Leitsatz (amtlich)

Der Teilwert von Erzeugnisbeständen wird durch die Kosten bestimmt, die bei dem zu bewertenden Unternehmen aufzuwenden sind, um die Erzeugnisse in der Lage, in der sie sich am Bewertungsstichtag befinden, wiederbeschaffen zu können. Hierzu gehören auch bis zum Bewertungsstichtag aufgewendete allgemeine Verwaltungskosten, die auf den Fertigungsbereich entfallen, und auf die Erzeugnisbestände aufgewendete Vertriebskosten.

 

Normenkette

BewG 1965 §§ 10, 109 Abs. 1

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) stellt Elektrowaren her. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) hat für die Einheitsbewertung des Betriebsvermögens der Klägerin zum 1. Januar 1963 und zum 1. Januar 1966 den Teilwert der Halb- und Fertigfabrikate (Erzeugnisbestände) anhand der Kalkulationsunterlagen der Klägerin gegenüber den Steuerbilanzwerten um 9,5 v. H. erhöht. Durch diese Zuschläge werden die auf die Erzeugnisbestände entfallenden anteiligen Verwaltungskosten und Vertriebskosten berücksichtigt. In die Zuschlagsberechnung wurden nur Verwaltungskosten einbezogen, die auf den Fertigungsbereich entfallen. Vertriebskosten sind insoweit berücksichtigt, als sie den Erzeugnisbeständen zugerechnet werden können und bis zum Feststellungszeitpunkt angefallen sind; durch das Anbieten und den Verkauf der Erzeugnisse entstehende Kosten sind nicht erfaßt worden.

Die Klägerin hat zwar gegen die Berechnung der Zuschläge keine Einwendungen erhoben, jedoch die Zuschläge dem Grunde nach nicht für berechtigt gehalten.

Die Einsprüche hatten keinen Erfolg.

Das FG hat die Klagen als unbegründet abgewiesen.

Die Revisionen der Klägerin rügen, bei einem Unternehmen ihrer Art zahle der gedachte Erwerber des Unternehmens für die Erzeugnisbestände nicht mehr als die ertragsteuerlichen Herstellungskosten. Denn er gehe davon aus, daß er diese Bestände, falls sie nicht vorhanden wären, mit dem erworbenen Unternehmen jederzeit zu den Herstellungskosten nachproduzieren könnte. In Fällen, in denen bestimmte Erzeugnisse auf Bestellung hergestellt würden, könne es gerechtfertigt sein, bei der Teilwertermittlung Vertriebskosten zu berücksichtigen; denn der Auftrag könne nur durch eine der Produktion vorhergehende Vertriebsleistung erzielt werden. Die Klägerin stelle jedoch unabhängig von Kundenaufträgen Serienwaren her, die sie bis zum Verkauf auf Lager nehme. Damit werde gewissermaßen auf Verdacht gefertigt. Die Vertriebsaufwendungen folgten der Produktion zeitlich nach. Deshalb werde dafür von dem gedachten Erwerber des Unternehmens nichts gezahlt.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Vorentscheidungen und die Einspruchsentscheidungen aufzuheben und die festgestellten Einheitswerte des Betriebsvermögens um den Zuschlag auf den Wert der Erzeugnisbestände zu ermäßigen. Das FA beantragt, die Revisionen als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revisionen sind unbegründet.

1. Die Halb- und Fertigfabrikate der Klägerin sind bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens mit dem Teilwert anzusetzen (§ 66 Abs. 1 BewG für den Feststellungszeitpunkt 1963 und § 109 BewG 1965 für den Feststellungszeitpunkt 1966; da die beiden Vorschriften denselben Wortlaut haben, wird im folgenden nur das BewG 1965 angeführt). § 10 BewG 1965 bestimmt den Teilwert dahin, daß er dem Betrag entspricht, den ein Erwerber des ganzen Unternehmens im Rahmen des Gesamtkaufpreises für das einzelne Wirtschaftsgut ansetzen würde; dabei ist davon auszugehen, daß der Erwerber das Unternehmen fortführt.

