Entscheidungsstichwort (Thema)

Entstehung der Kapitalertragsteuer

 

Leitsatz (NV)

Auch bei Gewinnausschüttungen an beherrschende Gesellschafter fließen diesen die Gewinnanteile (Dividenden) erst an dem Tag zu, der im Ausschüttungsbeschluß der Körperschaft als Tag der Auszahlung bestimmt ist.

 

Normenkette

EStG § 44

 

Verfahrensgang

FG Köln

 

Tatbestand

Gesellschafter der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) sind der alleinige Geschäftsführer mit einer Stammeinlage von 19 000 DM und dessen Ehefrau mit einer Stammeinlage von 1 000 DM. Nach dem Gesellschaftsvertrag gewähren bei Beschlußfassungen je 100 DM Geschäftsanteil eine Stimme.

Am 30. April 1981 beschlossen die Gesellschafter der Klägerin für das Kalenderjahr 1980 eine Gewinnausschüttung von 33 484,55 DM. Der Beschluß wurde schriftlich niedergelegt. Der Auszahlungstag war in dem Beschluß nicht bestimmt und auch nicht in der Kapitalertragsteueranmeldung enthalten, die am 23. November 1981 beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) einging.

Das FA sah den 1. Mai 1981 als Zeitpunkt des Zuflusses an und setzte einen Verspätungszuschlag wegen verspäteter Abgabe der Anmeldung in Höhe von 400 DM fest.

In der dagegen eingelegten Beschwerde legte die Klägerin eine Bescheinigung ihrer beiden Gesellschafter vom 16. Dezember 1981 vor, daß die Geschäftsführung mit Gesellschafterbeschluß vom 30. April 1981 mündlich angewiesen worden sei, die Dividende vor Weihnachten 1981, nämlich am 20. November 1981, an sie auszuzahlen.

Die Oberfinanzdirektion (OFD) wies die Beschwerde als unbegründet zurück.

Die Klage der Klägerin blieb ohne Erfolg.

Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 152 der Abgabenordnung (AO 1977) und des § 44 Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

Das Urteil des FG wird aufgehoben; die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Der Verspätungszuschlag durfte gemäß § 152 AO 1977 nur festgesetzt werden, wenn die Klägerin gemäß § 45 a Abs. 1 Satz 1 EStG verpflichtet war, am 10. Juni 1981 eine Anmeldung einzureichen, in der die Kapitalertragsteuer enthalten war, die auf die für das Kalenderjahr 1980 beschlossene Ausschüttung entfiel. Entscheidend hierfür ist, ob die Klägerin gemäß § 44 EStG gehalten war, im Mai 1981 einen Steuerabzug insoweit für Rechnung ihrer Gesellschafter vorzunehmen; denn nur dann ist von einer Festsetzung einer am 10. Juni 1981 ablaufenden Frist gemäß § 44 Abs. 1 EStG auszugehen (vgl. § 44 Abs. 1 Satz 4 EStG). Dies hängt davon ab, ob in dem Ausschüttungsbeschluß - wie von der Klägerin nach den tatsächlichen Feststellungen des FG vorgetragen - bestimmt war, daß die Dividenden erst am 20. November 1981 auszuzahlen sind. Nur wenn in dem Ausschüttungsbeschluß kein Auszahlungszeitpunkt festgelegt war, war die Klägerin verpflichtet, im Mai den Kapitalertragsteuerabzug vorzunehmen. Für diesen Fall sind die Kapitalerträge den Gesellschaftern der Klägerin am Tag nach dem Ausschüttungsbeschluß und damit am 1. Mai 1981 zugeflossen (§ 44 Abs. 2 Satz 2 EStG), so daß die Klägerin gemäß § 44 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 EStG verpflichtet war, bis zum 10. Juni 1981 die Kapitalertragsteuer abzuführen. Ob in dem Ausschüttungsbeschluß der Tag der Auszahlung festgelegt war, hat das FG nicht festgestellt. Da es hierauf für den Rechtsstreit ankommt, sind vom FG die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen zu treffen, wozu es durch die Zurückverweisung Gelegenheit erhält.

