Leitsatz (amtlich)

Strafverteidigungskosten eines Steuerpflichtigen, der vor Eintritt der Rechtskraft des Urteils stirbt, können als außergewöhnliche Belastungen im Sinn des § 33 EStG abziehbar sein.

 

Orientierungssatz

1. Strafverteidigungskosten sind --auch bei vorsätzlich begangenen Straftaten-- als Betriebsausgaben abziehbar, wenn das Strafverfahren in ursächlichem Zusammenhang mit einem betrieblichen Vorgang steht. Insoweit trägt der Steuerpflichtige die objektive Beweislast --Feststellungslast-- (vgl. BFH-Rechtsprechung).

2. Nach § 72 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen sind Bedingungen, die der ersuchte Staat an die Rechtshilfe geknüpft hat, zu beachten. Diese Vorschrift bindet alle deutschen Gerichte und Behörden und gilt auch für Verfahren, die nicht unmittelbar mit der Rechtshilfesache zusammenhängen. Der ersuchte Staat kann an die Rechtshilfe die Bedingung knüpfen, daß die vorgelegten Unterlagen in einem Besteuerungsverfahren nicht verwertet werden dürfen (Anschluß an BFH-Beschluß vom 24.3.1987 I B 111/86).

 

Normenkette

EStG §§ 33, 4 Abs. 4; IRG § 72

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Alleinerbin ihres 1981 verstorbenen Ehemanns E. Dieser war leitender Angestellter einer AG. Er wurde --nach teilweiser Verfahrenseinstellung gemäß § 154 der Strafprozeßordnung (StPO) und rechtskräftigem Freispruch in einigen Anklagepunkten-- wegen ... zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Beweisunterlagen in diesem Verfahren waren u.a. im Staat A und im Staat B beschlagnahmte Geschäftspapiere. Aufgrund von Auflagen des Obergerichtes des Staates B sicherte das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen in Übereinstimmung mit dem Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen und dem Bundesminister der Finanzen (BMF) zu, die beschlagnahmten Unterlagen in keiner Weise für irgendein Zoll- und Steuerstrafverfahren zu verwenden; es werde dafür gesorgt, daß auch andere Instanzen die beschlagnahmten Unterlagen nicht derart verwendeten. Ferner sicherte die zuständige Staatsanwaltschaft in X im Namen des Justizministers des Landes Nordrhein-Westfalen den Justizbehörden des Staates B verbindlich zu, daß die durch das Rechtshilfeersuchen gewonnenen Erkenntnisse und etwaige Unterlagen nur im Strafverfahren und nicht, auch nicht irgendwie indirekt, in einem Steuerstrafverfahren oder Zollstrafverfahren und auch nicht im Besteuerungsverfahren gegen Beschuldigte oder andere Personen und Firmen verwendet werden würden.

Nach Einlegen der Revision gegen das Urteil des LG verstarb E im Jahre 1981, so daß das Strafverfahren gegen ihn ohne rechtskräftiges Urteil endete. Die Rechtsanwälte C und D stellten E für die Zeit bis 1977 Strafverteidigungskosten von ... DM in Rechnung.

Den Antrag, diese Kosten nachträglich der Landeskasse aufzuerlegen, wies das LG ab. Es stützte seine Entscheidung auf § 467 Abs.3 Satz 2 Nr.2 StPO. Zur Begründung führte es aus, es sei "bei Hinwegdenken des Verfahrenshindernisses (Tod des E) annähernd sicher zu erwarten gewesen", daß es "bei der Verurteilung des Angeklagten geblieben bzw. zu einer Verurteilung gekommen wäre". Das Oberlandesgericht (OLG) bestätigte als Beschwerdeinstanz den Beschluß des LG, ließ aber die Frage offen, ob das LG seine Entscheidung zu Recht auf diese Vorschrift gestützt habe. Dagegen erhob die Klägerin Verfassungsbeschwerde, die das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) jedoch gemäß § 93a des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) nicht zur Entscheidung annahm.