Die Schwierigkeiten, den Teilwert dieser gesetzlichen Begriffsbestimmung entsprechend zu ermitteln, besteht darin, den Grundsatz der Einzelbewertung der Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens (§ 109 Abs. 4 BewG 1965) mit der Forderung in Einklang zu bringen, daß der Gesamtkaufpreis für das Unternehmen zu berücksichtigen ist. Der Senat hat jedoch in seiner Entscheidung vom 19. Mai 1972 III R 21/71 (BFHE 106, 228, BStBl II 1972, 748) darauf hingewiesen, daß auf Grund der Rechtsprechung des RFH schon vor Einführung der gesetzlichen Begriffsbestimmung des Teilwerts in die Steuergesetze Vorstellungen über den Inhalt und den Umfang des Teilwerts bestanden haben. Danach ist die Kenntnis des Gesamtkaufpreises für das Unternehmen, dessen Betriebsvermögen zu bewerten ist, nicht unerläßliche Voraussetzung (vgl. Entscheidung des BFH vom 2. März 1973 III R 88/69, BFHE 109, 63, BStBl II 1973, 475); denn aus der Legaldefinition des Teilwerts kann der Schluß gezogen werden, daß der gedachte Erwerber des Unternehmens für das einzelne Wirtschaftsgut höchstens soviel zahlen würde, als er an Kosten aufwenden müßte, um dieses Wirtschaftsgut, falls es fehlte, wieder zu beschaffen. Der Teilwert von Erzeugnisbeständen entspricht demnach den Wiederbeschaffungskosten, die aufgewendet werden müßten, um die zu bewertenden Wirtschaftsgüter wieder herzustellen. Dabei ist zunächst von den Verhältnissen des zu bewertenden Unternehmens auszugehen, wie sie sich am Bewertungsstichtag darstellen. Dies ergibt sich aus der gesetzlichen Forderung, daß für die Teilwertermittlung die Fortführung des Unternehmens, d. h. des zu bewertenden Unternehmens, zu unterstellen ist. Der Teilwert für Erzeugnisbestände läge, wie im Urteil III R 21/71 schon ausgeführt, nur dann unter diesen Wiederbeschaffungskosten, wenn die Erzeugnisse nach den Marktverhältnissen nicht zu einem Preis veräußert werden könnten, der diesen Wiederbeschaffungskosten entspricht, weil sich z. B. für Erzeugnisse gleicher Art und Güte ein niedrigerer Marktpreis gebildet hat.

2. Aus den vorstehenden, auf der Begriffsbestimmung des Teilwerts beruhenden Rechtsfolgerungen ergibt sich, daß der Teilwert von Erzeugnissen des zu bewertenden Unternehmens dem Kostenaufwand entspricht, der erforderlich ist, um diese Erzeugnisse in der Lage, in der sie sich am Bewertungsstichtag befinden, wiederbeschaffen zu können. Kurz gesagt entspricht der Teilwert dem Reproduktionswert der Erzeugnisbestände (vgl. BFH-Entscheidung III R 21/71). Dieser Wert kann sowohl nach der retrograden Methode durch Rückrechnung vom voraussichtlichen Verkaufspreis als auch nach der progressiven Methode durch Summierung der bei der Produktion anfallenden Kosten ermittel werden. Beide Methoden müssen, wie der Senat im Urteil vom 29. April 1970 III 217/63 (BFHE 99, 215 [224], BStBl II 1970, 614) ausgeführt hat, zu demselben Ergebnis führen. Der Senat hat in dem Urteil III 217/63 auch ausgesprochen, der Teilwert ergebe sich nach der retrograden Methode ohne weiteres dadurch, daß von dem Veräußerungspreis die bis zur Veräußerung noch anfallenden Vertriebskosten und der Unternehmergewinn abgezogen werden. Daraus ergibt sich für die Teilwertermittlung nach der progressiven Methode mittelbar, daß der Teilwert von Erzeugnisbeständen weder durch die ertragsteuerlichen noch durch die betriebswirtschaftlichen Herstellungskosten (wegen der unterschiedlichen Inhalte dieses Begriffspaares vgl. Mellerowicz, Kosten und Kostenrechnung, 4. Aufl., Bd. 2, 2 S. 56) begrenzt wird. Außerdem hat der Senat schon im Urteil III R 21/71 im einzelnen dargelegt, daß der Begriff der steuerlichen Herstellungskosten und der Teilwertbegriff nicht inhaltsgleich sind.

