Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuerpflicht von Wertzuwächsen wesentlicher Beteiligungen vor Eintritt in die unbeschränkte Steuerpflicht; Vergleichbarkeit ausländischer rechtsfähiger Gesellschaften mit inländischen Kapitalgesellschaften; mittelbare Beteiligung

 

Leitsatz (NV)

1. Tritt ein Steuerpflichtiger in die unbeschränkte Steuerpflicht ein, sind zuvor entstandene Wertzuwächse einer wesentlichen Beteiligung in gleicher Weise steuerlich zu erfassen wie Wertzuwächse während eines Zeitraums, in welchem der Steuerpflichtige eine noch nicht wesentliche Beteiligung im Privatvermögen gehalten hat.

2. Die Anrechnung ausländischer Steuern ist von Amts wegen bei der Festsetzung der Einkommensteuer vorzunehmen. Anzurechnen sind nur die festgesetzten und gezahlten ausländischen Steuern vom Einkommen, auf die sich ein Doppelbesteuerungsabkommen bezieht.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 8, 39 Abs. 2 Nr. 2, § 90 Abs. 2 S. 1, § 176 Abs. 1 Nr. 3; EStG § 1 Abs. 1 S. 1, § 17 Abs. 1-2, § 34 Abs. 2, § 34c Abs. 1-2, 6 Nr. 5; EStDV 1977 § 68g Abs. 2; FGO § 76 Abs. 1 S. 4; KStG § 1 Abs. 1 Nrn. 1-4; ZPO § 293; DBA NLD Art. 8 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1, Art. 22 Abs. 1; EWGV Art. 177; EWGV Art. 220 Abs. 2; DBA NLD Art. 20 Abs. 2 S. 3, Art. 22 Abs. 2

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) besitzt die niederländische Staatsangehörigkeit. Er zog im Dezember 1978 in die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik). Im Zeitpunkt des Wohnsitzwechsels hielt er 75 von 250 Geschäftsanteilen an der X-Gesellschaft niederländischen Rechts in seinem Privatvermögen.

Mit notariellem Vertrag vom 30. Juni 1979 veräußerte er sämtliche Anteile zum Preis von 1 375 000 hfl. Der Erwerber behielt u.a. vom Kaufpreis einen Steuerabzugsbetrag von 195 000 hfl (15 % aus 1 300 000 hfl) ein.

Der Kläger machte mit seiner Einkommensteuererklärung für 1979 (neben Zinseinnahmen aus den Niederlanden und dem Inland) nur Veräußerungskosten von 37 732 hfl geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ‐ FA -) setzte einen Veräußerungsgewinn nach § 17 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 1 223 770 DM an. Hierbei ermittelte er die ursprünglichen Anschaffungskosten im Schätzungswege mit 5 000 DM.

Das FA setzte die Einkommensteuer für 1979 ohne Anrechnung der niederländischen Steuerabzugsbeträge, aber unter Gewährung des ermäßigten Steuersatzes nach § 34 Abs. 2 EStG auf die Einkünfte aus der Veräußerung der wesentlichen Beteiligung auf 360 269 DM fest.

Der Einspruch führte zur Herabsetzung der Einkommensteuer 1979 auf 325 681 DM. Das FA legte bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns von 1 117 059 DM Anschaffungskosten von 110 000 hfl sowie weitere nachgereichte Veräußerungskosten zugrunde. Das FA rechnete lediglich die auf in den Niederlanden bezogene Zinsen einbehaltene Abzugsteuer an.

Mit der Klage machte der Kläger unverändert geltend, bei der Bemessung der Anschaffungskosten sei der Wert der Kapitalanteile im Zeitpunkt des Zuzugs in die Bundesrepublik maßgebend, mithin seien nur die Veräußerungskosten anzusetzen.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage insoweit statt. Die Begründung stimmt inhaltlich mit dem vorangegangenen, im Verfahren zur Aussetzung der Vollziehung ergangenen Urteil des FG Düsseldorf vom 30. Januar 1986 X V 275/84 KA (E) ‐ Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1986, 446 ‐ überein.

Mit der ‐ vom erkennenden Senat mit Beschluß vom 22. Dezember 1993 VIII B 86/93 wegen Divergenz zum Urteil des erkennenden Senats vom 30. März 1993 VIII R 44/90 (BFH/NV 1993, 597) zugelassenen ‐ Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts (§ 17 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 EStG).

