Leitsatz (amtlich)

Das Unterschreiten des untersten Rohgewinnsatzes (Aufschlagsatz) der Richtsatzsammlung rechtfertigt bei formell ordnungsmäßiger Buchführung eine Schätzung nur dann, wenn das FA (der Betriebsprüfer) zusätzlich konkrete Hinweise auf die sachliche Unrichtigkeit des Buchführungsergebnisses geben kann oder der Steuerpflichtige selbst Unredlichkeiten zugesteht.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 158, 162

 

Verfahrensgang

Hessisches FG

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Apotheker, der seinen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich nach § 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ermittelt. Aus den Einkommensteuererklärungen für 1976 bis 1978 ergaben sich folgende Besteuerungsgrundlagen:

1976 1977 1978

Wareneinsatz

(ohne Eigenverbrauch) 1 202 371 1 203 277 1 276 778 DM

Verkaufserlöse

(ohne Umsatzsteuer) 1 691 320 1 676 372 1 862 223 DM

Rohgewinn 488 949 473 095 585 445 DM

Reingewinn 84 601 25 985 140 734 DM

Der Kläger war dementsprechend unter dem Vorbehalt der Nachprüfung zur Einkommensteuer 1976 und 1977 veranlagt worden. Nach einer Betriebsprüfung erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) vorbehaltlose Bescheide für 1976 und 1977 sowie einen erstmaligen Bescheid für 1978, denen erheblich höhere Gewinne als erklärt zugrunde gelegt wurden: 1976 = 209 863 DM, 1977 = 165 301 DM, 1978 = 218 936 DM. Das FA war dem Betriebsprüfer gefolgt, der wegen der starken Abweichungen von den allgemein üblichen Rohgewinn-Aufschlagsätzen folgende Hinzuschätzungen zu den Gewinnen für geboten ansah:

(s. Aufstellung rechts oben)

Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führte aus: Der Kläger habe erhebliche "Kassenfehlbeträge" für 1976 (68 914 DM) und 1977 (87 459 DM) eingeräumt. Für 1978 werde die Vermutung sachlicher Richtigkeit der formell ordnungsmäßig registrierten Kasseneinnahmen dadurch entkräftet, daß der "Aufschlagsatz von rund 47 % außerhalb der Wahrscheinlichkeitsgrenze liege". Dieser Satz entspreche nicht einmal der vom Institut für Handelsforschung angegebenen durchschnittlichen Betriebshandelsspanne für Apotheken. Der Kläger habe keine beachtlichen

1976 1977 1978

Wareneinsatz

(s. oben) 1 202 371 1 203 277 1 276 778 DM

abzüglich Verderb 10 000 10 000 10 000 DM

berichtigter Wareneinsatz 1 192 371 1 193 277 1 266 778 DM

davon: Waren zum

halben Umsatzsteuersatz

(5,5 %/6 %) 74 208 73 600 61 942 DM

Aufschlag 35 % 25 972 25 760 21 679 DM

übriger Wareneinsatz 1 118 163 1 119 677 1 204 836 DM

Aufschlag 55 % 614 989 615 822 662 659 DM

Nettoerlöse

(ohne Umsatzsteuer) 1 833 332 1 834 859 1 951 116 DM

Verkaufserlöse laut

Gewinn- und Verlust-

rechnung (s. oben) 1 691 320 1 676 372 1 862 223 DM

Differenz 142 012 158 487 88 893 DM

abgerundet 142 000 158 000 88 000 DM

zuzüglich Umsatzsteuer

(11 %/12 %) 15 620 17 380 10 560 DM

Gewinnerhöhungen

(Mehrentnahmen) 157 620 175 380 98 560 DM

chen Gründe für den ungewöhnlich niedrigen Aufschlagsatz geltend machen können. Die "kalkulatorisch ermittelten Kassenfehlbeträge" könnten nicht als Betriebsausgaben abgezogen werden. Es sei unglaubhaft, daß der Kläger Unterschlagungen dieser Größenordnung nicht bemerkt haben solle.