Wenn man davon auszugehen hat, daß der Teilwert der Erzeugnisbestände durch die Summe der Kosten bestimmt wird, die bei der Produktion anfallen, so kommt man zu dem Ergebnis, daß der Teilwert von Erzeugnissen zwar nicht mit den Selbstkosten gleichgesetzt werden kann, aber Selbstkostencharakter hat (vgl. BFH-Entscheidung vom 8. März 1968 III 85/65, BFHE 92, 339 [346], BStBl II 1968, 575). Er unterscheidet sich von den Selbstkosten jedenfalls dadurch, daß für die Teilwertermittlung nur Kosten berücksichtigt werden dürfen, die bis zum Bewertungsstichtag angefallen sind (vgl. auch Maaßen, "Der Teilwert im Steuerrecht", Heft 49, "Der Rechts- und Steuerdienst" S. 103 f.). Der Senat kann im Rahmen dieses Verfahrens dagegen nicht entscheiden, ob die kalkulatorischen Zinsen und der Unternehmerlohn, die zu den Selbstkosten gerechnet werden können (vgl. Leitsätze für die Preisermittlung auf Grund von Selbstkosten Nr. 22 und 43, BAnz 1953 Nr. 244), sich ebenfalls auf den Teilwert auswirken, und läßt diese Frage ausdrücklich offen. Nach vorstehenden Ausführungen müssen aber die allgemeinen Verwaltungskosten, die auf den Fertigungsbereich entfallen, und die auf die Erzeugnisbestände aufgewendeten Vertriebskosten, die bis zu dem Bewertungsstichtag angefallen sind, in den Teilwert mit einbezogen werden. Denn diese Kosten waren notwendig, um die Erzeugnisbestände herstellen und in die Lage versetzen zu können, in der sie sich am Bewertungsstichtag befinden. Sie müßten auch von dem fiktiven Erwerber des Unternehmens für die Reproduktion aufgewendet werden.

Jeder größere Produktionsbetrieb bedarf einer kaufmännischen Leitung, ohne die die Produktion nicht geplant, in Gang gesetzt und fortgeführt werden kann. Die kaufmännische Leitung verursacht damit u. a. auch produktionsbezogene Kosten. Auch die vorbereitenden Vertriebskosten, die bis zum Feststellungszeitpunkt aufgewendet werden, erhöhen aus der Sicht des gedachten Erwerbers des Unternehmens den Wert der Erzeugnisbestände. Denn Erzeugnisse, die für den sofortigen Absatz sortiert, gekennzeichnet und gelagert sind, verursachen für den nachfolgenden Verkauf, der zur Gewinnrealisierung führt, weniger Kosten, als Erzeugnisse, die sich noch im Produktionsgang befinden oder nach Beendigung der Produktion noch einer vorbereitenden Behandlung für den Verkauf bedürfen. Es würde der Teilwertdefinition aber widersprechen, wenn der Veräußerer des Unternehmens, dadurch daß er die auf den Fertigungsbereich entfallenden allgemeinen Verwaltungskosten und die auf die Erzeugnisbestände schon aufgewendeten vorbereitenden Vertriebskosten nicht berücksichtigt, dem Erwerber einen höheren Gewinnanteil überlassen würde, als er ihn selbst erzielen könnte.

Die dargelegte Rechtsauffassung beschränkt sich nicht nur auf vorbestellte Erzeugnisse, sondern gilt entgegen der Auffassung der Klägerin auch für Serienwaren, die bis zum Verkauf auf Lager genommen werden. Denn es sind keine Gesichtspunkte erkennbar, die es rechtfertigen könnten, tatsächlich aufgewendete Kosten für den Vertrieb oder die Vorbereitung des Vertriebs nur dann im Teilwert zu berücksichtigen, wenn sie vor der Produktion liegen. Auf die zeitliche Reihenfolge des Anfalls der Kosten kommt es für die Teilwertermittlung nicht an.

Die Entscheidung des FG entspricht dieser Rechtslage. Die Revision konnte deshalb keinen Erfolg haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 70577

BStBl II 1973, 794

BFHE 1974, 203

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