Entscheidungsstichwort (Thema)

Zum Erlaß von Aussetzungszinsen

 

Leitsatz (NV)

Für die Festsetzung der Aussetzungszinsen ist der Grund für die Erfolglosigkeit des Einspruchs ohne Bedeutung. Entsprechende Erw&auml,gungen rechtfertigen deshalb keinen Erlaß aus sachlichen Billigkeitsgründen.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 227, 237 Abs. 1

 

Verfahrensgang

FG Köln

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Ehegatten. Sie waren im Jahr 1986 Gesellschafter einer von ihnen zum Zweck der Bebauung von Grundstücken und zum Verkauf von Wohnungseigentum gegründeten Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). In ihrer gemeinsamen Einkommensteuererklärung für 1986 machten sie aus dieser Tätigkeit einen Verlust aus Gewerbebetrieb von zusammen 119412 DM geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) ging im Einkommensteuerbescheid 1986 abweichend von der Erklärung von einem Gewinn aus Gewerbebetrieb in Höhe von zusammen 109248 DM aus. Die Abweichung beruhte darauf, daß das FA nach Rücksprache mit dem Bausachverständigen den Einlagewert der veräußerten Grundstücke mit 399 DM/qm berücksichtigte. Die Kläger hatten ihrer Steuererklärung einen Einlagewert von 550 DM/qm zugrunde gelegt. Der unter Vorbehalt der Nachprüfung ergangene Einkommensteuerbescheid 1986 führte zu einer Einkommensteuerabschlußzahlung von 27049 DM.

Im Rahmen des Einspruchsverfahrens gegen diesen Bescheid setzte das FA antragsgemäß die Vollziehung des Einkommensteuerbescheides in Höhe dieses Betrages aus.

Während des Einspruchsverfahrens führte das FA bei der GbR eine Außenprüfung durch. Die Kläger erklärten sich mit den Prüfungsfeststellungen - u.a. einem Einlagewert von 480 DM/qm - einverstanden. Aufgrund des Änderungsbescheides vom 6. März 1989 verminderte sich die Einkommensteuerabschlußzahlung auf 12194 DM.

Mit Bescheid vom 7. Juni 1989 setzte das FA Aussetzungszinsen für die verbleibende Einkommensteuerabschlußzahlung in Höhe von 665 DM fest.

Die Kläger begehrten nunmehr erfolglos den Erlaß der Aussetzungszinsen gemäß § 237 Abs. 4 i.V.m. § 234 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977). Deren Erhebung sei sachlich unbillig. Ihr Einspruch habe im Ergebnis Erfolg gehabt, denn auch die Berücksichtigung des im Anschluß an die Außenprüfung zugrunde gelegten Einlagewertes für die verkauften Grundstücke hätte zu negativen Einkünften aus Gewerbebetrieb und deshalb nicht zu einer Steuernachforderung geführt. Letztere sei ausschließlich auf Feststellungen der Außenprüfung zurückzuführen, die mit den streitigen Einlagewerten nicht zusammenhingen. Die Erhebung von Aussetzungszinsen hätte im Ergebnis zur Folge, daß Steuernachforderungen aufgrund einer Betriebsprüfung verzinst werden müßten, obwohl im Streitjahr gesetzlich die Verzinsung von Nachforderungen nicht vorgesehen sei.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage gegen die ablehnenden Verfügungen des FA und der Oberfinanzdirektion (OFD) als unbegründet ab (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1992, 384).

Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung der §§ 237 Abs. 4 i.V.m. § 234 Abs. 2 AO 1977. Zusätzlich zu ihrem bisherigen Vorbringen machen sie hilfsweise geltend, die Aussetzungszinsen müßten insoweit aus sachlichen Billigkeitsgründen erlassen werden, als die Steuerfestsetzung offensichtlich fehlerhaft sei. Bei der Gewinnerhöhung in Höhe von 228659,72 DM in der Anlage zum Einkommensteuerbescheid sei übersehen worden, daß ein Anteil von 60209 DM auf nicht betrieblich genutzte Grundstücksteile entfalle. Nach Korrektur dieses Fehlers ergebe sich nur noch eine Steuernachzahlung von 2670 DM mit der Folge, daß nur Aussetzungszinsen in Höhe von 143 DM berechnet werden dürften.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Das FG hat zu Recht die Klage abgewiesen, weil die Voraussetzungen für einen Erlaß der Aussetzungszinsen zur Einkommensteuer 1986 aus sachlichen Billigkeitsgründen nicht vorlagen.

Gemäß § 237 Abs. 4 i.V.m. § 234 Abs. 2 AO 1977 kann auf die Festsetzung von Aussetzungszinsen ganz oder zum Teil verzichtet werden, wenn deren Erhebung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Die Voraussetzungen, unter denen auf die Festsetzung der Zinsen verzichtet werden kann, decken sich mit den Voraussetzungen für Billigkeitsmaßnahmen nach den §§ 163 Abs. 1 und 227 Abs. 1 AO 1977 (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 20. November 1987 VI R 140/84, BFHE 152, 310, BStBl II 1988, 402).

Die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme ist eine Ermessensentscheidung, die gerichtlich nur in den durch § 102 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gezogenen Grenzen nachprüfbar ist (Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603).

Die Ablehnung des begehrten Verzichts auf Aussetzungszinsen durch FA und OFD ist nicht ermessensfehlerhaft.