Der Kläger macht mit der Revision geltend: Er könne die geschätzten Gewinne nicht erzielt haben. Er habe sicher nicht das Letzte aus seinem Betrieb herausgeholt. Es hätten sich wohl auch Fehler eingeschlichen, die "er jedoch nicht darlegen könne". Es sei jedenfalls ausgeschlossen, daß er monatlich ca. 15 000 DM unlauter entnommen habe. Die Schätzungen beruhten auf der Anwendung der Richtsatzsammlung. Deren Zahlen widersprächen den Ermittlungen des Instituts für Handelsforschung, das für Apotheken in den Streitjahren lediglich Betriebshandelsspannen von 34,7 % (1976/77) und 33,4 % (1978) angebe. Die Richtsatzsammlung habe die fallende Tendenz nicht zur Kenntnis genommen und weise ab 1975 konstant einen unteren Aufschlagsatz von 54 % und einen mittleren Aufschlagsatz von 61 % aus. Danach könne der für 1978 erzielte Aufschlagsatz von 47 % noch als angemessen angesehen werden. Er akzeptiere dementsprechend für 1976/77 eine Anhebung des Aufschlagsatzes auf 47 %. Eine Anhebung der Gewinne sei jedoch nicht gerechtfertigt; es käme allenfalls eine Personaluntreue in Betracht.

Der Kläger beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die Einkommensteuer unter Berücksichtigung eines Gewinnes von 81 126 DM für 1976, von 20 625 DM für 1977 und von 142 821 DM für 1978 herabzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Es erwidert: Die Schätzungen des FG seien tatsächliche Feststellungen, die mangels Verfahrensrügen für die Revisionsinstanz bindend seien. Rechtsfehler oder ein Verstoß gegen die allgemeinen Denkgesetze seien nicht ersichtlich. Der Kläger wolle lediglich die Schätzung des FG durch eine andere Schätzung ersetzen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Die Hinzuschätzungen von Betriebseinnahmen zu den Gewinnen der Jahre 1976 bis 1978 können nach den bisherigen Feststellungen des FG keinen Bestand haben.

1. Die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen durch das FG gehört zwar - wie dem FA zuzugeben ist - zu den tatsächlichen Feststellungen, an die der Bundesfinanzhof (BFH) als Revisionsinstanz grundsätzlich gemäß § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gebunden ist. Auch wenn der Kläger hier keine Verfahrensrügen erhoben hat, entfällt eine Bindung des BFH aus § 118 Abs. 2 FGO jedoch dann, wenn das FG bei der Schätzung gegen anerkannte Schätzungsgrundsätze, allgemeine Erfahrungssätze oder gegen die Denkgesetze verstoßen hat (Urteil des Senats vom 2. Februar 1982 VIII R 65/80, BFHE 135, 158, 163, BStBl II 1982, 409). Im Streitfall hat das FG anerkannte Schätzungsgrundsätze unbeachtet gelassen. Diese Rechtsfehler sind ohne Rüge zu beachten.

2. Das FG hat, dem Betriebsprüfer und dem FA folgend, die Hinzuschätzung von 98 560 DM Betriebseinnahmen zu dem Gewinn 1978 ausschließlich damit begründet, daß der Aufschlagsatz von 47 % im Vergleich zu den amtlichen Richtsätzen und zu den Aufschlagsätzen der übrigen im Amtsbezirk des FA befindlichen Apotheken ungewöhnlich niedrig sei. Diese Überlegung vermag die Hinzuschätzung für 1978 nicht zu rechtfertigen.