Im Zusammenhang mit der Besteuerung der Einkünfte des E für 1974 erklärte dieser dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--), er habe aus "gesellschaftlichen Beteiligungen" im Staat B ein zusätzliches Einkommen von ... DM gehabt, das aber erst 1977 nach längeren Verhandlungen mit dem Verwaltungsrat der ausländischen Firma realisiert worden und daher erst für 1977 zu besteuern sei. Die Forderung gegen diese Firma trat E an seine Strafverteidiger wegen deren Honoraransprüche ab. Im Einkommensteuerbescheid 1977 setzte das FA den genannten Betrag ohne Abzug von Betriebsausgaben als Einkünfte des E aus Gewerbebetrieb an und wendete auf das sich so ergebende zu versteuernde Einkommen in der Einspruchsentscheidung die Grundtabelle an, nachdem die Klägerin getrennte Veranlagung beantragt hatte.

Mit der Klage begehrte die Klägerin Abzug der Strafverteidigungskosten als Betriebsausgaben. Sie machte geltend, diejenigen strafrechtlichen Vorwürfe, deretwegen E freigesprochen oder das Verfahren gemäß § 154 StPO eingestellt worden sei, hätten ausschließlich in unmittelbarem Zusammenhang mit der früheren beruflichen Tätigkeit ihres Ehemannes gestanden. Die Strafverteidigungskosten hätten nicht einmal ausgereicht, um insoweit die angemessene Verteidigung des E sicherzustellen. Aber auch diejenigen Handlungen, hinsichtlich derer das LG E verurteilt habe, seien beruflich oder betrieblich veranlaßt gewesen, weil E im Firmeninteresse zu handeln geglaubt habe. Er habe die Straftaten nicht begangen, um sich selbst zu bereichern. Da die erstinstanzliche Verurteilung des E keine Rechtskraft erlangt habe, gebiete Art.6 Abs.2 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), die Klägerin als Rechtsnachfolgerin des E steuerrechtlich so zu behandeln, als sei E im Strafverfahren freigesprochen worden.

Während des finanzgerichtlichen Verfahrens bat das FG die Klägerin, ihm Anklageschrift und Strafurteil zum Zwecke des Beweises vorzulegen. Es wies die Klägerin darauf hin, daß sich eine Nichtvorlage dieser Unterlagen bei der Entscheidung zum Nachteil der Klägerin auswirken könne. Die Klägerin übersandte dem FG zwar zunächst die Anklageschrift und das Urteil. Mit einem späteren Schriftsatz widersprach sie jedoch einer Verwertung beider Unterlagen durch das FG unter Hinweis auf die im Jahre 1974 gegenüber dem Obergericht des Staates B abgegebenen Zusicherungen. Sie teilte mit, sie habe deshalb bereits das für die Gewährung der Rechtshilfe zuständige Gericht im Staat B angeschrieben und auf den Vorgang hingewiesen. Ergänzend wandte sie ein, die Anklageschrift sei in der öffentlichen Sitzung des LG nicht in vollem Wortlaut verlesen worden; ferner sei der Inhalt des schriftlichen Strafurteils mit der seinerzeitigen mündlichen Urteilsbegründung des Kammervorsitzenden nicht identisch.

Das FG hat die Klage abgewiesen. Es war der Ansicht, die streitbefangenen Strafverteidigungskosten seien deshalb nicht als Betriebsausgaben anzuerkennen, weil das Gericht nicht habe feststellen können, ob das Strafverfahren in einem ursächlichen Zusammenhang mit den im Streitjahr besteuerten gewerblichen Einkünften des E bzw. mit zu diesen Einkünften führenden betrieblichen Vorgängen gestanden habe. Dem FG sei eine Verwertung von Anklageschrift und Urteilsfeststellungen aus dem landgerichtlichen Strafverfahren verwehrt gewesen. Die streitbefangenen Strafverteidigungskosten seien auch nicht als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen, weil nicht feststellbar sei, daß die Aufwendungen zwangsläufig im Sinne des § 33 Abs.1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) entstanden seien. Entscheidend sei, daß diese Aufwendungen auf die Anklageerhebung und somit letztlich auf die den Gegenstand der Anklage bildenden Handlungen des E zurückzuführen seien.

