Entscheidungsstichwort (Thema)

Wohnwagen als Betriebstätte bzw. fester Mittelpunkt

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein fester Mittelpunkt i.S. des Art.7 Abs.1 Satz 2 DBA-Italien 1925 ist nur anzunehmen, wenn der Bezug der ausgeübten Tätigkeit zum Ort der Ausübung auf mindestens sechs Monate ausgelegt ist.

2. Begibt sich ein unbeschränkt Steuerpflichtiger mit einem Wohnwagen zweimal je sechs Wochen im Jahr nach Italien, um dort auf einem Campingplatz die Neuauflage seines Kommentars zu bearbeiten, so unterhält er in Italien keinen festen Mittelpunkt i.S. des Art.7 Abs.1 Satz 2 DBA-Italien 1925.

 

Normenkette

DBA ITA 1925 Art. 7 Abs. 1 S. 2; AO 1977 § 12; EStG § 18 Abs. 1 S. 1

 

Nachgehend

BVerfG (Nichtannahmebeschluss vom 08.02.1994; Aktenzeichen 2 BvR 1771/93)

 

Tatbestand

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist pensionierter Beamter und Verfasser eines juristischen Kommentars. Er begab sich vom 10.Mai bis zum 21.Juni 1989 sowie vom 20.August bis zum 24.September 1989 jeweils mit einem Wohnwagen nach Italien. Er stellte den Wohnwagen auf einem gemieteten Abstellplatz innerhalb eines Campingplatzes in Venetien ab. Nach seinen eigenen Angaben bearbeitete er während des Aufenthaltes auf dem Campingplatz eine Neuauflage seines Kommentars, indem er umfangreiche Rechtsprechung und Literatur handschriftlich unmittelbar in den Text einarbeitete und im übrigen neu zu formulierende Teile handschriftlich entwarf. Zu diesem Zweck habe er umfangreiches Material mit nach Italien genommen. In Italien habe er täglich vier bis sechs Stunden hart an der Neuauflage gearbeitet. Er habe mindestens 3/4 der für die Neuauflage erforderlichen Tätigkeit in Italien ausgeübt.

Der Kläger begehrte mit seiner Einkommensteuererklärung 1989, von seinen Einnahmen aus selbständiger Arbeit als Autor der o.g. Neuauflage seines Kommentars 3/4 als im Inland steuerfrei anzusetzen. Er ist der Auffassung, daß der Wohnwagen für ihn in Italien ein sog. fester Mittelpunkt i.S. des Art.7 Abs.1 Satz 2 des Abkommens zwischen dem Deutschen Reiche und Italien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Regelung anderer Fragen auf dem Gebiete der direkten Steuern vom 31.Oktober 1925 --DBA-Italien 1925-- (RGBl II 1925, 1146) gewesen sei.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) teilte diese Auffassung nicht. Er nahm Einkünfte aus selbständiger Arbeit an, für die das Besteuerungsrecht ausschließlich der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) zusteht. Er erließ am 3.Dezember 1990 einen entsprechenden Einkommensteuerbescheid 1989 gegenüber dem Kläger.

Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.

Mit seiner vom Bundesfinanzhof (BFH) zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung von Art.7 Abs.1 Satz 2 DBA-Italien 1925. Hilfsweise macht er einen Verfahrensfehler geltend.

Er beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 1989 vom 3.Dezember 1990 dahin abzuändern, daß seine Einnahmen aus der Tätigkeit als Autor eines Kommentars zu 3/4 als steuerfrei behandelt werden, hilfsweise den Einkommensteuerbescheid dahin zu ändern, daß die Aufenthaltskosten in Italien als Betriebsausgaben angesetzt werden.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Die vom Kläger nur hilfsweise erhobene Verfahrensrüge greift nicht durch. Dies bedarf keiner Begründung (Art.1 Nr.8 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs --BFHEntlG--).

