Leitsatz (amtlich)

1. Wird ein vorläufiger Grunderwerbsteuerbescheid während des gerichtlichen Verfahrens durch einen endgültigen Grunderwerbsteuerbescheid ersetzt, so ist Verfahrensgegenstand des weiteren gerichtlichen Verfahrens --wenn ein Antrag nach § 68 FGO gestellt wird-- der endgültige Bescheid auch dann, wenn er den vorläufigen Bescheid nicht ändert.

2. Ergeht der endgültige Bescheid (Endgültigkeitserklärung) erst nach Abschluß des finanzgerichtlichen Verfahrens und erweisen sich die Angriffe gegen diesen Bescheid aufgrund der Feststellungen des FG in der Sache als unbegründet, so muß der BFH das FG-Urteil aufheben, weil es einen anderen Verfahrensgegenstand betrifft, und die Klage abweisen.

 

Orientierungssatz

NV: Der grunderwerbsteuerrechtliche Begriff der Gegenleistung reicht über den bürgerlich-rechtlichen Begriff der Gegenleistung hinaus (vgl. BFH-Urteil vom 16.2.1977 II R 89/74). Für ihn kommt es nicht darauf an, wie hoch der "Verkehrswert" des Grundstücks im Zeitpunkt des Kaufvertrags war und ob der Kaufpreis angemessen war.

 

Normenkette

FGO §§ 68, 100 Abs. 1 S. 1, § 123 S. 2, § 127; GrEStG ND § 11 Abs. 1 Nr. 1; GrEStG ND § 10 Abs. 1

 

Tatbestand

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Alleingesellschafter und Geschäftsführer einer GmbH, die ein Warenhaus und Parkhaus errichten wollte. Der Nachbar H versuchte im Wege des "Nachbarwiderspruchs" das Bauvorhaben zu verhindern. Das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht endete mit einem Vergleich. Entsprechend diesem Vergleich kaufte der Kläger am 14.Januar 1982 das Nachbargrundstück. In § 3 des notariell beurkundeten "Grundstücksübergabevertrages" war vereinbart, daß der Kläger an die Eheleute H 60 000 DM als "Kaufpreis für das Grundstück" und "darüberhinaus und zusätzlich" 200 000 DM als "Entschädigung ... für den Wertverlust des Grundstücks" bezahle sowie ihnen "ein zinsloses Darlehen" von 60 000 DM gewähre.

Das beklagte Finanzamt (FA) war der Ansicht, zur Gegenleistung gehörten nicht nur die als "Kaufpreis" bezeichneten 60 000 DM, sondern auch die als "Entschädigung" bezeichneten 200 000 DM. Es setzte durch vorläufigen Bescheid die Grunderwerbsteuer auf 18 200 DM fest. Vorläufig war der Bescheid "insoweit wie die Höhe der Gegenleistung aufgrund der Darlehensgewährung noch nicht" feststand. Den Einspruch wies das FA zurück; die Vorläufigkeit des Bescheids blieb bestehen.

Mit seiner Klage hat der Kläger geltend gemacht, die Zahlungen an die Eheleute H beruhten "auf zwei vollkommen getrennten Rechtsgeschäften". Die Grunderwerbsteuer dürfe nur aus dem "Kaufpreis" von 60 000 DM berechnet und demzufolge auf nur 4 200 DM festgesetzt werden.

Das Finanzgericht (FG) hat sein die Klage abweisendes Urteil am 8.Mai 1985 verkündet.

Am 4.Juni 1985 erklärte das FA den vorläufigen Grunderwerbsteuerbescheid für endgültig.

Am 20.Juni 1985 legte der Kläger Revision ein. Er beantragt, den endgültigen Grunderwerbsteuerbescheid vom 4.Juni 1985 zum Gegenstand des Verfahrens zu machen und die Grunderwerbsteuer auf 4 200 DM herabzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision abzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision des Klägers führt zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Abweisung der Klage.

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid vom 4.Juni 1985, durch den der vorläufige Grunderwerbsteuerbescheid für endgültig erklärt wurde (endgültiger Steuerbescheid).

Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang nicht, ob durch den endgültigen Steuerbescheid eine andere (höhere oder niedrigere) oder dieselbe Steuer wie im vorläufigen Bescheid festgesetzt worden ist, sondern entscheidend ist, daß der endgültige Bescheid verfahrensrechtlich ein neuer Verwaltungsakt war (Urteile vom 20.November 1973 VII R 33/71, BFHE 111, 13, 15, 16, BStBl II 1974, 113, und vom 29.Mai 1974 II 53/64, BFHE 113, 69, 70, BStBl II 1974, 697, und Beschluß vom 24.September 1974 VIII B 89/73, BFHE 113, 493, BStBl II 1975, 211).

