Entscheidungsstichwort (Thema)

Zufluß bei Novation

 

Leitsatz (NV)

Zufluß im Sinne des § 11 Abs. 1 EStG setzt tatsächliche Zahlung oder einen ihr wirtschaftlich vergleichbaren Vorgang voraus. Die Verfügung über eine wertlose Forderung kann nicht zu einem Zufluß führen.

 

Normenkette

EStG § 11 Abs. 1, § 8 Abs. 1

 

Tatbestand

Der Steuerberater R betrieb einen Warentermindienst. Auch der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) übergab R 1966 und Anfang 1967 je 10 000 DM. Am 30. Juni 1967 belief sich das Konto des Klägers einschließlich gutgeschriebener Beträge (150 $ für 1966, 414 $ für das erste Halbjahr 1967) auf 5 564 $.

Ab 1. Juli 1967 übernahm W den Warentermindienst und bestätigte in einer ,,Kommissionsauftrags-Bestätigung" vom 24. August 1967 dem Kläger, von ihm 5 564 $ zum Zwecke der Vornahme von Warentermingeschäften auf sein (des Klägers) Risiko und Rechnung erhalten zu haben. Die Abrechnung sollte halbjährlich erfolgen. Der letzte Saldo sollte mit einem Monat Kündigungsfrist abrufbar sein. Die gutgeschriebenen Gewinnanteile sollten - sofern nicht abgerufen - in der Folgezeit gewinnberechtigt sein. Gleichlautende Bestätigungen erteilte W dem Kläger auf seine Einzahlungen vom Februar (5 000 DM) und August 1968 (4 000 DM) hin.

W schickte dem Kläger halbjährliche Kontoauszüge. Die Gewinngutschriften waren in den Kontoauszügen nicht näher erläutert. Lediglich für das 2. Halbjahr 1968 war angegeben:

,,14 %/8 895,80". Die Gutschrift für das 2. Halbjahr 1969 beruhte in Höhe von 1 071,15 $ auf der Erhöhung des Saldos infolge einer D-Mark-Aufwertung.

Die Warentermingeschäfte des W erbrachten mit wenigen Ausnahmen keinen Gewinn. Seine Verpflichtungen gegenüber den Anlegern beliefen sich am 31. Dezember 1970 auf 915 923,65 DM; es ergab sich ein negatives Kapitalkonto in Höhe von 872 492,58 DM. 50 Anlegern zahlte W gleichwohl zum Teil unter Einsatz von privaten Mitteln (rd. 83 000 DM) insgesamt Einlagen in Höhe von 494 868,94 DM und gutgeschriebene Gewinne in Höhe von 304 868,50 DM aus.

Nachdem der Kläger zum 31. Dezember 1973 zum letzten Mal einen Kontoauszug erhalten hatte, kündigte er im Oktober 1974 seine Einlagen. Er erhielt Anfang 1975 von W 3 500 DM und darüber hinaus nichts. W leistete am 6. Juni 1975 die eidesstattliche Versicherung nach § 807 der Zivilprozeßordnung. Am 16. Juni 1976 erklärte W an Eides Statt, daß die dem Kläger übersandten Kontoauszüge unrichtig gewesen seien, weil er aus den Warentermingeschäften nur Verluste erwirtschaftet habe.

Aufgrund einer Mitteilung des Finanzamts R vom 10. August 1972 änderte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) die Einkommensteuerbescheide 1967 bis 1969 gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 1 der Reichsabgabenordnung (AO) und erfaßte - zugleich im erstmaligen Bescheid für 1970 - die Gutschriften als Einnahmen aus Kapitalvermögen.

Auf den Einspruch des Klägers hin minderte das FA die Kapitaleinkünfte 1969 um rund 848 DM und erklärte im übrigen, daß die Einkünfte in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) steuerpflichtig seien. Der Kläger nahm daraufhin seinen Einspruch am 5. Juni 1975 zurück.

Mit Schreiben vom 22. September 1975 beantragte der Kläger Stundung der Abschlußzahlungen für die Streitjahre, weil nunmehr festgestellt sei, daß W bankrott sei und wahrscheinlich keine Warentermingeschäfte geführt habe. Mit Schreiben vom 23. April 1976 legte das Finanzamt R dem beklagten FA das Geschäftsgebaren des W im einzelnen dar. Am 21. Juni 1976 beantragte der Kläger Erlaß oder Änderung der streitigen Einkommensteuerbescheide und später, am 12. August 1976, Fehleraufdeckung durch die Aufsichtsbehörde. Beide Anträge blieben erfolglos.

