Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenkassenbeiträge von Grenzgängern zur Schweiz

 

Leitsatz (NV)

1. Krankenkassenbeiträge von Grenzgängern zur Schweiz sind nicht zur Hälfte einkommensteuerfrei.

2. Ausgaben des Arbeitgebers für die Zukunftssicherung des Arbeitnehmers sind nach § 3 Nr. 62 EStG steuerfrei, wenn der Arbeitgeber dazu nach sozialversicherungsrechtlichen oder anderen gesetzlichen Vorschriften oder nach einer auf gesetzlicher Ermächtigung beruhenden Bestimmung verpflichtet ist.

3. Ohne eine solche Verpflichtung ist es auch nicht von Verfassungs wegen geboten, diese vorgefundene sozial- und arbeitsrechtliche Grundlage im Rahmen einer die Einkommensteuerfestsetzung betreffenden Billigkeitsentscheidung auszugleichen.

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1; EStG § 3 Nr. 62; FGO § 102; AO §§ 5, 163 S. 1

 

Verfahrensgang

FG Baden-Württemberg (Urteil vom 21.09.2004; Aktenzeichen 11 K 258/02)

 

Tatbestand

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) und seine Ehefrau, die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), beide in Deutschland ansässig, wurden für die Streitjahre 1995 bis 2000 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger war als sog. Grenzgänger in der Schweiz nichtselbständig tätig. Die Beiträge zu seiner Krankenversicherung musste er selbst tragen. Sein in der Schweiz ansässiger Arbeitgeber war nicht verpflichtet, zu den Versicherungsbeiträgen Zuschüsse zu leisten, und hat solche tatsächlich auch nicht geleistet.

Die Kläger beantragten, die Einkommensteuer nach § 163 der Abgabenordnung (AO) aus Billigkeitsgründen abweichend festzusetzen und dabei die Einkünfte des Klägers in Höhe der Hälfte der von ihm allein getragenen Versicherungsbeiträge steuerfrei zu belassen.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) lehnte dies ab. Der dagegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos.

Mit ihrer Klage brachten die Kläger im Wesentlichen vor, dass das Für und Wider einer Steuerreduzierung aus sachlichen oder persönlichen Billigkeitsgründen durch das FA unzureichend erörtert und nicht tatsächlich gegeneinander abgewogen worden sei. In Deutschland beschäftigte und freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherte Arbeitnehmer erhielten von ihrem Arbeitgeber als Beitragszuschuss die Hälfte des Beitrages nach § 3 Nr. 62 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerfrei. In der Schweiz werde dagegen kein steuerfreier Arbeitgeberzuschuss zur Kranken- und Pflegeversicherung geleistet. Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) werde verletzt, wenn zwischen den Grenzgängern und den in Deutschland Beschäftigten unterschieden werde. Für den Kläger sei die zusätzliche dauernde Belastung auch eine große persönliche Härte. Darauf sei das FA nicht im Einzelnen eingegangen.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügen die Kläger die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Nach ihrer Auffassung seien 50 % der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung eines in Deutschland wohnenden und in der Schweiz arbeitenden Steuerpflichtigen (Grenzgänger) aus verfassungsrechtlichen Gründen in verfassungskonformer Anwendung des § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG als fiktiver Arbeitgeberbeitrag steuerfrei zu stellen. Die Ungleichbehandlung von Grenzgängern zur Schweiz mit den in Deutschland wohnenden und arbeitenden Steuerpflichtigen begründe eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung.

Die Kläger beantragen,

das Urteil des FG vom 21. September 2004 und den Bescheid des Beklagten vom 30. April 2002 i.d.F. der Einspruchsentscheidung vom 11. Oktober 2002 aufzuheben und die Einkommensteuer für 1995 unter Abänderung des Einkommensteuerbescheids vom 27. November 1996 sowie die Einkommensteuerfestsetzungen für 1996 bis 2000 unter Abänderung der jeweiligen Bescheide vom 29. März 2004, zuletzt geändert durch Bescheide vom 7. September 2005, dahingehend zu ändern, dass Beträge in Höhe von … DM, … DM, … DM, … DM, … DM sowie … DM steuerfrei bleiben,

hilfsweise,

das Einkommen der Kläger in Höhe der vorgenannten Beträge mit einer Einkommensteuer von 20 % zuzüglich Annexsteuern zu besteuern,

hilfsweise,

die Vorentscheidung aufzuheben und zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision der Kläger ist unbegründet. Sie ist daher nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen.

1. Nach § 163 Satz 1 AO kann eine Steuer u.a. niedriger festgesetzt werden, wenn ihre Erhebung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Die nach § 163 AO zu treffende Erlassentscheidung ist eine Ermessensentscheidung der Finanzverwaltung (§ 5 AO), die gemäß § 102 FGO (i.V.m. § 121 FGO) grundsätzlich nur eingeschränkter gerichtlicher Nachprüfung unterliegt (Beschluss des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603; Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 26. Oktober 1994 X R 104/92, BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297). Sie kann im finanzgerichtlichen Verfahren nur dahin geprüft werden, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 102 FGO). Im Rahmen des § 163 AO bestimmt der Maßstab der Billigkeit Inhalt und Grenzen des pflichtgemäßen Ermessens. Dabei kann die Unbilligkeit entweder in der Sache liegen oder ihren Grund in der Person des Steuerpflichtigen haben.

