Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorsteuer und Umsatzsteuer beim Verkauf eines vom Nießbraucher bebauten Grundstücks

 

Leitsatz (NV)

1. Der Vorsteueranspruch entsteht mit Ablauf des Besteuerungszeitraums, in dem die umsatzbezogenen Merkmale des § 15 Abs. 1 UStG 1967/80 vorliegen, und nicht erst im Zeitpunkt der Verwertung der bezogenen Leistung.

2. Beim Verkauf eines vom Nießbraucher bebauten Grundstücks kann ein Umsatz des Nießbrauchers vorliegen.

 

Normenkette

UStG 1967/80 § 1 Abs. 1 Nr. 1; UStG 1967/80 § 13 Abs. 1; UStG 1967/80 § 15

 

Tatbestand

Der mittlerweile in Konkurs gefallene und verstorbene V (im folgenden Gemeinschuldner) war Eigentümer von Grundstücken in H. Dort begann er im Jahre 1970 mit der Errichtung eines Hotels sowie eines Garagengebäudes.

Durch ,,Grundstücksschenkungsvertrag" vom 31. Dezember 1971 übertrug er die Grundstücke auf seine Kinder, die die darauf lastenden Grundpfandrechte übernahmen. Gleichzeitig räumten die Kinder dem Gemeinschuldner und seiner Ehefrau ein lebenslängliches Nießbrauchsrecht an den Grundstücken ein.

Nach Fertigstellung der Rohbauten mußten die Bauarbeiten wegen aufgetretener Schwierigkeiten eingestellt werden.

Mit Kaufvertrag vom . . . 1981 veräußerten die Kinder die Grundstücke mit dem im Rohbau befindlichen Hotel- und Garagengebäude an eine Bauträgergesellschaft. Von dem Kaufpreis von . . . DM sollte der auf die Aufbauten entfallende Anteil von . . . DM an den Gemeinschuldner bezahlt werden, da er die Rohbauten finanziert hatte.

Der Gemeinschuldner hatte Vorsteuerbeträge aus Rechnungen für die Bauten zunächst in seinen Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 1971 bis 1974 nicht berücksichtigt; in seinen Einkommensteuererklärungen hatte er die Schuldzinsen für die Bauten als vorweggenommene Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung geltend gemacht.

Im Jahre 1977 fand bei dem Gemeinschuldner eine Außenprüfung statt, die zu seinen Gunsten zu nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Umsatzsteuerbescheiden für 1971 bis 1973 führte. Im Rahmen dieser Außenprüfung beantragte der Gemeinschuldner, auch noch die auf die genannten Bauten entfallende Vorsteuer zu berücksichtigen.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) lehnte dies ab; indem der Gemeinschuldner die Schuldzinsen für die Bauten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung geltend gemacht habe, habe er zum Ausdruck gebracht, daß er seinerzeit die Absicht gehabt habe, das Hotel nicht selbst zu betreiben, sondern steuerfrei zu vermieten. Die dagegen erhobene Klage hatte im Ergebnis keinen Erfolg, da das Finanzgericht (FG) der Ansicht war, der Vorsteuerabzug sei aufgrund der Vorschrift des § 15 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1967/1980) erst im Jahr der erstmaligen Verwendung der Bauten zu gewähren (rechtskräftiges Urteil des FG).

Der Gemeinschuldner führte daraufhin in der Umsatzsteuererklärung für 1981 den an ihn zu zahlenden Kaufpreisanteil für die Veräußerung der Grundstücke (brutto . . . DM, netto . . . DM) als steuerpflichtigen Umsatz auf und machte die ihm für den Hotel- und Garagenbau in den Jahren 1971 bis 1979 in Rechnung gestellte Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt . . . DM als Vorsteuer geltend.

Das FA folgte dem insoweit nicht, als es die Vorsteuer aus dem Hotel- und Garagenbau unberücksichtigt ließ.

Das FG gab der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage des Gemeinschuldners statt. Die für den Vorsteuerabzug maßgebliche erstmalige Verwendung der Gebäude sei im Jahre 1981 erfolgt, als der Gemeinschuldner entgeltlich auf seinen Nießbrauch verzichtet habe. Die Grundstücksübertragung auf die Kinder sei kein für den Vorsteuerabzug aus den Gebäudeherstellungskosten relevanter Vorgang gewesen, da die Gebäude dem Gemeinschuldner aufgrund des ihm eingeräumten Nießbrauchs nach wie vor zu der beabsichtigten unternehmerischen Nutzung zur Verfügung gestanden habe.

