Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Steuerrechtsfähigkeit im Umsatzsteuerrecht

 

Leitsatz (NV)

1. Für die zeitliche Abgrenzung der Regelungsbereiche von AO und AO 1977 im Verjährungsrecht kommt es allein auf die Entstehung des Steueranspruchs an (nicht etwa auf seine Festsetzung oder auf den Verlauf der Verjährung).

2. Eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts und eine OHG sind im Umsatzsteuerrecht auch dann verschiedene Rechtssubjekte, wenn an ihnen dieselben natürlichen Personen beteiligt sind.

3. Auch für die Beurteilung der Verjährung von Umsatzsteueransprüchen und von Unterbrechungstatbeständen (hier § 146a Abs. 3 AO) sind beide Steuerrechtssubjekte streng auseinanderzuhalten.

 

Normenkette

EGAO Art. 97 §§ 9-10; AO § 144 Abs. 1 S. 1, § 146a Abs. 3, § 210 Abs. 1; StAnpG § 3; AO 1977 §§ 38, 155 Abs. 1 S. 1, § 169 Abs. 1 S. 1, § 174 Abs. 3-4; UStG § 13 Abs. 1 Nr. 1a

 

Verfahrensgang

FG Nürnberg

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine aus den Brüdern A, B und C X bestehende Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), erklärte u.a. auch für die inzwischen allein noch streitbefangenen Jahre 1975 und 1976 steuerpflichtige Umsätze aus der Verpachtung des Firmengebäudes an die A, B, C X-OHG (im folgenden: OHG). Die Umsatzsteuer hieraus setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) gemäß den Angaben der Klägerin in ihren Steuererklärungen wie folgt fest:

1975 1976

Eingang der

Erklärung

beim FA 1.03. 1977 18.10. 1977

Erlaßdatum

des Bescheids 17.05. 1977 4.01. 1978

Umsatzsteuer-

schuld 6600 DM 6600 DM

In einer bei der Klägerin am 24./25. April 1978 durchgeführten Betriebsprüfung stellte sich der Prüfer auf den Standpunkt, die Gesellschafter der Klägerin seien Mitunternehmer der OHG und das Betriebsgrundstück infolgedessen deren Sonderbetriebsvermögen; daher müßten die Pachterlöse als nicht steuerbare Innenumsätze angesehen werden. Dem schloß sich das FA an, änderte am 3. August 1979 unter Berufung auf § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung 1977 (AO 1977) die zuvor erlassenen Umsatzsteuerbescheide und setzte die Umsatzsteuerschuld der Klägerin jeweils auf 0 DM fest.

Der OHG gegenüber führte diese Beurteilung zur Versagung des Vorsteuerabzugs aus dem von der Klägerin in Rechnung gestellten Pachtzins und zu einem von der OHG betriebenen Klageverfahren, in dessen Verlauf sich das FA schließlich bereit erklärte, den Vorsteuerabzug aus den Verpachtungsleistungen der Klägerin nun doch anzuerkennen. Daraufhin erklärten die Beteiligten (durch entsprechende Prozeßerklärungen vom 28. März und 6. April 1984) die Hauptsache für erledigt. Gegenüber der OHG ergingen am 18. Dezember 1984 Änderungsbescheide.

Zuvor schon, am 28. Mai 1984, hatte das FA der Klägerin gegenüber Änderungsbescheide erlassen, in denen es, gestützt auf § 174 Abs. 4 AO 1977, die ursprüngliche Umsatzsteuerschuld wieder festsetzte.

Den Einspruch hiergegen wies das FA mit der Begründung zurück, es sei sowohl nach § 174 Abs. 3 AO 1977 als auch nach § 174 Abs. 4 AO 1977 zur Änderung berechtigt. Festsetzungsverjährung sei hinsichtlich beider Bestimmungen noch nicht eingetreten; das Klageverfahren der OHG sei nicht mit der Abgabe der Erledigungserklärungen, sondern erst mit Bestandskraft der Änderungsbescheide beendet worden.