Die Begründung folgt im wesentlichen der Divergenzentscheidung des erkennenden Senats.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil des FG aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Die Besteuerung der stillen Reserven stehe dem Königreich der Niederlande zu. Sie hätten sich dort, vor allem beim Grundbesitz, gebildet. Die stillen Reserven seien zudem dort steuerlich erfaßt worden. Ein Veräußerungsgewinn sei nicht entstanden, weil der Wert der Beteiligung im Zeitpunkt des Eintritts der unbeschränkten Steuerpflicht des Klägers maßgebend sei. Die Anschaffungskosten seien somit den Veräußerungserlösen gleichzusetzen. Das Divergenzurteil des erkennenden Senats sei nach § 176 der Abgabenordnung (AO 1977) auf den Streitfall nicht anwendbar. Im übrigen sei der Sachverhalt auch nicht vergleichbar. Zum einen liege ein anderes Doppelbesteuerungsabkommen (DBA), zum anderen lägen abweichende Beteiligungsverhältnisse zugrunde.

Überdies verstoße eine Besteuerung in der Bundesrepublik gegen Kohärenzprinzipien und EU-Gemeinschaftsrecht.

Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) habe mehrfach erkannt, eine fehlende Harmonisierung des Steuerrechts der Mitgliedstaaten dürfe sich nicht zu Lasten der Steuerpflichtigen auswirken. § 17 Abs. 2 EStG verstoße im Verhältnis zu § 6 des Außensteuergesetzes (AStG) gegen das Kohärenzprinzip, welches auch nach Auffassung des EuGH eine diskriminierende Wirkung rechtfertigen könne. Der Kläger regt die Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH nach Art. 177 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) an.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ‐ FGO -).

4.

Nach § 34c Abs. 2 EStG in der für den Veranlagungszeitraum 1979 noch geltenden Fassung des Einkommensteuerrefomgesetzes (EStRG) vom 5. August 1974 (BGBl I 1974, 1769) war eine Anrechnung nach Abs. 1 dieser Vorschrift nicht vorzunehmen, wenn ‐ wie im Streitfall ‐ mit dem ausländischen Staat, aus dem die Einkünfte stammen, ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung besteht. Nach § 34c Abs. 6 Nr. 5 EStG i.V.m. § 68g Abs. 2 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) i.d.F. vom 5. Dezember 1977 (BStBl I, 700), sind, wenn die Doppelbesteuerung nach dem DBA nicht beseitigt wird, die auf diese Einkünfte entfallenden ausländischen Steuern vom Einkommen nach den Vorschriften des § 34c Abs. 1 Satz 2 und 3 des Gesetzes und den §§ 68b bis 68e EStDV anzurechnen. Anzurechnen sind nur die festgesetzten und gezahlten ausländischen Steuern vom Einkommen, auf die sich das DBA mit dem Staat bezieht.

Voraussetzung ist in beiden Fällen u.a., daß die Steuer tatsächlich gezahlt worden ist. Meldet ein privates Unternehmen ‐ wie im Streitfall ‐ Steuern an und ergeht kein Steuerbescheid, kann ein ausreichender Nachweis durch eine hinreichend klare Bescheinigung des Anmeldenden über die Höhe der für Rechnung des Steuerpflichtigen abgeführten Steuer erbracht werden (vgl. BFH-Urteil vom 5. Februar 1992 I R 9/90, BFHE 167, 109, BStBl II 1992, 607, 609 betreffend § 68b EStDV 1980, der inhaltlich der im Streitjahr geltenden Vorschrift in § 68g EStDV 1977 entspricht; ferner Beschluß vom 26. August 1993 I B 87/93, BFH/NV 1994, 175, 176).

Das FG hat insoweit lediglich festgestellt, das FA habe in der Einspruchsentscheidung einbehaltene ausländische Steuern mit 15 % angerechnet. Aus der in der Anlage zur Einspruchsentscheidung vom 27. Juli 1988 dargestellten Berechnung der Einkommensteuer für 1979 ergibt sich, daß die von dem niederländischen Erwerber einbehaltene Abzugssteuer in Höhe von 195 000 hfl nicht angerechnet worden ist. Das FA führt zwar in der Einspruchsentscheidung aus, die Steuer sei an die niederländischen Finanzbehörden abgeführt worden. Indessen fehlt insoweit eine eigene nachvollziehbare Feststellung des FG selbst, die im Streitfall auch nicht durch die bloße Bezugnahme auf die Einspruchsentscheidung ersetzt werden kann. Das FG seinerseits hat lediglich den Einbehalt niederländischer Steuern festgestellt.

Des weiteren fehlen ‐ vom Rechtsstandpunkt des FG aus zu Recht ‐ Feststellungen zur Anwendung des niederländischen Rechts.

