Entscheidungsstichwort (Thema)

Geschäftsführerhaftung nach § 69 AO 1977

 

Leitsatz (NV)

Haftung des Geschäftsführers einer KG für unrichtige Angabe von Vorsteuerabzügen, die zu Erstattungen geführt haben.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 69, 34; UStG 1967 § 15 Abs. 1

 

Verfahrensgang

FG Berlin

 

Tatbestand

Revisionskläger ist der Verwalter im Konkurs über das Vermögen des . . ., der von November 1970 bis Juni 1974 Geschäftsführer der inzwischen aufgelösten Grundstücksgesellschaft m.b.H. u. Co. (KG) gewesen ist. Gegenstand des Unternehmens war die Errichtung und Vermietung eines Wohn- und Geschäftshauses in . . . Nach von der Gesellschaft erteilten Auskünften war das Gebäude Anfang 1973 fertiggestellt. Dieses Gebäude wurde nach den Angaben bzw. Unterlagen der Firmenvertreter wie folgt genutzt:

17 v. H. für gewerbliche Zwecke (Vermietung von Läden Ausweis der Mehrwertsteuer in den Mietverträgen),

83 v. H. für Wohnzwecke.

Für die Monate März und Mai 1973 hat die KG Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben, die der Kläger unterschrieben hat und in denen Vorsteuerabzugsbeträge geltend gemacht wurden, und zwar:

für März 1973 in Höhe von . . . DM,

für Mai 1973 in Höhe von . . . DM.

Aufgrund dieser Aufgaben hat das FA an die KG . . . DM erstattet.

Bei einer im Jahr 1974 durchgeführten Betriebsprüfung stellte der Prüfer fest, daß die KG zum einen nicht die sämtlichen Einnahmen aus Vermietung der Läden der Umsatzsteuer unterworfen hatte und zum anderen die sämtlichen bei der Gebäuderrichtung angefallenen Vorsteuerbeträge in voller Höhe - also ohne Rücksicht auf die unterschiedliche Verwendung des Gebäudes - in den Voranmeldungen ausgewiesen hatte.

Das FA erließ unter Übernahme dieser Feststellungen des Betriebsprüfers an die KG am 3. Oktober 1974 einen vorläufigen Umsatzsteuerbescheid 1973, in dem es die Umsatzsteuer auf ./. . . . DM (Rotbetrag) festsetzte. Da an die KG der Betrag von . . . DM ausgezahlt worden war, ergab sich (infolge überhöhter Auszahlung) eine Rückzahlungsschuld der KG in Höhe von . . . DM.

Mit vorläufigem Haftungsbescheid vom 11. Oktober 1974 hat das FA den Kläger unter Übersendung der für die Steuerfestsetzung und Abrechnung maßgebenden Feststellungen des Betriebsprüfers in Höhe von . . . DM in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der KG als Haftungsschuldner in Anspruch genommen.

Mit der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage hat der Kläger beantragt, den Haftungsbescheid aufzuheben, hilfsweise die Haftungssumme auf . . . DM herabzusetzen.

Das FG hat die Haftungssumme - entsprechend dem Hilfsantrag - auf . . . DM herabgesetzt und im übrigen die Klage abgewiesen.

Mit der Revision wird das Klagebegehren im Hauptantrag - die Aufhebung des Haftungsbescheids - weiterverfolgt.

Die Revisionskläger rügt verfahrensfehlerhaft vorgenommene, nicht ausreichende Aufklärung des Sachverhalts (§ 118 Abs. 2, § 76 FGO) und fehlerhafte Anwendung der §§ 103, 109 und 118 AO.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

1. Die Rüge der mangelhaften Sachaufklärung greift nicht durch. Es kann auf sich beruhen, ob die Rüge überhaupt in der für einen geltend gemachten Verfahrensverstoß erforderlichen und damit zulässigen Form vorgebracht ist, da die Tatsachen, auf die sich der Verfahrensverstoß beziehen soll, wegen unzureichender Bezeichnung in der Revisionsbegründung sich allenfalls aus dem Zusammenhang des Revisionsvorbringens ergeben können (vgl. § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO). Denn jedenfalls ist sie nicht begründet, weil die Sachentscheidung des FG nicht auf der behaupteten unzureichenden Sachaufklärung beruht. Es kommt nämlich für die Frage der Haftungsschuld - wie sich aus den nachstehenden Erwägungen unter Ziffer 2 ergibt - nicht darauf an, ob und inwieweit der Kläger die von ihm als Geschäftsführer wahrzunehmenden steuerlichen Verpflichtungen auf Dritte (Steuerberater oder Angestellte der KG) delegiert hatte und inwieweit die Angaben in den Umsatzsteuervoranmeldungen für März und Mai 1973 auf eine unrichtige Sachbehandlung durch diese zurückzuführen sind.

2. Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, daß der Kläger gemäß §§ 105, 103 AO als gesetzlicher Vertreter der KG die dieser obliegenden steuerlichen Pflichten wahrzunehmen hatte und gemäß § 109 AO bei schuldhafter Verletzung dieser Pflichten für die dadurch eingetretenen Steuerverkürzungen oder zu Unrecht gewährten Erstattungen haftet. Im Streitfall sind in erster Linie Erstattungen dadurch zu Unrecht gewährt worden, daß in der für Mai 1973 von der KG abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldung zu hohe Vorsteuerbeträge als abzugsfähig ausgewiesen waren und in Folgewirkung hiervon an die KG ausgezahlt worden sind. Unberechtigt und überhöht ausgewiesen waren die Vorsteuerbeträge, weil sie von der KG in der bei Errichtung des Neubaues angefallenen Höhe ohne Rücksicht auf dessen beabsichtigte und durchgeführte Verwendung und damit unter Verstoß gegen § 15 Abs. 3 UStG 1967 in der Voranmeldung angegeben wurden. Diese - falsche - Angabe war somit - wie das FG zutreffend ausgeführt hat - ursächlich für die überhöhte Auszahlung von Vorsteuerbeträgen und die dadurch begründete Rückzahlungsschuld der KG.

3. Das FG ist weiter zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, daß die vorgenannte fehlerhafte Angabe in der Voranmeldung für Mai 1973 auf einer schuldhaften Pflichtverletzung des Klägers beruht. Der Kläger stand - wie vorstehend unter Ziffer 2 ausgeführt - als Geschäftsführer der KG hinsichtlich der Wahrnehmung der steuerlichen Belange der KG gemäß §§ 105, 103 AO in der Verantwortung gegenüber dem FA und hat diese Verantwortung durch seine auf der Voranmeldung angebrachte Unterschrift auch übernommen. Er kann sich - was die Frage des Verschuldens (das nach § 109 AO Vorsatz und Fahrlässigkeit umfaßt) betrifft - nicht damit exkulpieren, er habe wegen großen Geschäftsanfalls bei der KG deren steuerliche Belange nicht mehr überblickt und daher ihre Wahrnehmung auf Dritte (Steuerberater und Angestellte) übertragen müssen, deren Fehlverhalten ihm nicht anzulasten sei. Stand der Kläger - wie ausgeführt - hinsichtlich der steuerlichen Pflichten in der Verantwortung gegenüber dem FA, so konnte er deren Umfang weder objektiv begrenzen noch den Maßstab der gebotenen Sorgfalt subjektiv aus eigener Befugnis einengen (BFH-Urteil vom 26. April 1984 V R 128/79, BFHE 141, 443, BStBl II 1984, 776 unter Ziffer 2 Buchst. b). Die fehlerhafte Angabe der überhöhten Vorsteuerbeträge in der Umsatzsteuervoranmeldung für Mai 1973 beruht somit auf einer schuldhaften Pflichtverletzung des Klägers i.S. von § 109 AO. Dem Kläger ist - wie das FG zutreffend entschieden hat - mindestens grobfahrlässige Handlungsweise anzulasten, so daß sich in bezug auf die Ausübung des Ermessens eine ausdrückliche Begründung im Haftungsbescheid selbst erübrigte (BFH-Urteil vom 13. April 1978 V R 109/75, BFHE 125, 126, BStBl II 1978, 508). Auf das Urteil in BFHE 75, 206, BStBl III 1962, 342 kann sich die Revision nicht mit Erfolg berufen, weil der dort entschiedene Sachverhalt schon insofern anders gelagert war, als es dort um die Berechnung und Einbehaltung der Lohnsteuer ging, während im Streitfall falsche Angaben zwecks Auszahlung von Erstattungen in Rede stehen.

4. Diese schuldhafte Pflichtverletzung des Klägers wird nicht gemindert durch ein mitwirkendes Verschulden des FA. Es kann auf sich beruhen, ob im Rahmen der Geschäftsführerhaftung nach § 109 AO (§ 69 AO 1977) ein mitwirkendes Verschulden i. S. des § 254 des Bürgerlichen Gesetzbuches überhaupt in Betracht kommen kann. Denn ein solches liegt nicht vor: Die sich aus der Voranmeldung ergebende Steuerschuld oder - bei Vorsteuerüberhang - die sich ergebende Erstattungsforderung (§ 18 Abs. 2 UStG 1967) beruht nach dem Gesetz (§ 18 Abs. 1 Satz 2 UStG 1967) auf der Selbstberechnung des Unternehmers (vgl. auch Hartmann/Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz, 6. Aufl., Tz. 122 zu § 18 UStG 1967). Ergibt sich zufolge dieser Selbstberechnung ein Überschuß von mehr als 1 000 DM zugunsten des Unternehmers, so hat das FA diesen auf Antrag herauszuzahlen (§ 18 Abs. 2 Satz 4 UStG 1967), wenn nicht besondere Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß überhöhte Vorsteuerbeträge als abzugsfähig geltend gemacht werden (vgl. Erlaß des Bundesministers der Finanzen IV A 2 - S 7346 - 3/68 vom 12. März 1968, BStBl I 1968, 495). So liegt der Fall hier nicht. Denn bei der Errichtung von Neubauten ist ein erheblicher Überhang der Vorsteuerbeträge gegenüber den erzielten Umsätzen im Jahr der Errichtung nicht ungewöhnlich.

5. Was die Höhe der Haftungssumme betrifft, so erreicht diese - berechnet auf der Grundlage des Verhältnisses 45 v. H. (gewerbliche Umsätze) zu 55 v. H. (nichtgewerbliche Umsätze) jedenfalls den vom FG festgesetzten Betrag von . . . DM, bei dem es - mangels Revisionseinlegung durch das FA - zu verbleiben hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 413746

BFH/NV 1985, 18

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