2. Danach ist die Beurteilung des FG, das FA habe es ermessensfehlerfrei abgelehnt, die Einkommensteuer für die Streitjahre nach § 163 AO aus Billigkeitsgründen abweichend festzusetzen, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

a) Die Voraussetzungen einer sachlichen Unbilligkeit wurden zutreffend verneint. Sachlich unbillig ist die Erhebung einer Steuer insbesondere dann, wenn sie im Einzelfall nach dem Zweck des zugrunde liegenden Gesetzes nicht mehr zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwiderläuft. Deshalb rechtfertigen Umstände, die dem Besteuerungszweck entsprechen oder die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung eines Tatbestandes bewusst in Kauf genommen hat, keinen Billigkeitserlass aus sachlichen Gründen. Härten, die dem Besteuerungszweck entsprechen und die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung eines Tatbestandes bewusst in Kauf genommen hat, sind allenfalls durch eine Gesetzeskorrektur zu beheben (vgl. BFH-Urteile vom 26. Mai 1994 IV R 51/93, BFHE 174, 482, BStBl II 1994, 833; vom 11. Januar 2006 XI R 31/04, BFH/NV 2006, 943, jeweils m.w.N.; Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Dezember 1994  2 BvR 89/91, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1995, 220).

aa) Zutreffend gehen die Beteiligten davon aus, dass es der für den Streitfall geltenden Rechtslage entspricht, Krankenkassenbeiträge der Grenzgänger zur Schweiz nicht zur Hälfte vom steuerlichen Arbeitslohn abzuziehen (BFH-Beschlüsse vom 25. Januar 2000 VI B 108/98, BFH/NV 2000, 836, sowie vom 20. Dezember 2001 VI B 198/99, BFH/NV 2002, 659).

Diese Rechtslage steht auch nicht im Widerspruch zum Willen des Gesetzgebers. Denn § 3 Nr. 62 EStG erklärt zwar Ausgaben des Arbeitgebers für die Zukunftssicherung des Arbeitnehmers für steuerfrei. Die Steuerfreiheit setzt aber voraus, dass der Arbeitgeber dazu nach sozialversicherungsrechtlichen oder anderen gesetzlichen Vorschriften oder nach einer auf gesetzlicher Ermächtigung beruhenden Bestimmung verpflichtet ist. Indessen ist weder § 3 Nr. 62 EStG selbst noch dem Einkommensteuerrecht insgesamt die gesetzgeberische Grundentscheidung zu entnehmen, dass unabhängig von diesen tatbestandlichen Voraussetzungen Lohn stets insoweit von der Einkommensteuer zu befreien wäre, als er für Zukunftssicherungsleistungen verwendet wird.

bb) Wenn die Kläger angesichts tatsächlich vom Arbeitgeber nicht erbrachter Zuschüsse zu Zukunftssicherungsleistungen eine Steuerbefreiung fordern und diese Forderung auf den Gleichbehandlungsgrundsatz stützen, begehren sie nicht die Besteuerung eines tatsächlich verwirklichten, sondern eines fiktiven Sachverhalts. Soweit die Kläger darauf bestehen, dass der von ihnen tatsächlich verwirklichte Sachverhalt wie der fiktive Sachverhalt zu behandeln sei, begehren sie im Ergebnis die Gleichbehandlung ungleicher Sachverhalte. Eine solche Gleichbehandlung ist im Streitfall von Verfassungs wegen nicht geboten. Denn wenn der Arbeitgeber zu solchen steuerfreien Zuschüssen nicht verpflichtet ist und solche auch nicht erbringt, ist es nicht Aufgabe des Steuerrechts, diese vorgefundene sozial- und arbeitsrechtliche Grundlage steuerlich auszugleichen.

cc) Auch der Einwand des Klägers, Art. 3 Abs. 1 GG werde verletzt, weil zwischen den Grenzgängern und den in Deutschland Beschäftigten unterschieden werde, greift nicht durch. Denn wie der erkennende Senat im Fall eines inländischen Arbeitgebers, der für einen unbeschränkt steuerpflichtigen französischen Arbeitnehmer an eine französische Sozialversicherung Arbeitgeberanteile entrichtet, entschieden hatte (vgl. Senatsurteil vom 18. Mai 2004 VI R 11/01, BFHE 206, 158, BStBl II 2004, 1014), differenziert der Tatbestand des § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG nicht zwischen inländischen und ausländischen Arbeitgebern, sondern zwischen gesetzlich verpflichteten und gesetzlich nicht verpflichteten Arbeitgebern und betrifft in gleicher Weise auch Inlandssachverhalte. Zu Recht hat das FG insoweit schließlich noch auf die Unterschiede hingewiesen, die zwischen dem Fall des Klägers, der als Grenzgänger weitgehend in das wirtschaftliche System der Schweiz eingegliedert ist, insbesondere in den Arbeitsmarkt und das dortige arbeits- und sozialrechtliche System, und einem in Deutschland tätigen Arbeitnehmer bestehen. Entgegen der Auffassung der Kläger ist das FA von Verfassungs wegen nicht gehalten, diese außerhalb des Steuerrechts angelegten Unterschiede im Rahmen einer die Einkommensteuerfestsetzung betreffenden Billigkeitsentscheidung auszugleichen.

b) Die Entscheidung des FG, das FA habe ermessensfehlerfrei das Vorliegen einer persönlichen Unbilligkeit verneint, ist revisionsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden. Die Würdigung, dass keine persönliche Unbilligkeit in Form der Erlassbedürftigkeit gegeben ist, weil die Steuererhebung die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Klägers vernichten oder ernstlich gefährden würde, erscheint angesichts der im finanzgerichtlichen Verfahren festgestellten aktenkundigen Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Kläger möglich.

Soweit die Kläger hierzu im Revisionsverfahren weitere Tatsachen vorgetragen haben, können diese nicht berücksichtigt werden (BFH-Urteil vom 14. Oktober 2003 VIII R 81/02, BFHE 203, 484, BStBl II 2004, 118, 121).

 

Fundstellen

Haufe-Index 1951349

BFH/NV 2008, 794

DStRE 2008, 590

HFR 2008, 689

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge