Entscheidungsstichwort (Thema)

Geldbuße als nicht abziehbare Betriebsausgabe

 

Leitsatz (NV)

1. Im Rahmen der verfahrensrechtlichen Vorschriften über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand dürfen den Beteiligten Verzögerungen der Briefbeförderung oder -zustellung durch die Deutsche Bundespost nicht als Verschulden angerechnet werden.

2. Die von einer AG zu entrichtende Geldbuße ist eine durch den Betrieb der AG veranlaßte Aufwendung. Ihrem Abzug als Betriebsausgabe steht jedoch § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 EStG-StÄndG 1984 entgegen.

3. Die rückwirkende Anwendung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 EStG-StÄndG 1984 begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

 

Normenkette

FGO §§ 56, 68, 123 S. 2, § 127; EStG-StÄndG 1984 § 4 Abs. 4; EStG-StÄndG 1984 § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 8

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist die Gesamtrechtsnachfolgerin der H-AG.

Gegen die H-AG erging am 5. 12. 1975 ein Bußgeldbescheid der zuständigen OFD wegen der Ordnungswidrigkeiten, begangen unter Mitwirkung gebietsansässiger Personen in der Zeit vom Mai bis November 1973 bei Abwicklung von Tafelgeschäften durch die ungenehmigte Veräußerung festverzinslicher Wertpapiere in effektiven Stücken von rd. . . . DM an Gebietsfremde. Das Bußgeld wurde auf 255 000 DM festgesetzt. Die Festsetzung stützte sich auf § 30 OWiG. Der Betrag von 255 000 DM setzt sich aus einer Einsatzbuße von 30 000 DM und dem wirtschaftlichen Vorteil der H-AG aus den beanstandeten Geschäften in Höhe von 225 000 DM zusammen. Daneben wurden als Auslagen gemäß § 107 Abs. 3 OWiG Ermittlungskosten in Höhe von 1 288 DM festgesetzt. Die H-AG zahlte den Betrag von 256 288 DM noch im Wirtschaftsjahr 1975.

Durch Bescheid vom 28. November 1977 veranlagte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) die H-AG zur Körperschaftsteuer 1975. Dabei ließ er den Betrag von 256 288 DM nicht zum Betriebsausgabenabzug zu. Der angefochtene Bescheid wurde am 6. März 1979 noch einmal geändert, ohne daß dem Einspruchsbegehren der H-AG entsprochen worden wäre. Das FA wies den Einspruch der H-AG am 14. April 1980 zurück. Dagegen erhob die H-AG Klage.

Während des Klageverfahrens änderte das FA den angefochtenen Körperschaftsteuerbescheid am 3. August und am 16. Oktober 1981. Die H-AG leitete den zuletzt geänderten Bescheid in das Klageverfahren über (§ 68 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt.

Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i. d. F. des Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes und des Körperschaftsteuergesetzes vom 25. Juli 1984 - EStG-StÄndG 1984 - (BGBL I 1984, 1006, BStBl I 1984, 401). Es hat am 17. Oktober 1984 einen erneut geänderten Körperschaftsteuerbescheid 1975 erlassen und in diesem dem neu gefaßten § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 EStG-StÄndG 1984 Rechnung getragen. In dem geänderten Bescheid wurden die Kosten des Bußgeldverfahrens (1 288 DM) als Betriebsausgabe anerkannt. Die Körperschaftsteuer 1975 wurde auf . . . DM herabgesetzt. Die Klägerin hat den geänderten Bescheid in das Revisionsverfahren übergeleitet (§ 123 Satz 2, § 68 FGO).

Das FA hat seine Revisionsbegründung einen Tag nach Ablauf der verlängerten Begründungsfrist beim Bundesfinanzhof (BFH) eingereicht. Es hat - nach entsprechendem Hinweis durch den Vorsitzenden des Senats - einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt. Zur Begründung wird vorgetragen, daß die Revisionsbegründung am 23. November 1984 vor 12.00 Uhr in H zur Post gegeben worden sei. Das FA habe damit rechnen müssen, daß die Postsendung den BFH bis zum 26. November 1984 erreichen würde. Die Verzögerung sei darauf zurückzuführen, daß ein Güterwagen in München nicht fristgerecht hätte entladen werden können. Seine Angaben machte das FA durch Vorlage des Posteinlieferungsscheins Nr. 390 und eine Erklärung des Postamtes H glaubhaft.

 

Entscheidungsgründe

A. Die Revision ist zulässig. Dies gilt unbeschadet der Tatsache, daß die Revisionsbegründung erst am 27. November 1984 und damit einen Tag nach Ablauf der bis zum 26. November 1984 verlängerten Revisionsbegründungsfrist beim BFH einging. Dem FA ist wegen Versäumnis der Revisionsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 56 Abs. 1 FGO).