Das FG hielt diese tatsächlichen Feststellungen deshalb nicht für erheblich, weil es in Übereinstimmung mit dem FA und der OFD davon ausging, daß die Kapitalerträge auf jeden Fall gemäß § 44 Abs. 2 EStG bereits am 1. Mai 1981 bzw. 30. April 1981 zugeflossen seien. Maßgebend war dabei die Ansicht, daß es bei Gewinnausschüttungen an beherrschende Gesellschafter nicht auf die Festlegung eines Auszahlungstages ankomme. Der Senat hält dies nicht für zutreffend. Wäre - wie von der Klägerin vorgetragen - der 20. November 1981 als Auszahlungstag bestimmt, wären die Kapitalerträge den Gesellschaftern gemäß § 44 Abs. 2 Satz 1 EStG erst zu diesem Zeitpunkt zugeflossen, auch wenn von einer Ausschüttung an beherrschende Gesellschafter auszugehen wäre. Nach dieser Vorschrift fließen Gewinne (Dividenden) und andere Kapitalerträge, deren Ausschüttung von einer Körperschaft beschlossen wird, den Gläubigern an dem Tag zu (Absatz 1), der im Beschluß als Tag der Auszahlung bestimmt ist.

2. Demgegenüber kann sich das FA nicht auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 30. April 1974 VIII R 123/73 (BFHE 112, 355, BStBl II 1974, 541) berufen. Danach sind Ausschüttungen an den Alleingesellschafter einer GmbH diesem in der Regel nach § 11 Abs. 1 EStG auch dann zum Zeitpunkt der Beschlußfassung über die Gewinnausschüttung zugeflossen, wenn die Auszahlung später vorgenommen wird. Die Entscheidung betraf nicht den Steuerabzug vom Kapitalertag, sondern die Erfassung von Kapitalerträgen bei der Veranlagung zur Einkommensteuer und damit die Auslegung des § 11 Abs. 1 EStG. In der Entscheidung wurde darauf hingewiesen, daß die Vorschrift des § 6 Abs. 2 Satz 1 der Kapitalertragsteuer-Durchführungsverordnung i. d. F. vom 8. August 1966 (KapStDV 1966) - BGBl I, 472, BStBl I, 859 - (die dem § 44 Abs. 2 Satz 1 EStG entspricht) nur für die Durchführung des Steuerabzugs vom Kapitalertrag gilt und nicht für die Erfassung der Kapitalerträge bei der Veranlagung zur Einkommensteuer. Dies gilt ebenso im umgekehrten Sinne.

3. Der Heranziehung des angeführten Urteils widerspricht auch die Systematik der Regelung in § 44 EStG. Der Zeitpunkt, zu dem der Schuldner der Kapitalerträge den Steuerabzug vorzunehmen hat, wird in den Absätzen 1 bis 4 des § 44 EStG geregelt. Nach § 44 Abs. 1 Satz 2 EStG entsteht die Kapitalertragsteuer in dem Zeitpunkt, in dem die Kapitalerträge dem Gläubiger zufließen. Nach § 44 Abs. 1 Satz 3 EStG hat der Schuldner der Kapitalerträge den Steuerabzug für Rechnung des Gläubigers in diesem Zeitpunkt vorzunehmen. Für bestimmte Kapitalerträge wird der Zeitpunkt des Zuflusses in den Absätzen 2 und 3 des § 44 EStG besonders geregelt. Es mag zutreffen, daß für die Frage, wann die nicht in den Absätzen 2 und 3 des § 44 EStG erwähnten Kapitalerträge zugeflossen sind, auf die zu § 11 Abs. 1 EStG entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden kann. Dies scheidet jedoch aus, soweit für bestimmte Kapitalerträge der Zeitpunkt des Zuflusses abschließend geregelt ist. Eine derartige abschließende Regelung enthält § 44 Abs. 2 EStG für die Kapitalerträge, deren Ausschüttung von einer Körperschaft beschlossen wird. Danach kommt entweder der im Ausschüttungsbeschluß bestimmte Auszahlungstag oder der Tag nach der Beschlußfassung als Zuflußzeitpunkt in Betracht. Der Hinweis auf den ,,Absatz 1" in dem Klammerzusatz in § 44 Abs. 2 Satz 1 EStG zeigt, daß dann, wenn der Tag der Auszahlung in dem Ausschüttungsbeschluß bestimmt ist, der als Auszahlungstag bestimmte Tag allein maßgebend ist. Andere Umstände haben danach keinen Einfluß auf den Zuflußzeitpunkt.