Das FA ist der Auffassung, nach Art. 20 Abs. 2 Satz 3 DBA-Niederlande sei die in den Niederlanden im Zusammenhang mit der Veräußerung der wesentlichen Beteiligung angefallene Abzugssteuer deshalb nicht anzurechnen, weil diese Steuer zu Unrecht und im Widerspruch zum DBA-Niederlande erhoben worden sei. Ob eine abkommenswidrige Besteuerung erfolgt ist, läßt sich indessen nicht ohne die grundsätzlich dem FG als Tatsacheninstanz obliegende Feststellung des insoweit maßgebenden grundsätzlich irrevisiblen niederländischen Rechts prüfen (vgl. § 293 der Zivilprozeßordnung ‐ ZPO ‐ i.V.m. § 155 FGO; BFH-Urteile vom 31. Juli 1991 I R 60/90; BFHE 165, 507, 511; vom 30. Mai 1990 I R 97/88, BFHE 160, 567, BStBl II 1990, 875, 876; vom 12. November 1986 I R 38/83, BFHE 148, 289, BStBl II 1987, 377, 379; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 118 Rz. 45). Die Voraussetzungen, unter denen der BFH als Revisionsinstanz ausnahmsweise von sich aus niederländisches Recht anwenden kann, liegen im Streitfall ersichtlich nicht vor; denn für die Entscheidung des FG kam es auf die Auslegung und Anwendung niederländischen Rechts nicht an (vgl. BFH-Urteil in BFHE 170, 354, BStBl II 1993, 399, 401, m.w.N.). Art. 3 Abs. 2 DBA-Niederlande verweist hinsichtlich der im Abkommen nicht bestimmten Begriffe auf das jeweilige nationale Steuerrecht (vgl. dazu BFH-Urteile vom 2. Februar 1994 I R 66/92, BFHE 173, 404, BStBl II 1994, 727, 729; vom 13. Dezember 1989 I R 39/87, BFHE 159, 182, BStBl II 1990, 379, 381).

Eine Besteuerung im Quellenstaat, die der Regelung des DBA widerspräche, könnte auch nicht gemäß § 68g Abs. 2 EStDV 1977 berücksichtigt werden (vgl. BFH-Urteile vom 15. März 1995 I R 98/94, BFHE 177, 269, BStBl II 1995, 580; in BFHE 164, 435, BStBl II 1992, 187, 189). Vielmehr obliegt es dem Steuerpflichtigen, Erstattungsansprüche gegenüber der ausländischen Steuerbehörde geltend zu machen oder einen entsprechenden Rechtsbehelf im Ausland einzulegen. Liegt eine abkommenswidrige Besteuerung vor, so kann er zudem die Einleitung eines Verständigungsverfahrens beantragen (vgl. Art. 22 Abs. 1 und 2 DBA-Niederlande).

Danach war die Rechtssache zurückzuverweisen, damit das FG die erforderlichen Feststellungen nachholen und abschließend über die Höhe der Steuerfestsetzung entscheiden kann.

5. Der erkennende Senat sieht die Voraussetzungen für die Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 177 EWGV nicht als gegeben an.

Der Kläger behauptet eine diskriminierende Wirkung der Besteuerung seines Veräußerungsgewinnes, weil das Königreich der Niederlande diesen Vorgang bereits abschließend besteuert habe, er mithin nicht erneut in der Bundesrepublik steuerlich erfaßt werden dürfe.

Eine Diskriminierung leitet sich danach nicht aus einer unterschiedlichen steuerlichen Belastung einerseits beschränkt und andererseits unbeschränkt Steuerpflichtiger in der Bundesrepublik ab (vgl. EuGH-Urteil vom 14. Februar 1995 Rs. C-279/93, Finanz-Rundschau 1995, 224 ‐ Schumwecker -). Veräußerungsgewinne werden in der Bundesrepublik für unbeschränkt Steuerpflichtige ‐ wie dem Kläger im Streitjahr ‐ gleich belastet.

Ein unmittelbarer Verstoß gegen EG-Recht scheidet auch insoweit aus, als der EWGV keine Kompetenzzuweisung an die europäischen Organe für die Regelung und Harmonisierung der direkten Steuern enthält. Art. 220 (2) EWGV verpflichtet die Mitgliedstaaten, über die Beseitigung der DBA zu verhandeln, soweit dies erforderlich ist (vgl. Schön, Internationales Steuerrecht 1995, 119; De Weerth, Recht der Internationalen Wirtschaft 1995, 395, 396).

Sind im Streitfall nach dem DBA-Niederlande die Voraussetzungen für eine Anrechnung der zu Lasten des Klägers in den Niederlanden für den Veräußerungsvorgang einbehaltenen Steuern in der Bundesrepublik erfüllt, scheidet auch eine Diskriminierung des Klägers durch einen Verstoß der durch den EWGV gewährleisteten Grundfreiheiten aus (vgl. dazu Schön, a.a.O., 1995, 119, 129; Bautzenberg, Der Betrieb 1994, 1542, 1543). Indessen war ‐ wie ausgeführt ‐ der Rechtsstreit zurückzuverweisen, weil das FG ‐ von seinem Rechtsstandpunkt zu Recht ‐ keine Feststellungen zu den Voraussetzungen einer Anrechnung getroffen hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 614014

BFH/NV 1996, 672

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