Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Eine tarifbegünstigte Betriebsaufgabe liegt nicht vor, wenn ein Handelsvertreter seine bisherigen Vertretungen beendet, um anschließend eine andere Vertretung zu übernehmen. Dies gilt auch für den Fall der erstmaligen übernahme einer Generalvertretung.

 

Normenkette

EStG § 16 Abs. 3, § 34/1, § 34/2

 

Tatbestand

Streitig ist die einkommensteuerliche Behandlung einer empfangenen Abfindung bei der Berichtigungsveranlagung 1953. Der Revisionsbeklagte (Steuerpflichtige - Stpfl. -) übernahm im Jahr 1953 eine Generalvertretung in Fußbodenbelägen. Seine bisherigen Vertretungsverträge - teilweise ebenfalls in Fußbodenbelägen - beendete er auf Wunsch des neuen Unternehmers. Hierfür zahlte ihm dieser eine Abfindung in Höhe von rund 25.000 DM.

Der Revisionskläger (Finanzamt - FA -) versagte die beantragte Tarifbegünstigung dieser Abfindung.

Die hiergegen gerichtete Berufung hatte Erfolg; zur Begründung hat das Finanzgericht (FG) ausgeführt:

Die Rechtsprechung des BFH zur steuerlichen Behandlung von Ausgleichszahlungen gemäß § 89 b HGB stehe einer Tarifbegünstigung nicht entgegen, weil Vereinbarung und Leistung der streitigen Abfindung zeitlich vor der gesetzlichen Normierung dieses Ausgleichsanspruchs (1. Dezember 1953) gelegen hätten; überdies unterscheide sich der Streitfall von den § 89b-Fällen darin, daß dort der bisherige Unternehmer dem Handelsvertreter etwas zuwende. Zwar komme die beantragte Vergünstigung nicht aus dem Gesichtspunkt der Betriebsveräußerung in Betracht, da die Agenturverträge nicht auf einen Dritten übertragen worden seien. Auch liege mangels Schadens keine begünstigte Entschädigung vor, da der Stpfl. aus freien Stücken die bisherige Vertretertätigkeit gegen eine einträglichere bzw. genehmere Arbeit vertauscht habe. Jedoch sei der ermäßigte Steuersatz zu gewähren wegen Betriebsaufgabe, die bei wirtschaftlicher Betrachtung vorliegend in der restlosen Aufgabe der bisherigen Vertretungen zu erblicken sei. Die Beendigung sämtlicher Agenturverträge, welche die wesentliche Grundlage des Handelsvertreter-Betriebes bildeten, bedeute nicht nur dann eine Betriebsaufgabe im Sinne des Gesetzes, wenn der Handelsvertreter sich aus Alters- oder Krankheitsgründen ganz aus der gewerblichen Tätigkeit zurückziehe, sondern auch in Fällen der vorliegenden Art, wo der Handelsvertreter nach Lösung der alten Vertretungsverhältnisse mit einem anderen Unternehmer derselben Branche einen neuen Agenturvertrag abschließe. Die gesamten stillen Reserven des bisherigen Betriebs würden hierbei aufgelöst, so daß der Sinn des § 16 EStG erfüllt sei. Der Annahme eines laufenden Geschäftsvorfalls stehe im Streitfall auch entgegen, daß der Stpfl. neben dem neuen Wirkungsbereich durch erstmalige Ausübung der Generalvertretung eine andersartige Tätigkeit übernommen habe.