a) Die Richtsatzsammlung Gruppe Süd weist für 1978 unter Nr. 1 Apotheken einen Rohgewinnaufschlag von 54 % bis 69 % (Mittelsatz 61 %) aus. Das FG hat nicht berücksichtigt, daß nach den Vorbemerkungen A 2 zu dieser Sammlung die Richtsätze "im allgemeinen" nur Betriebe bis zu 1 Mio. DM Umsatz erfassen. Der Umsatz des Klägers war 1978 höher. Im Hinblick auf das BFH-Urteil vom 7. Dezember 1977 I R 16-17/75 (BFHE 124, 18, BStBl II 1978, 278) hätte das FG dazu Stellung nehmen müssen, ob die Richtsatzsammlung im Streitfall überhaupt anwendbar ist (s. auch Reichel, Die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen, 1979 S. 55).

b) Der Kläger hat darauf hingewiesen, daß das Institut für Handelsforschung an der Universität Köln für Apotheken lediglich eine Betriebshandelsspanne von 33,4 % ausweist (Mitteilungen des Instituts Nr. 8/1980). Dem würde ein Aufschlagsatz von lediglich ca. 50 % entsprechen, der erheblich unter dem mittleren Aufschlagsatz der Richtsatzsammlung liegt. Das FG durfte diese Diskrepanz nicht mit der Erwägung übergehen, der Aufschlagsatz des Klägers habe "nicht einmal der vom Institut für Handelsforschung angegebenen durchschnittlichen Betriebshandelsspanne entsprochen". Der Betriebshandelsspanne sind als einem Durchschnittswert eine untere und eine obere Handelsspanne hinzuzudenken. Sie kann allenfalls mit dem Mittelsatz der Richtsatzsammlung verglichen werden (Kraus, Die Richtsätze zur Ermittlung des steuerpflichtigen Gewinns bei Gewerbetreibenden, 1981 S. 155). Erst wenn de Kläger den (hinzuzudenkenden) unteren Aufschlagsatz des Instituts für Handelsforschung unterschritten hätte, könnten ihm dessen Ermittlungen entgegengehalten werden.

Auch wenn die Berichtsbetriebe des Instituts für Handelsforschung regelmäßig größer als die Richtsatzbetriebe sind und anders als diese nicht überprüft werden, kann davon ausgegangen werden, daß die Betriebshandelsspanne und der Rohgewinnrichtsatz grundsätzlich miteinander vergleichbar sind (Stoffels, Die Richtsätze der Finanzverwaltung im Verhältnis zu den Betriebsvergleichsergebnissen des Instituts für Handelsforschung, in Festschrift für Seyffert, 1968 S. 85 ff.; Kraus, a. a. O., S. 153 ff.). Der Senat braucht zu dieser Frage jedoch nicht Stellung zu nehmen. Die Institutszahlen sind jedenfalls, wenn sie wie hier in das Verfahren eingeführt worden sind, zusätzliches Erkenntnismaterial. Das FG hätte sich mit ihnen und der vom Kläger behaupteten Diskrepanz auseinandersetzen müssen.

c) Des weiteren und insbesondere hat das FG unbeachtet gelassen, daß nach der Rechtsprechung auch ein Unterschreiten des untersten Rohgewinnrichtsatzes (Aufschlagsatzes) regelmäßig nicht geeignet ist, die Vermutung sachlicher Richtigkeit formell ordnungsmäßiger Aufzeichnungen (§ 158 der Abgabenordnung - AO 1977 -, § 208 der Reichsabgabenordnung - AO -) zu widerlegen (BFH-Urteil vom 18. September 1974 I R 94/72, BFHE 114, 1, BStBl II 1975, 217; s. auch BFH-Urteil vom 20. August 1964 IV 113/60, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1965, 472; ferner Reichel, a. a. O., S. 53 f.). Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an (vgl. bereits die Urteile des Senats vom 17. November 1981 VII R 174/77, BFHE 135, 11, 16, BStBl II 1982, 430, vom 26. April 1983 VIII R 38/82, BFHE 138, 323, 327, BStBl II 1983, 618).

