29. Juni 1967 übertrugen der Kläger und sein Vater ihre Miteigentumsanteile jeweils schenkweise auf ihre Ehefrauen; zugleich vereinbarten die Kläger und die Eltern des Klägers in einem Erbvertrag, daß nach dem Tode der Ehefrauen deren Miteigentumsanteile auf die gemeinschaftlichen Kinder der Kläger zu gleichen Teilen im Wege des Vermächtnisses übergehen sollten.

Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 19. Juni 1975 bestellte die Mutter des Klägers diesem unentgeltlich einen lebenslangen Nießbrauch an ihren Miteigentumsanteilen an den oben bezeichneten Grundstücken, der im September 1975 in das Grundbuch eingetragen wurde. Der Kläger übernahm als Nießbraucher außer den ordentlichen Lasten auch die mit den Grundstücksanteilen verbundenen außerordentlichen Lasten, zu denen neben den außergewöhnlichen Erhaltungsaufwendungen auch die Tilgungsleistungen für die auf den Grundstücken lastenden Grundpfandrechte gehören sollten.

Die Kläger ließen in ihren Einkommensteuererklärungen für die Jahre 1976 bis 1981 den Nießbrauch unberücksichtigt. Die Klägerin erklärte - ebenso wie die Mutter des Klägers - Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung hinsichtlich ihrer Eigentumsanteile an den bezeichneten Grundstücken.

Im Rahmen eines im Dezember 1982 bei der Fa. M-KG, an der der Kläger beteiligt ist, sowie bei der aus der Klägerin und der Mutter des Klägers bestehenden Grundstücksgemeinschaft durchgeführten Außenprüfung wurde festgestellt, daß die M-KG bei der Stadtsparkasse A ein auf ihren Namen lautendes Mietkonto für die Wohnungen des Mietwohngrundstücks unterhielt. Auf dieses Konto wurden einerseits alle laufenden Mieten und Umlagen sowie Mietkautionen geleistet. Andererseits wurden von diesem Konto alle Ausgaben für die Mietwohnungen einschließlich Darlehenszinsen und Tilgungsbeträge bezahlt. In der Buchführung der M-KG wurde das Mietkonto über die Kapitalkonten der Gesellschafter (des Klägers und seiner Mutter) abgeschlossen; dabei wurden je zur Hälfte die Mieteinnahmen (als Einlagen) und die Ausgaben für die Mietwohnungen (als Entnahmen) auf den Kapitalkonten gebucht. Ferner stellte der Außenprüfer fest, daß der Kläger und seine Mutter am 28. Oktober 1981 eine weitere notariell beurkundete Vereinbarung geschlossen hatten, in der zum Ausdruck gebracht wurde, daß der Kläger die ihm aufgrund des Nießbrauchs zustehenden Mieteinnahmen seiner Mutter als Darlehen zur Verfügung gestellt habe. Der Kläger verpflichtete sich, den auf diese Weise bis zum Zeitpunkt der Vereinbarung entstandenen Darlehensbetrag in Höhe von 150000 DM seiner Mutter weiterhin als ein mit 6 v.H. zu verzinsendes Darlehen zu belassen. Zur Sicherung der Rückzahlungsverpflichtung bestellte die Mutter des Klägers diesem eine Grundschuld in Höhe von 150000 DM an ihren Miteigentumsanteilen. Schließlich stellte der Prüfer fest, daß die für die Wohnungen des Mietwohngrundstücks vor dem 29. Juni 1967 geschlossenen Mietverträge als Vermieter (noch) den Kläger und seinen Vater und die in der Zeit vom 29. Juni 1967 bis zum 19. Juni 1975 geschlossenen Verträge die Mutter des Klägers und seine Ehefrau als Vermieter auswiesen; nach der Nießbrauchsbestellung am 19. Juni 1975 geschlossenen Mietverträge lauteten hingegen auf den Kläger.

Der Prüfer erachtete die Nießbrauchsbestellung als steuerrechtlich maßgebend und rechnete dem Kläger von den - der Höhe nach unstreitigen - Einkünften aus Vermietung und Verpachtung auch die anteilig auf ihn als Nießbraucher entfallenden Einkünfte zu.

Dem folgte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -). Er änderte die Einkommensteuerfestsetzungen für die Kläger für die Jahre 1976 bis 1981 dementsprechend.

Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage, mit denen die Kläger sich neben verfahrensrechtlichen Einwendungen gegen die steuerrechtliche Berücksichtigung der nach ihrer Auffassung tatsächlich nicht durchgeführten Nießbrauchseinräumung in den Jahren 1976 bis 1980 wendeten, hat das Finanzgericht (FG) überwiegend abgewiesen: Entgegen der Auffassung der Kläger sei die Nießbrauchsbestellung der Besteuerung zugrunde zu legen; sie sei ernsthaft gewollt und auch tatsächlich durchgeführt worden. Allerdings sei hinsichtlich des Nießbrauchs an dem hälftigen Eigentumsanteil an dem Einfamilienhaus der nach § 21a des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu ermittelnde Nutzungswert anzusetzen. Das FA habe die Einkünfte des Klägers auch zutreffend nicht im Rahmen der gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte der beiden Grundstücksgemeinschaften festgestellt; bei den Einkünften des Klägers als Nießbraucher einerseits und denjenigen seiner Mutter und der Klägerin als Miteigentümer andererseits handele es sich nicht um gemeinsame Einkünfte i.S. des § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a der Abgabenordnung (AO 1977), an denen mehrere beteiligt seien.

Mit der Revision rügen die Kläger sinngemäß eine Verletzung des § 21 Abs. 1 Nr. 1 EStG sowie des § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977. Zu Unrecht habe das FG dem Kläger als Nießbraucher die Einkünfte zugerechnet.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Das FG hat es verfahrensfehlerhaft unterlassen, das Verfahren gemäß § 74 FGO auszusetzen, bis über die Beteiligung des Klägers an den Einkünften aus den beiden Grundstücken in dem Verfahren zur gesonderten und einheitlichen Feststellung der betreffenden Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung entschieden worden ist. Hierbei handelt es sich um einen Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens (vgl. Senatsurteil vom 12. November 1985 IX R 85/82, BFHE 145, 308, BStBl II 1986, 239, und Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 8. Mai 1991 I B 132, 134/90, BFHE 164, 194, BStBl II 1991, 641).

Nach ständiger Rechtsprechung sind Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, an denen neben dem Grundstückseigentümer eine weitere Person, z.B. ein Quotennießbraucher beteiligt ist, grundsätzlich gemäß § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 gesondert und einheitlich festzustellen (BFH-Urteile vom 21. Juli 1961 5/61, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1962, 190; vom 28. Juli 1981 VIII R 141/77, BFHE 134, 409, BStBl II 1982, 454; vgl. auch BFH-Urteil vom 14. November 1979 I R 123/76, BFHE 130, 254, BStBl II 1980, 432). Auf die Einbeziehung des Klägers als Nießbraucher in die für die Einkünfte aus den beiden Grudstücken durchgeführten Feststellungsverfahren konnte im Streitfall auch nicht deshalb verzichtet werden, weil es sich um Fälle geringer Bedeutung gehandelt hätte (§ 180 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 in der für das Streitjahr geltenden Fassung). Gegen eine geringe Bedeutung spricht bereits der Umstand, daß zwischen den Beteiligten strittig ist, ob dem Kläger als Nießbraucher ein Teil der Einkünfte zuzurechnen ist (vgl. BFH-Urteil vom 20. Januar 1976 VIII R 253/71, BFHE 117, 437, BStBl II 1976, 305; Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 180 AO 1977, Anm. 224; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 180 AO 1977, Tz. 29; vgl. auch die seit dem 1. Januar 1987 geltende Neufassung des § 180 Abs. 3 Nr. 2 AO 1977).

Die Vorentscheidung ist danach aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

Zu der im Rahmen des gesonderten Feststellungsverfahrens zu prüfenden materiell-rechtlichen Streitfrage weist der Senat aus prozeßökonomischen Gründen darauf hin, daß es zur steuerrechtlichen Berücksichtigung eines Nießbrauchs nach ständiger Rechtsprechung zwingend dessen tatsächlicher Durchführung bedarf (vgl. Senatsurteil vom 24. September 1985 IX R 62/83, BFHE 144, 446, BStBl II 1986, 12 m.w.N.). Hierzu gehört bei der Bestellung eines Nießbrauchs an einem Grundstück, daß der Nießbraucher auch nach außen als Vermieter auftritt und ihm die Mieterträge zufließen (Senatsurteil vom 6. Juli 1993 IX R 112/88, BFHE 171, 530, 534, Der Betrieb 1993, 1906 m.w.N.). Von daher dürfte für die Zuordnung der strittigen Einkünfte aus dem Mietwohngrundstück von Bedeutung sein, ob - was die Kläger ausdrücklich bestreiten - den Mietern die Nießbrauchseinräumung mitgeteilt worden ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 65054

BFH/NV 1994, 866

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