Mit der Revision macht die Klägerin geltend, das FG habe die ihm gemäß § 76 der Finanzgerichtsordnung (FGO) obliegende Sachaufklärungspflicht verletzt. Sie rügt ferner Verletzung des § 4 Abs.4 und des § 33 EStG.

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Einkommensteuer 1977 auf 0 DM festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Dieses hat zwar zu Recht den Abzug der Strafverteidigungskosten als Betriebsausgaben versagt. Dagegen teilt der erkennende Senat die Rechtsauffassung des FG zu § 33 EStG nicht in vollem Umfang.

I. Betriebsausgabenabzug

Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) können Ausgaben für die Strafverteidigung als Betriebsausgaben abziehbar sein, und zwar auch bei vorsätzlich begangenen Straftaten. Voraussetzung ist jedoch, daß das Strafverfahren in ursächlichem Zusammenhang mit einem betrieblichen Vorgang steht (vgl. BFH-Urteil vom 22.Juli 1986 VIII R 93/85, BFHE 147, 346, BStBl II 1986, 845). Insoweit trägt der Steuerpflichtige die objektive Beweislast -Feststellungslast- (vgl. BFH-Urteile vom 24.Juni 1976 IV R 101/75, BFHE 119, 164, BStBl II 1976, 562, und vom 22.Januar 1985 VIII R 29/82, BFHE 143, 71, BStBl II 1985, 308).

Das FG hat die Schlußfolgerung gezogen, es habe sich nicht beurteilen lassen, ob die Handlungen des E, die Gegenstand des Strafverfahrens waren und damit die Strafverteidigungskosten verursacht haben, dazu gedient hatten, die gewerblichen Einkünfte des Jahres 1977 zu erzielen. Hierbei handelt es sich um einen Schluß tatsächlicher Art, den das FG aufgrund des festgestellten Sachverhalts im Rahmen der Tatsachenwürdigung (Beweiswürdigung) gezogen hat. Dieser Schluß ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Zu der Annahme der Unentschiedenheit konnte das FG aufgrund des Fehlens von Beweismitteln kommen, die die Behauptung der Klägerin stützen. Es war insbesondere zu Recht der Ansicht, ihm sei eine Verwertung der Anklageschrift und des LG-Urteils verwehrt gewesen.

Beide Unterlagen konnten gemäß § 72 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen vom 23.Dezember 1982 --IRG-- (BGBl I 1982, 2071) nicht herangezogen werden. Nach dieser Vorschrift sind Bedingungen, die der ersuchte Staat an die Rechtshilfe geknüpft hat, zu beachten (vgl. die entsprechende Vorschrift des § 54 des Deutschen Auslieferungsgesetzes vom 23.Dezember 1929 --DAG--, RGBl I 1929, 239), das bis zum Inkrafttreten des IRG galt (vgl. § 86 Abs.1 Nr.1 IRG). Wie der I.Senat in seinem nichtveröffentlichten Beschluß vom 24.März 1987 I B 111/86 in der Beschwerdesache der Klägerin wegen Bewilligung von Prozeßkostenhilfe für den vorliegenden Rechtsstreit im einzelnen dargelegt hat (S.8 f.), bindet diese Vorschrift alle deutschen Gerichte und Behörden und gilt auch für Verfahren, die nicht unmittelbar mit der Rechtshilfesache zusammenhängen. Der erkennende Senat teilt diese Rechtsansicht. Das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Bindung hat das FG zu Recht bejaht. Nach dem Schreiben der Staatsanwaltschaft in X an das FG vom 17.April 1985 ist namens des Justizministers des Landes Nordrhein-Westfalen gegenüber den Justizbehörden des Staates B verbindlich zugesichert worden, daß die durch das Rechtshilfeersuchen gewonnenen Erkenntnisse und etwaigen Unterlagen "nur im Strafverfahren und nicht, auch nicht irgendwie indirekt, in einem Steuerstraf- oder Zollstrafverfahren und auch nicht im Besteuerungsverfahren gegen den Beschuldigten oder andere Personen und Firmen Verwendung finden dürfen". Dieser Zusicherung stehen entsprechende Bedingungen im Sinne des § 72 IRG bzw. des § 54 DAG gegenüber.