In Betracht kam nur ein Erlaß aus sachlichen Billigkeitsgründen, der im Streitfall voraussetzt, daß die Erhebung von Aussetzungszinsen im Einzelfall mit Rücksicht auf den dem § 237 AO 1977 zugrunde liegenden Zweck nicht mehr zu rechtfertigen ist oder daß sie den gesetzlichen Wertungen zuwiderläuft (z.B. BFH-Urteile vom 21. Oktober 1987 X R 29/81, BFH/NV 1988, 546, und vom 29. August 1991 V R 78/86, BFHE 165, 178, BStBl II 1991, 906, jeweils mit weiteren Rechsprechungsnachweisen). Dabei müssen bei der Billigkeitsprüfung solche Umstände außer Betracht bleiben, die der gesetzliche Tatbestand typischerweise mit sich bringt (vgl. die vorgenannten Urteile m.w.N.).

Nach § 237 Abs. 1 AO 1977 in der bis zum 31. Dezember 1986 geltenden Fassung ist der geschuldete Betrag, hinsichtlich dessen die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes ausgesetzt wurde, zu verzinsen, soweit ein förmlicher außergerichtlicher Rechtsbehelf gegen einen Steuerbescheid endgültig keinen Erfolg hat. Zweck der Vorschrift ist es, den wirtschaftlichen Vorteil, den ein Steuerpflichtiger durch eine Aussetzung der Vollziehung des Steuerbescheides erreicht, und den entsprechenden Nachteil des Steuergläubigers auszugleichen (vgl. BFH-Urteil vom 24. Juli 1979 VII R 67/76, BFHE 128, 331, BStBl II 1979, 712; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, Kommentar, § 237 AO 1977 Rz. 46). Aus welchem Grund der mit dem Rechtsbehelfsverfahren verfolgte Antrag auf Herabsetzung der festgesetzten Steuer letztlich erfolglos bleibt, ist ohne Bedeutung. Allein maßgebend ist der endgültig geschuldete Betrag, hinsichtlich dessen die Vollziehung ausgesetzt war (Urteil des erkennenden Senats vom 27. November 1991 X R 103/89, BFHE 166, 311, BStBl II 1992, 319). Deshalb ist auch rechtlich unerheblich, ob der für die endgültige Steuerfestsetzung maßgebliche Sachverhalt allein aufgrund der Auswertung der Akten oder aufgrund weiterer Ermittlungen der Rechtsbehelfsstelle oder im Rahmen einer Außenprüfung ermittelt worden ist.

Ist hiernach für die Festsetzung der Aussetzungszinsen der Grund für die Erfolglosigkeit des Einspruchs ohne Bedeutung, kann diese Erwägung einen Erlaß aus sachlichen Billigkeitsgründen nicht rechtfertigen.

Soweit die Kläger erstmals im Revisionsverfahren vortragen, ein Erlaß aus sachlichen Billigkeitsgründen sei jedenfalls hinsichtlich eines Teilbetrages deshalb gerechtfertigt, weil insoweit die Steuer offensichtlich und eindeutig falsch festgesetzt sei, ist dem Senat eine Würdigung dieses Vorbringens bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen verwehrt.

Im Revisionsverfahren ist das angefochtene Urteil nur auf Rechtsfehler zu prüfen (§ 118 Abs. 1 FGO). Grundlage für diese Prüfung ist in aller Regel nur der vom FG festgestellte Sachverhalt (§ 118 Abs. 2 FGO). Diesen Sachverhalt darf das Revisionsgericht grundsätzlich nicht ergänzen (BFH-Beschluß vom 17. Juli 1967 GrS 3/66, BFHE 91, 213, BStBl II 1968, 285; BFH-Urteil vom 5. Dezember 1979 I R 184/76, BFHE 129, 169, 172, BStBl II 1980, 119). Die Kläger haben - zugleich mit der Behauptung eines entsprechenden Tatsachenvortrages im finanzgerichtlichen Verfahren - im Revisionsverfahren vorgetragen, der ausgesetzte und endgültig geschuldete Steuerbetrag beruhe auf einer materiell fehlerhaften Steuerfestsetzung. Das FG hat hierzu keine Feststellungen getroffen. Die Kläger haben keine entsprechende Verfahrensrüge erhoben. Mit diesem - neuen - tatsächlichen Vorbringen können sie deshalb im Revisionsverfahren nicht gehört werden. Dem Hilfsantrag kann danach schon aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht entsprochen werden.

Im übrigen wäre das neue Vorbringen nicht entscheidungserheblich, denn nach Abschluß des Verwaltungsverfahrens dürfen wegen der bei Ermessensentscheidungen eingeschränkten gerichtlichen Prüfungskompetenz - von beiden Seiten - keine neuen Billigkeitsgründe mehr nachgeschoben werden (z.B. Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 227 AO 1977 Rz. 118, 379 und 395ff.).

Vorsorglich weist der Senat darauf hin, daß nach ständiger Rechtsprechung (z.B. BFH-Urteile vom 30. April 1981 VI R 169/78, BFHE 133, 255, BStBl II 1981, 611, vom 11. August 1987 VII R 121/84, BFHE 150, 502, BStBl II 1988, 512; vom 18. April 1989 VIII R 319/84, BFH/NV 1989, 756) selbst bei eindeutiger und offensichtlich falscher bestandskräftiger Steuerfestsetzung nur dann ein Grund zum Erlaß besteht, wenn es dem Steuerpflichtigen nicht möglich und zumutbar war, sich gegen die Fehlerhaftigkeit zu wehren.

 

Fundstellen

Haufe-Index 419338

BFH/NV 1994, 597

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