Entscheidungsstichwort (Thema)

(Kein Ansatz der Kostenmiete für selbstgenutztes Zweifamilienhaus, nur weil die Gesamtwohnfläche größer als 250 qm ist - Voraussetzungen für die Ermittlung des Nutzungswerts der selbstgenutzten Wohnung anhand der Kostenmiete - eigene Schätzungsbefugnis des FG)

 

Leitsatz (amtlich)

Nutzt der Eigentümer beide Wohnungen seines Zweifamilienhauses selbst, so ist der Nutzungswert gemäß § 21 Abs.2 EStG nicht schon dann anhand der Kostenmiete zu ermitteln, wenn die privat genutzte Wohnfläche insgesamt mehr als 250 qm beträgt, sondern nur, wenn die Fläche mindestens einer der beiden Wohnungen größer als 250 qm ist.

 

Orientierungssatz

1. Bei einer selbstgenutzten Wohnung ist der Nutzungswert stets anhand der Kostenmiete zu ermitteln, wenn zu dem Wohngrundstück eine Schwimmhalle gehört oder wenn die privat genutzte, nach der II.BVO ermittelte Wohnfläche der selbstgenutzten Wohnung 250 qm überschreitet. Im übrigen ist die Kostenmiete nur dann anzusetzen, wenn aufgrund besonders gewichtiger Gestaltungsmerkmale oder Ausstattungsmerkmale offensichtlich ist, daß die im jeweiligen Veranlagungszeitraum am Wohnungsmarkt höchstens erzielbare Miete nicht dem Gebrauchswert des Objekts entspricht (vgl. BFH-Urteil vom 22.10.1993 IX R 35/92).

2. Nach § 96 Abs.1 Satz 1 Halbsatz 2 FGO i.V.m. § 162 AO 1977 steht dem FG eine eigene, von der Schätzung des FA unabhängige Schätzungsbefugnis zu (vgl. BFH-Rechtsprechung).

 

Normenkette

EStG 1983 § 21 Abs. 2 S. 1; FGO § 96 Abs. 1 S. 1 Hs. 2; AO 1977 § 162

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) und seine mit ihm zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Ehefrau bewohnten im Streitjahr (1984) die beiden, rd. 208 bzw. 66 qm großen Wohnungen in dem von ihnen errichteten Zweifamilienhaus selbst.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) ermittelte den Nutzungswert der Wohnungen für das Streitjahr anhand der pauschal mit 4 v.H. der Herstellungskosten berechneten Kostenmiete.

Einspruch und Klage des Klägers blieben insoweit erfolglos. Das Finanzgericht (FG) kam nach Einholen eines Sachverständigengutachtens zu dem Ergebnis, der Nutzungswert der selbstgenutzten Wohnungen sei anhand der Kostenmiete zu schätzen. Die nach der Zweiten Berechnungsverordnung (II.BVO) berechnete Kostenmiete überschreite den Ansatz des FA um mehr als 3 400 DM, so daß sich die nach § 32 Abs.8 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1983/1985 i.d.F. des § 54 Abs.1 EStG, Art.1 Nr.18 des Steueränderungsgesetzes 1991 rückwirkend erhöhten Kinderfreibeträge im Ergebnis nicht auswirkten.

Der Kläger rügt mit seiner Revision mangelnde Sachaufklärung (§ 76 Abs.1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) und Verletzung von § 21 Abs.2 EStG.

Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Einkommensteuer für das Streitjahr auf 56 427 DM herabzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Die Vorentscheidung ist aufzuheben und die Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 126 Abs.3 Nr.2 FGO).

1. Der Kläger hat die Revision zwar nicht innerhalb der

--verlängerten-- Revisionsbegründungsfrist begründet. Ihm ist jedoch wegen Versäumens dieser Frist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) zu gewähren. Er hat Tatsachen glaubhaft gemacht, die die Wiedereinsetzung begründen.

2. Die Vorentscheidung verletzt § 21 Abs.2 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung.

Wie der Senat mit dem nach Ergehen der Vorentscheidung erlassenen Urteil vom 22. Oktober 1993 IX R 35/92 (BFHE 174, 51, BStBl II 1995, 98) --teilweise abweichend von der bisherigen Rechtsprechung-- entschieden hat, ist nur bei solchen selbstgenutzten Wohnungen der Nutzungswert anhand der Kostenmiete zu ermitteln, bei denen es aufgrund bestimmter Gestaltungs- oder Ausstattungsmerkmale offensichtlich ist, daß sie nicht zum Zwecke der Vermietung errichtet und in der Regel auch tatsächlich nicht vermietet werden. An die besondere Gestaltung oder Ausstattung, die den Ansatz der Kostenmiete begründet, stellt der Senat nunmehr strengere Anforderungen als in seinem Urteil vom 21. Januar 1986 IX R 7/79 (BFHE 146, 51, BStBl II 1986, 394).

a) Die Kostenmiete ist danach stets anzusetzen, wenn zu dem Wohngrundstück eine Schwimmhalle gehört oder wenn die privat genutzte, nach der II.BVO ermittelte Wohnfläche der selbstgenutzten Wohnung 250 qm überschreitet.