Die Verwertung der im Strafurteil getroffenen Feststellungen bzw. der sich aus der Anklageschrift ergebenden Umstände kann nicht damit gerechtfertigt werden, daß diese möglicherweise nicht nur auf den im Staat B beschlagnahmten Unterlagen beruhen, sondern auf Zeugenaussagen, Geständnissen und anderen Beweismitteln. Ebensowenig steht dem Verwertungsverbot gemäß § 72 IRG bzw. § 54 DAG entgegen, daß die von der ausländischen Regierung übermittelten Erkenntnisse und Unterlagen im vorliegenden Verfahren sich zugunsten der Klägerin hätten auswirken können.

Der Senat kann unerörtert lassen, ob und ggf. in welchem Umfang dem Steuerpflichtigen insoweit eine Dispositionsbefugnis hinsichtlich der vom ausländischen Staat vorgelegten Unterlagen zustehen könnte. Nach dem Wortlaut der Erklärungen der Justizbehörden des Staates B scheidet nämlich eine Verwertung in einem Besteuerungsverfahren überhaupt aus. Eine solche Einschränkung ist zulässig (vgl. von Siebenthal, Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht --JbFSt-- 1984/85, 113, 139). Der erkennende Senat verweist im übrigen zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen des I.Senats des BFH im Beschluß vom 24.März 1987 I B 111/86 (Seite 9 ff.), denen er sich anschließt.

Zu Unrecht macht die Klägerin nunmehr geltend, das FG habe die Zielrichtung ihres Schreibens vom 21.Oktober 1985 an das zuständige Gericht im Staat B verkannt. Das Schreiben hatte das ausdrückliche Ziel, eine Verwertung der ermittelten Ergebnisse und Unterlagen im Besteuerungsverfahren zu verhindern (vgl. insbesondere Seite 4 dieses Schreibens sowie Seite 2 des Schriftsatzes der Klägerin vom 28.Oktober 1985 an das FG). Mit diesem Schreiben wollte die Klägerin offensichtlich die zuständigen Behörden zu einer Stellungnahme veranlassen. Das daraufhin ergangene amtliche Schreiben an den BMF kann nur in dem Sinne verstanden werden, daß einer Verwertung der übermittelten Erkenntnisse und Unterlagen uneingeschränkt widersprochen wurde. Damit erweist sich gleichzeitig die in diesem Zusammenhang von der Klägerin erhobene Rüge als unbegründet, das FG habe es zu Unrecht unterlassen, eine Interpretation der Bedingungen zu erreichen, die eine Verwertung der erlangten Erkenntnisse und Unterlagen ermöglicht. Nach den gegebenen Umständen hätte es gerade der Mitwirkungspflicht der Klägerin zur Ermittlung des Sachverhalts (§ 76 Abs.1 Satz 2 FGO) entsprochen, eine solche Auslegung zu erreichen. Dies ergibt sich insbesondere aus der in § 76 Abs.1 Satz 4 FGO im finanzgerichtlichen Verfahren entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 90 Abs.2 der Abgabenordnung (AO 1977). Danach haben die Beteiligten, wenn ein Sachverhalt zu ermitteln und steuerrechtlich zu beurteilen ist, der sich auf Vorgänge außerhalb des Geltungsbereichs der AO 1977 bezieht, den Sachverhalt aufzuklären und die erforderlichen Beweismittel zu beschaffen (§ 90 Abs.2 Satz 1 AO 1977). Sie haben dabei alle für sie bestehenden rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten auszuschöpfen (§ 90 Abs.2 Satz 2 AO 1977). Die Klägerin hat aber mit ihrem Schreiben vom 21.Oktober 1985 einer Verwertung der Unterlagen sogar entgegengewirkt (vgl. auch BFH-Urteil vom 13.März 1985 I R 7/81, BFHE 145, 502, BStBl II 1986, 318).

