Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an die Begründung eines Wiedereinsetzungsantrags

 

Leitsatz (NV)

Die Zweiwochenfrist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO für die Begründung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist gewahrt, wenn innerhalb dieser Frist zumindest im Kern die Tatsachen vorgetragen werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll. Ist dies geschehen, können unklare oder unvollständige Angaben auch noch nach Fristablauf erläutert oder ergänzt werden.

 

Normenkette

FGO § 56 Abs. 1-2

 

Tatbestand

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wegen Gewinnfeststellung 1988 abgewiesen. Es hat die Revision zugelassen. Das Urteil wurde dem Prozeßbevollmächtigten der Kläger am 16. November 1993 zugestellt.

Mit Schriftsatz vom 2. Dezember 1993 -- beim FG am folgenden Tage eingegangen -- haben die Kläger Revision eingelegt und erklärt, die Begründung werde nachgereicht.

Durch Schreiben des Vorsitzenden des erkennenden Senats vom 31. Januar 1994 -- dem Prozeßbevollmächtigten der Kläger am 4. Februar 1994 zugestellt -- wurden die Kläger darauf hingewiesen, daß die Frist für die Begründung der Revision am 17. Januar 1994 abgelaufen sei. Sie wurden zugleich über die Möglichkeit, wegen der Versäumung der Frist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu beantragen, belehrt.

Mit Schriftsatz vom 7. Februar 1994 -- am folgenden Tag beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangen -- beantragte der Prozeßbevollmächtigte, den Klägern wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) zu gewähren. Zur Begründung seines Wiedereinsetzungsgesuchs führte der Prozeßbevollmächtigte aus, die Revisionsbegründung sei dem FG bereits am 13. Dezember 1993 in zwei facher Ausfertigung übersandt worden; sie sei offenbar auf dem Postwege verlorengegangen. Dem Schriftsatz sind Fotokopien der Revisionsbegründung vom 13. Dezember 1993 und des Postausgangsbuchs vom 13. Dezember 1993 beigefügt. Dort ist unter der laufenden Nr. 2599 vermerkt "FG ... , Esp Revis X".

In einem weiteren Schriftsatz vom 6. April 1994 -- am 8. April 1994 beim BFH eingegangen -- führte der Prozeßbevollmächtigte aus, die Revisionsbegründung vom 13. Dezember 1993 trage das Az. ... ; daraus ergebe sich, daß die Revisionsbegründung von seiner Mitarbeiterin A geschrieben und unter der Nr. 2599 in der Textverarbeitungsanlage gespeichert worden sei. A habe am 13. Dezember 1993 die Post, nachdem sie unterschrieben worden sei, mit der fortlaufenden Nummer im Postausgangsbuch eingetragen. Die Angestellte B habe dann die gesamte Tagespost persönlich zur Post gebracht. Dem Schriftsatz vom 6. April 1994 liegen eidesstattliche Versicherungen der Angestellten B und A vom 31. März 1994 bei. Darin bestätigt B, daß sie in der Sozietät des Prozeßbevollmächtigten für die Terminüberwachung und den Postausgang zuständig sei. Sie frankiere die vom Schreibsekretariat verschlossenen Postsendungen mit dem Freistempler und gebe sie anschließend zur Post. Die Postsendungen würden von ihr persönlich am Postschalter abgegeben. Die Angestellte A erklärt, sie sei in der Sozietät des Prozeßbevollmächtigten im Schreibsekretariat tätig. Sie habe die unterschriebene Post am 13. Dezember 1993 in der Reihenfolge postfertig gemacht, wie sie im Postausgangsbuch eingetragen sei. Sie vergleiche dabei die Anschrift im Schreiben mit der Anschrift des Briefumschlags, wenn kein Fensterumschlag verwendet werde; ferner prüfe sie, ob alle im Schreiben angegebenen Anlagen beigefügt seien. Die verschlossenen Umschläge gebe sie an die Poststelle weiter. Im Postausgang des 13. Dezember 1993 habe sich auch der Umschlag mit der Revisionsbegründung an das FG ... in Sachen X befunden. Die Revisionsbegründung sei mit dem Az. ... im Postausgangsbuch eingetragen.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.

Die Tatsachen zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags seien innerhalb der Zweiwochenfrist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO vorzutragen. Nach Ablauf dieser Frist sei ein Nachschieben von Wiedereinsetzungsgründen nicht zulässig. Im übrigen sei zweifelhaft, ob die Vorlage einer bloßen Fotokopie des Postausgangsbuchs zur Glaubhaftmachung ausreiche.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht rechtzeitig begründet worden.

Nach § 120 Abs. 1 FGO muß die Revision innerhalb eines Monats nach dem Ablauf der Frist zur Revisionseinlegung begründet werden (BFH-Beschluß vom 1. Dezember 1986 GrS 1/85, BFHE 148, 414, BStBl II 1987, 264). Die Frist für die Revisionsbegründung kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag durch den Vorsitzenden des zuständigen Senats des BFH verlängert werden (§ 120 Abs. 1 Satz 2 FGO).

