Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachträgliche Erschließungskosten als sofort abziehbare Erhaltungsaufwendungen

 

Leitsatz (amtlich)

Erschließungsbeiträge für eine öffentliche Straße, die die bisherige Anbindung eines Grundstücks an das öffentliche Straßennetz ersetzt, stellen sofort abziehbaren Erhaltungsaufwand dar, wenn die Nutzbarkeit des Grundstücks durch die neue Erschließungsmaßnahme nicht verändert wird, weil sich diese nicht wesentlich von der bisherigen Erschließung unterscheidet. Hierbei ist unbeachtlich, ob die bisherige Straße von der Gemeinde lediglich als Provisorium betrachtet und der Grundstückseigentümer zu deren Herstellungskosten herangezogen worden war.

 

Normenkette

EStG § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 2; HGB § 255

 

Verfahrensgang

FG Münster

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger), die zur Einkommensteuer zusammen veranlagt werden, haben im Jahre 1984 im Wege der Zwangsversteigerung das Zweifamilienhaus S-Weg in R erworben, aus dem sie seither Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erzielen.

Bei dem S-Weg handelt es sich um eine Sackgasse, an der nur wenige Häuser liegen. Nachdem in den Jahren 1968/1969 mit der Verlegung eines Mischwasserkanals der Anschluß an das öffentliche Kanalnetz vorgenommen worden war, war der S-Weg mit einer Teerdecke versehen worden. Während die Gemeinde R die Anlieger hinsichtlich des Erschließungsaufwandes für den Kanal anteilig herangezogen hatte, hatte sie für die Befestigung der Straßenfläche, die sie in ihrer vom Finanzgericht (FG) eingeholten Auskunft als Provisorium bezeichnet hat, von den Eigentümern der angrenzenden Grundstücke keine Beiträge erhoben.

Im Jahre 1988 wurde der S-Weg für einen Betrag von insgesamt 40 490 DM ausgebaut; hierbei wurde die Teerdecke durch ein Verbundpflaster mit Straßenentwässerung und Straßenbeleuchtung ersetzt. Zudem wurde der Weg erstmals als Gemeindestraße dem öffentlichen Verkehr gewidmet. Die Gemeinde zog den Kläger mit Bescheid vom 17. November 1988 zu einem Erschließungsbeitrag für den "erstmaligen endgültigen" Ausbau des S-Weges in Höhe von 9 677,02 DM heran. Hierauf zahlte der Kläger im Jahre 1988 einen Betrag von 5 000 DM und im Jahre 1989 (Streitjahr) den Restbetrag in Höhe von 4 677,02 DM.

Mit ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machten die Kläger den Erschließungsbeitrag als Werbungskosten bei ihren Einkünften aus Vermietung und Verpachtung geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) lehnte die Berücksichtigung der Erschließungskosten als Werbungskosten mit der Begründung ab, es handele sich um einen Beitrag für eine erstmalige Erschließung, der den Aufwendungen für den Grund und Boden zuzurechnen sei.

Das FG hat der Klage stattgegeben. Der vom Kläger im Streitjahr gezahlte (restliche) Erschließungsbeitrag stelle nicht nachträgliche Anschaffungskosten des Grund und Bodens, sondern Erhaltungsaufwand dar. Bei dem im Jahre 1988 vorgenommenen Ausbau des S-Weges habe es sich nicht um die erstmalige Erschließung des Grundstücks der Kläger gehandelt, das infolge seiner Anbindung an das öffentliche Versorgungs- und Wegenetz bereits zuvor bebaubar gewesen sei. Vielmehr sei eine vorhandene Erschließungsanlage ersetzt worden, ohne daß sich für das Grundstück der Kläger eine Änderung der Bebaubarkeit oder anderer wesentlicher Merkmale ergeben hätte. Der Umstand, daß die Gemeinde die Anlieger erstmals im Jahre 1988 zu Kosten für die Befestigung des Weges herangezogen habe, sei in diesem Zusammenhang unbeachtlich.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung von § 9 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Entgegen der Ansicht des FG stelle die mit dem Ausbau des S-Weges im Jahre 1988 vorgenommene Befestigung der Straßenfläche eine erstmalige Erschließungsanlage dar, da die Gemeinde die bisherige Befestigung nur als Provisorium angesehen habe, für das auch keine Anliegerbeiträge erhoben worden seien. Maßgebend für die Beurteilung der Frage, ob eine erstmalige Erschließungsmaßnahme vorliege, sei nämlich der betreffende Heranziehungsbescheid der Gemeinde.

Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Sie ist daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Recht den strittigen Erschließungskostenbeitrag als Werbungskosten bei den Einkünften der Kläger aus Vermietung und Verpachtung zum Abzug zugelassen.

1. Werbungskosten bilden bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung grundsätzlich alle Aufwendungen, bei denen objektiv ein wirtschaftlicher Zusammenhang mit der Vermietung und Verpachtung besteht und die subjektiv zur Förderung der Nutzungsüberlassung gemacht werden (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Urteil vom 8. Dezember 1992 IX R 68/89, BFHE 170, 134, BStBl II 1993, 434). Als Werbungskosten abziehbar sind grundsätzlich auch Aufwendungen, die den Grund und Boden betreffen; denn bei der Vermietung von Gebäuden gehört die damit verbundene Nutzungsüberlassung von Grund und Boden zum Einkünftetatbestand des § 21 Abs. 1 EStG (vgl. Senatsurteil vom 4. Juni 1991 IX R 30/89, BFHE 164, 364, BStBl II 1991, 761 zu Schuldzinsen für die Finanzierung eines unbebauten Grundstücks).