Der hiergegen erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) mit der Begründung statt, der Umsatzsteueranspruch sei mit Erlaß der angefochtenen Änderungsbescheide schon verjährt gewesen. Die Anfechtung der aufgrund der Betriebsprüfung ergangenen Änderungsbescheide durch die OHG habe zwar den Ablauf der Verjährung dieser gegenüber, nicht aber der Klägerin gegenüber gehemmt. Im Verhältnis zur Klägerin sei eine solche Wirkung nur bis zur Bestandskraft der Änderungsbescheide vom 3. August 1979 eingetreten. Insoweit komme es weder darauf an, wann genau die Ablaufhemmung mit Wirkung gegen die OHG beendet gewesen sei, noch auf welche Änderungsvorschrift sich das FA der Klägerin gegenüber hätte berufen können.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 174 Abs. 3 und Abs. 4 AO 1977 sowie des Art. 97 § 9 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977) am 14. Dezember 1976 (BGBl I 1976, 3341). Es ist der Meinung, die nach dem Beschluß des V.Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 11. Februar 1988 V B 98/86 (BFH/NV 1988, 724) noch ungeklärte Frage, ob in Fällen aus der Übergangszeit die im BFH-Urteil vom 30. September 1980 VIII R 58/80 (BFHE 132, 1, BStBl II 1981, 245) angenommene Änderungssperre auch gelte, wenn der zu ändernde Bescheid nach dem 31. Dezember 1976 erlassen und Verjährung erst nach diesem Zeitpunkt eingetreten sei, habe der Gesetzgeber dadurch entschieden, daß er die mit § 174 Abs. 3 und Abs. 4 AO 1977 verbundenen besonderen Verjährungsvorschriften nicht unter Teil II (Festsetzungsverjährung), sondern unter Teil III (Bestandskraft) geregelt habe. Das bedeute, daß insoweit die Korrektur Vorrang habe vor der Verjährung.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Im Ergebnis zu Recht hat das FG die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Das FA war wegen Eintritts der Verjährung nicht mehr befugt, der Klägerin gegenüber für die Streitjahre Umsatzsteueränderungsbescheide zu erlassen.

1. Ob und in welchem Umfang die Umsatzsteuerbescheide für 1975 und 1976 vom 3. August 1979 noch geändert werden durften, richtet sich nach den ab 1. Januar 1977 geltenden Vorschriften des neuen Abgabenrechts (§ 415 Abs. 1 AO 1977; Art. 97 § 9 EGAO 1977). Inwieweit Verjährung eingetreten war, bestimmt sich gemäß Art. 97 § 10 EGAO 1977 nach den §§ 143ff. der Reichsabgabenordnung (AO) in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 15. September 1965 (BGBl I 1965, 1356; vgl. Urteile des BFH in BFHE 132, 1, BStBl II 1981, 245; vom 16. Mai 1990 X R 72/87, BFHE 161, 451, BStBl II 1990, 1044; vom 13. November 1991 I R 58/90, BFHE 166, 530, BStBl II 1992, 517; vom 18. Dezember 1991 X R 38/80, BFHE 167, 1, BStBl II 1992, 504; vom 8. April 1992 X R 164/88, BFH/NV 1992, 717), weil die Entstehung der zugrunde liegenden Steueransprüche vor, die streitige Änderung der Steuerfestsetzung nach dem Stichtag liegt. Dabei kommt es für die zeitliche Abgrenzung der Verjährungsregelungen, entgegen der Revisionsbegründung, weder darauf an, daß die zu ändernden Bescheide nach dem 31. Dezember 1976 erlassen wurden, noch darauf, daß die Verjährung der hierdurch geregelten Steueransprüche erst nach dem Stichtag eingetreten war. Kriterium für die Abgrenzung der neuen von der alten Verjährungsregelung ist gemäß Art. 97 § 10 EGAO 1977 allein die Entstehung des Steueranspruchs, nicht seine Regelung durch einen Steuerverwaltungsakt (erkennender Senat in BFHE 161, 451, 455, BStBl II 1990, 1044). Dies allein entspricht auch der materiell-rechtlichen Bedeutung der Verjährung im Abgabenrecht (§ 148 AO; § 47 AO 1977). Nach altem wie nach neuem Recht ist zwischen der Entstehung des Steueranspruchs (vgl. § 3 Abs. 1 und Abs. 2 des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG -, § 38 AO 1977) und seiner Festsetzung (§ 210 Abs. 1 AO, § 155 Abs. 1 Satz 1 AO 1977) zu unterscheiden; ebenso zwischen der Entstehung des Steueranspruchs und der Verjährung (§ 3 StAnpG, § 38 AO 1977 einerseits; §§ 143ff. AO, §§ 169ff. und 228 AO 1977 andererseits) sowie zwischen Festsetzung und Verjährung: Letztere hindert sowohl nach neuem (so ausdrücklich § 169 Abs. 1 Satz 1 AO 1977) als auch nach altem Recht (vgl. dazu BFH-Urteil vom 5. März 1987 VII R 29/84, BFHE 149, 132, 133, BStBl II 1987, 413 m.w.N.) die Steuerfestsetzung sowie deren Aufhebung und Änderung. Vor diesem systematischen Hintergrund wird deutlich, daß gemäß der in Art. 97 § 10 EGAO 1977 vorgenommenen Grenzziehung alle vor dem Stichtag entstandenen Steueransprüche nach altem Recht verjähren - unabhängig von ihrem weiteren verjährungsrechtlichen oder verfahrensrechtlichen Schicksal.

