Entscheidungsstichwort (Thema)

Beteiligung am Verfahren über die Änderung eines Steuerbescheides bei widerstreitender Steuerfestsetzung

 

Leitsatz (NV)

Am Verfahren über die Änderung eines Steuerbescheides bei widerstreitender Steuerfestsetzung (§ 174 Abs. 5 Satz 1 AO) ist ein Dritter nicht beteiligt, wenn er zwar hinzugezogen worden ist, das Verfahren aber durch einen ohne seine Zustimmung oder seinen entsprechenden Antrag ergangenen Abhilfebescheid endet.

 

Normenkette

AO 1977 § 172 Abs. 1 Nr. 2a, § 174 Abs. 5

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war bis zur Übertragung des Geschäftsbetriebes der X-KG (KG) auf die neugegründete X-GmbH (GmbH) im April 1977 deren Komplementär und Geschäftsführer. Mit Urteil vom 18. November 1983 wurde er wegen fortgesetzter Hinterziehung u.a. von Gewerbesteuer der KG für die Jahre 1966 bis 1972 rechtskräftig verurteilt. Mit Bescheid vom 13. Juli 1984 setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) gegenüber dem Kläger Hinterziehungszinsen fest. Auf den Einspruch des Klägers hin hob das FA am 30. August 1984 den Bescheid wieder auf, da es der Ansicht war, Schuldner der Hinterziehungszinsen sei die KG. Gleichzeitig erließ es gegen die GmbH als Rechtsnachfolgerin der KG einen inhaltsgleichen Zinsbescheid und nahm den Kläger wegen des Zinsbetrages gemäß § 71 der Abgabenordnung (AO 1977) in Haftung.

Die GmbH und der Kläger legten gegen den Zinsbescheid bzw. den Haftungsbescheid jeweils rechtzeitig Einspruch ein. Die GmbH machte u.a. geltend, nach § 5 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) in der für die Nacherhebungszeiträume geltenden Fassung sei Schuldnerin der Gewerbesteuer nicht die KG; Schuldner seien vielmehr deren Gesellschafter. Das FA zog daraufhin den Kläger mit Schreiben vom 26. Februar 1985 gemäß § 174 Abs. 5 Satz 2 AO 1977 zum Rechtsbehelfsverfahren der GmbH hinzu. Mit Verfügung vom 30. April 1985 hob das FA den Haftungsbescheid gegen den Kläger auf und erließ am gleichen Tag ihm gegenüber - gestützt auf § 174 Abs. 3 und 4 AO 1977 - einen erneuten Zinsbescheid. Der an die GmbH gerichtete Zinsbescheid wurde mit Schreiben vom 10. Dezember 1985 gemäß § 172 Abs. 1 Nr.2a AO 1977 aufgehoben.

Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage war nur insoweit erfolgreich, als das Finanzgericht (FG) von einer Beendigung des Zinslaufes bereits am 30. Juni 1976 ausging und das FA verpflichtete, einen entsprechenden Änderungsbescheid zu erteilen. Diese Bescheide erließ das FA am 10. Juli 1990.

Im übrigen war das FG der Auffassung, der Kläger sei zu Recht als Schuldner der Hinterziehungszinsen in Anspruch genommen worden. Da die Zinsen vor dem 31. Dezember 1976 entstanden seien, richte sich die Entstehung nach § 4a des Steuersäumnisgesetzes (StSäumG). Der Kläger sei nicht nur Täter der Hinterziehung, sondern als Steuerschuldner auch Tatbegünstigter und daher in jedem Fall Schuldner i.S. von § 4a StSäumG. Der Anspruch sei auch nicht verjährt. Die Festsetzungsfrist sei zwar bei Erlaß des Zinsbescheides am 30. April 1985 abgelaufen gewesen, doch sei dies gemäß § 174 Abs. 5 i.V.m. Abs. 4 Satz 3 AO 1977 unbeachtlich.

Nach dieser Regelung, die über Art.97 § 15 Abs. 3 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977) i.V.m. § 239 Abs. 1 Satz1 AO 1977 auf die hier strittigen Zinsforderungen Anwendung finde, sei der Ablauf der Festsetzungsfrist gegenüber einem hinzugezogenen Dritten unbeachtlich, wenn ein einem anderen Steuerpflichtigen gegenüber ergangener Steuerbescheid aufgrund eines Rechtsbehelfes wegen irriger Beurteilung eines Sachverhalts zugunsten dieses Steuerpflichtigen aufzuheben oder zu ändern war und hieraus rechtliche Folgerungen bei dem Dritten zu ziehen sind. Dem gegen die GmbH gerichteten Zinsbescheid habe die irrige Beurteilung zugrunde gelegen, die ehemalige KG - und nach ihrer Umwandlung die GmbH als ihre Rechtsnachfolgerin - sei Schuldnerin der hinterzogenen Gewerbesteuer gewesen. Der Kläger sei als Dritter zu dem Rechtsbehelfsverfahren der GmbH hinzugezogen worden.