Am 12. April 1979 beantragten die Kläger, die Bescheide gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) zu ändern. Das FA lehnte dies ab.

Nach erfolglosem Einspruch erhoben die Kläger Klage, der das Finanzgericht (FG) im wesentlichen stattgab (vgl. Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1983, 123).

Das FG verpflichtete das FA, die Änderungsbescheide vom 12. Juni 1973 betreffend die Einkommensteuer 1967 und 1968 aufzuheben, und setzte die Einkommensteuer 1969 auf 398 DM und die Einkommensteuer 1970 auf 6 904 DM fest.

Mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision des FA zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Abweisung der Klage.

I. Es kann offenbleiben, ob die Kläger ein grobes Verschulden daran trifft, daß dem FA die Erfolglosigkeit der Warentermingeschäfte des W erst nach Erlaß oder Änderung der Einkommensteuerbescheide 1967 bis 1970 bekannt wurde (§ 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977), denn diese Tatsache hätte nicht zu einer niedrigeren Einkommensteuer geführt. Auch unter Berücksichtigung dieser Tatsache hätte das FA davon ausgehen können, daß dem Kläger in den Streitjahren Kapitalerträge (§ 20 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes 1967/1969 - EStG -) zugeflossen (§ 11 Abs. 1 EStG) sind.

1. Mit Recht hat das FG angenommen, daß der Kläger dem W Kapital zur Nutzung überlassen hat. Dabei kann offenbleiben, ob es sich um ein (partiarisches) Darlehen oder um eine typische stille Gesellschaft handelte. In beiden Fällen fiele der Ertrag des Klägers unter die Kapitaleinkünfte (§ 20 Abs. 1 Nr. 2 und 4 EStG).

Zwar spricht der Wortlaut der ,,Kommissionsauftrags-Bestätigung" vom 24. August 1967 eher für ein treuhänderisches Tätigwerden für Rechnung des Klägers. Die tatsächlich zwischen den Beteiligten getroffene Vereinbarung ergibt sich aber aus dem Verhalten des W. Danach hat er nicht für Rechnung des Klägers und der anderen Anleger, sondern für eigene Rechnung gehandelt. Es war zwar vorgesehen, daß er mit dem ihm überlassenen Kapital Warentermingeschäfte durchführte. Für die Anleger war aber nicht die Beteiligung an den einzelnen Geschäften, sondern nur das Gesamtergebnis von Bedeutung und dies auch nur, soweit es positiv war. Eine Verlustbeteiligung war nicht vorgesehen, was auch in der Forderung des Klägers gegen W auf Rückzahlung der gesamten Einlagen zum Ausdruck kommt. Dies alles ergibt sich daraus, daß W seine Geschäfte mit dem ihm überlassenen Kapital insgesamt führte und nicht etwa getrennt nach Anlegern, daß er ferner nur sehr begrenzt und obendrein nicht den Anlegern direkt Rechenschaft legen mußte und schließlich, daß die Erträge in den halbjährlichen Abrechnungen nach den Feststellungen des FG wie Zinsen errechnet wurden.

2. a) Die dem Kläger gutgeschriebenen Beträge sind ihm auch in den Streitjahren zugeflossen (§ 11 Abs. 1 EStG). Ihm wurde in den Streitjahren zwar nichts ausgezahlt. Ein Zufluß ist aber auch bei den Überschußeinkünften i.S. des § 2 Abs. 4 Nr. 2 EStG gegeben, wenn der Steuerpflichtige in der Weise über eine Forderung auf eine Leistung verfügt, daß sie erlischt und eine andere Forderung an ihre Stelle tritt (Novation), sofern die Novation in seinem Interesse und nicht dem des Schuldners vereinbart wird (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 14. Februar 1984 VIII R 221/80, BFHE 140, 542, BStBl II 1984, 480, m.w.N.). Im Streitfall sind die gutgeschriebenen Erträge halbjährlich dem Kapital zugeschrieben und zusammen mit diesem wieder angelegt (weiterverzinst) worden. Die Saldierung erfolgte auch ausschließlich im Interesse des Klägers. Das FG hat keinerlei Anhaltspunkte festgestellt, aus denen sich ergibt, daß der Kläger das Geld im Interesse des W stehenließ, etwa, weil dieser nicht in der Lage gewesen wäre, es ihm auszuzahlen. Die Feststellungen des FG sprechen vielmehr dafür, daß der Kläger sich aus dem Einsatz des höheren Kapitals zusätzlichen Ertrag versprach. Dabei kommt es nicht darauf an, ob W tatsächlich bei seinen Geschäften Gewinne erzielte. Da er für eigene Rechnung tätig war, ist allein entscheidend, welches Entgelt er sich den Anlegern gegenüber zu zahlen verpflichtete.