Auf den Streitfall übertragen bedeutet dies, daß sich die Verjährung für beide zwischen den Beteiligten noch streitigen Umsatzsteueransprüche nach altem Recht richtet, weil sie spätestens mit Ablauf des 31. Dezember 1975 bzw. 1976 entstanden sind (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes - UStG -). Ausgeschlossen sind infolgedessen hier auch - ungeachtet ihrer Stellung im Gesetz - die besonderen Verjährungsvorschriften des § 174 Abs. 3 und Abs. 4 AO 1977.

2. Die Umsatzsteueransprüche gegenüber der Klägerin waren sowohl für 1975 als auch für 1976 verjährt, als die angefochtenen Bescheide ergingen.

Die fünfjährige Verjährungsfrist (§ 144 Abs. 1 AO) hatte in beiden Fällen (nachdem die Erklärungen im März bzw. Oktober 1977 beim FA eingegangen waren) Ende 1977 zu laufen begonnen und mit Ablauf des Jahres 1982 geendet.

Der einzige für eine Verlängerung der Verjährungsfrist in Betracht kommende Tatbestand des § 146a Abs. 3 AO hat eine Ablaufhemmung letztlich nicht bewirken können.

Nach § 146a Abs. 3 AO verjährten, wenn vor Ablauf der Verjährungsfrist mit einer Betriebsprüfung begonnen wurde, die Ansprüche, auf die sich die Betriebsprüfung erstreckte, nicht, bevor die aufgrund der Betriebsprüfung ergangenen Steuerbescheide unanfechtbar geworden waren.

a) Zu Recht hat in diesem Zusammenhang das FG hervorgehoben, daß es insoweit nicht auf die der OHG gegenüber vorgenommenen Prüfungsmaßnahmen und die hierauf beruhenden Bescheide ihr gegenüber ankommt, sondern allein auf die bei der Klägerin durchgeführte Prüfung und die daraufhin ihr gegenüber erlassenen Steuerverwaltungsakte (vgl. auch BFH-Urteil vom 24. April 1979 VIII R 64/77, BFHE 128, 139, BStBl II 1979, 744). Auch hinsichtlich Beginn, Verlauf und Ende der Verjährung ist jeder Steueranspruch gesondert zu sehen und zu würdigen.

b) Die am 24. April 1978 bei der Klägerin begonnene Betriebsprüfung ist ihr gegenüber für die Veranlagungszeiträume 1975 und 1976 durch die auf 0 DM lautenden, am 3. August 1979 mit einfachem Brief zur Post gegebenen Umsatzsteuerbescheide ausgewertet worden. Diese Bescheide galten am 6. August 1979 als bekanntgegeben (§ 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977) und sind am 6. September 1979 unanfechtbar geworden (§ 355 Abs. 1 Satz 1 AO 1977), haben also den regelmäßigen Ablauf der Verjährung zum Ende des Jahres 1982 nicht hindern können.

c) Ob das FA dieses Ergebnis etwa dadurch hätte verhindern können, daß es rechtzeitig (d.h. vor Verjährungseintritt: vgl. das Senatsurteil X R 111/91 vom 5. Mai 1993, BFHE 171, 400, BStBl II 1993, 817) für die Beiziehung oder Beiladung der Klägerin zum Verfahren der OHG gesorgt hätte (§ 174 Abs. 5 AO 1977), kann auf sich beruhen.

3. Da die angefochtenen Änderungsbescheide wegen Ablaufs der Verjährungsfrist nicht mehr hätten ergehen dürfen, kam es auf die Frage, welche Korrekturvorschriften hier einschlägig gewesen wären, nicht an...

 

Fundstellen

Haufe-Index 419339

BFH/NV 1994, 221

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