Das FG hat dargelegt, daß die Kasseneinnahmen 1978 formell ordnungsgemäß registriert wurden. Wenn es von "Kassenfehlbeträgen" spricht, wollte es damit nicht etwa einen Verstoß gegen eine ordnungsmäßige Kassenführung nach der Art von kassenminusbeträgen kennzeichnen, sondern ausdrücken, daß nach seiner Auffassung in Höhe der Fehlbeträge Bareinnahmen unverbucht entnommen wurden.

Das Unterschreiten des untersten Rohgewinnsatzes (Aufschlagsatzes) der Richtsatzsammlung kann allerdings Anlaß sein, das erklärte formell ordnungsmäßig ermittelte Buchführungsergebnis anzuzweifeln; der Steuerpflichtige hat im Rahmen des ihm Zumutbaren an der Aufklärung dieser Zweifel mitzuwirken (BFHE 114, 1, BStBl II 1975, 217). Das FG scheint der Auffassung zu sein, daß der Kläger die Berechtigung des von ihm erklärten Aufschlagsatzes (47 %) mit "beachtlichen Gründen" glaubhaft machen müsse. Es hieße indessen, die Anforderungen an die Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen überspannen, wollte man ihn ohne konkrete Hinweise zu Plausibilitätserwägungen verpflichten oder ihm gar die Beweislast auferlegen.

Der Betriebsprüfer darf sich nicht, wie im Streitfall geschehen, darauf beschränken, eine Richtsatzunterschreitung aufzuzeigen, um beim Ausbleiben einer ihn überzeugenden Erklärung des Steuerpflichtigen zu einer Richtsatzschätzung zu schreiten. Er hat hier kaum mehr getan, als die Veranlagungsdienststelle vom grünen Tisch aus hätte tun können, nämlich den Wareneinsatz und den Warenerlös laut Gewinn- und Verlustrechnung gegenübergestellt. Seine zusätzliche Prüfungstätigkeit im Betrieb bestand lediglich darin, den Warenverderb pauschaliert mit 10 000 DM zu bemessen und den Anteil des Wareneinsatzes, der dem halben Umsatzsteuersatz unterliegende Waren betraf, zu ermitteln. Unter diesen Umständen konnte sich der Kläger weiterhin auf seine formell ordnungsmäßige Buchführung berufen, ohne daß ihn eine weitere besondere Mitwirkungspflicht traf.

Die Betriebsprüfung muß konkrete Hinweise geben, auf die der Steuerpflichtige konkret reagieren kann. Im Streitfall hätte es sich z. B. angeboten, den Privatbereich des Klägers einer genauen Untersuchung zu unterziehen; denn Entnahmen in der vom Betriebsprüfer angenommenen Höhe hätten sich im Privatverbrauch oder in privaten Vermögensanlagen niederschlagen müssen. Sofern diese Nachforschungen negativ verlaufen wären, hätte zumindest die Preisgestaltung des Klägers näher betrachtet werden müssen.

d) Das FG hat zu Unrecht dem Vorbringen des FA Bedeutung beigelegt, daß die im Amtsbezirk befindlichen Apotheken mindestens Aufschlagsätze entsprechend dem Mittelsatz der Richtsatzsammlung erzielt hätten. Dieses Vorbringen war zu allgemein gehalten. Wollte das FA damit die Vergleichbarkeit aller Apotheken des Amtsbezirks mit der Apotheke des Klägers behaupten, hätte es die Vergleichsapotheken benennen und deren betriebliche Merkmale offenlegen müssen. Sollte wegen des Steuergeheimnisses (vgl. dazu Jessen, Finanz-Rundschau - FR - 1979, 476) lediglich ein Erfahrungswert ohne Einzelangaben in das Verfahren eingeführt werden - nach Art einer auf den Amtsbezirk des FA beschränkten Richtsatzsammlung -, hätten wenigstens die Zahl der berücksichtigten Betriebe, ihre Größe, möglicherweise auch ihre Lage und betrieblichen Besonderheiten und die genauen Aufschlagsätze angegeben werden müssen.