Der Kläger hat den Antrag nach § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gestellt. Damit brauchte der Senat nicht zu entscheiden, ob ein endgültiger Bescheid, der den vorläufigen Bescheid lediglich ohne die Nebenbestimmung der Vorläufigkeit inhaltlich unverändert wiederholt, auch ohne einen Antrag nach § 68 FGO Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens werden könnte.

2. Nach § 127 FGO kann der Bundesfinanzhof (BFH), wenn während des Revisionsverfahrens ein neuer Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens geworden ist, das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverweisen. Im Streitfall bedarf es einer Zurückverweisung nicht, denn die Sache ist spruchreif, d.h. der vom FG festgestellte Sachverhalt reicht aus, um abschließend prüfen und beurteilen zu können, ob der zum Gegenstand des Revisionsverfahrens gewordene endgültige Grunderwerbsteuerbescheid rechtmäßig ist. Die Entscheidung des BFH in der Sache selbst setzt aber voraus, daß er das FG-Urteil aufhebt (BFH-Urteil vom 2.Februar 1973 III R 27/72, BFHE 108, 297, 299, BStBl II 1973, 501). Denn dieses Urteil betraf einen Verwaltungsakt, der nicht mehr Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist.

Mit der Aufhebung der Vorentscheidung fallen die Feststellungen des FG nicht weg. Das finanzgerichtliche Verfahren leidet nicht an einem Verfahrensmangel, so daß die tatsächlichen Feststellungen des FG bis zur Beendigung des Prozesses fortwirken und bestehenbleiben.

3. Der erkennende Senat entscheidet auf Grund seiner Befugnis aus den §§ 121 und 100 FGO in der Sache selbst. Die Klage ist abzuweisen. Sie ist unbegründet, denn der endgültige Grunderwerbsteuerbescheid vom 4.Juni 1985 ist rechtmäßig.

Die Steuer ist vom Wert der Gegenleistung zu berechnen (§ 10 Abs.1 des Grunderwerbsteuergesetzes --GrEStG-- Niedersachsen). Auch die Zahlung der 200 000 DM ist eine für den Erwerb des Grundstücks erbrachte Gegenleistung.

++/ Nach dem Wortlaut des Kaufvertrages wurden die zu zahlenden 200 000 DM als "Entschädigung für den Wertverlust des Grundstückes" bezeichnet. Das FG hat keine Tatsachen festgestellt, die den Schluß rechtfertigen, die Verkäufer hätten einen derartigen Schadensersatzanspruch gegen den Kläger oder die GmbH. Die 200 000 DM sollten demnach lediglich einen durch das Bauvorhaben auf dem Nachbargrundstück eingetretenen Wertverlust des Kaufgrundstücks durch entsprechende Bemessung des Kaufpreises ausgleichen. Die "Entschädigung für Wertverlust" war daher Teil des Kaufpreises und damit der Gegenleistung i.S. des § 10 Abs.1 GrEStG Niedersachsen.

Die abweichende Auffassung des Klägers, es handele sich "um zwei vollkommen getrennte Rechtsgeschäfte, die lediglich in einem Vertrag und Vergleich zusammengefaßt" worden seien, beruht auf einer Verkennung des grunderwerbsteuerrechtlichen Begriffs der Gegenleistung. Dieser Begriff reicht über den bürgerlich-rechtlichen Begriff der Gegenleistung hinaus (BFH-Urteil vom 16.Februar 1977 II R 89/74, BFHE 122, 338, 342, BStBl II 1977, 671). Für ihn kommt es --entgegen der Ansicht des Klägers-- nicht darauf an, wie hoch der "Verkehrswert" des Grundstücks im Zeitpunkt des Kaufvertrags war und ob "der Kaufpreis in Höhe von DM 60 000 angemessen war". Entscheidend ist, daß dem Kläger der Erwerb des Grundstücks 260 000 DM wert war.

Zu keinem anderen Ergebnis gelangt man, wenn man der Behauptung des Klägers folgt, die 200 000 DM seien zur Vermeidung einer drohenden Stillegung des Bauvorhabens der GmbH gezahlt worden. Denn auch insoweit ist ein Rechtsgrund für die Zahlung der 200 000 DM außerhalb des Grundstückskaufvertrages nicht ersichtlich. Mit Abschluß des notariellen Kaufvertrages war die Gefahr einer Stillegung des Bauvorhabens entfallen. Denn mit dem anschließenden Eigentumsübergang waren die Verkäufer des Grundstücks nicht mehr in der Lage, gegen das Bauvorhaben vorzugehen. Es kann deshalb nur angenommen werden, daß die 200 000 DM im Hinblick auf die Eigentumsverschaffungspflicht der Verkäufer gezahlt wurden. /++

 

Fundstellen

Haufe-Index 62294

BStBl II 1988, 955

BFHE 154, 13

BFHE 1989, 13

BB 1988, 2169-2169 (L1-2)

DB 1988, 2494 (T)

DStR 1988, 741 (S)

HFR 1989, 21 (LT)

WPg 1989, 38 (S)

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