Hiergegen wendet sich die Rb. (Revision) des FA mit folgender Begründung:

Grundsätzlich sei es zwar angängig, die vom Reichsfinanzhof (RFH) entwickelten Kriterien zum Tatbestand der Betriebsaufgabe ohne gleichzeitige Einstellung der gewerblichen Tätigkeit auch zum Maßstab für die Beurteilung von Handelsvertreter-Fällen zu nehmen. Die hiernach erforderlichen Voraussetzungen, nämlich die Nichtübereinstimmung der Betriebsmittel, des Kundenkreises, des örtlichen und sachlichen Wirkungsbereichs bei neuem und altem Betrieb, seien jedoch im Streitfall nicht restlos erfüllt, mindestens jedoch vom FG nicht hinreichend festgestellt, so daß hilfsweise Zurückweisung zur Sachaufklärung beantragt werde. Im übrigen könne ein begünstigter Aufgabegewinn vorliegend auch deshalb nicht angenommen werden, weil ausweislich der Steuerakten in 1953 keine stillen Reserven im Betrieb des Stpfl. gelegen hätten. Dagegen spräche nicht die Zahlung der streitigen Abfindung, die bei wirtschaftlicher Betrachtung den Charakter eines Hand- oder überbrückungsgeldes gehabt habe.

Die Revisionserwiderung des Stpfl. enthält im wesentlichen Darlegungen zur Identität der Betriebsmittel, des Kundenkreises, des örtlichen und sachlichen Wirkungsbereichs vor und nach der übernahme der Generalvertretung.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. (Revision) des FA ist begründet: Der erkennende Senat tritt den Erwägungen der Vorinstanz im Ergebnis bei, soweit sie die Nichteinschlägigkeit der BFH- Rechtsprechung zum Ausgleichsanspruch gemäß § 89 b HGB sowie die Nichtanwendbarkeit des § 34 Abs. 1 und 2 EStG 1953 aus dem Gesichtspunkt der Betriebsveräußerung (§ 16 Abs. 1 EStG) und unter dem Blickwinkel der Entschädigung (§ 24 Ziff. 1 EStG) betreffen. Eine tarifbegünstigte Entschädigung in Sonderheit liegt nach der Rechtsprechung des BFH im Streitfall deshalb nicht vor, weil der Stpfl. "aus freien Stücken" die alten Agenturen aufgegeben hat, um sich durch übernahme der neuen Vertretung eine bessere Einnahmequelle zu erschließen, was er ausweislich der Steuerakten auch erreichte (BFH-Urteile VI 255/59 U vom 13. April 1962, BStBl 1962 III S. 306, Slg. Bd. 75 S. 100; I 84/63 U vom 26. Mai 1965, BStBl 1965 III S. 480, Slg. Bd. 82 S. 645; IV 55/64 S vom 2. Dezember 1965, BStBl 1966 III S. 91).

Unzutreffend ist jedoch die Annahme der Vorinstanz, in der restlosen Beendigung der bisherigen Vertretungen liege eine begünstigte Betriebsaufgabe, obgleich der Stpfl. sich nicht aus der gewerblichen Tätigkeit zurückgezogen habe, vielmehr sofort für einen anderen Unternehmer tätig geworden sei. Die von den Beteiligten angeführte RFH-Rechtsprechung behandelt Fälle, die sich vom Streitfall wesentlich unterscheiden. So betraf insbesondere das Urteil des RFH VI A 452/36 vom 24. Juni 1936 (RStBl 1936 S. 966) einen Handelsvertreter, der aus Gesundheitsrücksichten seine Vertretungen entgeltlich auf einen Dritten übertrug. Die zu Sachverhalten aus anderen Branchen ergangenen Erkenntnisse (RFH-Urteile VI A 69/30 vom 20. März 1930, Steuer und Wirtschaft - StuW - 1930 Nr. 496, betreffend Hotelgewerbe; VI 217/39 vom 19. April 1939, RStBl 1939 S. 852, betreffend Schiffahrtsunternehmen; VI 123/42 vom 22. Juli 1942, RStBl 1942 S. 915, betreffend Großhandel) sind schon deshalb für den Streitfall nur bedingt von Interesse, weil der Betrieb eines Handelsvertreters sich wesensmäßig von den Unternehmen anderer Dienstleistungs- oder Warenhandelskaufleute unterscheidet. Es mag daher auch dahinstehen, ob die vom FA erhobene Rüge mangelnder Sachaufklärung begründet ist. Denn die insoweit geltend gemachten, allenfalls für andere Unternehmen brauchbaren rechtlichen Kriterien (Identität der Betriebsmittel, des Kundenkreises, des örtlichen und sachlichen Wirkungsbereichs, vgl. BFH-Urteil IV 76/63 vom 13. Januar 1966, BStBl 1966 III S. 168) eignen sich grundsätzlich nicht zur Lösung der bisher höchstrichterlich nicht entschiedenen Frage, ob in Fällen der vorliegenden Art eine Betriebsaufgabe im Rechtssinne vorliegt.