Es sei weiterhin unbeachtlich, daß die gegenüber dem Kläger laufende Festsetzungsfrist des § 239 AO 1977 bereits vor seiner Hinzuziehung zum Rechtsbehelfsverfahren der GmbH, nämlich am 31. Dezember 1984, abgelaufen war. Eine Auslegung des § 174 Abs. 5 Satz 1 AO 1977 dahingehend, daß die Hinzuziehung des Dritten noch vor Ablauf der ihm gegenüber laufenden Festsetzungsfrist wirksam werden müsse, widerspreche dem Wortlaut der Vorschrift und lasse sich aus dem Sinn und Zweck des Gesetzes nicht herleiten. Der Gesetzgeber habe mit § 174 Abs. 4 und 5 AO 1977 im Falle einer irrigen Beurteilung eines Sachverhalts den Konflikt zwischen Rechtsfrieden durch Ablauf der Festsetzungsfrist und Rechtsrichtigkeit der Steuer- (bzw. Zins-) Erhebung zugunsten der Rechtsrichtigkeit und damit der Steuergerechtigkeit gelöst.

Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung des § 174 Abs. 4 und 5 AO 1977. Er meint, das FG habe die Frage falsch beurteilt, zu welchem Zeitpunkt die Hinzuziehung erfolgen müsse.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des FG-Urteils, der Einspruchsentscheidung sowie der angefochtenen Zinsbescheide.

Dem FG ist nicht darin zu folgen, daß der Kläger durch den Bescheid vom 30. April 1985 und den Änderungsbescheid vom 10. Juli 1990 in Anspruch genommen werden konnte.

1. Das FA stützt den Anspruch auf Hinterziehungszinsen auf die Hinterziehung von Gewerbesteuer für die Veranlagungszeiträume 1966 bis 1972. Rechtsgrundlage für die Entstehung dieser Zinsen ist die - vor Inkrafttreten der AO 1977 maßgebende - Vorschrift des § 4a StSäumG; die Festsetzung der Zinsen richtet sich hingegen nach den Vorschriften der AO 1977 (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 22. Mai 1984 VIII R 60/79, BFHE 141, 211, 215f., BStBl II 1984, 697).

2. Das FG hat die Festsetzung der Zinsen gegen den Kläger aufgrund des § 174 Abs. 4 und 5 AO 1977 für gerechtfertigt gehalten. Die Voraussetzungen dieser Vorschriften liegen indessen nicht vor.

a) Nach § 174 Abs. 4 Satz 1 AO 1977 können durch Erlaß oder Änderung eines bestandskräftigen fehlerhaften Steuerbescheids nachträglich die richtigen steuerlichen Folgen aus einem Sachverhalt gezogen werden, wenn aufgrund irriger Beurteilung dieses Sachverhalts zunächst ein fehlerhafter Steuerbescheid ergangen ist, der später aufgrund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird. Gegenüber Dritten ist die Folgeänderung gemäß § 174 Abs. 5 Satz 1 AO 1977 möglich, wenn sie an dem Verfahren, das zur Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Bescheids geführt hat, beteiligt waren. - Nach § 239 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 sind diese Vorschriften auch auf Zinsbescheide anwendbar.

b) Im Streitfall ist der Kläger an dem Verfahren, das zur Aufhebung des Bescheids gegen die GmbH geführt hat, jedoch nicht hinreichend i.S. des § 174 Abs. 5 Satz 1 AO 1977 ,,beteiligt" gewesen.

Die Beteiligung (§ 359 Nr.2 AO 1977, § 57 Nr.3 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) eines Dritten an dem Verfahren über die Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheids, das mit dessen Aufhebung oder Änderung endet, erfordert nicht nur, daß dieser zu dem Verfahren hinzugezogen (§ 360 AO 1977) oder beigeladen (§ 60 FGO) worden ist. Vielmehr ist außerdem erforderlich, daß die Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Bescheids ihm gegenüber wirksam wird. Ihm muß die Entscheidung über die Änderung oder Aufhebung des fehlerhaften Bescheids bekanntgegeben werden, damit er die Möglichkeit hat, hiergegen Rechtsbehelfe einzulegen. Eine Entscheidung durch Abhilfebescheid (§ 172 Abs. 1 Nr.2a AO 1977) wahrt die Rechte des Hinzugezogenen nur, wenn sie seinem Antrag der Sache nach entspricht oder wenn er ihr zustimmt (vgl. BFH-Urteile vom 30. Mai 1963 III 380/61, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Abgabenordnung, § 239, Rechtsspruch 9, Höchstrichterliche Rechtsprechung 1964, 51; vom 11. April 1991 V R 40/86, BFHE 164, 176, BStBl II 1991, 605; Klein/Orlopp, Abgabenordnung, 4. Aufl., § 360 Anm.5b; Tipke/Kruse, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 360 AO 1977 Tz.4; Anwendungserlaß des Bundesministers der Finanzen zur AO 1977 vom 24. September 1987, BStBl I 1987, 664, 716).

Im Streitfall hat der Kläger der nach § 172 Abs. 1 Nr.2a AO 1977 erfolgten Aufhebung des Zinsbescheides gegenüber der GmbH nicht zugestimmt.

3. Einer Inanspruchnahme des Klägers als Schuldner der Hinterziehungszinsen nach anderen Vorschriften steht der Eintritt der Festsetzungsverjährung entgegen; diese war angesichts der rechtskräftigen Verurteilung des Klägers wegen Steuerhinterziehung am 18. November 1983 bereits am 31. Dezember 1984 eingetreten (Art.97 § 15 Abs. 3 EGAO 1977 i.V.m. § 239 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Ziffer 3 AO 1977).

 

Fundstellen

Haufe-Index 418494

BFH/NV 1993, 74

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