II. Außergewöhnliche Belastung

Das FG hat zu Unrecht die Strafverteidigungskosten nicht dem Grunde nach als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 Abs.1 EStG anerkannt. Nach dieser Vorschrift wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen. Aufwendungen sind in diesem Sinne zwangsläufig, wenn der Steuerpflichtige sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht überschreiten (§ 33 Abs.2 Satz 1 EStG).

1. a) Aufwendungen für die Strafverteidigung sind nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. insbesondere Urteil vom 15.November 1957 VI 279/56 U, BFHE 66, 267, BStBl III 1958, 105) und der herrschenden Meinung im Schrifttum (z.B. Arndt in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 33 Anm.C 56; Blümich/Oepen, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, Rdnr.150, Stichwort: "Prozeßkosten" zu § 33 EStG; Littmann/Bitz/Meincke, Einkommensteuergesetz, Rdnr.55 f., Stichwort: "Prozeßkosten zu § 33 EStG; Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 8.Aufl., Anm.8, Stichwort: "Prozeßkosten (1)" zu § 33) nicht als außergewöhnliche Belastung abziehbar, wenn der Steuerpflichtige verurteilt wird und die Kosten des Verfahrens einschließlich seiner eigenen Auslagen zu tragen hat. Dies wird damit begründet, daß die genannten Aufwendungen in einem solchen Fall den Charakter einer kraft Gesetzes eintretenden Nebenstrafe hätten. Es gehe nicht an, Geldstrafen über das Steuerrecht mittelbar zu mildern oder aufzuheben und so auch die als notwendige Folge der Verurteilung auferlegten Verfahrenskosten zum Teil auf die Allgemeinheit abzuwälzen (vgl. BFH-Urteil vom 21.Juli 1955 IV 373/54 U, BFHE 61, 361, BStBl III 1955, 338; BFH in BFHE 66, 267, BStBl III 1958, 105).

Gegen diese Rechtsauffassung wurden im Schrifttum Bedenken erhoben (vgl. Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, Rdnr.115 zu § 33 EStG; Jakob/Jüptner, Steuer und Wirtschaft --StuW-- 1983, 206, 214). Der Senat kann unerörtert lassen, ob er dem folgen könnte; denn die nach der Rechtsprechung im Fall einer rechtskräftigen Verurteilung maßgeblichen Rechtsgrundsätze sind nicht anwendbar, wenn der Angeklagte nach seiner erstinstanzlichen Verurteilung, aber vor Abschluß des Revisionsverfahrens stirbt. In einem solchen Fall haben die Aufwendungen für die Strafverteidigung nicht den Charakter einer kraft Gesetzes eintretenden Nebenstrafe. Durch den Tod wird das auf eine Sachentscheidung zielende Verfahren beendet. Ein ergangenes, nicht rechtskräftiges Urteil einschließlich der Kosten- und Auslagenentscheidung wird gegenstandslos, eine weitere Sachentscheidung mit dem Ziel der Verurteilung oder des Freispruchs unmöglich.

