Entscheidungsstichwort (Thema)

Gewerblichkeit eines Facharztes für Laboratoriumsmedizin

 

Leitsatz (NV)

Die Gewerblichkeit einer Praxis für Laboratoriumsmedizin kann sich daraus ergeben, daß die überwiegende Zahl der in der jeweiligen Praxis erbrachten Leistungen von gut eingearbeiteten Mitarbeitern selbständig erbracht wird.

 

Normenkette

EStG §§ 15, 18

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit von Gewerbesteuermeßbescheiden bestehen, so daß der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) verpflichtet ist, die Vollziehung dieser Gewerbesteuermeßbescheide auszusetzen.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betreibt als Facharzt für Laboratoriumsmedizin ein " ... -Labor". Außer dem Kläger waren in den Streitjahren (1984 bis 1987) ein Mediziner monatlich zwischen vier- bis sechsmal als Vertretung sowie jeweils ein Mediziner in Ausbildung tätig. Das nichtärztliche Personal, das in vielen Fällen teilzeitbeschäftigt war, bestand -- jeweils bezogen auf die Streitjahre -- aus 16 bis 20 medizinisch-technischen Angestellten, 19 bis 23 Arzthelferinnen (für Labor und Praxis) sowie aus fünf Angehörigen des Büros. Die Anzahl der dem Kläger in diesem Zeitraum erteilten Untersuchungsaufträge bewegte sich zwischen 90 323 und 104 707 jährlich. Jeder Untersuchungsauftrag erforderte nach den vom Kläger geschätzten Angaben zwischen 1,2 und 1,3 Untersuchungen. Der Kläger kommt nach seinen Angaben auf einen zwölfstündigen, öfter noch längeren Arbeitstag. Bei 300 Arbeitstagen jährlich entfallen danach auf einen Arbeitstag durchschnittlich 301 bis 349 Untersuchungsaufträge, was 391 bis 453 Untersuchungen entspricht.

Im Anschluß an eine beim Kläger durchgeführte Außenprüfung vertraten die Prüferin und ihr folgend das FA den Standpunkt, der Kläger erziele aus dem Labor keine Einkünfte aus selbständiger Arbeit, sondern solche aus Gewerbebetrieb, weil er aufgrund der Menge der Untersuchungsaufträge nicht in der Lage gewesen sei, der einzelnen Untersuchung das Gepräge seiner persönlichen Arbeit zu geben. Demgemäß erließ das FA erstmalig für die Streitjahre Gewerbesteuermeßbescheide. Über die gegen diese Bescheide eingelegten Einsprüche hat das FA -- soweit bekannt -- noch nicht entschieden.

Einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Bescheide lehnte das FA unter Hinweis auf das Senatsurteil vom 1. Februar 1990 IV R 140/88 (BFHE 159, 535, BStBl II 1990, 507) ab. Die hiergegen nach erfolglosem Beschwerdeverfahren erhobene Klage hatte keinen Erfolg.

Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des Klägers.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Zu Recht hat das FG es abgelehnt, das FA zu verpflichten, die Vollziehung der Gewerbesteuermeßbescheide 1984 bis 1987 auszusetzen.

Bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Betrachtung bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der im Hauptsacheverfahren angefochtenen Verwaltungsakte. Insbesondere ist für dieses Verfahren davon auszugehen, daß der Kläger in den Streitjahren gewerbliche Einkünfte erzielte, weil er sich der Mithilfe fachlich vorgebildeter Arbeitskräfte bediente und nicht in ausreichendem Maße "eigenverantwortlich" (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes -- EStG --) tätig war.

1. Zutreffend hat das FG angenommen, daß auch bei der Beschäftigung von Mitarbeitern, die nicht die gleiche (ärztliche) Ausbildung haben wie der Praxisinhaber, das Kriterium der Eigenverantwortlichkeit (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG) geprüft werden muß. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung dieser Frage hatte der I. Senat die Revision in der Sache I B 119/91 zugelassen, was den erkennenden Senat veranlaßt hat, auch im Streitfall die Revision zuzulassen. Mittlerweile ist die Frage im eingangs wiedergegebenen Sinne durch das Urteil des (anstelle des I. Senats zuständig gewordenen) XI. Senats des Bundesfinanzhofs vom 21. März 1995 XI R 85/93 (BFHE 177, 377, BStBl II 1995, 732) geklärt. Der erkennende Senat nimmt auf die Gründe dieses Urteils, in dem seine im Urteil in BFHE 159, 535, BStBl II 1990, 507 geäußerte Auffassung bestätigt wird, Bezug.