Nach der genannten Vorschrift ist einem Beteiligten auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er ohne Verschulden gehindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Die Revisionsbegründungsfrist (§ 120 Abs. 1 Satz 1 FGO) ist eine gesetzliche i. S. des § 56 Abs. 1 FGO. Das FA hat diese Frist nicht eingehalten. Es hat jedoch unter Beachtung der Voraussetzungen des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO einen Wiedereinsetzungsantrag gestellt. Außerdem hat es glaubhaft gemacht, daß es ohne eigenes Verschulden gehindert war, die Frist einzuhalten. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) dürfen im Rahmen der verfahrensrechtlichen Vorschriften über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand den Beteiligten Verzögerungen der Briefbeförderung oder -zustellung durch die Deutsche Bundespost nicht als Verschulden angerechnet werden (BVerfG, Beschluß vom 1. Dezember 1982 I BvR 607/82, BVerfGE 62, 334). Dabei macht es keinen Unterschied, ob es sich um den Zugang zu einer weiteren von der Prozeßordnung vorgesehenen Instanz oder aber um die Einhaltung einer gesetzlichen Frist innerhalb eines bereits vorher eingeleiteten Gerichtsverfahrens handelt. Die Beteiligten dürfen die ihnen eingeräumten Fristen bis zum letztmöglichen Zeitpunkt ausnutzen. Es liegt jedoch in ihrer Verantwortung, das Schriftstück so rechtzeitig zur Post zu geben, daß es nach deren organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen bei regelmäßigem Betriebsablauf den Empfänger fristgerecht erreicht.

Das FA hat durch Vorlage des Posteinlieferungsscheins Nr. 390 glaubhaft gemacht, daß das Paket, welches u. a. die Revisionsbegründung enthielt, am 23. November 1984 zur Post gegeben wurde. Durch die Auskunft des Postamtes H steht fest, daß nach den organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen der Bundespost mit der Auslieferung der Sendung am 26. November 1984, d. h. vor Fristablauf zu rechnen war. Die tatsächlich eingetretene Verzögerung lag nicht im Machtbereich des FA. Sie ist deshalb von ihm nicht verschuldet.

B. Die Revision ist auch begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).

1. Dazu geht der erkennende Senat davon aus, daß durch den von der Klägerin gemäß § 123 Satz 2, § 68 FGO gestellten Antrag der Streitgegenstand des Klageverfahrens noch in der Revisionsinstanz ausgetauscht wurde. Die Klage richtet sich nunmehr gegen den geänderten Körperschaftsteuerbescheid 1975 vom 17. Oktober 1984. Einer Entscheidung gemäß § 127 FGO bedarf es nicht. Zwar fehlen bezogen auf den geänderten Bescheid die notwendigen tatsächlichen Feststellungen des FG. Die Beteiligten haben jedoch sinngemäß übereinstimmend erklärt, daß zwischen ihnen kein Streit bezüglich der dem geänderten Bescheid zugrunde liegenden Tatsachen besteht (vgl. dazu: Geist, Finanz-Rundschau - FR - 1989, 229, unter V 5. b.bb, 3). Bei dieser Sachlage bedeutet die nunmehr getroffene Entscheidung, daß nur die Festsetzung der Körperschaftsteuer 1975 lt. Bescheid vom 17. Oktober 1984 als rechtmäßig bestätigt wird. Der Bescheid überlagert alle früher erlassenen Bescheide.

2. Der erkennende Senat folgt dem FG in dessen Auffassung, daß die von der H-AG gezahlte Geldbuße in Höhe von 255 000 DM eine durch den Betrieb der H-AG veranlaßte Aufwendung ist. Ihrem Abzug als Betriebsausgabe steht jedoch § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 EStG-StÄndG 1984 entgegen. Nach dieser Vorschrift dürfen die von einer Behörde im Geltungsbereich des EStG festgesetzten Geldbußen den Gewinn nicht mindern. Die Vorschrift ist rückwirkend anzuwenden (§ 52 Abs. 3 a EStG-StÄndG 1984). Gegen die rückwirkende Anwendung der Vorschrift bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. BFH-Urteile vom 14. April 1986 IV R 260/84, BFHE 146, 411, BStBl II 1986, 518, und vom 22. Juli 1986 VIII R 93/85, BFHE 147, 346, BStBl II 1986, 845). Die Vorschrift verletzt auch nicht Art. 3 Abs. 1 oder Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes. Dazu nimmt der erkennende Senat auf den Beschluß des BVerfG vom 23. Januar 1990 1 BvL 4-7/87 (BStBl II 1990, 483, Der Betrieb 1990, 1013) Bezug.

3. Das FG ist von der vor Inkrafttreten des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 EStG-StÄndG 1984 geltenden Rechtslage ausgegangen. Diese ist jedoch rückwirkend überholt. Deshalb kann die Vorentscheidung keinen Bestand haben. Die Sache ist entscheidungsreif. Da die Geldbuße als Betriebsausgabe nicht abgezogen werden darf, war die Klage abzuweisen.

4. Der Senat kann nicht ausschließen, daß die zuständige OFD bei der Festsetzung des Bußgeldes im Bescheid vom 5. Dezember 1975 die sich aus § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 EStG-StÄndG 1984 ergebende Rechtsfolge nicht berücksichtigte und eine Änderung des Bußgeldbescheids aus Rechtsgründen ausscheidet. In diesem Fall kann sich aus den Gründen des Beschlusses des BVerfG vom 23. Januar 1990 1 BvL 4-7/87 ein Anspruch auf Erlaß einer Billigkeitsmaßnahme ergeben. Über einen entsprechenden Antrag ist jedoch in einem gesonderten Verfahren zu entscheiden, weshalb sich für die Entscheidung im Revisionsverfahren weitere Ausführungen erübrigen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 417177

BFH/NV 1991, 38

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