4. Die Vorschrift des § 44 Abs. 4 EStG kann die Auffassung des FA nicht stützen. Danach ist, wenn Gläubiger und Schuldner der Kapitalerträge vor dem Zufließen ausdrücklich Stundung des Kapitalertrags vereinbart haben, weil der Schuldner vorübergehend zur Zahlung nicht in der Lage war, der Steuerabzug erst mit dem Ablauf der Stundungsfrist vorzunehmen. § 44 Abs. 4 EStG soll unter bestimmten Voraussetzungen eine Erleichterung für die Fälle schaffen, in denen der Schuldner der Kapitalerträge noch nicht an den Gläubiger gezahlt hat, das Gesetz jedoch bereits von einem Zufluß ausgeht. § 44 Abs. 4 EStG kann im Rahmen des § 44 Abs. 1 EStG nur in seltenen Fällen zum Zuge kommen, wenn bei der Auslegung des § 44 Abs. 1 die zu § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG entwickelten Grundsätze gelten sollten. Nach der Rechtsprechung (vgl. BFH-Urteil vom 14. Februar 1984 VIII R 221/80, BFHE 140, 542, BStBl II 1984, 480) ist in den Fällen, in denen der Schuldner der Kapitalerträge nicht zahlungsfähig ist, in der Regel nicht von einem Zufluß auszugehen, selbst wenn im übrigen die Voraussetzungen vorliegen, unter denen ein Zufluß ohne Auszahlung angenommen wird. Zur Anwendung kann die Vorschrift des § 44 Abs. 4 EStG bei dem in § 44 Abs. 2 Satz 2 EStG erwähnten Fall kommen, in dem die Ausschüttung nur festgesetzt, ohne daß über den Zeitpunkt der Auszahlung ein Beschluß gefaßt worden ist. Im Rahmen des § 44 Abs. 3 EStG kommt § 44 Abs. 4 EStG in Betracht, wenn die Einnahmen aus der Beteiligung an einem Handelsgewerbe als stiller Gesellschafter sechs Monate nach Ablauf des Wirtschaftsjahres, für das der Kapitalertrag ausgeschüttet oder gutgeschrieben werden soll, als zugeflossen gelten.

Aus § 44 Abs. 4 EStG kann - entgegen Keßler (Finanz-Rundschau - FR - 1978, 504) - im Zusammenhang mit § 44 Abs. 2 Satz 2 EStG nicht geschlossen werden, der Zufluß müsse zwischen dem Ausschüttungsbeschluß und der Auszahlung liegen und könne nur berücksichtigt werden, wenn er verhältnismäßig nahe bei dem Tag des Ausschüttungsbeschlusses liege. § 44 Abs. 2 Satz 2 EStG fingiert für den Fall, daß der Zeitpunkt der Auszahlung in dem Ausschüttungsbeschluß nicht festgesetzt ist, den Tag nach der Beschlußfassung als Zuflußzeitpunkt. § 44 Abs. 4 EStG schafft - wie dargestellt - unter bestimmten Umständen eine Erleichterung für die Fälle, in denen der Zuflußzeitpunkt vor der tatsächlichen Auszahlung liegt. § 44 Abs. 4 EStG mag zwar in dem in § 44 Abs. 2 Satz 2 EStG erwähnten Fall unter Umständen in Betracht kommen. Daraus kann jedoch für den Regelfall, in dem der Auszahlungstag in dem Gewinnverteilungsbeschluß bestimmt ist und damit dieser gemäß § 44 Abs. 2 Satz 1 EStG als Zuflußzeitpunkt gilt, nicht hergeleitet werden, daß der nach dem Ausschüttungsbeschluß liegende Auszahlungstag nur dann als Zuflußzeitpunkt anzuerkennen ist, wenn er ,,nahe beim Tag des Beschlusses über die Gewinnverwendung" liegt. Ist bereits aufgrund des § 44 Abs. 2 Satz 1 EStG durch die Bestimmung des Auszahlungstages der Zeitpunkt des Zuflusses auf einen nach dem Ausschüttungsbeschluß liegenden Tag hinausgeschoben, bedarf es keiner Heranziehung des § 44 Abs. 4 EStG, um zu erreichen, daß der Schuldner der Kapitalerträge den Kapitalertragsteuerabzug nicht bereits zum Zeitpunkt der Beschlußfassung bzw. einen Tag nach der Beschlußfassung vorzunehmen hat.

Der Senat folgt damit nicht der Auffassung, wie sie im Schreiben des Bundesministers der Finanzen vom 2. August 1978 IV B 4 - S 2407 - 3/78 (Der Betrieb 1978, 1570) zum Ausdruck kommt.

5. Der Senat weicht mit seiner Entscheidung nicht von dem Urteil vom 21. Oktober 1981 I R 230/78 (BFHE 134, 315, BStBl II 1982, 139) ab; das Urteil betraf einen Fall, auf den § 44 EStG 1977 noch keine Anwendung fand und für den die mit § 44 Abs. 2 EStG 1977 übereinstimmende Regelung in § 6 Abs. 2 KapStDV 1966 noch nicht galt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414322

BFH/NV 1987, 85

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