2. Der Senat kann dem Kläger bei summarischer Betrachtung auch nicht in der Auffassung folgen, daß der Umfang seiner, des Klägers, Mitwirkung an der Erledigung der einzelnen Aufträge dem Erfordernis der eigenverantwortlichen Bearbeitung jedes eingehenden Falles entspreche. Es ist nicht möglich, eine allgemeingültige Grenze für die Freiberuflichkeit in Form eines bezifferten Verhältnisses der Mitarbeiterzahl einerseits und der Zahl der Aufträge oder Untersuchungen andererseits, festzulegen. Die Frage, ob der Praxisinhaber leitend und eigenverantwortlich tätig ist, ist vielmehr nach den jeweiligen Verhältnissen des Einzelfalls zu beurteilen. Die Zahl der fachlich vorgebildeten Angestellten und der bearbeiteten Aufträge oder Untersuchungen kann jedoch ein gewichtiges und leicht greifbares Indiz für die rechtliche Einordnung sein. Der Senat hat hierzu in seinem Urteil in BFHE 159, 535, BStBl II 1990, 507 ausgeführt, daß sich die Leistungen einer Praxis für Laboratoriumsmedizin zu einem wesentlichen Teil als die der Mitarbeiterinnen des Praxisinhabers darstellen, wenn 14,5 Medizinisch-technische Assistentinnen und 9,25 Arzthelferinnen 277 bis 345 Aufträge pro Tag bearbeiten. Der Streitfall ist diesem Fall vergleichbar. Dabei geht der Senat davon aus, daß die vom FG festgestellten Zahlen der Beschäftigten im Hinblick auf Teilzeitbeschäftigte bereinigt sind. So hat es das FA im finanzgerichtlichen Verfahren unwidersprochen vorgetragen.

Nicht folgen kann der Senat dem Argument des Klägers, daß alle Befunde schon deshalb seiner persönlichen Arbeit zuzurechnen seien, weil es andernfalls zu Qualitätsverlusten habe kommen müssen. Dieser Einwand verkennt, daß es für einen Teil der Befunde aus medizinischer Sicht einer eigenverantwortlichen Mitwirkung des Praxisinhabers nicht bedarf. Auch diesen Gesichtspunkt hat der Senat schon im Urteil in BFHE 159, 535, BStBl II 1990, 507 hervorgehoben, indem er darauf hingewiesen hat, daß auch chemische Institute, die ohne jede ärztliche Aufsicht arbeiten, mit der Erstellung derartiger Laboruntersuchungen beauftragt werden (vgl. den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Oktober 1976 1 BvR 191/74, BVerfGE 43, 58). Die Gewerblichkeit ergibt sich daraus, daß die überwiegende Zahl der in der jeweiligen Praxis erbrachten Leistungen von gut eingearbeiteten Mitarbeitern selbständig erbracht wird (insoweit zutreffend Korn, Deutsches Steuerrecht 1995, 1249, 1251, 1. Sp., letzter Abs. ).

Aus diesem Grund kann es auch -- jedenfalls bei summarischer Betrachtung -- zu keinem anderen Ergebnis führen, daß die Zahl der Untersuchungen pro Auftrag nach den Angaben des Klägers lediglich 1,2 bis 1,3 betragen hat, also nur etwa halb soviel wie in den Fällen, die den Urteilen in BFHE 159, 535, BStBl II 1990, 507 und in BFHE 177, 377, BStBl II 1995, 732 zugrunde lagen. Allerdings zeigte in jenen Fällen die Kürze der Zeit die dem Praxisinhaber (allenfalls) zur Begutachtung der einzelnen Untersuchungen zur Verfügung stand, besonders augenfällig, wie gering dessen Anteil an der Erledigung der einzelnen Aufträge war. Solange aber die Auftragszahlen und die Zahlen der Beschäftigten gleich sind, besteht im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes für eine differenzierende Betrachtung kein Anlaß. Denn in einem solchen Fall spricht jedenfalls der erste Anschein dafür, daß -- bei identischen Auftragszahlen -- Bedarf für dieselbe Menge fachlich vorgebildeter Mitarbeiter besteht. Dabei ist zu berücksichtigen, daß dem Inhaber einer Praxis für Laboratoriumsmedizin neben der Beschäftigung mit den einzelnen Aufträgen weitere Aufgaben, wie z. B. Sprechstunde, Verwaltung, eigene Fortbildung, Anschaffung neuer und Ausmusterung alter Geräte, Einweisung des Personals, Anordnung und Vorbereitung der Beteiligung an sog. Ringversuchen obliegen (Senatsurteil in BFHE 159, 535, BStBl II 1990, 507). Hinzu kommt die Beschäftigung mit problematischen Aufträgen. Es ist daher auch im Falle des Klägers widerleglich zu vermuten, daß die überwältigende Anzahl der Aufträge im wesentlichen von den Mitarbeiterinnen allein bearbeitet wird.

3. Aus dem Vorgesagten ergibt sich, daß entgegen der Auffassung des Klägers die vom FG getroffenen Feststellungen im summarischen Verfahren für die von ihm gezogenen Schlußfolgerungen ausreichen. Es ist insbesondere nicht zutreffend, daß sich die Feststellungen des FG lediglich auf den in der Anlage zur Revisionsbegründung wiedergegebenen, allgemein gehaltenen Abschnitt aus dem Betriebsprüfungsbericht stützen konnten. Die Prüferin hatte durchaus Detailfeststellungen getroffen, diese allerdings außerhalb des Betriebsprüfungsberichts festgehalten. Sie waren dem Kläger spätestens seit der Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion bekannt. Ferner hat der Kläger unter dem Datum vom 2. Juni 1990 eine Beschreibung seines Tagesablaufs zu den Akten gereicht, die ebenfalls berücksichtigt wurde. Die Einholung von Sachverständigengutachten und eine Augenscheinseinnahme durch das Gericht sind im summarischen Verfahren nicht erforderlich (vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, § 69 Rdnr. 105 m. w. N.). Auf die vom Kläger aufgeworfene Frage, wer die Feststellungslast trägt, kommt es demnach nicht mehr an.

 

Fundstellen

Haufe-Index 421034

BFH/NV 1996, 463

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