2. Zu den Werbungskosten zählen bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 EStG auch öffentliche Abgaben, soweit sie sich auf Gebäude oder auf Gegenstände beziehen, die dem Steuerpflichtigen zur Einnahmeerzielung dienen. Sofort als Werbungskosten abziehbare Aufwendungen sind nach dieser Vorschrift auch Erschließungsbeiträge, sofern sie nicht als nachträgliche Anschaffungskosten auf den Grund und Boden anzusehen sind (Senatsurteil vom 22. März 1994 IX R 52/90, BFHE 175, 29, BStBl II 1994, 842).

a) Beiträge zur Finanzierung erstmals durchgeführter Erschließungsmaßnahmen sind nach ständiger Rechtsprechung den Anschaffungskosten von Grund und Boden zuzurechnen, da sie dazu dienen, das Grundstück baureif zu machen und es damit i.S. von § 255 Abs. 1 Satz 1 des Handelsgesetzbuches (HGB) in einen betriebsbereiten Zustand zu versetzen (z.B. Senatsurteil vom 14. März 1989 IX R 138/88, BFH/NV 1989, 633; Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 2. Mai 1990 VIII R 198/85, BStBl II 1991, 448, BFH/NV 1991, 29). Werden hingegen vorhandene Erschließungseinrichtungen ersetzt oder modernisiert, so führen Erschließungsbeiträge nicht zu nachträglichen Anschaffungskosten, es sei denn, das Grundstück wird durch die Maßnahme in seiner Substanz oder in seinem Wesen verändert (BFH-Urteil in BStBl II 1991, 448, BFH/NV 1991, 29). Der Charakter eines Grundstücks wird durch grundstücksbezogene Kriterien bestimmt, insbesondere durch Größe, Lage, Zuschnitt, Erschließung und Grad der Bebaubarkeit. Solange diese unverändert bleiben, werden Substanz oder Wesen des Grundstücks nicht berührt. Nicht entscheidend ist, ob die Maßnahme aus anderen Gründen zu einer Werterhöhung des Grundstücks geführt hat (Senatsurteil in BFHE 175, 29, BStBl II 1994, 842).

Dementsprechend hat der Senat nachträgliche Straßenbaukostenbeiträge, die eine Gemeinde von dem Eigentümer eines bereits durch eine Straße erschlossenen Grundstücks für die bauliche Veränderung von Gehwegen oder des Straßenbelages zur Schaffung einer verkehrsberuhigten Zone oder eines Fußgängerbereichs erhebt, als sofort abziehbare Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung beurteilt (Senatsurteile in BFHE 175, 29, BStBl II 1994, 842, und vom 22. März 1994 IX R 109/90, BFHE 175, 31).

b) Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn die bisher durch einen nicht dem öffentlichen Verkehr gewidmete Straße vorgenommene Anbindung eines Grundstücks an das öffentliche Straßennetz durch eine neu ausgebaute öffentliche Straße ersetzt wird. Entgegen der Auffassung des FA kommt es hierbei nicht darauf an, ob die bisherige Straße von der Gemeinde lediglich als ein Provisorium angesehen und ob die Anlieger zu den durch ihre Errichtung entstandenen Kosten herangezogen worden sind. Maßgebend ist allein, ob die erstmalige Anbindung des Grundstücks an das öffentliche Straßennetz dazu gedient hat und geeignet war, das Grundstück baureif und damit nutzbar zu machen. Soweit durch eine nachfolgende Erschließungsmaßnahme die Nutzbarkeit des bislang durch eine vorherige Maßnahme erschlossenen Grundstücks nicht verändert wird, weil sich die neue Erschließungsanlage insoweit nicht wesentlich von der bisherigen Anlage unterscheidet, stellen die Beiträge für die nachfolgende öffentliche Erschließung sofort abziehbaren Erhaltungsaufwand dar (vgl. BFH-Urteil vom 4. November 1986 VIII R 322/83, BFHE 148, 513, BStBl II 1987, 333).

3. Das FG ist aufgrund seiner tatrichterlichen Würdigung der Umstände des Streitfalles zu der revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Schlußfolgerung gelangt, daß das Grundstück der Kläger durch den Ausbau des S-Weges im Jahre 1988 in seiner Nutzbarkeit und seinen wesentlichen Merkmalen nicht verändert worden ist. Der BFH kann als Revisionsgericht nicht seine eigene Tatsachenwürdigung an die Stelle der Würdigung des FG setzen, wenn diese --wie im Streitfall-- möglich ist (BFH-Urteil vom 27. August 1991 VIII R 84/89, BFHE 165, 330, BStBl II 1992, 9; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 118 Anm. 39 ff.). Die vom FA insoweit auch nicht beanstandete Beurteilung des FG ist damit gemäß § 118 Abs. 2 FGO für den Senat bindend.

Hiernach hat das FG zu Recht den strittigen Erschließungskostenbeitrag, den der Kläger im Streitjahr gezahlt hat, als sofort abziehbare Werbungskosten berücksichtigt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 65533

BFH/NV 1996, 36

BFH/NV 1996, 36-37 (LT)

BStBl II 1996, 134

BFHE 179, 133

BFHE 1996, 133

BB 1996, 366

BB 1996, 990

BB 1996, 990 (LT)

DB 1996, 357 (LT)

DStR 1996, 375-376 (KT)

DStZ 1996, 213 (KT)

HFR 1996, 186 (L)

StE 1996, 98 (K)

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