Geht man davon aus, daß eine tarifbegünstigte Betriebsaufgabe gegeben ist, wenn der Betrieb als selbständiger geschäftlicher Organismus zu bestehen aufgehört hat, so kann von einem derartigen Erlöschen des Geschäfts mindestens dann keine Rede sein, wenn ein Handelsvertreter seine bisherigen Vertretungen aufgibt, um im Anschluß daran - namentlich in einer für ihn nicht neuen Branche - eine ihm einträglicher erscheinende Vertretung zu übernehmen. Es findet vielmehr in diesen Fällen lediglich ein innerbetrieblicher Austausch der Betätigungsgrundlagen bei ununterbrochener betrieblicher Kontinuität statt. Daran ändert auch nichts die etwaige Notwendigkeit der Einarbeitung in das neue Betätigungsfeld, soweit es räumlich, sachlich und kundenmäßig mit dem alten Aufgabenbereich ganz oder teilweise nicht übereinstimmt. Nur eine vollkommene änderung des bisherigen Charakters der unternehmerischen Tätigkeit könnte zu einer anderen Beurteilung führen. Eine solche änderung liegt indessen nicht schon dann vor, wenn - wie im Streitfall - ein Handelsvertreter erstmalig eine Generalvertretung übernimmt. Denn auch eine Generalvertretung liegt im Rahmen des Berufsbilds eines Handelsvertreters, dessen geschäftliches Wirken im übrigen ungleich stärker von spezifisch persönlichen Fähigkeiten als von materiellen Betriebsmitteln abhängt. Der Senat ist nach allem der überzeugung, daß im Streitfall keine Betriebsaufgabe mit anschließender Neueröffnung eines Betriebs, sondern nur eine Neuorientierung der unternehmerischen Tätigkeit im Rahmen des alten Unternehmens vorlag.

Die Frage, ob im Zeitpunkt der übernahme der neuen Vertretung in den alten Vertretungen stille Reserven steckten und ob die empfangene Abfindung ihrem Zweck nach diese Reserven abgelten sollte, braucht nicht entschieden zu werden. Denn eine Tarifbegünstigung realisierter stiller Reserven käme nur für den - hier nicht gegebenen Fall - der Betriebsaufgabe in Betracht. Kein Aufgabegewinn, sondern laufender Gewinn wäre im übrigen auch dann gegeben, wenn man den Sachverhalt dahin würdigte, daß die Abfindung nicht die Abgeltung des Gegenwerts der alten Vertretungen, sondern eine Vorleistung des neuen Unternehmers auf die erwartete Gegenleistung des Stpfl. bezweckte.

Schließlich geht es auch nicht an, für die empfangene Abfindung einen berichtigenden Gegenposten in die Bilanz zum 31. Dezember 1953 im Interesse der Verteilung auf mehrere Jahre einzusetzen. Ein derartiges rechnungsabgrenzendes Passivum hätte zur Voraussetzung, daß es sich bei dem Abfindungsbetrag teilweise um Einnahmen handelte, die zum Ertrag bestimmter späterer Wirtschaftsjahre gehörten. Die erforderliche Bestimmtheit in der Periodenbezogenheit ist indessen im Streitfall nicht festgestellt und nach dem Gesamtbild der Umstände auch nicht feststellbar.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412078

BStBl III 1966, 459

BFHE 1966, 445

BFHE 85, 455

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