b) Gleichwohl könnte ein Zufluß nicht angenommen werden, wenn W in den Streitjahren zahlungsunfähig gewesen wäre (BFHE 140, 542, BStBl II 1984, 480). Das war indes nicht der Fall. Der Zufluß ist Bestandteil des Begriffs der Einnahme (§ 8 Abs. 1 EStG), die ihrerseits eine Vermögensvermehrung, d.h. eine objektive Bereicherung des Steuerpflichtigen zum Inhalt hat (BFH-Urteile vom 17. September 1982 VI R 75/79, BFHE 137, 13, BStBl II 1983, 39, und vom 7. Dezember 1984 VI R 164/79, BFHE 142, 483, BStBl II 1985, 164). Ein Zufluß in anderer Form als der tatsächlichen Zahlung kann daher nur angenommen werden, wenn es sich um einen der Zahlung wirtschaftlich vergleichbaren Vorgang handelt. Die Verfügung über eine wertlose Forderung kann danach nicht als Zufluß gewertet werden, gleichgültig, ob darin zivilrechtlich eine Leistung erfüllungshalber oder an Erfüllungs Statt (§ 364 des Bürgerlichen Gesetzbuches) zu sehen ist. Ob der Nennwert der Forderung als zugeflossen anzusehen ist, wenn der Steuerpflichtige in Kenntnis der schlechten finanziellen Situation des Schuldners in eine Novation einwilligt (bejahend wohl Urteil in BFHE 140, 542, BStBl II 1984, 480), braucht der Senat nicht zu entscheiden, weil der Kläger nach den Feststellungen des FG in den Streitjahren davon ausging, daß W zahlungsfähig war.

Nach den Feststellungen des FG war W im Zeitpunkt der Gutschriften und ihrer Saldierung tatsächlich nicht zahlungsunfähig. Dabei geht der Senat mit dem BFH-Urteil vom 22. Mai 1973 VIII R 97/70 (BFHE 109, 573, BStBl II 1973, 815) davon aus, daß die Zahlungsunfähigkeit - wie dort die Illiquidität - voraussetzt, daß der Schuldner auf Dauer nicht in der Lage ist, seine sofort zu begleichenden Schulden im wesentlichen zu erfüllen. Dies kann jedoch beim Kläger für die Streitjahre nicht angenommen werden. Nach den Feststellungen des FG hat W im Streitjahr (und wohl auch noch danach) den Gläubigern, die ihre Gewinne oder darüber hinaus ihr Kapital ausgezahlt haben wollten, insgesamt ca. 800 000 DM gezahlt. Es ist nicht festgestellt, daß W in den Streitjahren einem Zahlungsverlangen nicht nachgekommen wäre. Es kommt nicht darauf an, ob W allen Anlegern auf einmal ihr Kapital nebst Gewinnen hätte auszahlen können, denn damit mußte W nicht rechnen. Angesichts des sehr hohen Betrags, den W tatsächlich ausgezahlt hat, kann es auch nicht entscheidend sein, daß sein Kapitalkonto am 31. Dezember 1970 einen negativen Betrag in Höhe von 872 492,58 DM aufwies. Hinzu kommt, daß W auch nicht unbedeutende private Mittel zur Begleichung seiner Verpflichtungen eingesetzt hat.

3. Soweit das FA 1969 auch die in der Gewinngutschrift erfaßte Kursdifferenz infolge der D-Mark-Aufwertung als Einnahme erfaßt hat, scheidet eine Änderung der angegriffenen Einkommensteuerbescheids schon deshalb aus, weil es sich unstreitig nicht um eine nachträglich bekanntgewordene Tatsache i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 handelt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 415239

BFH/NV 1988, 224

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