Das Strafverfahren kann auch nicht mit dem (alleinigen) Ziel weitergeführt werden, über die Kosten und Auslagen zu befinden. Dafür gibt es keine Rechtsgrundlage mehr. Insbesondere ist § 467 Abs.3 Satz 2 Nr.2 StPO nicht anwendbar, wonach das Gericht davon absehen kann, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht (eingehend dazu: BGH-Beschluß vom 3.Oktober 1986 2 StR 193/86, BGHSt 34, 184, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1987, 661). Damit fehlt es --auf Dauer-- an einem vom Gericht festgestellten Verstoß gegen die staatliche Rechtsordnung und an einer gerichtlichen Entscheidung über die Kosten und Auslagen. Die Unschuldsvermutung des Art.6 Abs.2 EMRK verbietet überdies die Annahme, der Angeklagte habe sich einer strafbaren Handlung schuldig gemacht. Es bleibt allenfalls eine Verdachtslage bestehen.

b) Stirbt der Angeklagte vor Eintritt der Rechtskraft des Urteils, so ist --ebenso wie im Fall des vollständigen Freispruchs mangels Beweises-- die Zwangsläufigkeit der Anwaltskosten nicht schon deshalb zu verneinen, weil Handlungen des Angeklagten das Strafverfahren ausgelöst haben.

Nach dem BFH-Urteil in BFHE 66, 267, BStBl III 1958, 105 sind Anwaltskosten, die einem vom Strafgericht mangels Beweises freigesprochenen Steuerpflichtigen für seine Verteidigung im Strafprozeß enstanden sind, regelmäßig außergewöhnliche Belastungen i.S. des § 33 Abs.1 EStG: Wenn das Strafgericht eine Schuld nicht nachweisen könne, so dürfe dem Angeklagten grundsätzlich nicht vorgeworfen werden, daß er vor Gericht gestanden habe. Aus diesem Umstand könne regelmäßig nicht gefolgert werden, der Angeklagte habe durch sein Verhalten den Anlaß zu dem Strafverfahren gegeben, deshalb entfalle die Zwangsläufigkeit hinsichtlich der Verteidigerkosten. Zwar bürde der Staat dem Steuerpflichtigen die Kosten seiner Verteidigung auf; diese Regelung ändere aber nichts daran, daß die Belastung außergewöhnlich i.S. des § 33 EStG sei. § 467 Abs.2 StPO a.F. gebe keinen allgemein gültigen Rechtsgedanken wieder. Mitentscheidend sei dabei, daß die Aufwendungen eines Steuerpflichtigen, der in einem gegen ihn eingeleiteten Strafverfahren freigesprochen werde, grundsätzlich aus einer öffentlichen Verpflichtung erwachsen.

Diese Rechtsgrundsätze sind zu der früheren Rechtslage nach der StPO entwickelt worden, wonach das Gericht auch bei einem Freispruch mangels Beweises die notwendigen Auslagen dem Angeklagten auferlegen konnte (vgl. § 467 Abs.2 StPO a.F.), und die dem Angeklagten erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse nur auferlegt werden mußten, wenn das Verfahren die Unschuld des Angeklagten ergeben oder dargetan hat, daß gegen ihn ein begründeter Verdacht nicht vorliegt (vgl. BFH-Urteil vom 8.April 1964 VI 165/62 S, BFHE 79, 274, BStBl III 1964, 331). Diese Rechtslage wurde durch die Rechtsprechung, nach der Strafverteidigungskosten im Fall einer Verurteilung als Betriebsausgaben bzw. als Werbungskosten anzuerkennen sind, nicht verändert (vgl. dazu BFH-Urteil vom 19.Februar 1982 VI R 31/78, BFHE 135, 449, BStBl II 1982, 467; BFH-Beschluß vom 21.November 1983 GrS 3/82, BFHE 140, 62, BStBl II 1984, 166, und BFH in BFHE 147, 346, BStBl II 1986, 845).