Hiergegen richtet sich die Revision des FA, das Verletzung der §§ 15 und 16 UStG 1967/1980 rügt. Nach den Urteilen des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 25. November 1976 V R 98/71 (BFHE 121, 550, BStBl II 1977, 448) und vom 25. Januar 1979 V R 53/72 (BFHE 127, 238, BStBl II 1979, 394) seien Vorsteuerbeträge notwendig bereits dann geltend zu machen und zu berücksichtigen, wenn die Leistungen bewirkt und in Rechnung gestellt worden seien.

Während des Revisionsverfahrens hat das FA den angefochtenen Umsatzsteuerbescheid in einem den Streitgegenstand nicht betreffenden Punkt geändert (Änderungsbescheid vom 11. April 1986); auf Antrag des Gemeinschuldners ist der Änderungsbescheid gemäß §§ 68, 123 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Verfahrens geworden. Nachdem der - inzwischen auch verstorbene - Gemeinschuldner in Konkurs gefallen war, hat der Konkursverwalter als nunmehriger Kläger und Revisionsbeklagter (Kläger) das Verfahren aufgenommen (vgl. §§ 240, 250 der Zivilprozeßordnung - ZPO -; § 155 FGO).

 

Entscheidungsgründe

I. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

1. Die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 UStG 1967/1980 für den streitigen Vorsteuerabzug waren in den Jahren 1971 bis 1979 und nicht im Streitjahre 1981 erfüllt. Die Lieferungen und sonstigen Leistungen, für die der Vorsteuerabzug geltend gemacht wird, sind in den Jahren 1971 bis 1979 ausgeführt und in Rechnung gestellt worden und nicht im Streitjahr 1981.

Nach der Rechtsprechung des Senats sind die anspruchsbegründenden Merkmale des Vorsteuerabzugsanspruchs in § 15 Abs. 1 UStG 1967/1980 geregelt. Entstehungszeitpunkt des Anspruchs ist in analoger Anwendung des § 13 Abs. 1 UStG 1967/1980 der Ablauf des Besteuerungszeitraums, in dem die umsatzbezogenen Merkmale des § 15 Abs. 1 UStG 1967/1980 vorliegen. Der Zeitpunkt der Anspruchsentstehung wird also nicht vom Zeitpunkt der Verwendung der bezogenen Leistung bestimmt. Diese Regelung entspricht dem Sinn des Mehrwertsteuersystems, die alsbaldige Entlastung des Unternehmers von der ihm berechneten Umsatzsteuer für an ihn ausgeführte Leistungen zu bewirken. Eine Auslegung der Regelung zur Anspruchsentstehung dahin, daß erst der Zeitpunkt der erstmaligen Verwendung maßgeblich sei, ist damit nicht vereinbar (vgl. außer den bereits vom FA zitierten Urteilen in BFHE 121, 550, BStBl II 1977, 448 und BFHE 127, 238, BStBl II 1979, 394 noch BFH-Urteile vom 26. Februar 1987 V R 1/79, BFHE 149, 307, BStBl II 1987, 521, und vom 30. November 1989 V R 85/84, BFHE 159, 272, BStBl II 1990, 345). Die materiell-rechtlich abschließende Entscheidung über den Vorsteuerabzug kann zwar nur aufgrund der erstmaligen tatsächlichen Verwendung der bezogenen Leistungen getroffen werden (§ 15 Abs. 2 UStG 1967/1980). Dies bedeutet für die Fälle, in denen Leistungsbezug und Verwendung in unterschiedliche Besteuerungszeiträume fallen: Der Vorsteuerabzugsanspruch entsteht mit Wirkung auf den nach § 15 Abs. 1 UStG 1967/1980 maßgebenden Zeitpunkt endgültig erst, wenn die bezogene Leistung später erstmals für nicht abzugsschädliche Umsätze verwendet wird. Er entfällt hingegen abschließend mit Wirkung auf den nach § 15 Abs. 1 UStG 1967/1980 maßgebenden Zeitpunkt, wenn die bezogene Leistung erstmals für abzugsschädliche Umsätze verwendet wird. Hat das FA die Steuer vorbehaltlos und endgültig festgesetzt, so steht dies in der Regel einer späteren Änderung des Steuerbescheids nicht entgegen, wie FG und Kläger befürchten; denn die spätere tatsächliche (erstmalige) Verwendung i. S. des § 15 Abs. 2 UStG 1967/1980 ist ein rückwirkendes Ereignis i. S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977, das durch Änderungsbescheid zugunsten oder zu Lasten des Unternehmers zu berücksichtigen ist (Urteil in BFHE 149, 307, BStBl II 1987, 521).

2. Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, da der vom FG festgestellte Sachverhalt nicht die Schlußfolgerung rechtfertigt, daß dem vom Kläger erzielten Erlös aus dem Verkauf der Grundstücke an die Bauträgergesellschaft der vom FA besteuerte steuerpflichtige Umsatz gegenübersteht.

Da die Grundstücke nicht vom Gemeinschuldner, sondern von seinen Kindern an die Bauträgergesellschaft verkauft wurden, dürfte der Verkauf der Grundstücke als steuerpflichtiger Umsatz des Klägers ausscheiden.

Aufgrund des vom FG festgestellten Sachverhalts kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, daß der Kläger Eigentümer der Gebäude war oder die wirtschaftliche Verfügungsmacht an den Gebäuden hatte und sie im Jahre 1981 veräußert hat. Errichtet der Nießbraucher in Ausübung des Nießbrauchs ein Gebäude, so wird dieses gemäß § 95 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) kein Bestandteil des Grundstücks. Ist dem Nießbraucher die Errichtung des Gebäudes lediglich schuldrechtlich gestattet worden, wird dieses nach §§ 94, 946, 947 BGB Eigentum des Grundstückseigentümers, wenn es nicht nach § 95 BGB nur zu einem vorübergehenden Zweck mit dem Grund und Boden verbunden wird (vgl. Promberger in Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 12. Aufl., § 1037 Anm. 4 und 5; Petzold in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, § 1037 Anm. 6). Auch wenn das Gebäude wesentlicher Bestandteil des Grundstücks wird, kann dem Nießbraucher die Verwertungsbefugnis am Gebäude verbleiben (vgl. für ähnliche Fälle Boruttau / Egly / Sigloch, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 12. Aufl., § 1 Rdnr. 660 f.). War der Gemeinschuldner Eigentümer der Gebäude oder jedenfalls über sie verfügungsbefugt, war ihre Veräußerung im Streitjahr 1981 möglicherweise steuerfrei (§ 4 Nr. 9 a UStG 1980, § 1 Abs. 1 und 2, § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Grunderwerbsteuergesetzes 1980). Ob der Gemeinschuldner auf die Steuerbefreiung verzichtet hat (§ 9 UStG), ist im wesentlichen Tatfrage. Demgegenüber meint das FG, der Gemeinschuldner habe entgeltlich auf sein Nießbrauchsrecht verzichtet. Da das FG den Inhalt des Kaufvertrags vom 20. Februar 1981 nicht mitteilt, erlaubt der von ihm festgestellte Sachverhalt nicht die Schlußfolgerung, der Kläger habe entgeltlich auf sein Nießbrauchsrecht verzichtet. Unklar ist auch, warum nur der Gemeinschuldner und nicht der Gemeinschuldner und seine Frau gemeinsam entgeltlich auf ihr Nießbrauchsrecht verzichtet haben sollen.

Denkbar ist auch, daß der Gemeinschuldner lediglich für den Rechtsverlust, den er durch die Bebauung der Grundstücke seiner Kinder erlitt, eine Entschädigung nach § 951 BGB geltend gemacht hat. Hierin könnte kein steuerpflichtiger Umsatz nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1980 gesehen werden.

Das FG wird deshalb im zweiten Rechtsgang aufklären müssen, warum der Gemeinschuldner am Verkaufserlös mit . . . DM beteiligt wurde und ob dem ein steuerpflichtiger Umsatz des Streitjahres 1981 zugrunde lag.

 

Fundstellen

BFH/NV 1992, 61

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