Die Hauptwohnung des Klägers weist jedoch nur eine Fläche von rd. 208 qm auf. Nutzt der Eigentümer beide Wohnungen in seinem Zweifamilienhaus selbst, ist die Kostenmiete jedoch nicht schon dann maßgebend, wenn die privat genutzte Wohnfläche

insgesamt mehr als 250 qm beträgt, sondern nur dann, wenn die Fläche mindestens einer der beiden Wohnungen für sich betrachtet die Grenze von 250 qm überschreitet. Für die Frage, ob vergleichbare Wohnungen in der Regel zum Vermieten errichtet werden, kommt es auf die Größe der einzelnen Wohnung und nicht auf die Gesamtwohnfläche des Hauses an. Zu den Voraussetzungen, unter denen eine Zusammenfassung von Räumen als selbständige Wohnung im vorstehenden Sinn anzusehen ist, wird auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 12. Februar 1986 II R 192/78 (BFHE 146, 96, BStBl II 1986, 320) verwiesen.

b) Im übrigen ist die Kostenmiete nur dann anzusetzen, wenn aufgrund anderer besonders gewichtiger Gestaltungs- oder Ausstattungsmerkmale offensichtlich ist, daß die im jeweiligen Veranlagungszeitraum am Wohnungsmarkt höchstens erzielbare Miete nicht dem Gebrauchswert des Objekts entspricht. Hohe Anschaffungs- oder Herstellungskosten reichen für sich allein gesehen noch nicht aus, um den Ansatz der Kostenmiete als Mietwert zu begründen. Diese Kosten müssen vielmehr im konkreten Einzelfall ihren Niederschlag in einer besonders aufwendigen Ausgestaltung oder Ausstattung gefunden haben, wie sie im Senatsurteil in BFHE 174, 51, BStBl II 1995, 98, unter II. 1. c cc näher umschrieben ist. Besondere Gestaltungen und Ausstattungen sind grundsätzlich insoweit nicht in die Beurteilung mit einzubeziehen, als sie mit öffentlichen Mitteln gefördert werden (vgl. u.a. § 82a der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung). Die Bewertung des Grundstücks im Sachwertverfahren (§ 76 Abs.3 Nr.1 des Bewertungsgesetzes) begründet für sich allein ebenfalls nicht die Schätzung des Mietwerts auf der Grundlage der Kostenmiete.

Weist das Wohngrundstück, in dem sich die eigengenutzte Wohnung befindet, nicht die nach den vorstehenden Grundsätzen maßgeblichen besonderen Gestaltungs- oder Ausstattungsmerkmale auf, so ist stets die Marktmiete als Mietwert anzusetzen.

3. Da das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, ist die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG wird die Gesamtumstände nach Maßgabe der geänderten Senatsrechtsprechung erneut zu würdigen und danach zu entscheiden haben, wie der Nutzungswert der beiden Wohnungen zu ermitteln ist.

Sollte das FG wiederum zu dem Ergebnis kommen, der Mietwert sei anhand der Kostenmiete zu bemessen, könnte es diese entsprechend seiner Ansicht in der Vorentscheidung auf der Grundlage der II.BVO berechnen (Senatsurteile in BFHE 146, 51, BStBl II 1986, 394; vom 22. Oktober 1993 IX R 33/91, BFHE 174, 120). Dem FG steht nach § 96 Abs.1 Satz 1 Halbsatz 2 FGO i.V.m. § 162 der Abgabenordnung (AO 1977) eine eigene, von der Schätzung des FA unabhängige Schätzungsbefugnis zu (BFH-Urteile vom 2. Februar 1982 VIII R 65/80, BFHE 135, 158, BStBl II 1982, 409; vom 18. Dezember 1984 VIII R 195/82, BFHE 142, 558, BStBl II 1986, 226; vom 20. September 1989 X R 39/87, BFHE 158, 301, BStBl II 1990, 109).

4. Auf die vom Kläger erhobene Verfahrensrüge kommt es danach nicht mehr an.

 

Fundstellen

Haufe-Index 65419

BFH/NV 1995, 44

BStBl II 1995, 381

BFHE 177, 110

BFHE 1996, 110

BB 1995, 1275

BB 1995, 1275 (LT)

DB 1995, 961-962 (LT)

DStR 1995, 681 (KT)

DStZ 1995, 441-442 (KT)

HFR 1995, 457 (LT)

StE 1995, 290-291 (K)

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