2. a) Der Kläger unterliegt gemäß §§ 1 Abs.1, 2 Abs.1 Nr.3, 18 des Einkommensteuergesetzes (EStG) mit seinen Einkünften aus der Neuauflage seines Kommentars der inländischen Einkommensteuer. Er hatte im Streitjahr 1989 seinen einzigen Wohnsitz (§ 8 der Abgabenordnung --AO 1977) in der Bundesrepublik. Deshalb war er hier unbeschränkt steuerpflichtig. In sachlicher Hinsicht unterliegen der unbeschränkten Steuerpflicht alle in § 2 Abs.1 EStG genannten Einkünfte. Dazu gehören auch die Einkünfte aus selbständiger Arbeit (§§ 2 Abs.1 Nr.3, 18 EStG). Zu den Einkünften aus selbständiger Arbeit gehören gemäß § 18 Abs.1 Satz 1 EStG die aus schriftstellerischer Tätigkeit. Die Einkünfte aus dem Verfassen eines Kommentars sind solche aus schriftstellerischer Tätigkeit i.S. des § 18 Abs.1 Satz 1 EStG.

b) Das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik ist durch Art.7 Abs.1 DBA-Italien 1925 nicht eingeschränkt. Nach Satz 1 der Vorschrift dürfen Einkünfte aus selbständiger Arbeit nur von dem Vertragsstaat besteuert werden, in dessen Gebiet die persönliche Tätigkeit ausgeübt wird. Nach Art.7 Abs.1 Satz 2 DBA-Italien 1925 wird jedoch die persönliche Tätigkeit nur dann in Italien ausgeübt, wenn die Berufstätigkeit des Klägers in Italien einen festen Mittelpunkt gehabt hätte. Dies war nicht der Fall.

aa) Dazu läßt der Senat dahinstehen, ob einem Wohnwagen die Eignung zukommt, ein fester Mittelpunkt i.S. des Art.7 Abs.1 Satz 2 DBA-Italien 1925 sein zu können. Der Streitfall macht auch keine Entscheidung über die Rechtsfrage erforderlich, ob jede feste Einrichtung i.S. des § 12 Satz 1 AO 1977 zugleich ein fester Mittelpunkt i.S. des Art.7 Abs.1 Satz 2 DBA- Italien 1925 ist. Schließlich kann unentschieden bleiben, ob eine feste Einrichtung i.S. des § 12 Satz 1 AO 1977, die überwiegend privaten Wohnzwecken dient, zugleich fester Mittelpunkt einer selbständigen Arbeit i.S. des Art.7 Abs.1 Satz 2 DBA- Italien 1925 sein kann. Selbst wenn man alle aufgeworfenen Rechtsfragen im Sinne des klägerischen Begehrens entscheidet, so hat das FG zutreffend darauf abgestellt, daß sowohl der Betriebsstättenbegriff i.S. des § 12 AO 1977 als auch der Begriff des festen Mittelpunktes i.S. des Art.7 Abs.1 Satz 2 DBA-Italien 1925 eine besonders intensive Verwurzelung der (selbständigen) Arbeit mit dem Ort ihrer Ausübung ausdrückt. Eine entsprechende Verwurzelung kann nur dann angenommen werden, wenn der Bezug der Tätigkeit zum Ort ihrer Ausübung auf eine gewisse Dauer angelegt ist. Zwar hat die Rechtsprechung es bisher vermieden, über die insoweit maßgebliche Zeitspanne abschließend zu entscheiden. Auch der Streitfall macht eine solche Entscheidung nicht erforderlich. Jedenfalls ist die maßgebliche Zeitspanne mit mindestens sechs Monaten anzusetzen. Dies ergibt sich aus dem insoweit analog anzuwendenden Rechtsgedanken der §§ 9 und 12 Satz 2 Nr.8 AO 1977 (vgl. BFH-Urteil vom 30.August 1989 I R 215/85, BFHE 158, 118, BStBl II 1989, 956). Danach ist auf einen Zeitraum von sechs Monaten abzustellen. Der Zeitraum gilt im Sinne einer Mindestfrist auch für die Anwendung des DBA-Italien 1925, weil die DBA für den Betriebsstättenbegriff eher längere Fristen verwenden, wie dies auch in den später abgeschlossenen OECD-Musterabkommen aus 1977 --OECD-MustAbk-- (vgl. Art.5 Abs.3 OECD-MustAbk 1977) zum Ausdruck kommt.

