Entscheidungsstichwort (Thema)

Übereignung eines Teilbetriebes

 

Leitsatz (NV)

Ein in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb (sog. Teilbetrieb) ist ein mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestatteter, organisch geschlossener Teil des Gesamtbetriebes, der für sich allein lebensfähig ist.

 

Normenkette

AO § 116; AO 1977 § 75

 

Tatbestand

Die Klägerin, die X-GmbH i. L, ist Rechtsnachfolgerin der Y-Werk GmbH.

Diese hatte im Februar 1974 von der KG verschiedene Wirtschaftsgüter erworben, die in einem von dieser auf fremdem Grund betriebenen Steinbruch verwendet wurden. Neben diesem Steinbruch unterhielt die KG an drei verschiedenen Orten noch Produktionsstätten für Transportbeton. Die Verwaltung für die kaufm. Angelegenheiten dieser Produktionsstätten und des Steinbruchs befand sich in A. Nachdem die KG ihre sämtlichen Produktionsstätten Anfang 1974 an jeweils verschiedene Erwerber veräußert hatte, beantragte sie im April 1974 die Eröffnung des Konkursverfahrens. Zu diesem Zeitpunkt waren u. a. die Umsatzsteuer 1973 sowie die Vorauszahlungen I und II/1974 rückständig.

Mit dem Betrieb des Steinbruchs hatte die KG im Jahr 1973 begonnen. Sie baute ca. . . . km Zufahrtstraße zur Hauptstraße, ebnete das für die Betriebsanlage vorgesehene Gelände von ca . . . qm ein, baute Fundamente und Betriebsgebäude und kaufte Maschinen und Werkzeuge. Mit notariellem Vertrag vom 16. Februar 1974 verkaufte die KG der Y-Werk GmbH auf dem Steinbruchgelände befindliche Betriebsgegenstände zum Preise von . . . DM. Es handelte sich im wesentlichen um Straßen, Fundamente, Betriebsgebäude, Bunker, Überdachungen, Maschinen, Ersatzteile, Werkzeuge und Baumaterialien.

Mit Bescheid vom 13. Mai 1975 nahm das FA die Y-Werk GmbH wegen auf den Steinbruchbetrieb entfallender Umsatzsteuerrückstände 1973 und 1/1974 der KG unter Hinweis auf § 116 AO in Haftung. In der am 17. Juli 1978 ergangenen Einspruchsentscheidung ist die Haftungssumme wie folgt festgesetzt:

a) Umsatzsteuer 1973 ......... DM

b) Umsatzsteuer 1974 (unter Einschluß der auf den Verkaufserlös

nach Abzug einer Baracke - berechneten Umsatzsteuer) ......... DM

......... DM.

Mit der Klage begehrte die Klägerin die Aufhebung des Haftungsbescheids. Das FG hat in zwei Terminen Beweisaufnahmen durchgeführt, durch Vernehmung der Herren . . . als Zeugen.

Aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme hob das FG den Haftungsbescheid in Form der Einspruchentscheidung auf. Es führte aus: Übereignungsfähiger Teilbetrieb nach § 116 AO sei jeder mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestatteter organisch geschlossener Teil des gesamten Unternehmens, der für sich allein lebensfähig sei (Hinweis auf die Urteile des BFH vom 5. Oktober 1976 VIII R 62/72, BFHE 120, 257, BStBl II 1977, 42, und vom 12. September 1979 I R 146/76, BFHE 129, 62, BStBl II 1980, 51). Voraussetzung für die Erwerberhaftung nach § 116 AO sei die Übereignung eines solchen Teilbetriebs im ganzen. Es genüge nicht, daß erst der Erwerber einzelne Wirtschaftsgüter zu einem lebenden Betriebsganzen zusammengefügt habe. Nach den im wesentlichen übereinstimmenden Bekundungen der Zeugen . . . habe es dem im Aufbau befindlichen Steinbruch an nahezu jeglicher Selbständigkeit gefehlt: Er habe kein eigenes Büro, kein eigenes Geschäftspapier, keine eigene kaufmännische Verwaltung, insbesondere keine eigene Buchführung, kein eigenes Bankkonto, kein eigenes Recht zur Preisbildung, keine eigene Befugnis zum Warenbezug und zur Einstellung oder Entlassung von Personal, keinen eigenen Betriebsleiter gehabt. Die kaufmännische Verwaltung der KG sei zentral von A aus gelenkt worden. Auch hier habe es für die einzelnen Betriebsstätten keine gesonderte Verwaltung, Buchführung oder getrennte Konten gegeben. Die Geschäftsleitung habe unmittelbar in Händen der Geschäftsführer des Gesamtunternehmens gelegen. Es sei daher eine Vielzahl wesentlicher Voraussetzungen für die Annahme eines selbständigen Teilbetriebes nicht erfüllt gewesen.

Fehle es aber bereits am Vorliegen eines Teilbetriebs nach § 116 AO, so entfalle die Erwerberhaftung bereits aus diesem Grund, ohne daß untersucht zu werden brauche, ob es sich bei dem Steinbruch überhaupt um einen lebensfähigen Betrieb gehandelt und ob der Erwerber einen solchen aus der Hand des Veräußerers erhalten habe.

Mit der Revision beantragt das FA, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen. Es rügt unrichtige Anwendung von § 116 AO hinsichtlich des Vorliegens eines in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführten Betriebes bei dem hier betroffenen Steinbruch.

Bei diesem habe es sich um einen mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestatteten organisch geschlossenen Teil des Gesamtbetriebes gehandelt, der für sich allein lebensfähig gewesen sei. Das Gesamtunternehmen der Veräußerin sei in mehrere selbständige, für sich lebensfähige Betriebe aufteilbar. Der Teilbetrieb sei von anderen Betrieben örtlich und funktionell abgrenzbar gewesen. Er habe eigene Anlagen, eigene Maschinen und einen eigenen Fuhrpark gehabt, ferner eigenes Personal für Produktion und Vertrieb besessen. Er sei auch für jedermann nach außen sichtbar als selbständige Produktionsstätte erkennbar gewesen. Der Abnehmerkreis des gebrochenen Splitts habe sich von den übrigen betrieblichen Abnehmern unterschieden. Bei den Transportbetonunternehmen sei es branchenüblich, daß sie jeweils in einem Umkreis von 10 bis 15 km vom Produktionsstandort aus tätig würden, was hier noch durch die Verpflichtung der KG erhärtet worden sei, im Umkreis von 20 km um die Standorte aller von ihr betriebenen Transportbetonwerke weder Transportbeton herzustellen, noch die Herstellung von Transportbeton eines anderen Herstellers unmittelbar noch mittelbar zu fördern.

Die Qualität eines Teilbetriebes werde auch nicht dadurch in Frage gestellt, daß für diesen weder eine Buchführung vorhanden sei noch gesonderte Geldkonten geführt würden. Werde schon bei einem Einzelbetrieb wegen Fehlens von betrieblichen Konten die Betriebseigenschaft nicht in Frage gestellt, so könne bei einer Mehrheit von Teilbetrieben nichts anderes gelten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

1. Es handelt sich darum, ob der Rechtsvorgängerin der Klägerin, der Y-Werk-GmbH, mit den ihr von der KG im Februar 1974 übertragenen Wirtschaftsgütern die wesentlichen Betriebsgrundlagen eines in der Gliederung ihres Unternehmens gesondert geführten Betriebes im ganzen übereignet worden sind (§ 116 AO, vgl. Art. 97 § 11 - EGAO 1977 -). Bei den hierbei anzustellenden Erwägungen können, wie das FG zutreffend ausgeführt hat, die zum Begriff des Teilbetriebs nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG von der Rechtsprechung als maßgeblich erachteten Merkmale berücksichtigt werden (vgl. Tipke/Kruse, AO/FGO, 11. Aufl., Tz. 3 zu § 75 AO 1977 am Ende). Ein solcher Teilbetrieb ist, wie das FG in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des BFH ausgeführt hat, ein mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestatteter, organisch geschlossener Teil des Gesamtbetriebes, der für sich allein lebensfähig ist. Lebensfähig ist ein Teil des Gesamtbetriebes, wenn von ihm seiner Struktur nach eine eigenständige betriebliche Tätigkeit ausgeübt wird (vgl. Urteile des BFH vom 5. Oktober 1976 VIII R 87/72, BFHE 120, 263, BStBl II 1977, 45, und vom 19. Februar 1976 IV R 179/72, BFHE 118, 323, BStBl II 1976, 415 mit Hinweisen). Im Streitfall geht es somit zunächst darum, ob die KG mit dem von ihr betriebenen Steinbruch eine eigenständige Tätigkeit im Sinn dieser Rechtsprechung ausgeübt hat. Ist diese - rechtlich primäre - Frage zu verneinen, so entfällt eine Anwendung von § 116 AO auch dann, wenn die erworbenen Wirtschaftsgüter die wesentlichen Betriebsgrundlagen des Steinbruchs gewesen sein sollten.

2. Ob der Steinbruch in Form eines im Gesamtunternehmen der KG gesondert geführten Betriebs (Teilbetriebs) geführt worden war, ist weitgehend eine Frage der tatsächlichen Würdigung. Die von der Revision gegen das finanzgerichtliche Urteil erhobenen Einwendungen richten sich daher - bei revisionsrechtlich richtigem Verständnis - gegen die von dem FG aus dem Ergebnis einer umfänglichen Beweisaufnahme gezogenen Schlußfolgerungen, also gegen die Beweiswürdigung des FG. Denn das FG hat die Selbständigkeit des Steinbruchs (innerhalb des Unternehmens der KG) aus der Erwägung verneint, daß es - in Würdigung des Ergebnisses der Zeugenvernehmungen - hinsichtlich des Steinbruchs an einer Vielzahl von Merkmalen fehle, die, für sich allein und/oder zusammengenommen, eine Eigenständigkeit im Sinn der Ausführungen unter Ziffer 1 begründet hätten. Diese Schlußfolgerung ist im Hinblick auf das Ergebnis der Beweisaufnahme - insbesondere nach den Aussagen der Zeugen . . . - im Ergebnis rechtlich nicht zu beanstanden. Sie ist verfahrensrechtlich einwandfrei zustande gekommen, in bezug auf das hier maßgebliche Gesamtbild nicht beeinflußt durch Denkfehler oder unter Verletzung von Erfahrungssätzen und somit für den BFH gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindend (vgl. Gräber, FGO, Tz. 10 zu § 118 mit Hinweisen). Die von der Revision demgegenüber geltend gemachten Gesichtspunkte, wie u. a. die gesonderte Angabe jedes Betonmischwerkes auf Briefbögen und Lieferscheinen, unterschiedliche Abnehmer, Wettbewerbsklausel im Kaufvertrag, erweisen sich demgegenüber aus den genannten Gründen nicht als ausschlaggebend.

3. Da das FG das Vorliegen eines Teilbetriebes hinsichtlich des Steinbruchs im Ergebnis zutreffend verneint hat, kann es auf sich beruhen, ob die übereigneten Wirtschaftsgüter die wesentlichen Betriebsgrundlagen des Steinbruchs gewesen sind und ob sich dieser im Zeitpunkt der Übereignung überhaupt in einem betriebsfähigen (lebensfähigen) Zustand befunden hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414259

BFH/NV 1987, 275

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