Die gleichen grundsätzlichen Erwägungen gelten, wenn der Angeklagte während des Revisionsverfahrens stirbt: In beiden Fällen wurde der Steuerpflichtige kraft öffentlich-rechtlicher Verpflichtung in den Prozeß hineingezogen, ohne daß der staatliche Strafanspruch durchgesetzt werden konnte. Selbst ein gerichtlicher Kostenausspruch ist nicht mehr möglich (BGHSt 34, 184, NJW 1987, 661). Schon aus diesem Grunde kann die steuerrechtliche Würdigung mit der strafrechtlichen nicht in Wertungswiderspruch geraten. Durch den Abzug der Strafverteidigungskosten als außergewöhnliche Belastung kann nicht einmal mehr der Zweck einer gerichtlichen Kostenentscheidung vereitelt werden. Für eine Prognose über den voraussichtlichen Ausgang des Revisionsverfahrens bleibt kein Raum. Die entstandenen Aufwendungen sind lediglich als Folge einer öffentlichen Verpflichtung anzusehen.

c) Da es an einer Kostenentscheidung fehlt (s.o.a.) kann die Zwangsläufigkeit der Strafverteidigungskosten --entgegen der Ansicht des FG (vgl. auch Seitrich, Betriebs-Berater 1985, 724)-- nicht allein mit dem Hinweis verneint werden, diese seien überhaupt nicht oder nur teilweise erstattet worden (vgl. auch BFH in BFHE 66, 267, BStBl III 1958, 105; Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 33 EStG Rdnr.116; Kirchhof/Söhn, a.a.O., Anm.C 56 zu § 33; Blümich/Oepen, a.a.O.).

Der Senat kann ferner unerörtert lassen, ob die Zwangsläufigkeit dann zu verneinen ist, wenn der Steuerpflichtige die Strafverteidigungskosten mutwillig veranlaßt hat. Hierfür ergeben sich im Streitfall keine Anhaltspunkte.

Ausnahmen sind zwar auch dann denkbar, wenn der Steuerpflichtige von der gegen ihn erhobenen Anklage zum Teil freigesprochen, wegen anderer Anklagepunkte aber verurteilt wird (BFH in BFHE 66, 267, BStBl III 1958, 105). Entscheidend ist dabei, daß der Steuerpflichtige in diesen Fällen wegen eines Verstoßes gegen die staatliche Rechtsordnung verurteilt worden ist und es deshalb nicht gerechtfertigt erscheint, ihn durch Anwendung des § 33 EStG von einem Teil der von ihm zu tragenden Kosten des Strafprozesses zu entlasten. Derartige Voraussetzungen liegen im Streitfall jedoch nicht vor.

2. Die von der Klägerin geltend gemachten Strafverteidigungskosten waren damit dem Grunde nach als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen. Da das FG von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben. Damit kann unentschieden bleiben, ob die übrigen von der Klägerin erhobenen Verfahrensrügen zulässig und begründet sind.

Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat --von seiner Rechtsauffassung ausgehend zutreffend-- keine Feststellungen getroffen, die es dem Senat erlauben würden, abschließend darüber zu befinden, ob die Aufwendungen der Höhe nach notwendig und angemessen waren. Die Sache war daher zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs.3 Nr.2 FGO). In seiner erneuten Entscheidung wird das FG auch nähere Angaben darüber zu machen haben, wann die geltend gemachten Strafverteidigungskosten tatsächlich abgeflossen sind. Es hat hierzu bisher lediglich festgestellt, E habe die im Jahre 1977 erzielten Einkünfte an den Strafverteidiger wegen der Honorarforderungen abgetreten. Ebenso wird das FG über den Antrag der Klägerin, die Zuziehung des Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären, zu befinden haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 62868

BFH/NV 1989, 42

BStBl II 1989, 831

BFHE 157, 397

BFHE 1990, 397

BB 1990, 406

BB 1990, 406-408 (LT1)

DB 1989, 2051-2053 (LT)

HFR 1990, 134 (LT)

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