3. Die Vorentscheidung unterliegt der Aufhebung auch, soweit sie die Jahre 1976 und 1977 betrifft. Die Verhältnisse liegen in diesen Jahren im wesentlichen wie in 1978. Auch 1976 und 1977 betrugen die Umsätze mehr als 1 Mio. DM (dazu 2 a). Die vom Institut für Handelsforschung ermittelten Betriebshandelsspannen lagen auch 1976 und 1977 mit jeweils 34,7 % (Mitteilungen des Instituts Nr. 9/1979 - Aufschläge ca. 53 % -) erheblich unter dem entsprechenden Mittelsatz der Richtsatzsammlung (dazu 2 b). Die nach der Buchführung erzielten Aufschlagsätze von ca. 42 % bzw. ca. 40,5 % unterschritten zwar ebenfalls erheblich den untersten Aufschlagsatz der Richtsatzsammlung, ohne daß schon hieraus eine Schätzungsberechtigung herzuleiten wäre (dazu 2 c). Eine Vergleichbarkeit mit anderen Apotheken mit höheren Aufschlagsätzen im Amtsbezirk des FA ist nicht genügend substantiiert worden (dazu 2 d).

Eine andere Beurteilung ist auch nicht deswegen gerechtfertigt, weil der Kläger für 1976 und 1977 eingeräumt hat, daß Unredlichkeiten des Personals vorgekommen sein dürften. Er hatte sich infolgedessen schon gegenüber der Betriebsprüfung bereit erklärt, für 1976 und 1977 Umsatzerhöhungen auf der "Basis 1978" (Aufschlag 47 %) hinzunehmen und diese Beträge "als zusätzlichen Lohn zu berücksichtigen" - also ohne Gewinnerhöhung -. Diese Einlassung hat er späterhin aufrechterhalten.

Das FG hat zu Unrecht geschlossen, die Vermutung sachlicher Richtigkeit des Buchführungsergebnisses sei für 1976 und 1977 auch wegen dieser Einlassung des Klägers in vollem Umfang entkräftet. Eine solche Schlußfolgerung ist selbst dann unstatthaft, wenn unberücksichtigt bleibt, daß das FG die Einlassung des Klägers an anderer Stelle als unglaubhaft bezeichnet. Einlassungen des Steuerpflichtigen können formell ordnungsmäßige Aufzeichnungen dann widerlegen, wenn sich der Steuerpflichtige selbst eines unredlichen Verhaltens bezichtigt.

Der Kläger hat zu keiner Zeit eingeräumt, was ihm FA und FG vorwerfen, nämlich die bewußte Verwendung von betrieblich vereinnahmten Geldern für private Zwecke ohne Verbuchung. Er hat sich sinngemäß vielmehr dahin eingelassen, er habe die Kasseneinnahmen 1976 und 1977 so aufgezeichnet, wie er sie beim abendlichen Zählen der Geschäftskasse vorgefunden habe; sofern Angestellte tagsüber Gelder aus der Kasse genommen haben sollten, habe er dies nicht bemerkt. Der Steuerberater und Prozeßbevollmächtigte des Klägers hat ergänzend vorgetragen, der Kläger habe trotz wiederholter Hinweise den Verdacht auf Unredlichkeiten seiner Angestellten von sich gewiesen und diese Möglichkeit erst 1978 in Betracht gezogen, nachdem sich das Betriebsergebnis nach Einführung einer Registrierkasse wieder verbessert habe.

Hiervon ausgehend war die Kassenführung des Klägers formell ordnungsmäßig (§ 162 Abs. 7 AO, § 146 Abs. 1 Satz 2 AO 1977). Er hielt die Kassenbewegungen der Jahre 1976 und 1977 so fest, wie sie sich ihm darstellten. Selbst wenn er Unredlichkeiten von Angestellten vermutet hätte, hätte er nicht die mutmaßlichen Kassenmehreinnahmen und die entsprechenden Gelddiebstähle oder -unterschlagungen als Kassenausgaben einbuchen dürfen. Solche Buchungen wären willkürlich gewesen. Die tatsächlichen Bewegungen der Geschäftskasse sind in der Kassenführung nur festzuhalten, soweit sie dem Kaufmann erkennbar sind.