Im Streitfall begab sich der Kläger im Jahre 1989 mit seinem Wohnwagen nur zweimal für die Dauer von längstens sechs Wochen nach Italien. Anschließend kehrte er jeweils mit dem Wohnwagen in die Bundesrepublik zurück. Damit war die in Italien ausgeübte Tätigkeit längstens auf die Dauer von sechs Wochen angelegt. Ein solcher Aufenthalt begründet allenfalls einen kurzfristigen, aber keinen festen Mittelpunkt der selbständigen Arbeit in Italien i.S. des Art.7 Abs.1 Satz 2 DBA-Italien 1925.

bb) Mit seiner Entscheidung weicht der erkennende Senat nicht von seinem Urteil vom 28.Februar 1973 I R 145/70 (BFHE 109, 224, BStBl II 1973, 660) ab. Dem Urteil liegt eine völlig anders gelagerte Problematik zugrunde. Damals war streitig, ob bei dem Ausüben einer Tätigkeit auf die während einer unbeschränkten Steuerpflicht in Italien erbrachte schöpferische Leistung (sog. Stufe 2) oder aber auf die während einer unbeschränkten Steuerpflicht in der Bundesrepublik vorgenommene Verwertung des geschaffenen Werks (sog. Stufe 3) abzustellen ist. Der Kläger war jedoch auch für die Zeit des Erbringens der schöpferischen Leistung in Italien in der Bundesrepublik unbeschränkt steuerpflichtig. Er hatte die Geschäftsleitung seiner selbständigen Arbeit i.S. des § 12 Satz 2 Nr.1 AO 1977 in der Bundesrepublik. Damit hatte er hier einen festen Mittelpunkt i.S. des Art.7 Abs.1 Satz 2 DBA-Italien 1925. Deshalb können die Einkünfte in der Bundesrepublik besteuert werden.

c) Die in Art.7 Abs.1 DBA-Italien 1925 getroffene Regelung verstößt nicht gegen Art.3 Abs.1 des Grundgesetzes (GG). Dazu ist von §§ 1 Abs.1 und 2 Abs.1 EStG auszugehen. Danach unterliegen unbeschränkt Steuerpflichtige mit sämtlichen Einkünften der inländischen Besteuerung unabhängig davon, wo die Einkünfte erzielt wurden. Nur ausnahmsweise sieht das EStG die Steuerfreiheit von Einkünften vor (vgl. § 3 EStG). Soweit deshalb unbeschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer gemäß Art.11 Nr.1 Buchst.d DBA-Italien 1925 im Inland steuerfreie Einkünfte erzielen, handelt es sich um eine Ausnahme von einem allgemeinen Grundsatz. Sollte hierin eine Ungleichbehandlung liegen, so wäre die Steuerbefreiung verfassungswidrig. Daraus würden sich jedoch vorrangig Konsequenzen für die Arbeitnehmerbesteuerung ergeben.

Im übrigen sind Sinn und Zweck der DBA zu beachten. Diese sehen Steuerbefreiungen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung vor, d.h. die Steuerbefreiung im Inland korrespondiert mit einer Steuerpflicht im Ausland und umgekehrt. Entsprechend steht der sachlichen Steuerpflicht im Inland der vom Kläger erzielten Einkünfte eine Steuerbefreiung in Italien gegenüber, während die unbeschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmer, die im Inland steuerfreie Einkünfte erzielen, dieselben in Italien versteuern müssen. In diesem Prinzip, das allen DBA zugrunde liegt, die die Bundesrepublik abgeschlossen hat, ist keine Ungleichbehandlung zu sehen.

3. Die Revision ist auch insoweit unbegründet, als sie den Hilfsantrag des Klägers betrifft. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, an die der erkennende Senat gemäß § 118 Abs.2 FGO gebunden ist, sind dem Kläger durch den Italienaufenthalt keine Mehraufwendungen entstanden, die durch die selbständige Arbeit veranlaßt sind und nicht unter das Abzugsverbot des § 12 Nr.1 Satz 2 EStG fallen.

4. Damit entspricht die Vorentscheidung dem Bundesrecht. Sie ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Entsprechend ist die Revision unbegründet.

 

Fundstellen

Haufe-Index 64919

BFH/NV 1993, 61

BStBl II 1993, 655

BFHE 171, 297

BFHE 1994, 297

BB 1993, 1580 (L)

DB 1993, 2063 (L)

DStR 1993, 1248 (K)

DStZ 1993, 605 (KT)

HFR 1993, 630 (KT)

StE 1993, 440 (K)

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