Im Streitfall ist die Revisionsbegründungsfrist am 17. Januar 1994 (= Montag) ab gelaufen. Die Revisionsbegründung ist jedoch erst am 8. Februar 1994, also nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist, beim BFH eingegangen.

Den Klägern wird wegen der Versäumung dieser Frist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) gewährt.

Wiedereinsetzung ist auf Antrag zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung einer gesetzlichen Frist verhindert war (§ 56 Abs. 1 FGO). In formeller Hinsicht setzt die Wiedereinsetzung voraus, daß innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt wird (§ 56 Abs. 2 Satz 3 FGO) und diejenigen Tatsachen vorgetragen werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll (ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. BFH-Urteil vom 27. März 1985 II R 118/83, BFHE 144, 1, BStBl II 1985, 586). Das erfordert grundsätzlich eine in sich schlüssige Darstellung der für die Wiedereinsetzung wesentlichen Tatsachen innerhalb dieser Frist (BFH-Beschluß vom 19. Januar 1993 X R 82/92, BFH/NV 1993, 611 m. w. N.). Innerhalb der Antragsfrist muß zumindest der Kern der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen vorgebracht werden (Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts -- BVerwG -- vom 27. Juli 1982 7 B 84/91, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung -- HFR -- 1984, 179).

Nach Ablauf der Frist können Wiedereinsetzungsgründe nicht mehr nachgeschoben, sondern nur noch unklare oder unvollständige Angaben erläutert oder ergänzt werden (BFHE 144, 1, BStBl II 1985, 586; BFH-Beschluß vom 20. Februar 1990 VII R 125/89, BFHE 159, 573, BStBl II 1990, 546; Urteile des Bundesgerichtshofs -- BGH -- vom 23. Januar 1978 I ZR 117/76, Versicherungsrecht -- VersR -- 1978, 719, und vom 7. Mai 1982 V ZR 233/81, VersR 1982, 802; Beschluß vom 28. Februar 1991 IX ZB 95/90, Betriebs-Berater 1991, 1222). Dabei ist zu beachten, daß der Vorsitzende nach § 76 Abs. 2 FGO verpflichtet ist, auf die Ergänzung ungenügender tatsächlicher Angaben hinzuwirken (vgl. BGH in VersR 1978, 719 zu der entsprechenden Vorschrift des § 139 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung -- ZPO --).

Wird im Zusammenhang mit einem Wiedereinsetzungsgesuch die fristgerechte Absendung eines beim Empfänger nicht eingegangenen Schriftstücks behauptet, so sind Tatsachen vorzutragen und glaubhaft zu machen, aus denen sich die rechtzeitige Aufgabe des fristwahrenden Schriftstücks zur Post ergibt (BFH-Beschlüsse vom 10. März 1994 IX R 43/90, BFH/NV 1994, 813, und vom 9. März 1993 VI R 60/90, BFH/NV 1993, 616 m. w. N.). Insbesondere ist darzulegen, wer den Schriftsatz zu welchem Zeitpunkt zur Post gegeben hat (BFH-Beschluß vom 12. April 1989 II B 197/88, BFH/NV 1990, 298). Außerdem ist eine Schilderung der Fristenkontrolle nach Art und Umfang erforderlich (BFH/NV 1994, 813 m. w. N.). Die Angaben sind durch Vorlage präsenter Beweismittel glaubhaft zu machen (BFH-Beschlüsse vom 13. Juli 1989 VIII R 64/88, BFH/NV 1990, 577, und in BFH/NV 1993, 616).

Im Streitfall hat der Prozeßbevollmächtigte der Kläger jedenfalls den Kern der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen innerhalb der Zweiwochenfrist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO vorgetragen. Nach Ablauf dieser Frist hat er ergänzende Angaben in bezug auf die Aufgabe der Revisionsbegründung zur Post gemacht und dabei ausgeführt, wer den Schriftsatz vom 13. Dezember 1993 an diesem Tag am Postschalter eingeliefert hat. Da es sich hierbei nicht um ein Nachschieben neuer Wiedereinsetzungsgründe handelt, sondern nur um Erläuterungen und Ergänzungen der fristgerecht vorgetragenen Tatsache, die Revisionsbegründung sei am 13. Dezember 1993 an das FG abgeschickt worden, sind die weiteren Ausführungen im Schriftsatz vom 6. April 1994 bei der Entscheidung über die Wiedereinsetzung zu berücksichtigen (vgl. auch BFH in BFHE 144, 1, BStBl II 1985, 586). Das tatsächliche Vorbringen in den Schriftsätzen vom 7. Februar und vom 6. April 1994 rechtfertigt die Schlußfolgerung, daß der Prozeßbevollmächtigte die Revisionsbegründung rechtzeitig abgesandt hat und daß die Kläger kein Verschulden an der Fristversäumnis trifft. Der Prozeßbevollmächtigte konnte seine Angaben durch Vorlage von Fotokopien des Postausgangsbuchs und des Schriftsatzes vom 13. Dezember 1993 glaubhaft machen (BFH-Beschluß vom 17. September 1993 IV R 35/93, BFH/NV 1994, 328).

 

Fundstellen

Haufe-Index 303020

BFH/NV 1995, 989

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