§ 158 AO 1977 bestimmt allerdings, daß formell ordnungsmäßige Aufzeichnungen der Besteuerung zugrunde zu legen sind, soweit kein Anlaß ist, ihre sachliche Richtigkeit zu beanstanden. Die vom Kläger zugestandene sachliche Unrichtigkeit seiner Aufzeichnungen berechtigte, für sich genommen, nur zu einer Höherschätzung der Betriebseinnahmen im Rahmen der behaupteten Gelddiebstähle oder -unterschlagungen. Eine Vollschätzung der Betriebseinnahmen war nicht gerechtfertigt. Eine Gewinnschätzung entfiel, weil nach der Darstellung des Klägers den Betriebseinnahmen Geldverluste in gleicher Höhe gegenüberstanden. Nicht gefolgt werden kann der in der Vorinstanz geäußerten Auffassung des FA, daß solche Geldverluste keine Betriebsausgaben, sondern private Zuwendungen an einen anonymen Personenkreis waren.

4. Die Sache ist nicht entscheidungsreif. Sie geht daher an das FG zurück. Sollte das FG weiterhin an einer Richtsatzschätzung festhalten, wird es zunächst prüfen, ob die Richtsatzsammlung auf den Betrieb des Klägers anwendbar ist. Es wird den Zweifeln an den Richtsatzzahlen aufgrund der Mitteilungen des Instituts für Handelsforschung nachgehen; es ist möglicherweise zweckmäßig, Stellungnahmen der für die Richtsatzsammlung federführenden Oberfinanzdirektion (OFD) und des Instituts für Handelsforschung einzuholen. Dabei würde auch zu klären sein, weshalb Kraus (a. a. O., S. 309) aufgrund einer im einzelnen nicht erkennbaren Umrechnung für Apotheken zu dem Ergebnis kommt, daß die Institutszahlen in etwa dem Rohgewinn-Mittelsatz der Richtsatzsammlung entsprechen. Schließlich wird das FG das FA auffordern, konkrete Hinweise für eine sachliche Unrichtigkeit des Buchführungsergebnisses zu geben. Das FA hatte vor dem FG auf eine Lieferantenrechnung hingewiesen, die einen Aufschlagsatz von 60 % ergeben soll. Konkret wäre dieser Hinweis nur dann, wenn der genaue Inhalt dieser Rechnung, die von ihr betroffenen Warengruppen und deren Bedeutung im Rahmen des betrieblichen Absatzes mitgeteilt würden.

Sollte das FG zu der Überzeugung kommen, daß eine Richtsatzschätzung nicht aufrechterhalten werden kann, aber auch eine Freistellung von den Steuernachforderungen nicht vertretbar sei, kann es eigene Ermittlungen anstellen und andere Schätzungsmethoden anwenden. Möglicherweise lassen sich die Hinweise des FA und Gegenäußerungen des Klägers zu einer Nachkalkulation fortentwickeln (dazu BFHE 135, 11, BStBl II 1982, 430). Sollten indessen eingehende Ermittlungen zur Preisgestaltung und zur privaten Lebensführung des Klägers erforderlich werden, die zweckmäßigerweise bereits der Betriebsprüfer hätte vornehmen sollen (vgl. unter 2 c), wird zu erwägen sein, ob eine Zurückverweisung an das FA nach § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO in Betracht kommt (dazu Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Rdnrn. 9540 ff.; s. auch BFH-Urteil vom 7. Juli 1976 I R 66/75, BFHE 119, 368, 372, BStBl II 1976, 680).

 

Fundstellen

Haufe-Index 74846

BStBl II 1984, 88

BFHE 1984, 350

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